Kapitel 7
Nach einer von Albträumen dominierten Nacht stand Luke schließlich um sechs Uhr auf. Nichts war schlimmer, als wenn man wusste, man könnte ausschlafen, schaffte es aber nicht, wieder einzuschlafen. Nach einer Tasse Kaffee zog er sich seine Turnschuhe an und machte sich auf zu seiner Joggingrunde.
Wolken stauten sich hinter den Berggipfeln. Wenn der Wetterbericht stimmte, würden sie es noch heute schaffen, die Berge zu überwinden, und den ersten Schnee des Jahres bringen. Er hoffte, die Wolken würden sich entweder beeilen oder noch eine Weile warten. Auf ein Open-Air-Konzert im Schnee hatte niemand Lust.
Langsam kam sein Kreislauf in Schwung und vertrieb die letzten Traumfetzen der Nacht. Er hatte nicht gedacht, dass die kurze Unterhaltung gestern mit Kurt so viele lang vergessene Bilder hervorrufen würde. Hm. War vielleicht tatsächlich etwas an der Aussage dran, dass er sich noch nie wirklich mit seiner Vergangenheit auseinandergesetzt hatte? Gänsehaut überzog seinen Körper und er schauderte. Er musste zugeben, dass er nach wie vor nicht verstand, was der Sinn dahinter sein sollte. Darüber zu sprechen, würde seine Mutter und seine Schwester auch nicht wieder lebendig machen. Wozu also das Ganze?
Während seine Füße in einem regelmäßigen Rhythmus auf den Boden hämmerten, drifteten seine Gedanken ab zu Sunny. Hatte Kurt recht, und er agierte rund um Sunny so, weil sie ihn an seine Schwester oder Mutter erinnerte? Er schnaubte amüsiert. Wohl kaum. Die Gefühle, die er für die freche Feuerwehrfrau hegte, waren alles andere als familiär.
Erleichtert sah er, dass er sich dem steinigen und steilen Pfad näherte, der Teil seines gewohnten Fünf-Meilen-Laufs war. Die Anstrengung würde ihn davon abhalten, weiter in das ungewohnte Terrain seiner Gefühle abzutauchen. Er hatte das vage Gefühl von drohender Gefahr, sobald er zu lange über Sunny und alles, was damit verbunden war, nachdachte. Resolut schob er diese Gedanken für den Moment tief in sein Unterbewusstsein. Darin hatte er jahrelange Übung.
Leider hatte der steile Berg nicht den erwünschten Effekt. Als er oben angekommen war und das unter ihm liegende Hochplateau, auf dem Independence lag, betrachtete, stand Sunny immer noch im Mittelpunkt seiner Gedanken. Wenn sie doch nur in ein Date mit ihm eingewilligt hätte. Hatte sie aber nicht. Genervt von dem sehnsüchtigen Ziehen in seiner Brust schüttelte er angewidert den Kopf. Er brauchte dringend eine Beschäftigung. Sonst würde er noch durchdrehen. Er war richtig froh, dass er ab morgen helfen würde, die Bühne für das Festival aufzustellen. Harte, körperliche Arbeit würde ihm guttun und hoffentlich diese seltsamen Schübe von längst vergessen geglaubten, jedoch unvermittelt auftauchenden Emotionen in Schach halten. In einen lockeren Trab fallend, machte er sich auf den Rückweg.
*
„Ich will jetzt sofort den Sheriff sprechen!“, verlangte der Bürgermeister und zeigte mit der Spitze seines Spazierstocks auf Polly Miners, die im Vorzimmer des Präsidiums am Schreibtisch saß.
Polly blieb unbeeindruckt. Nach über vierzig Jahren als Polizistin im aktiven Dienst brauchte es schon etwas mehr als die wichtigtuerischen Worte eines von sich selbst viel zu überzeugten Politikers. Zwei Wochen nach ihrer Pensionierung war sie wieder im Polizeirevier aufgetaucht. „Entweder du gibst mir hier wieder einen Job“, waren ihre Worte an Jake Carter gewesen, „oder du musst mich nächstens in die Zelle dort hinten sperren. Wegen vorsätzlichen Mordes.“ Dabei hatte sie die Schrotflinte, die sie mitgebracht hatte, am Lauf gefasst und den Schaft demonstrativ auf den Holzboden sausen lassen.
Sie behauptete, schlicht nicht für das Rentnerleben geschaffen zu sein. Jake vermutete, dass es vielmehr darum ging, dass sie ihren Mann Fred nicht den ganzen Tag aushielt. Im Gegensatz zu ihr ging ihr Mann seit seiner Pensionierung völlig in seinen Hobbys auf. Hobbys, die er zu Pollys Leidwesen alle zu Hause ausübte. Jake hatte nicht lange überlegt und ihr einen Schreibtischjob angeboten, da sie sich aufgrund ihres Alters nicht mehr für den aktiven Dienst eignete. Dafür würde sie ihm ewig dankbar sein. Da war es ein kleiner Preis, dass sie ihm dafür ab und zu mühsame Bürger vom Hals halten musste. Vor allem, da ihr diese verbalen Scharmützel eine diebische Freude bereiteten.
„Sonst?“, fragte sie und hob provokant eine Augenbraue.
„Sonst … sonst lass ich Sie feuern“, drohte Mr. Wilkinson und schüttelte nochmals seinen Stock in ihre Richtung.
Polly konnte nicht anders, sie lachte laut. Sie wusste genau, wie sehr Jake ihre Arbeit schätzte. Gleichzeitig zog sie blitzschnell ihre Dienstwaffe – inaktiver Dienst hieß ja nicht, dass sie plötzlich zum wehrlosen Kätzchen mutiert war.
Der Bürgermeister erbleichte und riss entsetzt die Augen auf, als er die Pistole in ihren Händen sah.
„Aber … Sie können doch nicht einfach …“
„Wie Sie sehen, kann ich sehr wohl. Zumindest wenn es so aussieht, als würde mir jemand mit Prügel drohen.“ Sie deutete auf den Spazierstock, der immer noch in der Luft zu hängen schien.
Sein Blick driftete zum Stock. Abrupt setzte er ihn auf den Boden auf. Der laute Knall auf dem Holzboden hallte durch den Raum.
Als wäre nichts Besonderes vorgefallen, schob sie ihre Waffe wieder in ihr Holster, faltete die Hände und fragte liebenswürdig: „Wollen Sie vielleicht einen Kaffee?“
„Ich will keinen Kaffee“, brauste der Bürgermeister abermals auf. „Ich will den verdammten Sheriff sprechen!“
Polly seufzte. Manche Leute waren erstaunlich schwer von Begriff. Lernfähigkeit war tatsächlich nicht jedem gegeben.
In diesem Moment öffnete sich die Tür und der Sheriff kam herein. Seine Haare waren vom Wind zerzaust. Er sah erschöpft aus. Die dunklen Schatten unter seinen Augen sprachen Bände.
„Sheriff“, rief Mr. Wilkinson jovial und ging mit großen Schritten auf ihn zu, als wollte er sichergehen, dass ihm Polly nicht wieder dazwischenfunkte.
„Mr. Wilkinson.“
Er nickte ihm zu, legte eine Mappe mit Papieren auf Pollys Tisch und sprach leise mit ihr. Schließlich drehte er sich zu dem vor Wut und Ungeduld schäumenden Mann um.
„Bürgermeister. Was kann ich für Sie tun?“
„Mir sagen, dass du den Brandstifter geschnappt hast.“
Müde fuhr sich Jake übers Gesicht.
„So einfach ist das nicht. Wir warten immer noch auf die Bestätigung, dass es tatsächlich in allen drei Fällen Brandstiftung war.“
Verärgert verzog der Bürgermeister das Gesicht.
„Wie wahrscheinlich ist es, dass drei meiner Gebäude innerhalb von Stunden Feuer fangen?“
„Nicht sehr wahrscheinlich“, gab ihm der Sheriff recht. „Andererseits ist in Ihrem Fall die Chance um einiges höher, da gut zwei Drittel der Immobilien in Independence Ihnen gehören.“
„Ich sage dir, da hat dieser Adam Powell die Finger im Spiel. Habe ich dir erzählt, dass er mir gedroht hat, ich würde es bereuen, dass ich der Umwidmung des National Forest für das Öl- und Gasfracking nicht zugestimmt habe?“
„Tatsächlich? Hat er das genau so gesagt? Mit einem drohenden Unterton? Oder hat er womöglich mehr auf die potentiellen Arbeitsplätze angespielt, die dadurch verloren gehen würden?“
Widerwillig zuckte Mr. Wilkinson die Schultern.
„Keine Ahnung. Im Gespräch hatte ich Zweiteres vermutet. Aber nachdem inzwischen drei meiner Häuser abgebrannt sind, ist es offensichtlich, dass er etwas anderes damit gemeint hat, nicht?“
Jake stieß die Luft aus.
„Vielleicht. Die Möglichkeit besteht natürlich. Allerdings kam er mir immer recht vernünftig vor. Ich kann ihn verstehen, dass er frustriert ist. Bis vor einem Jahr hatten die Gemeinden in dieser Hinsicht überhaupt kein Mitspracherecht. Und plötzlich muss er sich mit Bürgerbeschlüssen rumschlagen.“
„Jetzt bist du plötzlich auch noch sein bester Freund?“, wollte Mr. Wilkinson empört wissen.
Jake schüttelte den Kopf und seufzte. „Nein. Natürlich nicht. Ich wollte nur mal seine Position beleuchten.“
„Aha. Jetzt sind wir schon vor der Verhaftung dabei, Mitleid mit dem Täter zu haben, der so eine schlechte Kindheit hatte“, höhnte er.
„Nein, verdammt noch mal. Ich sage nur, dass wir Beweise brauchen, bevor wir irgendjemanden beschuldigen.“
Polly, die spürte, dass Jake kurz davor war, die Geduld zu verlieren, kam um ihren Schreibtisch herum und fasste den Bürgermeister am Arm.
„Der Sheriff wird Sie auf dem Laufenden halten. Zurzeit gibt es noch keine klaren Erkenntnisse.“
Mr. Wilkinson gab sich fürs Erste geschlagen und ließ sich widerstrebend von Polly zur Tür führen. Schon fast draußen, drehte er sich nochmals um.
„Vermutlich muss erst jemand draufgehen bei einem der Feuer, bis etwas geschieht. Aber das kennt man ja“, sagte er bitter.
„Hoffen wir, dass es nicht dazu kommt“, besänftigte Polly ihn, bevor sie ihn freundlich, aber bestimmt vor die Tür setzte.
*
Jaz füllte die vegetarischen Tacos. Jake war ein Fleischesser durch und durch, doch ihr Kochen hatte ihn überzeugt, dass Fleisch nicht immer nötig war. Ein- oder zweimal die Woche kochte sie für ihn und die Kinder Fleisch von Paulas ausschließlich mit Gras gefütterten und frei draußen gehaltenen Rindern.
Hazel schlief in einem großen Sitzsack in der Ecke. Jakes schwarz-weißer Kater Jimmy hatte sich neben ihr zusammengerollt und schnarchte leise vor sich hin. Er war nicht mehr der Jüngste und verbrachte die meiste Zeit schlafend. Hazel und er waren praktisch unzertrennlich. Ihrer älteren Tochter Cammie ging er hingegen tunlichst aus dem Weg. Sie war ein rechter Rabauke und respektierte seinen Distanzbereich nicht immer ausreichend.
„Wo sind eigentlich Cammie und Rambo?“, fragte sie. Rambo war ihr Königspudel und der liebste Spielgefährte ihrer Tochter. Diese tat sich ziemlich schwer mit der Tatsache, dass er sie nicht in den Kindergarten begleiten durfte und versuchte, die verlorene Zeit jeden Abend mit langen Ausflügen über das Gelände der alten Ranch wettzumachen.
„Ich glaube, draußen“, vermutete Jake und hievte sich von seinem Stuhl hoch. „Ich hol die beiden Racker rein.“
Sie schenkte ihrem Mann ein dankbares Lächeln. Er sah müde aus. Die verschiedenen Brände innerhalb kürzester Zeit und der Mangel an Ermittlungserfolgen setzten ihm zu.
„Danke. Dafür massiere ich dir später den Rücken.“
Seine Augen leuchteten auf.
„Das merk ich mir“, sagte er und grinste erwartungsvoll.
„Keine Angst, ich vergesse es nicht. Zuerst müssen wir die Raubtierfütterung hinter uns bringen, dann schenk ich uns ein Glas Wein ein und anschließend kannst du entspannen.“
Jake trat von hinten an sie heran, schlang einen Arm um ihre Hüften und zog sie dicht an sich. Ihr Herz machte einen Sprung. Mit einem glücklichen Seufzer lehnte sie sich an seinen breiten Oberkörper. Sie staunte immer wieder über die Wirkung, die dieser Mann auch nach sechs Jahren und zwei Kindern noch auf sie hatte.
„Vielleicht erfrischt mich die Massage ja so sehr, dass meine Lebensgeister geweckt werden?“, murmelte er dicht an ihrem Ohr, bevor er sie leicht in den Übergang von ihrem Hals zu ihrer Schulter biss.
Jaz schauderte und drehte den Kopf, um ihm besseren Zugang zu gewähren.
„Mommy, Daddy, schaut, was ich gefunden habe“, ertönte Cammies Stimme, begleitet von dem Gepolter ihrer Füße und dem Kratzen von Rambos Krallen auf dem alten Holzboden.
Jaz schloss die Augen und rümpfte die Nase.
„Was sie wohl diesmal bringt?“
Jake, der die Eskapaden seiner Tochter gut kannte, lachte leise.
„Schlimmer als die halbverweste Maus beim letzten Mal kann es nicht sein.“
„Berühmte letzte Worte“, murmelte sie und stieß sich von ihm ab.
Der ganze Tumult hatte Hazel aufgeweckt. Sie setzte sich auf und rieb sich die Augen.
„Essen?“, fragte sie. Als Jaz bestätigend nickte, war sie sofort hellwach. Vorsichtig, um Jimmy nicht zu stören, rollte sie sich auf der gegenüberliegenden Seite vom Sitzsack herunter und rannte zum Tisch.
„Hände waschen“, sagte Jake und deutete in Richtung Gäste-WC.
„Aber ich muss euch doch erst meinen Fund zeigen“, protestierte Cammie.
Jaz warf einen vorsichtigen Blick in ihre Richtung. Ein Schmutzstreifen zog sich quer über ihre Wange, die Hosen sahen aus, als hätte sie einen Monat ohne Zugang zu einer Waschmaschine im Wald gelebt, doch ihre Augen funkelten glücklich. Was konnte sich eine Mutter mehr wünschen als ein zufriedenes Kind, Dreck hin oder her? Heinzelmännchen wären ganz nett als Zugabe, aber sonst?
„Also zeig mal her“, forderte sie ihre Große auf.
Cammie öffnete vorsichtig die Hand. Jaz bückte sich, um in den Spalt hineinzuspähen. Selbst Hazel kam angerannt und wollte wissen, was es da Spannendes zu sehen gab.
„Quak“, rief sie begeistert aus und wollte danach greifen. Prompt schloss Cammie die Hand schützend über ihrem Fund.
„Es nimmt ihn dir niemand weg“, beruhigte Jake sie. „Aber lass ihn uns doch einmal genauer ansehen. Vielleicht finden wir heraus, um was für ein Exemplar es sich handelt.“
Zögerlich zeigte Cammie ihren Fund.
„Schön“, flüsterte Hazel ehrfürchtig. Es war ihr deutlich anzusehen, dass es sie juckte, nach ihm zu greifen, so wie sie ihre kleinen Hände zu Fäusten geballt hatte.
„Ich glaube, das ist ein Eisfrosch. Manchmal wird er auch Waldfrosch genannt.“
„Ich habe ihn in der Nähe von dem sumpfigen Teil der Wiese gefunden“, verkündete Cammie stolz. Dann runzelte sie die Stirn. „Da gibt es aber weder Wald noch Eis.“
„Aber Bäume“, erklärte Jaz. „Das Besondere an ihnen ist, dass sie im Winter in eine Art Starre verfallen und sogar das Einfrieren überleben.“
„Wow“, hauchten beide Kinder entzückt, offensichtlich sehr beeindruckt von der Fähigkeit, einzufrieren und wieder aufzutauen.
„Das hast du gut gemacht“, lobte Jake. „Dann lasst uns jetzt essen. Froggy hier kann uns in diesem Marmeladeglas Gesellschaft leisten. Nach dem Abendessen lassen wir ihn wieder frei.“
„O nein, muss ich?“
Cammie schenkte ihm ihren besten Hündchenblick. Wahrscheinlich hatte sie heimlich zusammen mit Rambo geübt, dachte Jaz.
„Er will bestimmt bei seiner Familie sein. Zudem ist keiner gern eingesperrt. Das kannst du doch verstehen?“
Widerwillig nickte Cammie.
Jake hielt ihr ein großes, leeres Einmachglas hin. Vorsichtig transferierte das Mädchen die Amphibie in den Behälter.
„Danke. Und jetzt schnell Hände waschen.“
*
Später, als die Kinder im Bett waren, saßen Jaz und Jake nebeneinander auf der Couch und ließen den Tag bei einem Glas Wein, beziehungsweise in Jakes Fall einer Flasche Bier, ausklingen.
Jake hatte Jaz gerade von den Beschuldigungen des Bürgermeisters erzählt, mit denen er wild um sich geworfen hatte.
„Meinst du, an seiner Theorie ist etwas dran?“, fragte Jaz besorgt.
Jake hob die Schultern und ließ sie wieder fallen.
„Keine Ahnung. Beweise haben wir bislang keine gefunden, die konkret auf Adam Powell als Übeltäter hindeuten. Ich persönlich mag den Kerl, was es mir schwer macht, ihn mir als Täter vorzustellen. Andererseits ist er der Einzige, mit dem Mr. Wilkinson akut im Streit liegt.“
Jaz schnaubte belustigt.
„Ich bin sicher, da finden wir noch ein paar Dutzend andere Leute, die irgendeinen Groll gegen ihn hegen. Unser Bürgermeister ist in manchen Bereichen brillant. In anderen hingegen weniger. Er lässt tatsächlich oft nur seine eigene Meinung gelten. Das passt bestimmt einigen nicht.“
„Wir werden sehen“, murmelte Jake. „Jetzt interessiert mich viel mehr, wie lange ich noch auf meine Massage warten muss?“
„Da kann es jemand kaum erwarten“, zog sie ihn auf.
„Klar doch. Deine Massagen sind legendär. Zudem hatten wir doch ein erweitertes Entspannungsprogramm geplant.“
„Tatsächlich?“, zog sie ihn auf. Dann griff sie nach seiner Hand und zog ihn vom Sofa hoch. „Dann lass uns besser anfangen, bevor wir beide einschlafen.“
Jake lachte leise. Nachdem ihnen das schon mehr als einmal passiert war – kein Wunder nach dem anstrengenden Alltag, den sie beide mit den Kindern und der Arbeit hatten –, war das ein berechtigter Einwand.
*
Quinn lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und hielt sich den Bauch vor Lachen, während ihr Tränen über die Wangen liefen. Lara war ein wenig zurückhaltender, doch auch ihre Mundwinkel zuckten verräterisch.
„Ich bin ja so froh, dass ich für eure Unterhaltung sorgen kann“, bemerkte Sunny trocken. Sie saßen an einem Tisch im Diner und teilten sich einen großen Krug Margaritas. Der Inhalt von Letzterem war vermutlich zumindest teilweise verantwortlich für Quinns überproportionale Erheiterung.
„Tut mir leid, aber du musst zugeben, dass die Geschichte über deinen neuen Verehrer ziemlich witzig ist.“
„Man sagt doch immer, Liebe geht durch den Magen“, warf Quinn ein, bevor sie wieder in Gelächter ausbrach.
„Eigentlich hatte ich ja gehofft, ihr hättet einen Tipp für mich, wie ich den Kerl wieder loswerde.“
„Hast du schon versucht, ihn zu verscheuchen?“, fragte Lara, wohlwissend, dass Waschbären nicht leicht zu beeinflussen waren.
„Ja. Habe ich. Glaub mir, ich konnte hören, wie er mich ausgelacht hat.“
„Immerhin wird dir der Stalker nicht gefährlich.“
„Ich weiß nicht“, antwortete Sunny düster. „Letztens hat er mich doch tatsächlich auf der Veranda zu Fall gebracht.“
„Oje, hast du dich verletzt?“, fragte Lara besorgt.
„Du meinst, außer ihrem Stolz?“ Quinn griff nach dem großen Krug und schenkte sich und den anderen nach.
„Haha“, antwortete Sunny, gab dann aber zu, dass sie nur einen geprellten Hintern davongetragen hatte.
Luke, der in der Nähe des Trios an der Bar lehnte, hörte mit halbem Ohr dem Gespräch zu. Leider hörte er nur ungefähr jedes zweite Wort. Doch das, was er hörte, war genug, um ihm das Blut in den Adern gefrieren zu lassen.
„Soll ich mich für dich um das Problem kümmern?“, fragte Quinn gerade. Er spitzte die Ohren und rückte möglichst unauffällig näher an die drei Frauen ran.
„Was würdest du denn vorschlagen?“
„Ich kann ihn entweder zwangsumsiedeln, oder ich kann ihn erschießen.“
Luke nickte zustimmend mit dem Kopf. Er war für die zweite Option. Eine endgültige Lösung erschien ihm das Beste. Himmel, wusste Sunny nicht, wie gefährlich solche Typen waren?
„Erschießen?“, hörte er sie entsetzt fragen. „Sicher nicht! Er ist nur lästig. Heute Morgen habe ich ihn wieder auf der Ladefläche meines Trucks gefunden.“
„Dann bleibt nur der Umzug.“
Sunny überlegte, ob sie das gerechtfertigt fand. Schließlich tat er ihr ja nichts, außer ihren Abfall zu plündern. Offenbar überlegte sie einen Moment zu lange. Quinn grinste breit.
„Ha! Ich wusste, dass du dich insgeheim über die Aufmerksamkeit freust! Gib’s doch zu, du hast dein Herz an den Räuber verloren.“
Als Sunny nur ein Stöhnen ausstieß, gab es für Luke kein Halten mehr. Er stieß sich von der Bar ab und stürmte auf die Gruppe zu. Bei Sunny angekommen, ging er in die Knie und griff nach ihren Händen.
„Sunny, hör zu! Stalker sind gefährlich. Umso mehr, wenn sie bereits mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Egal, wie charmant er erscheinen mag, es ist einfach nicht schlau, sich mit ihnen einzulassen.“
Sunny öffnete den Mund, um etwas zu sagen, doch er sprach hastig weiter, in Sorge, dass sie ihn nicht ausreden lassen würde.
„Ich kann ja verstehen, wenn du nicht damit einverstanden bist, dass Quinn ihn gleich erschießt“, er runzelte die Stirn, „obwohl ich diese Lösung vorziehen würde, aber wenn er sich überzeugen ließe, wegzuziehen, wäre das doch ideal. Glaub mir, es liegt mir fern, dir vorzuschreiben, was du tun sollst.“ Er senkte den Blick. „Aber ich mache mir einfach Sorgen um dich.“
Nachdem er es geschafft hatte, alles loszuwerden, was ihm auf dem Herzen lag, atmete er auf. Erst da fiel ihm auf, dass es rings um ihn herum still war. Viel zu still für das Diner. Er hob den Kopf und schaute um sich. Alle Gespräche waren verstummt. Alle Gäste sowie die Disney Sisters hatten ihre ganze Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet.
„Was ist?“, fragte er verwirrt. „Ist es nicht erlaubt, sich Sorgen zu machen?“
Sunny schloss die Augen und schüttelte resigniert den Kopf.
„Luke“, sagte sie.
„Ja?“
„Mein Stalker, von dem wir sprachen …“
Luke wollte gerade antworten, als Quinn wenig elegant durch die Nase schnaubte. Lara hielt sich die Hand vor den Mund, als könnte sie sich kaum halten vor Lachen. Auch Sunny konnte ihr Grinsen nicht verbergen. Shit. Irgendwie hatte er das untrügliche Gefühl, dass er etwas Wichtiges verpasst hatte. Auf einmal war er sich gar nicht sicher, ob er den nächsten Satz hören wollte. Trotzdem zwang er sich, zu reagieren.
„Ja?“
„Mein Stalker ist ein Waschbär.“
Luke traute seinen Ohren nicht. Peinlich berührt schloss er die Augen und schüttelte den Kopf. Schließlich übermannte ihn die Komik der Situation, und er fing ebenfalls an zu lachen.
„Das habe ich ja wieder einmal toll hingekriegt. Ich bin sicher, mit solchen Aktionen werde ich dich im Nu dazu überredet haben, mir nochmals eine Chance zu geben.“
Er drückte ihre Hände, die er immer noch festhielt, leicht, bevor er sie losließ. Ein selbstironisches Grinsen im Gesicht, drehte er sich zu den anderen Gästen um und winkte in die Runde, bevor er sich spöttisch verbeugte. Anschließend leerte er in einem Zug sein Bier und ging.