Reina

Vier Stunden zuvor

A ls Reina Mori geboren wurde, wütete ganz in der Nähe ein Brand. Für solch eine urbane Gegend war dies ein sehr ungewöhnliches Ereignis, das an jenem Tag allen Einwohnern die eigene Sterblichkeit drastisch vor Augen führte. Feuer war ein so primitives, ein so archaisches Problem; und dass Tokyo, Epizentrum des Fortschritts sowohl magischer als auch nichtmagischer Technologie, eine derart hinterwäldlerische, unkultivierte Katastrophe erleiden musste, erschütterte viele in den Grundfesten ihrer Weltvorstellung. Manchmal, wenn Reina schlief, kroch ihr der Brandgeruch wieder in die Nase, und sie wachte hustend auf, beugte sich über die Bettkante und würgte, bis sich die rauchige Erinnerung aus ihrer Lunge verzogen hatte.

Den Ärzten war sofort klar, dass Reina über Kräfte der höchsten medäischen Kategorie verfügte, die die ohnehin seltenen Spielereien normaler Hexerei übertrafen. In dem vielgeschossigen Krankenhaus fand sich nicht sonderlich viel Natur, aber das bisschen floraler Existenz – die Zierpflanzen in den Ecken, Schnittblumen von mitfühlenden Besuchern – war wie ein Haufen ängstlicher kleiner Kinder auf sie zugekrochen, nervös und sehnsüchtig und voller Todesangst.

Reinas Großmutter bezeichnete ihre Geburt als Wunder. Sie sagte, bei Reinas erstem Atemzug habe die Welt erleichtert aufgeseufzt und sich an die Lebensfülle geklammert, die Reina ihr schenkte. Reina dagegen betrachtete ihren ersten Atemzug als den Beginn lebenslanger Verpflichtungen.

Eigentlich hätte ihre Klassifizierung als Naturmagierin sie gar nicht so sehr belasten sollen. Schließlich ließen sich medäische Naturmagier, viele davon aus ländlichen Gebieten, typischerweise von großen Landwirtschaftsunternehmen anwerben; dort verdienten sie hübsche Summen, wenn sie die Sojabohnenproduktion ankurbelten oder bei der Wasseraufbereitung halfen. Reina als eine aus diesen Reihen zu betrachten oder überhaupt als Naturalistin zu klassifizieren, traf jedoch nicht den Kern der Sache. Bei anderen Medäern lief es so: Sie baten die Natur um einen Gefallen, und wenn sie nur freundlich oder ehrfurchtsvoll oder machtvoll genug fragten, gab die Natur, was sie hatte. In Reinas Fall verhielt sich die Natur eher wie ein nerviges Geschwisterkind, oder ein hoffnungslos Süchtiger, der leider zur Verwandtschaft gehörte und immer wieder auftauchte, um völlig überzogene Forderungen zu stellen. Reina, die ohnehin nicht viel von Familienbanden hielt, legte keinen Wert auf diese Kontaktaufnahmen und ignorierte sie meistens.

Ein Gutes hatte das Dasein als uneheliches Kind – man lernte schnell, die eigene Geschichte umzuschreiben, die eigene Bedeutung herunterzuspielen. Reina kam schon mit dem Wissen auf die Welt, wie man Umstände ausblendete.

Tatsächlich sprach nichts für ein Studium in Osaka, außer dass sie dafür Tokyo verlassen konnte. Tokyos magische Universität war völlig in Ordnung, vielleicht sogar etwas besser, doch die Aussicht, bis in alle Ewigkeit am selben Ort festzuhängen, weckte keine große Begeisterung in Reina. Wieder und wieder hatte sie nach Erfahrungen gesucht, die ihrer glichen – die weniger nach Wow, du große Retterin klangen und mehr nach Wow, es ist echt anstrengend, ständig die Verantwortung tragen zu müssen  –, und hatte die meisten davon in antiker Mythologie gefunden. Dort ertrugen Hexen, oder Götter, die als Hexen wahrgenommen wurden, ganz ähnliche Schicksale, die in manchen Fällen sogar erstrebenswerte Wendungen nahmen: Exil auf einer Insel. Ein halbes Jahr in der Unterwelt. Das Verwandeln der persönlichen Feinde in Dinge, die nicht sprechen konnten. Reinas Lehrer ermutigten sie, ihre naturalistischen Fähigkeiten zu trainieren, Botanik und Kräuterkunde zu belegen und sich in ihren Studien auf die Feinheiten der Pflanzenwelt zu konzentrieren. Doch Reina wollte die Klassiker. Sie wollte sich mit Literatur beschäftigen, mit Dingen, die sie nicht mit plattem chlorophyllischem Verlangen anstarrten. Als die Uni Tokyo ihr ein Stipendium aufdrängen wollte, damit sie bei deren führenden Naturmagiern studierte, nahm sie stattdessen das Angebot der Uni Osaka mit der Aussicht auf einen freieren Stundenplan an.

Eine kleine Flucht nur, aber immerhin.

Sie machte ihren Abschluss am Osaka Institut für Magie und bekam einen Job als Kellnerin in einem Kaffee- und Teehaus nahe des magischen Stadtzentrums. Der große Vorteil am Kellnern, wenn die Magie die ganze Lauferei erledigte? Viel Zeit zum Lesen. Und Schreiben. Direkt nach ihrem Abschluss waren unzählige Agrarfirmen über sie hergefallen (darunter viele Konkurrenten aus China und den Vereinigten Staaten, aber auch aus Japan), und Reina hatte ihr Bestmögliches getan, um nicht auf einer riesigen Plantage zu landen, wo sowohl die Erde als auch ihre Bewohner sie für ihre Zwecke aussaugen würden. Im Café gab es keine einzige Pflanze. Auch wenn sich die hölzerne Einrichtung ab und an unter ihren Händen wölbte und sich sogar erdreistete, sehnsuchtsvoll ihren Namen in der Maserung zu buchstabieren, konnte sie das einigermaßen ignorieren.

Was nicht bedeutete, dass hier niemand nach ihr suchte. Heute war es ein großer, dunkelhäutiger Mann in einem Burberry-Trenchcoat.

Immerhin sah er nicht nach Kapitalistenschwein aus – eher nach Sherlock Holmes. Er kam herein, setzte sich an einen Tisch und legte drei kleine Samenkerne darauf. Dann wartete er, bis Reina seufzend aufgestanden war.

Außer ihm befand sich niemand im Café; vermutlich hatte er dafür gesorgt.

»Bringen Sie sie zum Wachsen«, forderte er sie ohne jede Vorrede auf.

Er sprach mit schwachem Tokyoter Einschlag statt im typischen Osaka-Dialekt, woraus Reina zwei Dinge schloss: Erstens wusste er genau, wer sie war, oder zumindest, woher sie kam. Zweitens war Japanisch ganz offensichtlich nicht seine Muttersprache.

Reina warf ihm einen gelangweilten Blick zu. »Ich bringe sie nicht zum Wachsen«, antwortete sie auf Englisch. »Das machen sie von selbst.«

Sein selbstzufriedener, unbeeindruckter Gesichtsausdruck ließ vermuten, dass er mit diesem Einwand gerechnet hatte. Als er ebenfalls auf Englisch antwortete, fiel ihr sein starker, arroganter britischer Dialekt auf. »Und das hat rein gar nichts mit Ihnen zu tun?«

Sie wusste, was er von ihr hören wollte. Weder heute noch an irgendeinem anderen Tag würde sie ihm den Gefallen tun.

»Sie wollen etwas von mir«, stellte Reina ungerührt fest. »Alle wollen etwas von mir.«

»Stimmt«, bestätigte er. »Ich hätte gern einen Kaffee, bitte.«

»Schön.« Sie winkte über die Schulter hinweg nach hinten. »Ist in zwei Minuten fertig. Sonst noch etwas?«

»Ja«, sagte er. »Funktioniert es besser, wenn Sie wütend sind? Wenn Sie traurig sind?«

Der Kaffee war es also nicht. »Ich weiß nicht, wovon Sie sprechen.«

»Es gibt genug andere Naturmagier.« Er musterte sie mit einem langen, scharfen Blick. »Warum sollte ich Sie auswählen?«

»Sollten Sie nicht«, sagte sie. »Ich bin Kellnerin, keine Naturalistin.«

Einer der Samen brach auf und schlug seine Wurzeln in die hölzerne Tischplatte.

»Manche Menschen haben einzigartige Gaben, andere haben ausbaufähige Talente«, sagte der Mann. »Wofür halten Sie das hier?«

»Weder noch.« Der zweite Same keimte. »Einen Fluch vielleicht.«

»Hm.« Der Mann sah auf die Samen hinunter, dann hoch zu Reina. »Was lesen Sie?«

Das Buch unter ihrem Arm hatte sie völlig vergessen. »Die Übersetzung einer Handschrift von Circe, der griechischen Hexe.«

Seine Mundwinkel zuckten. »Die Handschrift ist doch seit langem verschollen, oder?«

»Davor wurde sie allerdings gelesen«, sagte Reina. »Und von diesen Leuten noch einmal aufgeschrieben.«

»Also ungefähr so zuverlässig wie das Neue Testament«, sagte der Mann.

Reina zuckte mit den Schultern. »Ich arbeite mit dem, was mir zur Verfügung steht.«

»Und wenn ich Ihnen sage, dass Sie das Original haben könnten?«

Der dritte Samen schoss an die Decke hinauf, prallte von dort ab und grub sich schließlich in die Holzfasern des Fußbodens.

Ein paar Sekunden lang rührte sich keiner von ihnen.

»Das Original existiert nicht mehr.« Reina räusperte sich. »Haben Sie gerade selbst gesagt.«

»Nein, ich sagte, es ist verschollen.« Der Mann beobachtete, wie sich winzige Risse auf der Samenhülle zu seinen Füßen ausbreiteten. »Nicht jeder bekommt es zu sehen.«

Reina machte einen schmalen Mund. Eine seltsame Bestechung, doch nicht die erste dieser Art. Alles hatte seinen Preis. »Und was müsste ich dafür tun?«, fragte sie entnervt. »Ihnen als Gegenleistung acht gute Erntejahre versprechen? Einen bestimmten Prozentsatz Ihres Jahresgewinns einbringen? Nein danke.«

Sie wandte sich ab, und unter ihren Füßen knackte es. Kleine grüne Wurzeln schossen aus dem Boden und schlängelten sich wie Tentakel hervor, griffen nach ihren Knöcheln, pochten an ihre Schuhsohlen.

»Wie wäre es«, entgegnete der Mann ungerührt, »mit drei Antworten als Gegenleistung?«

Reina fuhr herum, und der Mann zögerte keine Sekunde. Ganz offenbar besaß er einige Übung darin, Menschen unter Druck zu setzen.

»Wie funktioniert Ihre Magie?« Seine erste Frage, und ganz sicher nicht diejenige, für die Reina sich entschieden hätte, wenn es denn ihre Entscheidung gewesen wäre.

»Ich weiß es nicht.« Er hob eine Augenbraue, wartete ab, und sie seufzte. »Na schön, sie … benutzt mich. Benutzt meine Energie, meine Gedanken, meine Gefühle. Je mehr Energie vorhanden ist, desto mehr nimmt sie sich. Meistens wehre ich mich dagegen, aber wenn ich meine Gedanken frei laufen lasse …«

»Was passiert in dem Moment mit Ihnen? Nein, warten Sie, das formuliere ich präziser.« Anscheinend wollte er seine drei Fragen bestmöglich einsetzen. »Raubt Ihnen dieser Vorgang Kraft?«

Sie biss die Zähne zusammen. »Manchmal bekomme ich ein bisschen was zurück. Aber normalerweise schon, ja.«

»Verstehe. Letzte Frage«, sagte er. »Was passiert, wenn Sie versuchen, Ihre Magie selbst zu benutzen?«

»Habe ich Ihnen doch gesagt«, erwiderte sie. »Ich benutze sie nicht.«

Er lehnte sich zurück und deutete auf die zwei Samen, die noch auf dem Tisch lagen. Der eine schlug halbherzig Wurzeln, der andere lag aufgeplatzt da.

Die Geste war eindeutig: Versuchen Sie es doch mal.

Sie wog die Konsequenzen ab, rechnete alles durch.

»Wer sind Sie?« Reina löste den Blick von den Samen.

»Atlas Blakely, Kurator«, antwortete der Mann.

»Und was kuratieren Sie?«

»Das würde ich Ihnen gern erzählen«, sagte er, »doch die Information ist leider vertraulich. Offiziell darf ich Ihnen noch keine Einladung aussprechen, da die Entscheidung, ob der sechste Platz auf unserer Liste an Sie oder jemand anders geht, noch aussteht.«

Sie runzelte die Stirn. »Was bedeutet das?«

»Das bedeutet, dass nur sechs Personen eine Einladung erhalten«, antwortete Atlas schlicht. »Ihre Professoren am Osaka-Institut gehen anscheinend davon aus, dass Sie mein Angebot ablehnen werden, daher ist Ihr Platz nicht unbedingt …« Er verstummte. »Nun, ich will offen mit Ihnen sein. Es herrscht Uneinigkeit, Miss Mori. Ich habe exakt zwanzig Minuten, um den Rest des Rates davon zu überzeugen, dass wir Sie zur Sechsten im Bunde machen sollten.«

»Wer behauptet, dass ich Teil irgendeines Bundes sein möchte?«

»Möchten Sie vielleicht nicht«, räumte er ein. »In dem Fall benachrichtige ich den anderen Kandidaten, dass der Platz ihm gehört. Ein Reisender. Junger Mann, sehr intelligent, gut ausgebildet. Möglicherweise besser als Sie.« Pause, damit die Botschaft bei ihr ankam. »Eine sehr seltene Gabe, die er da hat, aber in meinen Augen weit weniger nützlich als die Ihre.«

Sie sagte nichts. Die Pflanze, die ihren Knöchel umschlungen hielt, seufzte unzufrieden und welkte angesichts Reinas Unbehagens ein wenig dahin.

»Also gut.« Atlas erhob sich, und Reina zuckte zusammen.

»Warten Sie.« Sie schluckte. »Zeigen Sie mir die Handschrift.«

Atlas wölbte eine Augenbraue.

»Sie haben gesagt, ich müsste nur drei Fragen beantworten«, rief Reina ihm in Erinnerung, und er lächelte wohlwollend.

»Richtig, das sagte ich.«

Mit einer knappen Bewegung förderte er ein handgebundenes Buch zutage und ließ es zwischen ihnen in der Luft schweben. Sachte schlug sich der Einband von selbst auf und offenbarte eine winzige Kritzelschrift, die nach einer Mischung aus Altgriechisch und pseudohieroglyphischen Runen aussah.

»Bei welchem Zauberspruch waren Sie gerade?«, fragte er, als Reina schon die Hand ausstreckte. »Bedaure.« Atlas winkte das Buch ein paar Zentimeter zu sich zurück, »berühren dürfen Sie es leider nicht. Eigentlich sollte es das Archiv überhaupt gar nicht verlassen, aber wie gesagt hoffe ich, Sie erweisen sich meiner Mühen wert. Welchen Zauberspruch haben Sie vorhin gelesen?«

»Ich, ähm … den Tarnzauber.« Reina starrte auf die Buchseiten und begriff nur ungefähr die Hälfte dessen, was sie las. Die Runenkurse in Osaka waren eher grundlegender Natur; in Tokyo hätte sie mehr gelernt, aber eben nicht ohne Haken. »Mit dem sie die Gestalt der Insel verschleiert.«

Atlas nickte, das Buch blätterte selbständig weiter, und da, auf der rechten Seite, prangte eine schmucklose Zeichnung der Insel Aiaia, die Tinte halb vergilbt. Es war ein plumper, unvollendeter Illusionszauber. Mit solchen Dingen hatte Reina sich über die grundlegende medäische Theorie hinaus überhaupt nicht beschäftigt. Die Illusionskurse am Osaka-Institut waren den Illusionisten vorbehalten, und zu denen gehörte sie nicht.

»Oh«, sagte sie.

Atlas lächelte.

»Ihnen bleiben noch fünfzehn Minuten«, rief er ihr in Erinnerung, und dann ließ er das Buch verschwinden.

Auch hier gab es also ganz offensichtlich einen Haken. Diese Art der Überredungskunst hatte Reina nie gemocht, doch rein rational war ihr klar, dass der Strom der Interessenten nie abreißen würde. Sie war ein Quell der Macht, ein Tresor mit einer schweren Tür, und entweder fanden sie irgendwann einen Einstieg, oder Reina müsste schlicht und ergreifend irgendjemandem Zutritt gewähren. Und zwar einem möglichst würdigen Käufer.

Sie schloss die Augen.

Dürfen wir?, fragten die Samen in ihrer simplen Samensprache, die sich wie winzige Nadelstiche auf ihrer Haut anfühlte. Wie Kinderstimmchen, bittebittebitte Mutter, können wir?

Sie seufzte.

Wachst, sagte sie zu ihnen in ihrer Sprache. Sie hatte keine Ahnung, wie sich das für die Samen anfühlte, aber offenbar verstanden sie sie gut. Nehmt euch, was ihr haben wollt, fügte sie mürrisch hinzu, macht’s einfach.

Die Erleichterung durchfloss ihren ganzen Körper: Jaaaaaaaaaa.

Als sie die Augen wieder öffnete, waren von dem Samen am Boden lauter schmale Zweige ausgeschlagen, die sich von ihren Füßen bis hinauf zur Decke streckten, darunter entlangkrochen und sich ungehemmt ausbreiteten. Der Samen, der im Tisch Halt gefunden hatte, spaltete das Holz entzwei und wucherte wie Moos an einem kargen Baumstamm. Der letzte, der aufgeplatzte Samen, erzitterte, brach in einen bunten Strauß aus und formte sich zu Ästen und Zweigen, an denen plötzlich Früchte wuchsen, die unter ihren Blicken in astronomischem Tempo reiften.

Als die Äpfel rund und schwer und verführerisch zwischen ihnen hingen, atmete Reina aus, löste die verspannten Schultern und sah ihren Besucher erwartungsvoll an.

»Ah ja«, sagte Atlas und verändert seine Sitzposition. Die Pflanzen ließen ihm kaum noch Raum. Zwischen dem dichten Blätterdach über sich und den verstrickten Wurzeln unter sich fand er weder für seinen Kopf noch für seine Beine ausreichend Platz. »Also ist es sowohl Gabe als auch Talent.«

Reina kannte ihren eigenen Wert gut genug, um das unkommentiert zu lassen. »Was für Bücher haben Sie noch?«

»Ich habe Ihnen noch kein Angebot gemacht, Miss Mori«, erwiderte Atlas.

»Sie wollen mich«, sagte sie und reckte das Kinn. »Niemand sonst kann das, was ich kann.«

»Das mag zutreffen, aber Sie kennen die anderen Kandidaten auf der Liste nicht«, gab er zu bedenken. »Wir haben zwei der besten Physiomagier, die die Welt seit Generationen gesehen hat, einen einmalig begabten Illusionisten, eine Telepathin mit unvergleichlichen Fähigkeiten, einen Empathen, dessen Überzeugungskraft Tausende von …«

»Es spielt keine Rolle, wen Sie noch haben.« Reina schob den Unterkiefer vor. »Sie wollen trotzdem mich.«

Atlas musterte sie einen Moment lang.

»Ja«, sagte er. »Ja, das stimmt wohl.«

Hahaha, lachten die Pflanzen. Haha, Mutter gewinnt, wir gewinnen.

»Lasst das«, flüsterte Reina den Zweigen zu, die sich herabbogen und ihr wohlwollend über den Kopf strichen, und Atlas stand mit einem leisen Lachen auf. Dann hielt er ihr ein kleines Kärtchen hin.

»Nehmen Sie die«, sagte er, »und in ungefähr vier Stunden werden Sie zur Einführung transportiert.«

»Zur was?«, fragte Reina, und er zuckte mit den Schultern.

»Ich wiederhole mich ungern«, erwiderte er. »Viel Glück, Reina Mori. Das war nicht Ihr letzter Test.«

Dann war er verschwunden, und Reina zog eine finstere Miene.

Ein Café voller Pflanzen war das Letzte, was sie brauchen konnte, und sein Kaffee stand unangetastet und mittlerweile kalt auf dem Tresen.