Kapitel 17
Ross Henderson legte die letzten Spuren, als ihn sein Handy alarmierte, dass schon wieder jemand die äußere Grenzlinie durchbrochen hatte. Genervt schob er das Telefon zurück in die hintere Hosentasche. Man könnte meinen, das sei hier der örtliche Treffpunkt. Schlimmer als jeder Bahnhof mit diesem Kommen und Gehen der letzten Tage. Nur gut, dass er schlau genug gewesen war, diese Entwicklung vorauszusehen. Es war immer wichtig zu wissen, wann man das sinkende Schiff verlassen musste. Es war kein Zufall, dass er die vergangenen fünfzig Jahre relativ unbehelligt überlebt hatte. Der große Reichtum war zwar jetzt wie früher nur fast in greifbarer Nähe. Die Betonung lag auf dem Wörtchen fast. Aber er hatte schon magerere Zeiten überlebt.
Ein letztes Mal ließ er einen prüfenden Blick durchs Innere der baufälligen Hütte gleiten. Die belastenden Papiere waren sorgfältig auf der umgedrehten Holzkiste, die als Nachttisch diente, platziert. Ihm war klar, dass niemand glauben würde, dass Powell selbst die Drecksarbeit gemacht hatte. Aber den Auftrag dazu zu geben, war ebenso strafbar.
Nachdem er weit weg und vor allem unauffindbar sein würde, war er sich ziemlich sicher, dass sich die Polizei auf Powell konzentrieren würde. Er grinste zufrieden. Geschah dem eingebildeten Schnösel ganz recht. Jetzt, wo er sich damit abgefunden hatte, dass aus seinen großartigen Plänen nichts werden würde, war die Aussicht, diesem arroganten Schnösel eins auszuwischen, wenigstens ein kleiner Trost.
Er schulterte seine Ausrüstung und hängte sich das Fernglas um den Hals. Ohne einen Blick zurück verließ er sein zwischenzeitliches Zuhause. Er hatte noch ein wenig von dem Geld, das ihm Powell gegeben hatte. Damit würde er sich in der ersten Nacht ein Hotelzimmer gönnen, das Warmwasser hatte. Herrlich.
Bevor er ging, würde er sich jedoch vergewissern, dass die Beweise in die richtigen Hände fielen. Zielstrebig marschierte er in die Richtung seines geheimen Aussichtspunktes.
*
Polly Miners fluchte, als sie über den verflixten Draht stolperte. Jetzt hatte sie doch tatsächlich einen übersehen. Sie rollte sich zur Seite und rappelte sich hoch, halb in der Erwartung, dass jeden Moment ein Schuss fiel. Angespannt wartete sie einen Moment. Nach ein paar Minuten beschloss sie, weiterzugehen. Sie war schon zu weit gekommen, um einfach aufzugeben. Sie würde sich, wo immer möglich, im Schutz der Bäume halten. Eigentlich konnte sie es sowieso nicht erwarten, dass sich der unverschämte Kerl, der Sunny aufs Korn genommen hatte, endlich blicken ließ. Mal schauen, wie seine Laune war, wenn sie es ihm mit gleicher Münze heimzahlte.
Seltsamerweise blieb ihr inneres Alarmsystem erstaunlich ruhig. Das Prickeln in ihrem Nacken verriet ihr zwar, dass sie beobachtet wurde, doch offensichtlich war sie zurzeit nicht in Gefahr. Das konnte sich natürlich jederzeit ändern. Doch für den Moment konnte sie sich ein wenig entspannen.
Nach einem weiteren, steilen Stück wurde es endlich flacher. Einige Meter weiter fiel das Gelände in einem sanften Bogen ab. Überrascht blieb Polly stehen. Dort, hinter einigen knorrigen Kiefern, stand eine windschiefe Hütte. Daneben eine Ansammlung von Rohren. Weiter unten war ein verlassener Bagger zu sehen, der neben einer betonierten Fläche stand. Dann hatte Sunny sich also nicht geirrt. Trotz Finsternis hatte sie genau die richtigen Schlüsse gezogen.
Den Blick fest auf diese Strukturen gerichtet, sah sie das Geröll zu ihren Füßen nicht. Eine Sekunde später setzte sie den Fuß auf einen der rundgeschliffenen Steine. Wie in Zeitlupe begann sich der Untergrund zu bewegen. Der Stein und mit ihm hundert andere kamen ins Rollen. Ihre Füße wurden buchstäblich unter ihr weggezogen.
Das war so nicht geplant , schoss es ihr während des Falls durch den Kopf. Dann wurde es schwarz um sie herum.
*
Ross hatte einen guten Blick auf die Person, die den Berg hochkam. Schon wieder eine Frau? Hatten die in diesem Kaff keine Männer? Nicht, dass es ihn gestört hätte. Sie war ungefähr in seinem Alter, vielleicht sogar ein wenig älter, und offensichtlich fit. Die Haare hatte sie zu einem Zopf geflochten. Ein paar Strähnen, die sich gelöst hatten, umrahmten ein immer noch jugendlich anmutendes Gesicht. Durch die Hochleistungslinse seines Fernglases sah er die Flinte, die sie auf dem Rücken trug. Sie war gut vorbereitet, das musste er ihr lassen, auch wenn es ihr nichts genützt hätte, falls er ihr etwas hätte antun wollen. Aber es war auch schwierig, sich gegen einen ehemaligen Scharfschützen mit einer Hightech-Waffe zu wappnen.
Heute war ihr Glückstag. Er würde sie nur unauffällig dabei beobachten, wie sie die Spuren, die er für sie zum Finden ausgelegt hatte, fand. Dann würde er verschwinden. Lautlos wie der Wind. Er machte sich keine Sorgen, dass sich jemand an ihn erinnern könnte. Über die Jahre hatte er die Kunst, unauffällig zu bleiben, perfektioniert.
Er sah, wie sie einen Moment auf der Anhöhe innehielt und stutzte, als sie die Bohrstelle entdeckte. Zu gerne hätte er ihre Reaktion aus nächster Nähe mitverfolgt. Schade, dass er sie nicht herumführen konnte. Er war ziemlich stolz darauf, was er ganz ohne die Hilfe eines Teams geschafft hatte. Ein Jammer, dass er das alles zurücklassen musste. Schade um die Knochenarbeit, die er reingesteckt hatte. Aber so war das Leben. Ein Geben und Nehmen. Gespannt schaute er zu, wie sie sich wieder in Bewegung setzte. Bald würde sie das Camp erreichen. Aufregung ergriff ihn, als er daran dachte, wie perfekt er Powells Fall inszeniert hatte. In wenigen Minuten würde seine Abrechnung mit dem Bastard ihren Lauf nehmen.
Seine Augen weiteten sich erschrocken, als er sah, wie die Frau auf dem Geröll ins Rutschen geriet. Trickfilmreif zog es ihr die Füße unterm Hintern weg. Sie segelte durch die Luft und kam mit einem dumpfen Aufprall einige Meter weiter unten zum Liegen.
„Steh auf“, murmelte er unbewusst, während er sie nicht aus den Augen ließ.
Sekunden tickten vorbei. Die Frau regte sich nicht. Sein Selbsterhaltungstrieb und seine Hilfsbereitschaft stritten in seinem Inneren um die Oberhand. Eigentlich sollte er so schnell wie möglich von hier verschwinden, ganz, wie er es geplant hatte. Er hatte seine Abreise schon zu lange hinausgeschoben. Andererseits hatte er nie gewollt, dass Unschuldige verletzt wurden. Zugegeben, was gerade passiert war, hatte nichts mit ihm zu tun. Trotzdem fühlte er sich seltsam schuldig. Es lag einfach nicht in seiner Natur, jemanden einfach liegen zu lassen. Was, wenn sie ernsthaft verletzt war? Er ging davon aus, dass irgendwer schon nach ihr Ausschau halten würde. Aber was, wenn sie zu spät kommen würden? Mit einem genervten Schnauben setzte er sich in Bewegung. Die Hilfsbereitschaft hatte vorerst gewonnen. Er hoffte nur, dass ihm das am Ende nicht zum Verhängnis wurde.
Als er bei der Frau ankam, offensichtlich war sie ein Deputy, wie am Badge, der an ihrem Gürtel befestigt war, leicht zu erkennen war, hatte sie sich immer noch nicht bewegt. Besorgt ging er neben ihr in die Knie und legte zwei Finger an ihre Halsschlagader. Zu seiner Erleichterung schlug der Puls regelmäßig und kräftig. Vorsichtig fasste er an ihr Kinn und drehte ihren Kopf leicht nach rechts. Als er das Blut an ihrem Hinterkopf entdeckte, zog er scharf die Luft ein. Kein Wunder, dass sie bewusstlos war. Das war eine hässliche Wunde. Wahrscheinlich hatte sie eine Gehirnerschütterung. Das Mindeste, was er tun konnte, war, die Wunde zu säubern und neben ihr Wache zu halten, bis Hilfe kam.
Dank seinem Alarmsystem, das nach wie vor aktiviert war, würde er früh genug wissen, wann er abhauen musste. Sobald er diesen Entschluss gefasst hatte, schob er seine Arme unter ihren leblosen Körper, hob sie hoch und trug sie zur baufälligen Hütte. Dort legte er sie vorsichtig aufs Bett. Mit einem Lappen und kaltem Wasser säuberte er die Wunde, so gut es ging, bevor er sie mit antibiotischer Salbe aus seinem Erste-Hilfe-Set eincremte und mit einem leichten Verband bedeckte.
Nachdem er Feuer gemacht und einen Kaffee aufgebrüht hatte, stellte er einen Krug Wasser mitsamt Glas neben das Bett und setzte sich mit dem Rücken zur Wand. Das würde eine lange Nacht werden.
*
Der Wind raschelte in den Blättern der Espen, die überall in kleinen Gruppen verteilt auf dem Friedhof wuchsen. Wolken jagten über den blauen Himmel und verdeckten immer wieder die Sonne. Luke fühlte sich leichter, seit er Sunny sein Herz ausgeschüttet hatte. Trotzdem fühlte er sich schuldig, dass er nicht früher den Mut gehabt hatte, hierherzukommen.
„Hier“, sagte Sunny leise zu ihm und drückte ihm die Blumen in die Hand. Der Strauß war Sunnys Idee gewesen. Kaum hatten sie die Interstate verlassen, hatte sie ihn zu einem kleinen Blumenladen dirigiert. Als sie gesehen hatte, dass ihn die erstaunliche Vielfalt völlig überwältigte, war sie eingesprungen und hatte ein fröhliches Bouquet zusammenstellen lassen. Er wusste ehrlich nicht, was er ohne sie gemacht hätte. Sein Kopf war völlig leer und nicht in der Lage, Entscheidungen zu treffen. Sie hatte angeboten, anschließend nach Hause zu fahren. Dieses Angebot würde er wohl dankend annehmen. Er war fix und fertig. Der Tag hatte ihn emotional völlig ausgelaugt. Er hätte nicht gedacht, dass der Prozess so anstrengend sein würde.
Er versuchte sich die Gesichter seiner Familie in Erinnerung zu rufen. Seine Mutter, wie sie ihn immer liebevoll aufgezogen hatte, wenn er wieder einmal Unsinn angestellt hatte. Seine Schwester, die er heiß und innig geliebt hatte, die ihn aber gleichzeitig bis aufs Blut reizen konnte. Wie das halt so war mit Schwestern. Und dann natürlich sein Vater. Er hatte immer zu ihm aufgesehen. Als Feuerwehrmann war er eine herausragende und sehr willensstarke Persönlichkeit gewesen. Sie hatten sich oft genug gestritten, doch an seiner Liebe für seine Kinder hatte Luke nie gezweifelt. Ob er wohl stolz auf ihn wäre, wenn er seinen Sohn heute sehen würde?
Luke war sich nicht sicher. Diese ernüchternde Erkenntnis verstärkte seinen Entschluss, sein Bestes zu geben. Privat wie auch beruflich. Er wagte einen Blick in Sunnys Richtung. Einen gleichmütigen Ausdruck im Gesicht, stand sie gelassen da. Sie schien keinen Stress zu haben, weder mit der Örtlichkeit noch damit, dass sie auf ihn warten musste. Sie war wirklich eine außergewöhnliche Frau. Und vielleicht, wenn er sich richtig anstrengte, sogar bald die seine. Er konnte seine Mutter im Hinterkopf amüsiert schnauben hören.
Ich weiß, Mom, sehr arrogant von mir. Aber ich darf wohl träumen?
Sie lächelte nur geheimnisvoll, bevor sie einen Arm um die Taille ihres Mannes legte und mit dem anderen seine Schwester umarmte. Langsam verblasste das Bild. Die Erinnerungen waren bittersüß – aber, wie er in den letzten Stunden erkannt hatte, besser, als keine Erinnerungen zu haben.
Zeit, neue Erinnerungen zu schaffen, dachte er mit einem Lächeln. Er legte die Blumen vor dem großen Grabstein auf die Erde. Ein farbiger Kontrastpunkt zu dem grauen Stein. Dann drehte er sich um und ging zu Sunny.
„Fertig?“, fragte sie.
„Fast“, antwortete er und fasste sie an der Hand. „Danke fürs Mitkommen, Du-sein und dein offenes Ohr.“
Bei all dem Lob stieg eine leichte Röte in Sunnys Gesicht.
„Das ist doch selbstverständlich“, murmelte sie.
„Ist es überhaupt nicht“, korrigierte er sie bestimmt. „Nachdem ich mich unmöglich benommen habe, und zwar nicht ein- oder zweimal, sondern einige Jahre lang, wäre es dein gutes Recht gewesen, mich zum Teufel zu jagen.“
„Okay, du hast recht. Andererseits hatten wir in letzter Zeit zwei sehr … angenehme Begegnungen.“
„Auch wenn du mir bei der einen den Arsch retten musstest?“, fragte er amüsiert.
Sunnys Augen funkelten.
„Gerade deswegen, hehe. Ausreichend Munition, um dich die nächsten hundert Jahre hochzunehmen. Das hatten wir doch bereits besprochen.“
Luke stöhnte gespielt gepeinigt.
„Das wirst du mich wohl nie vergessen lassen.“
Auf einmal wieder nüchtern, erwiderte Sunny ernst: „Das mit dem Vergessen ist so eine Sache … Zumindest, was dich angeht. Ich habe erfolglos versucht, mir dich die letzten Jahre aus dem Kopf zu schlagen. Glaub mir, jetzt, wo du anfängst, dich wie ein vernünftiger Mensch zu benehmen …“
„He!“, protestierte er, doch er musste selbst lachen. Er machte sich keine Illusionen über sein vergangenes Verhalten. Zum Teil wusste er, dass er sich immer noch so verhalten würde, einfach, weil es seinem Wesen entsprach, doch in den meisten Fällen hatte er sich tatsächlich wie ein Idiot benommen.
Sunny sah das offensichtlich auch so, denn sie setzte stur wieder dort an, wo er sie unterbrochen hatte.
„… ist es sehr schwer für mich, dir zu widerstehen.“
Luke lächelte glücklich, als er das hörte.
„Ist das so?“, fragte er, während er ihre Hand losließ und sie in den Arm nahm. Er zog sie mit seinem gesunden Arm an sich und küsste sie.
Sunny spürte das altbekannte Feuer in ihrem Inneren auflodern – die körperliche Anziehung zwischen ihnen war noch nie das Problem gewesen. Nur alles andere war schwierig gewesen. Konnte es wirklich sein, dass sie eine zweite Chance bekamen? Wollte sie überhaupt eine zweite Chance? Die Vorstellung, sich erneut Luke gegenüber angreifbar zu machen, war beängstigend. Aber eben auch aufregend und wunderschön zugleich.
Luke spürte den inneren Kampf, den Sunny ausfocht. Er konnte sich ziemlich gut vorstellen, was in ihr abging. Er hob seinen gesunden Arm und strich ihr mit den Fingern über die Wange.
„Ich kann verstehen, dass du misstrauisch bist. Schließlich habe ich dir keinen Anlass dazu gegeben, mir zu vertrauen. Zumindest, was deine Emotionen angeht. Aber ich verspreche dir, gut auf dich aufzupassen und auf deine Gefühle achtzugeben.“
„Entstammte nicht ein Teil unserer Probleme der Tatsache, dass du zu viel auf mich aufpassen wolltest?“, entgegnete Sunny humorvoll.
„Autsch“, antwortete er und zog leicht den Kopf ein. „Das war wohl jetzt ein Eigentor.“
„Aber ich weiß, was du meinst.“ Sie holte tief Luft. „Wenn du dich traust, traue ich mich auch.“
Luke war einen Moment sprachlos vor Glück, als er ihre Worte hörte. Womit hatte er das verdient? Diese Frau verdient? Gar nicht, das war schon mal klar. Aber wenn sie ihm diese Chance gab, würde er sie mit beiden Händen ergreifen.
„Du weißt gar nicht, wie glücklich mich das macht“, murmelte er an ihrem Ohr. „Ich werde mein Bestes geben, um nicht wieder in meine alten Verhaltensweisen zurückzufallen. Aber ich muss dich vorwarnen, leicht wird es mir nicht fallen.“
„Wieso nicht?“
„Weil du mir unglaublich wichtig bist. Dich zu verlieren …“ Er brachte den Satz nicht fertig.
„Ich habe nicht die Absicht, verloren zu gehen“, versuchte sie ein wenig Leichtigkeit in die Unterhaltung zu bringen. „Und meinst du, du könntest mich jetzt vielleicht noch einmal küssen?“
*
Ace stand zusammen mit dem Sheriff und Will, einem der Deputies, in einem der ausgebrannten Gebäude. Mit der Schuhspitze schob er Ruß und Asche weg.
„Das hier ist die Spur, die der Brandstifter mit dem Brandbeschleuniger gelegt hat. Netterweise hat er uns sogar noch den Kanister dagelassen. Ich bezweifle allerdings, dass wir irgendwelche Spuren darauf finden werden.“
„Was mich vor allem wundert, ist die Platzierung des Brandherdes. Ich bin kein Experte, aber hätte es nicht strategisch günstigere Stellen gegeben? Wo das Gebäude besser, schneller gebrannt hätte?“ Will kratzte sich am Kopf.
„Gut beobachtet“, bestätigte Ace. „Das ist uns auch ein Rätsel.“
Jake trat einige Schritte zurück, aus dem Gebäude hinaus, und schaute an der Fassade hoch.
„Es scheint fast so, als wollte der Brandstifter sichergehen, dass die Leute genug Zeit haben, das Haus zu verlassen.“
„Spannenderweise waren sowieso die meisten Leute zur Zeit des Brandes außer Haus.“
Ace runzelte die Stirn.
„Ein Brandstifter, der um das Wohl der Leute besorgt ist?“
Will grinste.
„Nicht unbedingt ums Wohl der Feuerwehrleute. Ihr hattet ja einige brenzlige Situationen, ohne jetzt witzig sein zu wollen.“
„Das ist wahr. Suchen wir also jemanden, der einen Groll gegen Feuerwehrleute hegt?“
Wills Miene verdüsterte sich.
„Vielleicht war es auch eine Frau. Habt ihr euch das schon mal überlegt? Vielleicht hat einer deiner Jungs eine Stalkerin. Oder eines der Feuerwehr-Groupies hat einen Korb bekommen …“
Jake schüttelte genervt den Kopf. Seit Will auf das Theater einer jungen, bipolaren Frau hereingefallen war, hatte er sich sehr verändert. Der einst immer zu Späßen aufgelegte Mann war nun völlig introvertiert und verbrachte seine Abende allein zu Hause. Vom anderen Geschlecht erwartete er aus Prinzip nur noch das Schlechteste. Aktuell traute er knapp den Disney Sisters über den Weg und das auch nur, weil er sonst schlicht und einfach verhungern würde.
„Das glaube ich kaum“, erwiderte Ace ruhig.
Der Sheriff war froh, dass er die Frage nicht hatte beantworten müssen. Es fiel ihm in letzter Zeit immer schwerer, die nötige Geduld für Wills Verschwörungstheorien aufzubringen.
„Wenn ihr eine bessere Idee habt, lasst hören“, erwiderte der Deputy mürrisch und verschränkte herausfordernd die Arme vor seiner Brust.
„Na ja, wenn wir von der Theorie ausgehen, dass die Brände als Druckmittel gegen Mr. Wilkinson wirken sollen, ist das primäre Ziel eher der Ärger als Todesopfer.“
Jake schob seinen Stetson in den Nacken.
„Na, dann lass uns nur hoffen, dass sich das so kurz vor der Abstimmung nicht noch ändert. Die Stimmung ist aus meiner Sicht nicht sehr pro Bohrstelle.“
Wenn der Sheriff gewusst hätte, als wie prophetisch sich seine Antwort erweisen sollte, hätte er sich wahrscheinlich gehütet, diese Worte auszusprechen.
*
Ross schüttelte die Frau leicht an der Schulter. Sie stöhnte und öffnete blinzelnd die Augen. Als sie seinen Schatten entdeckte, wich sie ins Kissen zurück. Ihre Hand tastete nach ihrer Waffe. Natürlich vergeblich. Er ging davon aus, dass sie damit auch umgehen konnte. Keinesfalls wollte er für seine Hilfeleistung ein Loch in den Pelz gebrannt bekommen.
„Beruhige dich, du bist ziemlich heftig gestürzt“, brummte Ross, trat aber nicht ins Licht. „Ich habe die Wunde versorgt und auf dich aufgepasst.“
Polly entspannte sich ein wenig. Wenn der Unbekannte ihr etwas hätte antun wollen, dann hätte er das problemlos tun können, während sie bewusstlos gewesen war.
„Deine Waffe liegt neben dem Bett“, erklärte der Schatten. „Ich habe mir allerdings erlaubt, die Kugeln rauszunehmen.“ Er lachte leise.
Das ist natürlich ungünstig, dachte Polly. Aber sie war schon in haarigeren Situationen gewesen. Ein gezielter, unerwarteter Tritt in die Eier würde auch diesen Mann außer Gefecht setzen. Sie versuchte sich aufzusetzen, sank aber mit einem Aufschrei ins Kissen zurück. Ihr Kopf protestierte mit einer wahren Büffelstampede. Vor ihren Augen zuckten helle Blitze. Offensichtlich würde sie vorerst keinen Angriff starten. Das musste sie gezwungenermaßen auf später verschieben.
„Aufstehen ist noch keine gute Idee“, meinte ihr unerwarteter Krankenpfleger überflüssigerweise.
„Das habe ich auch gemerkt, Einstein.“
Der Mann lachte abermals.
„Schlaf weiter, ich wecke dich in ein paar Stunden wieder.“
Völlig erschöpft schloss sie die Augen. Sollte sie nicht jemanden anrufen? Jake Bescheid geben, was passiert war? Dabei kam ihr in den Sinn, dass sie, auch wenn ihr jemand zu Hilfe eilen würde, einen fürchterlichen Rückweg vor sich hatte. Bei der Vorstellung, den Weg mit diesen brutalen Kopfschmerzen zu bewältigen, drehte sich ihr fast der Magen um. Schlafen klang hingegen wunderbar. Telefonieren konnte sie auch in ein paar Stunden noch. Mit diesem Gedanken schlief sie ein.
Ross atmete erleichtert auf, als er merkte, dass seine Patientin abermals eingeschlafen war. Er wollte möglichst vermeiden, dass sie sein Gesicht sah. Er würde nur noch so lange bleiben, bis sie sich ein wenig besser fühlte. Dann war sie auf sich allein gestellt.
Die Frau besaß Mumm, das musste er ihr lassen. Nicht viele wären so ruhig geblieben, wenn sie bei einem Fremden in der Hütte aufgewacht wären. Ihm war das nur recht. Ein hysterisches Weibsbild war so ungefähr das Letzte, was er brauchte. Er studierte ihre reglose Gestalt. Sie gefiel ihm, diese Polizistin, die so unerwartet aufgetaucht war. Leider war ihm ihr Ehering aufgefallen, als er sie in Sicherheit gebracht hatte. Und wenn er etwas tunlichst vermied, waren es Techtelmechtel mit verheirateten Frauen. Er hatte seine Prinzipien. Auch wenn diese vielleicht in vielen Punkten nicht den gesellschaftlichen Erwartungen entsprachen, hielt er sich eisern an seinen eigenen Verhaltenskodex.
Also gab er sich damit zufrieden, über sie zu wachen, bis Hilfe für sie auftauchte, und davon zu träumen, wie es wäre, jemanden wie sie in seinem Leben zu haben, der am Ende des Tages für ihn da war.