Während die beiden Armeen sich aufeinander zubewegten, wurden sie langsamer. Die gegnerischen Generäle schoben ihre Einheiten wie Spielzeug hin und her und stellten sie auf zur Schlacht.
Rechts von uns – wie ein zorniges Stachelschwein – die von Lanzen strotzende Schlachtformation von Nedarra. Links das endlos wuselnde Heer der Terra-Olme, die mit ihren enormen Kiefern mahlten. Der Abstand zwischen den Armeen, ein matschiger Fleck Land mit graubraunem Gras, hatte sich verringert. Etwa fünfzig Pferdelängen trennten sie noch.
Khara ritt direkt in die Mitte und brachte Victory zum Stehen. Sie hörte Doonas Hufschläge hinter sich, drehte sich um und merkte erst jetzt, dass Tobble und ich bei ihr waren.
Ich fürchtete, sie könnte wütend werden, aber sie lächelte uns nur zu, als gäbe es ein geheimes Abkommen zwischen uns. Vielleicht hatte sie letztendlich akzeptiert, dass das Schicksal ein nutzloses Dalkinmädchen und einen Wobbyk in ihre grandiose selbstmörderische Geste mit einbezog.
Kharas Wangen waren hohl, ihre Augen trüb vor Schmerz. Den rechten Arm hielt sie dicht am Körper. Ich sah einen hellroten Fleck auf ihrem Wams, wo Blut aus der Wunde durch den Verband gedrungen war. Trotzdem erhob sie sich in den Steigbügeln und fand zu einer Stimme, wie ich sie noch nie von ihr gehört hatte. Der Klang trug weit über das verblüffte Schweigen hinweg, das ihr Erscheinen ausgelöst hatte.
»Hört mich an, Soldaten von Nedarra und Dreyland. Ich bin Kharassande Donati, Lady von Nedarra, Führerin der Friedensarmee, die mit kampfbereiten Kriegern und frischen Pferden anrückt.«
Köpfe wurden gedreht, um zu prüfen, ob diese dritte Armee schon in Sicht sei.
»Ich komme mit einem Friedensangebot«, sagte Khara. »Keiner von euch will sterben, aber sterben werdet ihr, wenn die Entscheidung euren korrupten und törichten Anführern überlassen bleibt. Für sie werdet ihr sterben! Für einen wahnsinnigen abtrünnigen Felijaga. Oder für einen unfähigen habgierigen Tyrannen, der sich zum Feind alles Lebendigen gemacht hat.«
Die Soldaten hörten zu. Zumindest die Menschen. Wie die Terra-Olme Kharas Rede aufnahmen, konnte ich nicht einschätzen.
»Ich weiß, dass ihr Terra-Olme dem Kazar dient«, fuhr Khara fort, »und das nur, weil er die Kontrolle über eure Nahrungsvorräte an sich gerissen hat und euch mit dem Hungertod droht.«
Jetzt war ich sicher, dass die Terra-Olme lauschten. Das musste den Kazar beunruhigen, denn ich sah einen Reiter aus seiner Begleitung zur Frontlinie preschen. Schon die Geste machte klar, dass der Reiter einen Vorgeschmack auf den Zorn und die Drohungen des Kazar überbrachte.
Aber auch der Murdano war nicht glücklich bei der Aussicht, die Gelegenheit auf einen Krieg zu verlieren. Plötzlich flog aus den Reihen der Nedarra-Kämpfer ein Pfeil.
»Pass auf!«, schrie Tobble, und mein Herz machte einen Satz.
Khara drückte Victory die Knie in die Flanken, und er wendete sofort. Mit verzerrtem Gesicht zog Khara ihr Schwert und schlug den Pfeil damit weg.
»Gehorcht nicht diesen schlechten Anführern!«, rief Khara. Aber ich sah, und sicherlich auch Khara, dass die Offiziere langsam die Kontrolle über ihre Truppen zurückerlangten. Jeden Augenblick konnte ein Trompetensignal ertönen, das zum Angriff blies.
»Ich berufe mich auf die alten Kampfrituale!«, rief Khara. »Trafen in früheren Zeiten zwei Armeen aufeinander, konnten die Anführer jeder Seite ein Gemetzel vermeiden, indem sie sich auf einen Wettstreit zwischen den besten Kämpfern einigten, von jeder Seite einer. Ich fordere den Kazar und den Murdano heraus! Ich fordere sie zu Einzelkämpfen. Und wenn sie keine Feiglinge sind – ich betone, wenn sie keine Feiglinge sind –, dann sollen sie vortreten und mit mir kämpfen! Diese zwei großen Anführer werden ein gewöhnliches Mädchen gewiss nicht fürchten.«
Bei Kharas Worten mischten sich Stolz und Entsetzen in mir. Sie war so tapfer, unsere Khara. Und so dumm.
Als erste Antwort kam das Gebrüll eines Felijagas, so laut, dass der Boden zu beben schien. Die Front der Terra-Olme öffnete sich, und dort, nicht mehr als drei Felijaga-Sprünge entfernt, stand der Kazar.
Er war grau wie Regenwolken und hatte schwarze Streifen im Gesicht. Und riesig war er, eineinhalbmal so groß wie Gambler. Sein langer Schwanz, den er hin und her peitschte, endete in einer silbernen Klinge, die fast so groß war wie ich. Und als er seine Krallen ausstreckte, glänzten auch diese silbrig und machten ihn noch Furcht einflößender.
»Du willst mich herausfordern, Mädchen?«, brüllte der Kazar. »Dich fresse ich bei lebendigem Leib! Und wenn ich damit fertig bin, werde ich das Gleiche mit dem sogenannten Murdano tun!«
Da richtete sich die Aufmerksamkeit aller auf die Armee von Nedarra. Halb erwartete ich, dass nun der Murdano auf die Bildfläche stolziert käme. Allerdings hatte er die Wahl, die Herausforderung selbst anzunehmen oder einen hervorragenden Kämpfer zu benennen. Feig wie er war, entschied er sich für Letzteres.
Die Bogenschützen traten beiseite, um ein abscheuliches Wesen durchzulassen, das vorbei an den Schlachtformationen von Nedarra auf uns zuschritt. Es war sehr groß, bestimmt mehr als zwei Meter, und obwohl es auf zwei Beinen ging wie ein Mensch, war es keiner, jedenfalls kein richtiger.
Seine Arme waren so lang, dass seine Finger, von denen jeder in einer gebogenen Kralle endete, auf dem Boden schleiften. Seine Beine waren kurz, aber kräftig wie Baumstämme. Er trug eine glänzende Silberrüstung, die aber die komisch unproportionierte Gestalt darunter nicht verbergen konnte, zu lang der Körper, zu kurz die Beine.
Doch es war etwas anderes, das jeden, der es sah, in Angst und Schrecken versetzte: Giftzähne ragten unter seinem lippenlosen Maul hervor. Das Wesen hatte unverkennbar den Kopf einer Kobra.
Der Anblick war so entsetzlich, dass mir der Murdano selbst, der nur wenige Schritte dahinterging, zuerst gar nicht auffiel. Er sah aus, wie ich ihn in Erinnerung hatte: jung, gepflegter Bart und Haar wie Ebenholz. Er trug ein gestepptes Wams und darüber ein schimmerndes goldenes Kettenhemd.
»Sieh dir meinen besten Kämpfer an!«, rief der Murdano. »Chimera!«