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Gleich am nächsten Vormittag stand Monsieur Haslinger in einem italienischen Herrenmodengeschäft auf der Avenue Louise. Vor einem Spiegel probierte er ein Sakko und ein weißes Hemd an. Der Stoff, der Schnitt, der Kragen, alles war ihm leicht zu modisch und ließ ihn zweifeln. Die Verkäuferin sagte jedoch glaubhaft, er sehe sehr gut aus, also ging er zur Kasse, zahlte ohne Reue und verließ zufrieden den Laden.

Es hatte aufgehört zu regnen, und Monsieur Haslinger beschloss, zu Fuß nach Hause zu gehen. Er schlenderte die Avenue de la Toison d’Or hoch Richtung Porte de Namur, kaufte sich eine Waffel und die Le Monde , bog rechts ab nach Matongé, wo Kisten voll Yamswurzeln, Kochbananen und Datteln vor den kongolesischen Geschäften standen und exotische Aromen in der Luft lagen; süß, bitter und scharf zugleich.

Eine Stunde später war er zu Hause. Er legte die Zeitung auf den Tisch, hängte die neue Kleidung in den Schrank, trank ein Glas Wasser und rief Madame Janssen an. Als sie abnahm, fragte er sofort: »Bist du zu Hause?«

»Ja.«

»Kann ich kurz vorbeikommen?«

»Natürlich. Ich bin da.«

»Dann bis gleich.«

Er legte auf, zog ein frisches Hemd an, kämmte sich im Badezimmer die Haare, nahm sicherheitshalber den Regenschirm mit und ging hinaus. Kaum war er auf der Straße, ergoss sich der nächste Schauer über der Stadt. Schnell bildeten sich Pfützen. Wasser schoss über die Pflastersteine in den Kanal. Ganz Brüssel stand unter einem Dach und wartete auf das Regenende, nur Monsieur Haslinger huschte dicht an der Hausmauer entlang und bog einmal um die Ecke zu Madame Janssen.

Er musste nicht klingeln. Die Tür ging auf, sobald er davorstand, und Madame Janssen begrüßte ihn in einem violetten Sommerkleid, das unter einem weißen Pullover hervorschaute. »Ich habe am Fenster gestanden und auf dich gewartet«, sagte sie und ließ ihn herein.

Er stellte den Regenschirm im Treppenhaus ab und folgte ihr in die Küche, wo er auf einen gerahmten Druck blickte, der ihm schon beim letzten Mal aufgefallen war. Ein Garten mit einer Steinbrücke und einem Teich voll Seerosen war zu erkennen.

»Möchtest du etwas trinken?«

»Hast du ein Glas Wein?«

»Hab ich. Weiß- oder Rotwein?«

»Rotwein, bitte.« Monsieur Haslinger setzte sich an den Tisch und beobachtete, wie Madame Janssen mit weichen Handbewegungen zwei Weingläser aus der Vitrine nahm.

»Du bist so furchtbar still«, sagte sie, ehe sie die Flasche öffnete und jedem ein halbes Glas einschenkte. »Worüber denkst du nach?«

»Na ja, darüber, wie ungewöhnlich dein Wunsch ist.«

»Ist er das?«

»Ja, das ist er, zumindest für mich.«

Sie reichte ihm das Weinglas und setzte sich zu ihm. »Hast du dich entschieden?«

»Ich glaube schon.«

»Da bin ich aber gespannt.«

Monsieur Haslinger roch und nippte am Wein, dann schweifte sein Blick zum Fenster und wieder zurück zu ihr. Schließlich sagte er: »Ich muss gestehen, es ist mir nicht leichtgefallen, schließlich bin ich noch nie mit einer Frau verreist.«

»Und?«

»Aber wenn ich nicht mitfahre, dann müsste ich ohne dich in Brüssel bleiben, obwohl ich mich nicht dafür entschieden hatte, allein hier zu bleiben.«

»Da hast du wohl recht.«

»Das möchte ich nicht, und deshalb habe ich beschlossen, dich zu begleiten.« Als er es sagte, war er noch immer überrascht über sich selbst und darüber, wie sie es geschafft hatte, ihn aus seiner Hülle zu locken.

»Da bin ich aber erleichtert. Ich hatte befürchtet, du würdest mir absagen. Du klangst so ernst und geheimnisvoll am Telefon.«

»Tatsächlich? Nein. Ich möchte es gern ausprobieren, zumindest für zwei oder drei Tage.«

»Du glaubst immer noch, nach zwei Tagen abreisen zu wollen?«

»Keine Ahnung. Ich weiß nicht, was auf mich zukommt.«

»Hast du kein Vertrauen?«

»O doch, aber ich bin nicht so spontan und risikofreudig wie du. Ich bin ein Gewohnheitstier, seit Jahrzehnten. Ich gehe früh zu Bett und stehe früh auf. Außerdem bete ich morgens und abends. Wenn dich das nicht stört, könnte es klappen.«

»Ach, es wird schon funktionieren.«

Monsieur Haslinger trank sein Glas leer, noch immer in Sorge, das Gefüge seiner Abläufe könnte ins Wanken geraten.

»Möchtest du noch einen Schluck?«

»Nein, danke, ich werde jetzt gehen. Ich muss noch packen.«

»Gut. Dann sehen wir uns morgen.«

»Ja, wir sehen uns morgen.«