Das Haus in Knokke lag nicht direkt am Meer, sondern in der Nähe des Royal Zoute Golf Club, am Ende einer Einbahnstraße. Es war ein weiß gestrichenes Backsteinhaus mit Schilfdach und drei Gauben, von denen aus man den Strand sehen konnte. An einer Seite gab es einen Erker mit großen Sprossenfenstern und Rosenbüschen davor. Auf der anderen Seite führte eine Flügeltür in den Garten.
Sie waren vom Bahnhof mit dem Taxi zum Haus gefahren. Mit dem Koffer in der Hand blickte Monsieur Haslinger über das alte Anwesen und den stillen Garten mit dem Ahornbaum.
»Das ist ein sehr schönes Haus«, sagte er.
»Ja, das ist es«, seufzte Madame Janssen, als wäre es ihr allerletzter Besuch.
Monsieur Haslinger konnte in der Ferne das Meer riechen. Ein feiner salziger Hauch, der sie umfing und in seinen Augen die Unwirklichkeit der Situation verstärkte.
Er folgte Madame Janssen die Steinstufen hoch zum Hauseingang, über dem eine bronzene Hoflampe hing. Madame Janssen sperrte die Tür auf, und gemeinsam betraten sie das Haus.
Es war kühl, und es gab nur spärlich Licht. Außerdem roch es nach Leder und Holz, und Monsieur Haslinger fragte sich, ob das ein bedeutungsvoller Geruch ihrer Kindheit war, an den sie sich gern erinnerte.
»Fais comme chez toi.« Madame Janssen sagte es leise, ein lautes Wort hätte in dem stillen Haus nicht richtig geklungen. Dabei wandte sie sich ihm zu, lächelte und streifte mit der Hand über seinen Oberarm. Dann begann sie die Fensterläden zu öffnen.
Monsieur Haslinger ging derweil durch die Zimmer. Er inspizierte die Gegenstände, die sich im Laufe der Jahre angesammelt hatten und die wirkten, als wären sie seit Generationen im Haus aufbewahrt worden.
Im Esszimmer erblickte er einen ovalen Tisch aus Nussholz mit acht Stühlen. Im Salon gab es einen Kamin, neben dem drei Buschtrommeln standen. In der Bibliothek hing an der Wand ein Teller, fein geschnitzt aus Elfenbein, der für Monsieur Haslinger die Verkörperung des brutalen Kolonialismus schien. In den bis zur Decke reichenden Regalen standen Bücher von Proust und Sartre, aber er entdeckte auch einen neuen Roman von seinem schreibenden Nachbarn. Monsieur Haslinger schaute sich um, nahm alles in sich auf, versuchte, sich das Leben in diesem Haus vorzustellen, und als er die Schritte von Madame Janssen auf den Dielen in der Küche hörte, ging er zu ihr.
Sie stand vor der Anrichte, neben einem Gasherd mit acht Brennern, über dem Kupferpfannen an silbernen Haken hingen. Sie hatte Weißbrot, Oliven und Feigen mitgebracht und schnitt Käse in mundgerechte Stücke, die sie auf einen Tonteller legte.
»Ich hoffe, du hast Hunger?«, fragte sie, über die Schulter blickend.
»Ja, hab ich. Soll ich noch schnell die Koffer in unsere Zimmer bringen?«
»Ach, das machen wir später.« Madame Janssen öffnete eine Weinflasche, trug alles in den Salon, stellte es auf dem schwarzen Marmortisch ab, ging zum Kamin, schichtete Holz und Papierknäuel zu einem kunstvollen Gebilde und zündete es mit langen Streichhölzern an. Das Holz war sehr trocken, und die Flamme wurde rasch groß. Der halbe Raum begann warm und weich zu leuchten, und Madame Janssen machte es sich auf dem Sofa gemütlich. »Komm, setz dich zu mir.«
Das alte Ledersofa hatte Risse und war sehr weich. Monsieur Haslinger versank leicht darin, als er sich setzte. Für eine Minute saß er da, blickte auf das Feuer im Kamin und durch das Fenster, wo er in der Ferne das Meer und den breiten Sandstrand erahnte.
Madame Janssen trank einen Schluck, griff ins Regal hinter sich, zog ein Buch heraus und begann zu lesen. Sie saß da und las und trank und aß – so selbstgenügsam, so behaglich, so versunken, dass auch Monsieur Haslinger sich allmählich zu entspannen begann.
Er nahm eine Olive, ein Stück Brot und kostete den Wein. Dann suchte auch er ein Buch und fand eines über Afrika, das ihn interessierte. Er schlug es auf, las aber nicht sofort, sondern sah Madame Janssen beim Lesen zu, bis sie aufschaute und ihn anlächelte und auch er sich ans Lesen machte.
Irgendwann legte Madame Janssen das Buch beiseite, rollte sich zusammen und schloss die Augen. Monsieur Haslinger stand auf, breitete eine Wolldecke über sie und setzte sich zu ihr.
Eine Stunde später erwachte sie aus ihrem Schlummer und blickte zu ihm hoch. Monsieur Haslinger saß noch immer neben ihr und las, als hätten sie bereits ein gemeinsames alltägliches Leben.