Am nächsten Morgen fuhr Monsieur Haslinger mit der Tram nach Saint-Gilles zum Haus von Doktor Hoffmann. Vorsichtig öffnete er das Garagentor. Er hatte nicht gefragt, um welches Auto es sich handelte, als Doktor Hoffmann ihm die Idee aufgeschwatzt hatte. Aber jetzt, als er den windschnittig gebauten Zweisitzer sah, wünschte er, er hätte es getan.
Damit sollte er fahren? Und überhaupt: Wie sollte er einsteigen und aus dieser engen Garage kommen, ohne die Wand zu touchieren?
Monsieur Haslinger verstaute Decke und Picknickkorb im Kofferraum und zwängte sich in den Wagen. Eine Weile suchte er das Zündschloss, das sich in der Mittelkonsole befand, dann startete er den Motor, steuerte unbeschadet rückwärts hinaus, stieg aus, schloss das Garagentor und fuhr los.
Die Straßen waren eng und viel befahren. Links und rechts parkten Autos. Er hatte Sorge, dass jemand, ohne sich umzudrehen, die Autotür öffnete oder dass ein Kind überraschend auf die Straße gerannt kam, deshalb fuhr er auffallend langsam. Absurd musste das aussehen, dachte er, und absurd fühlte es sich an. Die Lenkung, das Gaspedal, die Bremse, alles in diesem PS-starken Sportwagen reagierte über.
Vorm Krankenhaus war eine Parklücke frei. Sie war schmal, und er musste rückwärts einparken. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das zum letzten Mal gemacht hatte. Sollte er einen Parkschaden verursachen, würde er lachen. Das hatte er sich vorgenommen, denn Madame Janssen stand bereits am Ausgang und beobachtete ihn.
Er legte den Retourgang ein, blickte über die Schulter und lenkte den Wagen zurück. Ganz ohne Probleme, wie er es gehofft hatte. Er stellte den Motor ab und stieg aus.
Madame Janssen kam auf ihn zu. »Der ist aber schön!«, rief sie ihm mit einem breiten Lächeln zu.
Monsieur Haslinger begann zu strahlen. »Gefällt er dir?«
»Der ist grandios. Ist das deiner?«
»Nein, der gehört einem Freund.«
»Wirklich toll!«
Monsieur Haslinger nahm ihre Tasche, öffnete die Beifahrertür, und sie stieg ein. »Geht es?«
»Ja, danke.«
Er verstaute die Tasche und fuhr los.
Weil sie den Innenraum des Wagens bewunderte und ausführlich über ihr eigenes altes Auto sprach, bemerkte sie nicht sofort, dass er stadtauswärts Richtung Süden fuhr, durch den Bois de la Cambre. Erst spät fragte sie: »Wohin entführst du mich?«
»Wir machen einen Ausflug.«
Sie überquerten die Stadtgrenze und fuhren eine schnurgerade Straße durchs ländliche Flandern. Links lag der Forêt de Soignes, rechts gab es große Anwesen mit imposanten Vorgärten. Auch an einem Golf- und einem Wellnessklub für gut betuchte Menschen fuhren sie vorbei. Nach einigen Kilometern erreichten sie Wallonien. Nun fuhren sie an Feldern und Wiesen vorbei. Ganz weit ins Land konnten sie sehen. Kein Berg, kein Hügel stellte sich in ihr Sichtfeld. Hinter einem verschlafenen Ort, der verlassen wirkte, begann ein Waldstück, und Monsieur Haslinger bog links ab auf eine schmale Sandstraße. Er drosselte die Geschwindigkeit und blickte suchend aus dem Fenster. Als vor ihnen ein kleiner See auftauchte, romantisch im Wald gelegen, fuhr er rechts ran, stellte den Motor ab, und Madame Janssen betrachtete den See und die Bäume, hoch wie Kathedralen, die vom Ufer aus in den Himmel ragten und ihre Äste weit über das Wasser senkten.
»Gefällt es dir hier?«, fragte er.
»Ja, endlich wieder Natur.«
Er stieg aus, ging um das Auto herum, öffnete die Beifahrertür, reichte Madame Janssen die Hand, half ihr beim Aussteigen und holte Korb und Decke aus dem Kofferraum.
»Du bist gut vorbereitet.«
Er genoss das Kompliment, lächelte ihr zu.
Sie gingen ein paar Schritte durch die lichtgewaltige, duftvolle Landschaft. Die Erde war trocken, sie haftete nicht an den Schuhen, und die Luft roch sauber und ganz klar. Im Schatten zwischen den Bäumen breiteten sie die Decke aus und setzten sich. Madame Janssen zog die Schuhe und Strümpfe aus, krempelte die Hose bis zu den Knien hoch.
Im Wasser schwammen Stockenten, Blesshühner und Grauschwäne, und einen Augenblick lang beobachteten sie schweigend die Vögel. Bis ein herrenloser Hund angelaufen kam, dem Monsieur Haslinger die Hand entgegenstreckte. Der Hund schnupperte daran, ließ sich kurz streicheln, und als er kehrtgemacht hatte, legten sie sich auf den Rücken und blickten in die schwankenden Baumkronen.
Lange lagen sie nebeneinander und genossen still die Nähe des anderen, ohne sich zu berühren. Hin und wieder richteten sie sich auf und tranken einen Schluck Eistee, den Monsieur Haslinger zubereitet hatte, oder sie aßen Oliven und Käse. Dann betrachteten sie wieder den Himmel. Weiße Kondensstreifen waren zu sehen, die sich nach Westen und Osten ausdehnten und sich in der Ferne verloren wie ausgefranste weiße Bänder.
Sie sprachen selten. Höchstens dass einer einmal aussprach, was sie sowieso beide wussten oder sahen.
»Das ist eine schöne Wolke.«
»Schau, der Vogel.«
»Riechst du die Tannen?«
»Es ist schön hier.«
Einmal sagte Monsieur Haslinger: »Ich glaube nicht, dass es heute regnet.« Dabei war ihm völlig egal, ob es zu regnen beginnen würde oder was er sagte oder jemals gesagt hatte. Wichtig war ihm nur, dass sie nebeneinanderlagen, inmitten der heilenden Natur.