Doktor Hoffmann stand auf dem Balkon von Monsieur Haslinger und blickte in den Hinterhof. Er war aus dem Urlaub in Südfrankreich zurückgekommen. Auf dem Kopf trug er einen Sonnenhut aus Stroh. Sein Gesicht war braun gebrannt, sein Oberkörper umhüllt von einem faltigen weißen Leinenhemd, das nonchalant aus der Hose hing. Die beiden obersten Knöpfe waren offen, und sein graues Brusthaar war zu sehen. Er sah aus, als wäre er noch nicht in Brüssel angekommen, sondern würde noch immer im Jachthafen von Antibes stehen und die teuren Boote und die Bewegungen der hübschen Frauen beobachten.
Die salzige Mittelmeerluft, die Sonne, der Duft von Lavendel, der Abstand zur Arbeit, all das schien ihm gutgetan zu haben, dachte Monsieur Haslinger. Er nahm die Rotweinflasche zur Hand und drehte den Korken raus.
Das dumpfe Ploppen war zu hören, und Doktor Hoffmann tauchte mit einem Mal aus seinen Urlaubserinnerungen empor. Er wandte sich um, nahm den Strohhut ab, legte ihn unter den Tisch mit dem Schachbrett, fuhr sich mit den Fingern durch sein borstiges Haar und setzte sich auf den Klappstuhl. »Kein Champagner heute?«
»Heute nicht.«
»Schade.«
Monsieur Haslinger schenkte ein, sie stießen an, tranken einen Schluck und eröffneten die Partie. Das Spiel begann gemächlich. Sie zogen ohne Hast und spielten wortlos. Selbst Doktor Hoffmann sagte nichts. Er kommentierte keinen Zug, nahm keinen zurück, lobte oder verfluchte keine Entscheidung und redete nicht davon, wie klug er den Turm gegen den Läufer getauscht oder wie raffiniert er den Bauern geopfert hatte. Er spielte still vor sich hin, und Monsieur Haslinger gefiel diese besonnene Art. Selbst als Doktor Hoffmann mit der Dame den Turm auf f6 schlug und dabei den Läufer übersah, ärgerte er sich nicht. Stattdessen zog er ein Lederetui aus der Brusttasche, öffnete den Deckel, nahm eine Zigarre heraus, schnitt das Mundstück an, entzündete ein Streichholz, hielt es an das Ende und zog mehrmals kräftig, sodass im Licht der Flamme seine gelassenen Gesichtszüge zum Ausdruck kamen.
»Du blickst heute gar nicht rüber«, stellte Doktor Hoffmann fest. Als er es sagte, behielt er die Zigarre im Mund und paffte, bis der würzige Duft in der Luft hing und die Rauchwolke im Hinterhof zirkulierte.
Monsieur Haslinger verstand die undeutlichen Worte, tat aber, als hätte er sie nicht gehört, und konzentrierte sich weiter auf das Spiel.
Doktor Hoffmann zog nochmals an der Zigarre, sog den Rauch genüsslich ein, hielt ihn ein wenig in der Lunge und ließ ihn langsam durch den Mund entweichen, sodass er sanft und träge in die Höhe stieg. Dann bohrte er weiter: »Weißt du schon, wie sie heißt?«
»Wer?«
»Na, die Frau auf der Terrasse?«
Monsieur Haslinger wurde hellhörig. Er hätte gern etwas Beiläufiges gesagt, um das Thema nicht aufkeimen zu lassen. Ihm fiel aber nichts ein, deshalb stand er auf und verschwand in der Küche, um einen Aschenbecher zu holen.
Auf dem Weg suchte er nach Worten, die seine Situation beschreiben könnten, aber in keiner Sprache, die er kannte, gab es welche, die gepasst hätten. Und als er zurück auf den Balkon trat, den Aschenbecher auf den Tisch stellte, wusste er noch immer nicht, wie und was er sagen sollte. »Janssen. Elise Janssen heißt sie«, sagte er schlicht, als er sich setzte, weil in den Augen von Doktor Hoffmann noch immer Neugierde schimmerte.
»Und?«
»Was und?«
»Habt ihr euch bereits kennengelernt?«
Monsieur Haslinger wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Er tat, als würde er angestrengt über den Spielzug grübeln, doch eigentlich fragte er sich, warum er so herumdruckste und nicht einfach erzählte, was war. Schließlich musste er nichts vor seinem Freund verheimlichen.
»Ja, haben wir.«
»Und weiter?«
»Da ist nichts weiter.«
»Dann wird es aber allmählich Zeit.«
»Komm, lass uns spielen.« Mit einer auffordernden Handbewegung deutete Monsieur Haslinger auf das Schachbrett.
Doktor Hoffmann sah jedoch nicht so aus, als würde er weiterspielen wollen. Vielmehr zog er nochmals genüsslich an seiner Zigarre und hakte genauso genüsslich nach: »Magst du sie?«
Monsieur Haslinger atmete tief aus. »Ja, ich mag sie.«
»Und mag sie dich?«
–
»Na, sag schon.«
»Ich denke schon. Heute waren wir jedenfalls spazieren, und sie hat sich bei mir eingehängt.«
»Das ist doch schön.«
»Ja, das ist schön. Ich hoffe nur, es hat uns niemand gesehen.«
»Ach! Jemanden kennenzulernen und zu merken, dass man den anderen mag und dass er einen mag, das ist doch etwas Gutes.«
»Schon. Aber die Leute kriegen es mit. Das spricht sich rum.«
»Natürlich kriegen die Leute es mit, aber ich würde darauf pfeifen. Niemand wird heutzutage etwas dagegen haben.«
»Meinst du wirklich?«
»Ja, sicher.«
»Ach, ich weiß nicht«, flüsterte Monsieur Haslinger und blickte in den Hinterhof, wo die Abendsonne das Zitronenbäumchen von Madame Janssen orangerot einfärbte.