Als sich die Nacht über das Haus senkte, nahm Monsieur Haslinger ihrer beider Koffer, trug sie die Treppe hoch und blieb im langen, schwach beleuchteten Flur stehen. Auf der Etage gab es fünf Schlafzimmer. Er wusste nicht, wo er das Gepäck abstellen sollte, geschweige denn, wo er schlafen würde, also öffnete er jede Tür und blickte hinein. Alle Zimmer hatten ein eigenes Bad mit geschwungenen alten Wasserhähnen. In einem Raum hingen afrikanische Speere an der Wand. In einem anderen gab es eine Holztruhe, auf der eine schwarze Gottheit aus Ebenholz stand.
»Wo schläfst du?«, fragte er Madame Janssen, die hinter ihm die Treppe hochgekommen war.
»Im blauen Zimmer.«
»Im blauen Zimmer?«
»Ja. Das erste rechts. Es heißt so, weil es früher blaue Tapeten hatte. Die gibt es aber schon lange nicht mehr.«
»Und wo schlafe ich?«
»Bei mir.« Sie sagte es, ohne zu zögern und mit größter Selbstverständlichkeit. Monsieur Haslinger glaubte, dass in dieser Selbstverständlichkeit ein Foppen verborgen war. Er wartete einen Moment auf ihr Lachen, aber die Reaktion kam nicht. Schließlich sagte er: »Nein, im Ernst?«
»Ja, bei mir. Warum denn nicht?«
»Du meinst, gemeinsam in einem Bett?«
»Ja, das wäre doch schön.«
»Ich kann auch woanders schlafen.«
»Das ist nicht notwendig. Das Bett ist groß genug für uns beide. Außerdem kann ich nur so sicher sein, dass du dich bei mir wohlfühlst, und sehen, ob du gut liegst oder ob dir zu heiß oder zu kalt ist.«
Sein Blick lag fragend auf ihr, und er hoffte, mehr als noch zuvor, auf ein Wort, welches das Missverständnis auflösen würde. Sie sagte jedoch nichts. Sie stand nur vor ihm, direkt unter der Deckenlampe im Flur. »Ich habe aber einen unruhigen Schlaf. Außerdem muss ich vielleicht nachts raus und würde dich wecken.«
»Das stört mich nicht.«
»Und wenn du nicht mehr einschlafen kannst?«
»Dann sind wir beide wach und können uns die Nacht um die Ohren schlagen.«
»Aber manchmal lese ich nachts. Ich würde dich um deinen Schlaf bringen. Du bist zur Erholung hier. Du musst dich ausschlafen.«
»Wie gesagt, es stört mich nicht. Und wenn es mich stört, schmeiß ich dich raus.« Madame Janssen lachte, nahm ihren Koffer und verschwand im blauen Zimmer.
Monsieur Haslinger blieb ratlos zurück. Er stand im Flur und wusste nicht, wie er tun sollte, was er noch nie zuvor getan hatte. Neben ihr einschlafen, neben ihr aufwachen – war es wirklich das, was er wollte?
Unsicher blickte er auf die halb offenen Zimmertüren. Eine kühle, einsame Dunkelheit drang durch jeden Türspalt, nur aus dem blauen Zimmer strahlten Licht und Wärme. Er bückte sich, öffnete seinen Koffer, holte seinen Schlafanzug und den Kulturbeutel heraus und ging Madame Janssen nach, um sofort im Badezimmer zu verschwinden.
Auf einer alten Mahagonikommode, deren ovaler Spiegel getrübt war und an den Rändern feine Sprünge hatte, legte er alles ab, zog sich aus, faltete seine Kleidung ordentlich zusammen und suchte einen Platz, wo sie nicht störte. Danach putzte er sich die Zähne, kontrollierte seinen Atem, seine Finger- und Fußnägel und verließ im Pyjama das Bad.
Madame Janssen lag schon im Bett. Die Hände hatte sie über die Bettdecke gelegt, und ihre nackten Schultern waren zu sehen. Hatte sie etwa kein Nachthemd an? Zum Glück las sie in einem Buch und sah ihn nicht an.
Er trat vor die Bettkante, zog die dünne Bettdecke hoch und kroch darunter. Wie eingefroren lag er dann da und starrte an die Zimmerdecke. Alles war neu, aber auf eine gute Art neu, und er musste staunen, dass er sie zwar nicht berührte, aber so eindeutig spürte, als würde er sie berühren.
Nach einer Weile legte Madame Janssen das Buch neben sich, drehte sich zu ihm, rückte ein Stück an ihn heran und lächelte verschmitzt, als wollte sie ihn aufziehen.
Monsieur Haslinger lag weiter starr da. Er sah sie nicht an. Ihren Blick spürte er aber deutlich. »Amüsierst du dich?«, fragte er.
»Worüber?«
»Über meine Anspannung?«
»Wäre das schlimm?«
»Ja, aber ich könnte es aushalten.«
»Na dann.« Madame Janssen drehte sich auf die andere Seite, legte das Buch auf den Holzboden und knipste die Nachttischlampe aus. Jetzt war es dunkel. Nicht einmal ein blasser Mondschein fiel durch die Fensterläden.
»Und jetzt haben wir Sex.« Sie sagte es ganz plötzlich in die Stille hinein und lachte herzlich auf.
Monsieur Haslinger schwieg.
»Das war ein Scherz. Schlaf gut«, sagte sie, tastete unter der Decke nach seiner Hand, fand sie und drückte sie.
Er erwiderte ihren Händedruck, bis sie eingeschlafen war und seine Anspannung sich endlich gelöst hatte und auch er schlafen konnte.