Kapitel 21
Zoé schaute über ihre Schulter, als sie mit langen Schritten durch die Straßen in Downtown Denver eilte. Durch den Windkanal der Häuserschluchten verstärkt, blies ihr der kalte Herbstwind die Haare ins Gesicht und verdeckte ihr für eine Sekunde die Sicht. Verdammt. Hatte sie sich den Schatten nur eingebildet, oder war ihr tatsächlich immer noch jemand auf den Fersen? Seit sie das Gerichtsgebäude verlassen hatte, spürte sie ein Prickeln im Nacken. Ihre Yogalehrerin würde wahrscheinlich den Stress dafür verantwortlich machen, unter dem sie die letzten Wochen gestanden hatte.
Womit sie sicher nicht ganz unrecht hätte. Es geschah nicht oft, dass man, oder in ihrem Fall Frau, gegen einen der größten Player eines Kinderhändlerrings in den Zeugenstand gerufen wurde. Und das alles nur, weil sie einem Kumpel, der Mitglied eines befreundeten Motorradclubs war, ausgeholfen hatte. In einem Scheidungsfall. Sie verdrehte die Augen, während sie weiterhastete, und versuchte, mehr Abstand zwischen sich und ihre eingebildete oder echte Bedrohung zu bringen. Nicht umsonst hatte sie sich auf Familienrecht spezialisiert. In der Regel war dieses Gebiet der Juristerei relativ sicher, mal abgesehen von dem einen oder anderen verärgerten Ehepartner, der versuchte, seine Unzufriedenheit über sein Scheidungsurteil an der Anwältin auszulassen.
Aber Jasons Kinder waren durch eine Verkettung unglücklicher Umstände und das Zutun seiner Ex in die Fänge des Kinderhändlerrings geraten. Gott sei Dank hatten sie zusammen mit anderen armen Seelen rechtzeitig gerettet werden können. Sie bereute keine Sekunde, dass sie getan hatte, was sie konnte, um das möglich zu machen. Nur hatte sie nicht damit gerechnet, dass ihre Beteiligung an dem Fall Konsequenzen haben würde. Sie duckte sich in einen Hauseingang und seufzte, als sie über die Ereignisse der letzten drei Monate nachdachte.
Der zuständige Staatsanwalt hatte sein Glück nicht fassen können, als ihr Name auf der Liste der potenziellen Zeugen aufgetaucht war. Ihr guter Ruf und ihre Erfolge als Anwältin waren unbezahlbar, wenn es um die Glaubwürdigkeit als Zeugin ging. Wenn der Fall vor die Jury kam, war das Gold wert. Die Geschworenen tendierten dazu, der Aussage einer weiblichen Anwältin, die sich um Kinder kümmerte, Glauben zu schenken. Das wusste leider auch die Mafia.
Einigermaßen sicher, dass sie sich den Verfolger diesmal nur eingebildet hatte, trat sie wieder auf die Straße und setzte den Weg zu ihrem Büro fort. Ihre Schultern entspannten sich etwas und sie nahm sich die Zeit, in verschiedene Schaufenster zu schauen. Vor einer Galerie blieb sie stehen. Unter einem großen Bild waren verschiedene Drahtskulpturen aufgestellt. Fasziniert blieb sie stehen und bückte sich, um zu erkennen, was sie darstellen sollten.
Ein Knall zerriss die Geräusche der Großstadt. Mehrere Leute schrien. Fußgetrappel ertönte. Bevor ihr Hirn all diese Informationen verarbeiten konnte, knackte es neben ihr. Risse zogen sich vor ihren Augen durchs Glas. Entsetzt hob sie den Kopf. Dort, wo sie gerade noch gestanden hatte, prangte ein Loch in der Scheibe. Und noch eins in der Leinwand. Das Bild schwankte leicht vor und zurück. Wenn sie sich nicht zufälligerweise gebückt hätte … Sie schauderte und schob den Gedanken vehement von sich.
Zoé unterdrückte das irrationale Bedürfnis, sich zu einem Ball zusammenzurollen, und zwang sich, nach dem Schützen Ausschau zu halten. Die Zähne zusammengebissen, schwang sie auf den Zehenballen ihrer Füße herum und ließ ihren Blick über die Straße und die angrenzenden Gebäude schweifen. Lag der Schütze immer noch auf der Lauer?
Wenigstens hatte sie heute Arkana, ihre Irische Wolfshündin, nicht dabei. Gegen einen Schützen hätte sie nichts ausrichten können. Gebückt krebste sie um die Ecke und versteckte sich in einem Hauseingang. Nach dem Schützen Ausschau haltend, steckte sie die Hand in die Manteltasche und zog ihr Handy hervor. Eine Tastenkombination später hatte sie die Notrufzentrale der Denver Polizei am Apparat. Mit knappen Worten schilderte sie die Vorkommnisse. Die Aufforderung der Polizistin, in der Leitung zu bleiben, ignorierte sie. Auf keinen Fall würde sie hier im Freien sitzen bleiben, wo sie ein leichtes Ziel abgab. Die Polizei wusste, wo sie zu finden war. Wenn sie ihre Aussage brauchten, würden sie sich melden.
Entschlossen, heute nicht zu sterben, schlang sie sich den Riemen ihrer Handtasche quer über die Brust und rannte los. Erst als sie ein paar Blocks weiter das Heulen der Sirenen im Hintergrund hörte, atmete sie auf und verlangsamte ihre Schritte. Erschöpft drückte sie den Summer, um ins Gebäude ihrer Kanzlei zu gelangen. Als sie sicher im Inneren des modernen Gebäudes angelangt war, lehnte sie sich an die Wand und versuchte, ihren unregelmäßigen Atem unter Kontrolle zu bringen. Das war verdammt knapp gewesen!
*
Über vierundzwanzig Stunden nach dem verheerenden Treffen mit Mr. Wilkinson und der anschließenden, beschämenden Befragung durch den Sheriff, kochte Powell immer noch vor Wut. Was bildete sich der Bürgermeister eigentlich ein? Er war ein Niemand! Nur weil er zufällig Bürgermeister in einem unbedeutenden Kaff war, gab ihm das noch lange nicht die Berechtigung, so mit ihm umzuspringen. Und diese Frauen erst! Unverschämt, wie sie mit ihm gesprochen hatten. Dann war da noch die beunruhigende Tatsache, dass Ross nicht zu erreichen war. Ausgerechnet jetzt, wo er gut ein oder zwei Brände gebrauchen könnte. Flammen tanzten vor seinem geistigen Auge. Am liebsten hätte er die ganze verdammte Stadt angezündet. Geschähe den Idioten nur recht.
Mit den Fingern auf die Tischplatte des kleinen Schreibtischs in seinem Zimmer trommelnd, listete er im Geiste die ihm verbleibenden Optionen auf. Er konnte abwarten, wie die Abstimmung ausfallen würde, aufs Beste hoffen und mit der Rocky Oil and Gas Inc. groß absahnen. Leider schätzte er die Wahrscheinlichkeit dieses Ergebnisses inzwischen als minimal ein. Stattdessen stand er im Verdacht, der Brandstifter zu sein, obwohl er damit nun wirklich nichts zu tun gehabt hatte, dachte er indigniert. Er schnippte einen imaginären Fusel von seinem Revers. Oder er kapitulierte und brach hier seine Zelte ab. Die Vorstellung, diese Niederlage einfach so hinzunehmen, behagte ihm gar nicht. Das Verlangen nach Vergeltung war groß.
Seine Gedanken drehten sich immer um dieselben Fragen. Vor und zurück. Leider ohne brauchbare Antworten zu liefern. Des Grübelns müde, beschloss er, ins Diner zu gehen. Die Situation verlangte nach einem Schnaps. Oder auch nach drei.
*
Er hatte kaum Platz genommen, als er die Weisheit seiner Entscheidung in Frage stellte. Das Diner brummte vor Aufregung. Anscheinend war am Tag zuvor eine Polizistin verloren gegangen und verletzt aufgefunden worden. Hurra. Die Heldin des Tages waren eine Frau namens Sunny und ihr Begleiter Henrik, einer der lokalen Bergführer. Erbost spießte er ein Stück von seinem Gemüse auf. War das Kürbis? Mürrisch kaute er darauf herum. Zu seiner Überraschung schmeckte es gut und ergänzte das Stück Wild auf seinem Teller hervorragend. Wenigstens das Essen war hier annehmbar, wenn schon der Rest seines Aufenthalts so mühsam war. Als er die nächsten Worte vernahm, waren alle Gedanken an die leckere Mahlzeit wie weggewischt.
„… Bohrstelle.“
Alarmiert spitzte er die Ohren und versuchte, mehr zu hören.
„Sunny hat auf einer ihrer Exkursionen verdächtiges Material entdeckt.“
Er entspannte sich ein wenig. Material war keine Bohrstelle. Es gab bestimmt mehr als genug Leute, die ihren Müll illegal im Wald deponierten.
„War das da, als auf sie geschossen wurde?“, fragte die andere Person gerade.
„Genau.“
Powell grinste und aß weiter. Er hatte doch gewusst, dass er sich auf Henderson verlassen konnte. Er lehnte sich zurück, um den Rest der Geschichte zu hören. Das war besser als jede TV-Show!
„Das war am Tag zuvor und auch der Grund, weshalb sie beschlossen hatte, die Gegend ein wenig unter die Lupe zu nehmen.“
„Ich wusste gar nicht, dass sie zur Polizei gehört. War sie nicht bis vor Kurzem bei der Feuerwehr?“
„Doch, sie war bei der Feuerwehr. Aber da sie in Kürze zur Notfallklinik wechseln wird, die sie mit der Ärztin Kristina Mertens führen wird, hatte sie freie Zeit. Dabei ist sie eben über die besagten Rohre gestolpert und misstrauisch geworden.“
„Und dort ist tatsächlich eine Bohrstelle eingerichtet?“
„Ja. Laut allen Beteiligten ist sie sehr beeindruckend. Es sieht ganz so aus, als ob ein einzelner Mann das alles erstellt hätte. Normalerweise wird dafür ein ganzes Team eingesetzt.“
Stolz erfüllte Powell, als ihm klar wurde, dass sie von seinem Mitarbeiter sprachen. Doch als ihm die Tragweite dieser Entdeckung klar wurde, runzelte er erbost die Stirn. Einen positiven Ausgang der Abstimmung konnte er nun endgültig vergessen, sobald allgemein bekannt wurde, dass die Bohrungen bereits begonnen hatten, ohne bewilligt zu sein. Und das alles nur, weil dieser Sunny langweilig gewesen war und sie ihre Nase in Dinge gesteckt hatte, die sie nichts angingen?
Das war unentschuldbar. Dafür würde sie bezahlen, schwor er sich, und wenn es das Letzte war, das er in diesem gottverlassenen Ort tat. Er wusste auch schon, wie. Ein boshaftes Lächeln zog sich über sein Gesicht. Was wäre besser, als eine ehemalige Feuerwehrfrau in Flammen aufgehen zu lassen?
Aufregung ergriff ihn, als er sich vorstellte, wie sie für ihre rücksichtslose Schnüffelei in der Hölle schmoren würde. Das war fast so, als würde er ein göttliches Urteil fällen.
Es gab nur ein Problem. Wer zum Teufel war Sunny?
Entschlossen, das herauszufinden, schob er den Teller von sich. Bereit, die Vorstellung seines Lebens abzugeben, drehte er sich zu den zwei Damen um, deren Gespräch er belauscht hatte.
*
Luke steckte den Kopf ins Büro des Feuerwehrchefs.
„Ace? Hast du einen Moment Zeit?“
„Luke! Genau der Mann, den ich sehen wollte.“
Überrascht hob Luke beide Augenbrauen.
„Tatsächlich? Ich hatte den Eindruck, dass ich dir in den nächsten Wochen besser nicht unter die Augen kommen sollte“, antwortete er skeptisch.
Ace lachte.
„Das glaubst du nur, weil du meine Entscheidung, dich freizustellen und zur Therapie zu verdonnern, persönlich genommen hast.“
Luke betrachtete seinen Freund und Partner kritisch.
„War es das nicht?“
Ebenfalls ernst, gab Ace zu: „Doch, war es. Ich war und bin auch immer noch der Meinung, dass es das Richtige war. Wie siehst du das?“
Luke seufzte theatralisch.
„Es fällt mir sehr schwer, das zuzugeben, aber du hattest völlig recht. Zu dem Zeitpunkt, als du mir das mitgeteilt hattest, konnte ich das nicht sehen.“
„Und jetzt?“, fragte Ace forschend.
Ein Grinsen breitete sich auf Lukes Gesicht aus.
„Jetzt weiß ich, dass es das Beste war, was mir passieren konnte!“
„Also ist zwischen dir und Sunny alles in Butter?“
„Mehr als das.“ Verlegen senkte Luke den Blick. „Wir haben uns ausgesprochen und beschlossen, nochmals einen Anlauf als Paar zu wagen.“
„Echt jetzt?“
Luke nickte.
„Das freut mich. Wurde auch Zeit, verdammt noch mal. Man konnte kaum im selben Raum mit euch beiden sein. Die frei umherfliegenden Pheromone waren richtig gesundheitsgefährdend.“
„Ob sich das gebessert hat, kann ich nicht versprechen. Unsere Pheromone sind nach wie vor sehr aktiv.“
Er schenkte Ace ein vielsagendes Augenzwinkern.
Dieser hielt sich beide Hände an die Ohren.
„So genau wollte ich’s gar nicht wissen“, lachte er. „Aber wenn das so ist, hebe ich deine Beurlaubung gerne Anfang nächster Woche auf.“
„Wirklich? Das ist … toll! Ich kann es nicht erwarten.“
„Wir auch nicht“, entgegnete Ace ernsthaft. „Die Jungs haben dich vermisst. Und ich erst. Ohne meinen Stellvertreter bleibt der ganze Papierkram an mir hängen!“
„Ha! Wusste ich doch, dass du meine Freistellung nicht aus lauter Herzensgüte frühzeitig beendest. Aber Spaß beiseite: Können wir noch was anderes besprechen?“
„Na klar, jederzeit, was ist los?“
„Ich bin da über eine Idee gestolpert“, begann Luke und erzählte, wie er von Brandmittelspürhunden erfahren und Riley gefunden hatte.
Ace hörte aufmerksam zu und fing irgendwann sogar an, sich Notizen zu machen. Anscheinend gefiel ihm die Idee.
„Und du würdest die Ausbildung zum Hundeführer machen wollen?“, fragte er, als Luke fertig war mit dem Erzählen.
Luke hob sein Kinn und schaute ihm gerade in die Augen.
„Natürlich. Riley ist der geeignete Hund dafür. Und ich bin der geeignete Hundeführer.“ Auf keinen Fall würde Riley an jemand anderen gehen.
„Das hat auch niemand bezweifelt. Wer bezahlt die Ausbildung? Deine und die des Hundes?“
„Vorerst ich. Allerdings würde ich gerne klären, ob wir Zuschüsse bekommen können. Einerseits vom staatlichen Feuerwehrdepartment und andererseits vom Wettpool, den wir in Independence führen.“ Er lachte. „Nachdem Sunny und ich die Hauptpersonen der neuesten Wetten sind, wäre es nur gerecht, wenn die Feuerwehr davon profitiert.“
Ace nickte.
„Gute Idee. Und kein schlechter Zeitpunkt, um mit so einem Anliegen an die Öffentlichkeit heranzutreten, während gerade ein Feuerteufel sich herumtreibt. Sprich mit Astrid und Mouse. Die beiden haben viel Erfahrung darin, die Öffentlichkeit zu mobilisieren.“
„Mache ich. Die Öffentlichkeit zu bezirzen ist definitiv nicht meine Stärke.“
„Na, ich weiß nicht“, zog Ace ihn auf. „Nachdem du es geschafft hast, Sunny zu überreden, dir eine zweite Chance zu geben, obwohl du dich die ganze Zeit wie ein schlecht gelaunter Gorilla benommen hast, schätze ich dein Charmepotenzial als ziemlich hoch ein.“
„Das hat wohl mehr mit Sunnys Fähigkeit zu tun, Idioten wie mir zu vergeben“, gestand Luke verlegen.
Ace lachte und klopfte Luke auf die Schulter.
„Gut möglich. Wann werde ich deinen neuen Partner kennenlernen?“
Luke zuckte mit den Schultern.
„Ich kann ihn bald einmal vorbeibringen. Es wäre sowieso von Vorteil, wenn ich ihn zur Arbeit mitbringen könnte. Natürlich müsste er während der Einsätze hierbleiben. Aber er wäre nicht die ganze Zeit allein.“
„Das sollte kein Problem sein. Ich spreche mit den anderen, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass jemand etwas dagegen hat.“
„Vielen Dank. Das würde mir sehr helfen. Ich hatte mir schon Sorgen gemacht, wie ich das mit meinen Zwölf-Stunden-Schichten schaffen soll, adäquat für den Hund zu sorgen.“
„Das wird schon klappen. Dafür hilfst du mir, einen temporären Ersatz für dich zu finden.“
„Einen Ersatz für mich?“ Warte, hatte er temporär gesagt? So oder so verstand Luke nicht, wovon sein Freund sprach.
„Während der Ausbildung wirst du keine Zeit haben, deinen Verpflichtungen als stellvertretender Chef der Feuerwehr nachzukommen“, gab Ace zu bedenken.
„Oh. Stimmt. Daran hatte ich noch gar nicht gedacht.“ Luke war einen Moment ruhig, als er sich das überlegte. „Vielleicht trete ich besser ganz zurück. Ich kann mir nicht vorstellen, dass wir jemanden finden, der diesen Job nur für einen begrenzten Zeitraum übernimmt. Wäre auch unfair, jemanden nur vorübergehend zu befördern.“
„Wer weiß … Wenn die anderen realisieren, wie wenig glamourös dieser Job ist, sind sie vielleicht froh, ihn nur vorübergehend zu machen.“
„Na ja, es ist ja schon auch ein Unterschied in der Bezahlung.“
„Dasselbe gilt für dich“, gab Ace zu bedenken.
Luke winkte ab.
„Ich komm schon klar. Einige der anderen haben Familie. Zudem“, er zwinkerte Ace zu, „kannst du vielleicht eine Lohnerhöhung aushandeln für den neuen Posten des Hundeführers unseres Brandschutzhundes.“
Amüsiert schüttelte Ace den Kopf.
„Geht klar. Ich werde sehen, was ich tun kann. Dann bis Montag.“
Luke grinste.
„Bis Montag. Ich kann es nicht erwarten, wieder zurück zu sein!“
*
Powell hastete über die Straße zum Gemeindeparkplatz, wo er seinen Wagen abgestellt hatte. Dank des geschwätzigen Duos wusste er jetzt alles, was es über Sunny Rivers zu wissen gab. Zuerst waren ihm die Damen mit Skepsis begegnet. Dank des unglückseligen Gemeindetreffens am letzten Wochenende wusste natürlich jeder genau, wer er war. Er hatte Entsetzen geheuchelt, als sie ihn unverhohlen gefragt hatten, wie er die illegale Bohrstelle erklärte, und alles auf einen Partner geschoben, der unerlaubterweise von der Firmenpolitik abgewichen war und sein eigenes Ding durchgezogen hatte. Anschließend hatte er von Sunny Rivers Mut geschwärmt und von seinem Bedürfnis erzählt, sich bei ihr irgendeiner Form erkenntlich zu zeigen.
Solchermaßen getäuscht, hatten ihm die beiden bereitwillig alles erzählt, was er wissen wollte, und noch viel mehr. Sollte er je Sunnys Schuhgröße brauchen, wusste er jetzt Bescheid. Er lachte leise, als ihm klar wurde, dass Sunny nach dem morgigen Tag keine Schuhe mehr brauchen würde.
Er stieg ins Auto und fuhr los. Sein erster Stopp war eine Tankstelle in Breckenridge. Zwar gab es hier den Gas’n’Go, doch er wollte vermeiden, dass sich jemand daran erinnerte, dass er einen Kanister Benzin gekauft hatte. Zwar plante er, zu dem Zeitpunkt, wo die unvermeidliche Untersuchung in Gang kommen würde, weit weg zu sein. Doch Vorsicht war besser als Nachsicht. Es ärgerte ihn immer noch, dass er unter Verdacht stand, die anderen Feuer gelegt zu haben. Er fragte sich wirklich, wie sie auf diese absurde Idee gekommen waren. Beweise konnten sie keine haben. Oder etwa doch? Mit einem unguten Gefühl in der Magengegend erinnerte er sich, dass er Henderson den ganzen Tag nicht erreicht hatte. Was wusste er schon über den Mann? Er war ein skrupelloser Zeitgenosse, das hatte er mit seiner Brandserie bewiesen. Ein unglaublicher Macher, was seine Arbeit bei der Bohrstelle bewies. Aber war er auch loyal? Hatte er ihn etwa bei der Polizei angeschwärzt?
Den Kanister mit dem Benzin im Kofferraum, fuhr er zurück nach Independence. Anstatt auf direktem Weg zum Bed & Breakfast zurückzukehren, machte er einen Umweg über das Gelände der Highschool von Independence. Inzwischen war die Dämmerung hereingebrochen, was ihm nur recht war. So war die Chance, von einem spät arbeitenden Lehrer entdeckt zu werden, geringer.
Er parkte sein Auto auf dem verlassenen Schülerparkplatz und stieg aus. Sich nach allen Seiten umsehend, ging er langsam um das Gebäude herum und suchte nach der passenden Stelle für die von ihm geplante Ablenkung. Da. Ein kleiner Geräteschuppen schloss direkt an die Turnhalle an. Die Tür war mit einem simplen Vorhängeschloss gesichert. Ein Bolzenschneider würde Abhilfe schaffen. Er machte sich gedanklich eine Notiz, morgen im Baumarkt auch noch einen Bolzenschneider zu erstehen. Wenn ihn jemand fragte, wozu er den brauchte, würde er behaupten, das Schloss von seinem Koffer aufschneiden zu müssen.
Die Lage war ideal für ein Feuer. Der Rauch würde dafür sorgen, dass die Feuerwehr gerufen wurde, ohne jemanden in Gefahr zu bringen. Schließlich war er kein Unmensch. Es gab zwar Leute, die hatten eine Lektion verdient. Aber das war kein Grund, unschuldige Kinder in diese schmutzige Angelegenheit zu involvieren.
Zufrieden, alles gefunden zu haben, was er brauchte, stieg er wieder ins Auto und fuhr zum Bed & Breakfast zurück. Jetzt musste er es nur schaffen, Sunny dorthin zu dirigieren, wo er sie haben wollte. Dieser Teil des Plans musste allerdings bis zum morgigen Tag warten. Heute waren die Geschäfte, wo er den Rest seines Zubehörs kaufen musste, bereits geschlossen.
Das Wissen, dass Sunny Rivers morgen um diese Zeit bereits Geschichte sein würde, ließ ihn beinahe schwindlig werden. Er konnte es kaum erwarten!