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Sie erwachten nach einem tiefen Schlaf, lagen nebeneinander und lauschten dem Regen, der auf das Dach und gegen das Fenster prasselte, unwillig, bereits aufzustehen.

»Wie geht es dir?«, fragte Madame Janssen und sah ihn an.

Er nahm den Blick von der Decke, drehte sich zu ihr und küsste sie auf den Mund. »Sehr gut.«

»Bereust du es?«

Er wusste, worauf sie anspielte, fragte aber: »Was meinst du?«

»Na, dass du mit mir geschlafen hast?«

»Warum sollte ich das bereuen?«

»Ich dachte nur, schließlich hast du etwas aufgegeben. Dein Gelübde.«

»Ich habe auch etwas gewonnen.«

»Trotzdem.«

Er nahm ihre Hand, um ihre Bedenken zu besänftigen. »Ehrlich, ich bereue nichts. Im Gegenteil. Ich bin erleichtert, dass die Uneinigkeit mit mir selbst endlich vorbei ist.«

Monsieur Haslinger streichelte ihre Hand und stand auf. Er ging zum Fenster und öffnete es. Eine Weile stand er in der frischen Luft und fing den Regen auf, der von der Dachrinne tropfte. Danach schlüpfte er wieder unter die Bettdecke. »Lass uns etwas unternehmen.«

»Es ist düster und regnet.«

»Macht doch nichts.«

Sie genossen noch einige Zeit die Wärme ihrer Körper, dann rafften sie sich auf, duschten, tranken Tee und beschlossen, mit der Küstentram zu fahren, die gesamte Strecke bis De Panne an der französischen Grenze.

Unterm Regenschirm, eng aneinandergedrückt, gingen sie zur Haltestelle. Autos fuhren vorbei, ihre Scheinwerfer leuchteten auf die Straße, wo der Regen über die Rinnsteine strömte und die Kanaldeckel überflutete. Sie wurden nass und waren froh, dass die Tram schon dastand und sie ins Trockene flüchten konnten.

In einem Sitzgeviert nahmen sie Platz, in Fahrtrichtung, nebeneinander, und blickten aus den Fenstern, die wegen der Aussicht größer waren als bei den Straßenbahnen in Brüssel.

Madame Janssen rieb sich die Hände.

»Ist dir kalt?«

»Ja. Es ist kühl hier drinnen.«

»Warte«, sagte Monsieur Haslinger, nahm ihre Hände und wärmte sie unter seiner Jacke.

Die Tram fuhr los, hinaus aus Knokke, entlang der Küste, nach Blankenberge und weiter nach De Haan. Sie sahen den Strand und das Meer und am Himmel in der Ferne über England rollende Wolkenberge.

»Es ist eine schöne Strecke«, sagte sie. »Danke, dass du mich überredet hast.«

Monsieur Haslinger lächelte eine Antwort und freute sich darüber, wie kurzweilig die Zweisamkeit war.

In De Haan stiegen viele Touristen ein. Es wurde enger und lauter, doch das störte sie nicht. Das Gewusel empfanden sie als unterhaltsam. Monsieur Haslinger belauschte ein Ehepaar. Der Mann hielt seiner Frau einen Vortrag, warum der Küstenort De Haan hieß. Er sprach von einem Schiff, das bei Nacht und Nebel in Not geriet und nur durch das Hahnengeschrei an Deck gerettet wurde. Monsieur Haslinger hatte Freude an der Erzählung, mehr als die Ehefrau, bei der er nicht sicher war, ob sie überhaupt zuhörte.

In Ostende stand die Hebebrücke hoch und gab einem Segelschiff den Weg frei. Nach der Stadt verliefen die Gleise schnurgerade an der Nordsee entlang. Links bäumten sich Dünen auf, in denen alte Bunkeranlagen wie Mahnmale aus dem Sand ragten. Rechts war der Strand zu sehen, über den der Wind fegte. Er trug den Sand auf die Schienen, und man konnte hören, wie die Bahn während der Fahrt die Wechten zur Seite stieß.

Vor Nieuwpoort wurde die Tram leerer. Die Sonne brach durch die Wolken, und Madame Janssen ließ wieder ihren Kopf auf seine Schulter gleiten. Sie schloss die Augen und genoss die Sonnenstrahlen in ihrem Gesicht.

Er gab ihr einen Kuss und flüsterte: »Ich liebe dich.«

Er war überrascht, wie selbstverständlich er es gesagt hatte und dass Madame Janssen sein Geständnis nicht erwiderte. Aber auch wenn sie nicht sagte, dass sie ihn liebte, so dachte er, konnte er zumindest annehmen, dass sie ihn brauchte. Und das war ausreichend für ihn.

Sie erreichten De Panne. Dort war der Strand breiter und der Sand härter. Strandsegler nutzten das aus, die kleinen Ein-Mann-Segelboote sausten auf Reifen über den Sand. Die beiden beobachteten das Treiben.

Ohne den Blick abzuwenden, sagte sie: »Ich war für die Liebe immer zu feige. In jeder Beziehung musste ich ständig die Zügel in der Hand halten, sonst fühlte ich mich ausgeliefert. Heute würde ich sagen, es wäre schön gewesen, wenn ich es zugelassen hätte, mich zu verlieren.« Sie drückte sich an ihn. »Bei dir ist es anders.«

»Tatsächlich?«

»Ja, tatsächlich.«

»Das ist schön«, sagte er, und ein Gefühl kam in ihm hoch, als hätten sie beide die Vergangenheit hinter sich gelassen, um den reifen Rest des Lebens gemeinsam zu genießen.