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In dem Backsteinhaus am Straßenende hatte vor einigen Wochen ein Buchladen eröffnet. Monsieur Haslinger ging vorbei, blieb stehen, kehrte um und blickte durch das Schaufenster. Er sah keine Kunden, und weil er es schön fand, einen Buchladen in der Nachbarschaft zu haben, trat er ein, um das Geschäft mit einem Einkauf zu unterstützen.

»Bonjour.«

Niemand war zu sehen.

»Bonjour, Monsieur«, hörte er.

Der Inhaber tauchte auf. Ein junger, dürrer, hochgewachsener Mann mit schwarzem T-Shirt und ebenso schwarzen langen Haaren. »Kann ich Ihnen helfen?«

»Danke. Ich sehe mich nur um.«

Der Mann formte seine Lippen zu einem Lächeln und tauchte wieder geschäftig zwischen den Regalen ab. Ein sympathischer Junge, dachte Monsieur Haslinger und begann an den Wälzern über Theologie, Philosophie und Recht vorbeizuschlendern, die früher sofort seine Aufmerksamkeit auf sich gezogen hätten. Vor einem Bildband über französische Gartenkunst blieb er stehen und schmökerte durch die Aufnahmen. Er sah geometrisch geschnittene Hecken, Irrgärten mit verzweigten Kieswegen, pompöse Steinbrunnen, barocke Figurengruppen und endlose Baumalleen, die in sternförmigen Schneisen zusammengeführt waren.

Als er gerade umblätterte, wurde sein Blick von einem bunten Kleid vor dem Schaufenster angezogen. Eine Frau lief auf der anderen Straßenseite vorbei, und er folgte dem tiefen Blau mit kreisrunden gelben und roten Mustern mit den Augen. Der Stoff war so lebensfroh, die Farben so intensiv und die Formen derart lebendig, dass ihn das Kleidungsstück an die kongolesischen Damen in den Friseursalons von Brüssels Matongé erinnerte.

Er lächelte, stellte den Bildband zurück und schlenderte weiter durch den hohen, hellen Raum mit dem naturbelassenen Dielenboden. Auf einem Tisch fand er signierte Bücher. Das Bild von seinem Nachbarn, dem Schriftsteller, war auf der Rückseite zu sehen. Er nahm eines zur Hand und betrachtete es. Sein Name stand unter dem Bild, und jetzt, wo er den Namen las, fiel er ihm wieder ein.

Mit dem Buch in der Hand ging er zur Kasse. Während er auf den Inhaber wartete, sah er, dass die Frau mit dem exotischen Kleid vor seiner Haustür stand.

Er blickte genauer hin. Aus der Entfernung konnte er wenig erkennen. Ihm war jedoch, als würde die Dame einen suchenden Blick auf die Namensschilder werfen, eine Klingel drücken, mit jemandem über die Sprechanlage reden, nochmals läuten, warten und schließlich nochmals läuten.

Der Inhaber kam. Er scannte das Etikett und packte das Buch in eine Papiertüte. Monsieur Haslinger beobachtete weiter die Situation vor seiner Haustür.

Plötzlich drehte sich die Dame um und ging zurück in die Richtung, aus der sie gekommen war. Die Bewegungen des leuchtenden Kleides schwangen zusammen mit ihren Schritten, und erst jetzt sah er ihr Gesicht klar und deutlich: Es war Madame Janssen.

Monsieur Haslinger hob die Hand, um ihr zu winken. Dabei sah er sein Spiegelbild im Fensterglas und wusste, die Idee war albern. Sie hätte ihn ohnehin nicht gesehen hinter den Bücherstapeln im Geschäft. Er nahm die Hand runter, zahlte, verabschiedete sich und trat, ohne das Restgeld anzunehmen, hinaus in die grelle Sonne.

Ein Lastkraftwagen donnerte vorbei und zog Kalkstaub hinter sich her. Monsieur Haslinger schloss die Augen und öffnete sie erst wieder, als sich die Staubwolke verzogen hatte. Seine Sinne mussten sich der helllauten Umgebung anpassen, und für einen Moment fürchtete er, Madame Janssen aus den Augen zu verlieren – da stand sie aber schon neben ihm und beobachtete ihn freundlich.

»Ich muss mich entschuldigen«, sagte sie.

»Wofür?«

»Für unsere Feier letztens. Wir waren zu laut. Es tut mir leid.«

Die Entschuldigung war ernst gemeint. Das sah Monsieur Haslinger in ihrem Gesicht, in ihren ernsten freundlichen Augen, in den nach oben gebogenen Mundwinkeln. »Sie hatten sich doch schon entschuldigt?«

»Nein, nicht richtig.«

»Aber das ist doch Tage her?«

»Ja, aber heute Morgen hat sich wieder ein Nachbar beschwert. Wir haben es wohl tatsächlich übertrieben.«

»Menschen, die sich über die Lebenslust anderer ärgern, sollte man nicht allzu ernst nehmen.«

»Da haben Sie wohl recht.«

»Aber wenn es Ihr Gewissen erleichtert, nehme ich Ihre Entschuldigung gerne an.«

»Danke«, sagte sie. Die Mundwinkel bogen sich zu einem herzlichen Lächeln. »Es gibt auch eine Wiedergutmachung.«

»Tatsächlich?«

»Ja. Affenbrotbaumsamen.« Madame Janssen öffnete ein Taschentuch. »Bei jeder Reise kaufe ich Samen. Das ist meine Spinnerei. Diese sind aus Gambia.«

Monsieur Haslinger nahm die bohnengroßen braunen Samen in die Hand und bedankte sich überrascht. Dabei sah er in ihre Augen, konnte aber den Blick nicht lange halten, weil ihm genau in dem Moment bewusst wurde, dass es immer besonders schöne Momente waren, wenn er Madame Janssen sah.