Epilog
Endlich war es so weit. Heute wurde die Notfallklinik eröffnet. Durch den Brand ganze zwei Monate später als geplant. Aber Sunny war froh, dass die Klinik überhaupt zu retten gewesen war. Adam Powell saß hinter Gittern. Er hatte das erstinstanzliche Urteil angefochten, doch seine Chancen standen schlecht. Die Papiere, die sein Komplize – oder wer auch immer der Mann gewesen war, den Polly Miners an der Bohrstelle angetroffen hatte – hinterlassen hatte, waren sehr belastend. Zudem waren seine Fingerabdrücke überall auf dem Material gefunden worden.
Polly hatte ihre ganz eigene Theorie. In Anbetracht der Tatsache, dass die letzten beiden Feuer sich in der Absicht, in der sie gelegt worden waren, sowie in ihrem Gefahrenpotenzial sehr unterschieden, vermutete sie, dass der Unbekannte bei den früheren Bränden seine Finger im Spiel gehabt hatte. Das hatte sie Sunny in einem vertraulichen Gespräch gestanden. Doch nachdem er a) verschwunden war und ihr b) geholfen hatte, als sie verletzt gewesen war, sah sie keinen Grund, den Sheriff darüber zu informieren. Der wirkliche Bösewicht der Geschichte war gefasst, weshalb also Verwirrung stiften?
Sunny stimmte voll und ganz mit ihr überein. Sie war einfach froh, dass der Typ, der sie beinahe bei lebendigem Leib verbrannt hatte, das bekam, was er verdiente. Nach wie vor wurde sie von Albträumen geplagt. Mit Hilfe der Sitzungen bei einer Traumaspezialistin wurde es langsam besser, doch sie hatte noch einen langen Weg vor sich. Luke hatte sie zu Kurt schicken wollen. Das hatte sie lachend abgelehnt. Sie wollte lieber mit jemandem sprechen, der nicht in das dichte Geflecht der Gemeinschaft von Independence verstrickt war.
„Bist du fertig?“, rief Luke vom Wohnzimmer.
Sie warf einen letzten Blick in den Spiegel. Ihre blonden Haare waren ausnahmsweise einigermaßen gebändigt und fielen ihr in weichen Locken auf die Schultern. Sie trug eine weiße Bluse, beige, schmal geschnittene Stoffhosen und einen taillierten Blazer.
Riley, der zusammen mit Luke bei ihr eingezogen war, kam auf der Suche nach ihr ins Badezimmer und drückte sich an ihr Bein.
„Ich komm ja schon“, murmelte sie und strich ihm über das weiche Fell.
Sie löschte das Licht und ging ins Wohnzimmer.
Wie jedes Mal, wenn er sie sah, verschlug es Luke buchstäblich den Atem. Heute sah sie besonders gut aus. Ihre blauen Augen strahlten vor Selbstvertrauen. Jeden Tag verblassten die Schatten unter ihren Augen ein wenig. Bald würden sie hoffentlich ganz verschwunden sein.
Er trat zu ihr heran und zog sie in seine Arme.
„Na, Schönheit? Wenn du nicht der Ehrengast wärst, würde ich jetzt sehr in Versuchung geraten, mit dir zu Hause zu bleiben“, murmelte er dicht an ihrem Ohr.
Sein Atem jagte einen Schauer über ihren Rücken. Sie wusste nicht, wie er das machte. Es kam ihr so vor, als würde ihre Reaktion auf ihn jedes Mal stärker werden anstatt schwächer. Sie hatte keine Ahnung, wie das möglich war.
Riley fühlte sich vernachlässigt und bohrte seine schwarze Schnauze in ihre Beine.
„Der Hund ist unterkuschelt“, bemerkte sie.
„Das ist er immer“, grinste Luke. Er senkte seinen Kopf, um sie zu küssen. „Wie sein Herrchen auch.“
„So, so“, sagte sie und lachte, während sie seinen Lippen auswich. „Ich trage ausnahmsweise Lipgloss. Es wäre schön, wenn er wenigstens an Ort und Stelle bleiben würde, bis wir angekommen sind.“ Auf länger zu hoffen, war sowieso vergeblich. Sie war nur froh, dass in ihrem Berufsalltag ein bisschen Mascara und ein leichter Puder völlig ausreichend waren. Sie war halt schon immer mehr Wildfang als Prinzessin gewesen. Und das war auch gut so. Sie warf Luke, der gerade Riley sein Halsband umlegte, einen Seitenblick zu. Zum Glück hatte sie einen Mann gefunden, dessen Augen immer aufleuchteten, wenn er sie sah. Ganz egal, ob sie ihre Arbeitsklamotten, ihre Kletterausrüstung oder auch mal gar nichts trug. Zugegeben, die letzte Variante war definitiv sein Favorit. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen. Es gefiel ihr sehr, wie er seine Wertschätzung jeweils zum Ausdruck brachte. Aufstehen war viel schöner, wenn sie von seinen warmen, fordernden Händen geweckt wurde.
Luke entschlüpfte ein Grollen.
„Was?“
„Wenn du mich noch länger so ansiehst, werden wir zu spät kommen.“
Grinsend wandte sie sich ab und schnappte sich ihre Jacke.
„Das geht natürlich nicht. Komm …“
„Du bist manchmal ganz schön fies“, rief er ihr hinterher. Er hakte die Leine in Rileys Halsband ein. Vermutlich sonnte sich Wolverine gerade auf der Holzterrasse in der schwachen Dezembersonne. Der Waschbär und der Hund kannten sich zwar vom Sehen, aber der schwarz-graue Geselle hatte deutlich gemacht, dass er an einer näheren Bekanntschaft so gar nicht interessiert war. Riley hingegen war neugieriger, als gut für ihn war. Der große, freundliche Hund schien nicht zu verstehen, dass nicht die ganze Welt sein Freund war. Und Waschbärenkrallen konnten ganz schön Schaden anrichten.
„Ich weiß“, gab Sunny über ihre Schulter zurück. Ihre Augen blitzten verführerisch. Sie war sich ihrer Wirkung auf ihn inzwischen deutlich bewusst und kostete das richtig aus. Es war ein berauschendes Gefühl. Die letzten, gemeinsam verbrachten Wochen waren eine richtiggehende Offenbarung gewesen. Beide hatten Seiten aneinander entdeckt, die sie zuvor noch nicht gekannt hatten.
Auf der Veranda blieb sie stehen und griff in die Blechdose, die dort immer bereitstand. Wolverine, der faul in der Sonne lag, hob bei dem vertrauten Geräusch interessiert den Kopf.
„Wir kommen gleich wieder“, ließ sie ihn wissen und schubste den Keks mit ihrer Fußspitze zu ihm hinüber. Er fuhr ausschließlich in ihrem Truck mit. Zu allen anderen Fahrzeugen hatte er eine gesunde Abneigung, worüber sie sehr froh war. Er war kein Haustier, das wusste sie schon. Aber irgendwie gehörte er trotzdem zu ihr. Sie freute sich jeden Morgen, sein Banditen-Gesicht zu sehen.
Luke hatte seinen alten Charger aus der Garage geholt. Der Muscle Car mit seiner schlanken, sportlichen Linie sah schick aus. Sie öffnete die Tür und klappte den Beifahrersitz nach vorn. Riley sprang nach hinten und ließ sich auf der Rückbank nieder. Das Auto war vielleicht nicht das ideale Hundetransportmittel, dafür hatte es Charakter.
„Bist du aufgeregt?“, fragte Luke, als sie unterwegs waren.
„Nein. Eigentlich nicht. Aber ich bin froh, dass ich so oft auf der Baustelle war. So konnte ich mich in kleinen Schritten an die Aufgabe herantasten, bald an dem Ort, an dem ich die schrecklichsten Momente meines Lebens durchlebt habe, zu arbeiten.“
„Ich bin sehr stolz auf dich.“
Sunny lächelte. Dann grinste sie breit.
„Ich auch. Das kannst du mir glauben. Fast zwei Jahre haben wir in dieses Projekt gesteckt.“
„Gut so.“ Er räusperte sich. „Es ist eine großartige Sache, von der wir alle profitieren. Und das sage ich jetzt nicht, weil ich froh bin, dass du nicht mehr bei der Feuerwehr arbeitest.“
„Ich weiß. Obwohl, nach dieser Erfahrung als …“, sie zögerte einen Moment, bevor sie weitersprach, „… Beinahe-Opfer eines Feuers, bin ich froh, dass ich jetzt die Notfallstation leite und Einsätze begleite. Ich weiß nicht, ob ich in der Lage gewesen wäre, weiterhin als Feuerwehrfrau zu arbeiten.“
Luke griff über die Mittelkonsole hinweg und drückte sanft ihren Oberschenkel.
„Ich bin sicher, du hättest es mit der dir ureigenen Kombination aus Starrsinn und Expertise geschafft, eine ebenso gute Feuerwehrfrau zu sein wie vor dem Angriff. Aber ich würde lügen, wenn ich abstreiten würde, dass es mich erleichtert. Die Attacke auf dich hat natürlich genau meine wunden Punkte getroffen.“
In den letzten Wochen hatten sie viele offene und vor allem ehrliche Gespräche geführt. Es schien ihnen beiden immer leichter zu fallen, je öfter sie das übten. Abgesehen von der angenehmen Kommunikation verstärkte es auch die Intimität, die zwischen ihnen herrschte. Geistig, aber auch körperlich schien sie zuzunehmen. Sunny konnte sich nicht erinnern, jemals zuvor so glücklich gewesen zu sein. Sie lächelte Luke an.
„Dann ist es ja gut, dass wir jetzt zur Eröffnung der Klinik fahren und meine berufliche Neuorientierung endlich in Gang bringen.“
*
Es waren zu viele Leute gekommen, als dass man den Anlass hätte drinnen veranstalten können. Dick gegen die Winterkälte eingemummelt, hatten sich die Besucher und Gäste auf dem Parkplatz versammelt. Die Vorsitzenden der Vereinigung der Geschäftsfrauen von Independence, kurz VGI genannt, Brenda Carter, Nadine Saunders und Rose McCarthy, hielten eine kurze Ansprache und stellten Kristina Mertens als Leiterin des Krankenhauses und Sunny Rivers als Verantwortliche der Notfallklinik vor.
Sunny spürte, wie ihr das Blut in den Kopf schoss, als sie ein paar kurze Worte der Dankbarkeit an alle richtete, die mitgeholfen hatten, dieses Projekt ins Leben zu rufen. Das waren natürlich einerseits die VGI wie auch Dagobert, denen es zu verdanken war, dass die Klinik überhaupt finanziert hatte werden können, aber auch alle anderen, die einen Beitrag dazu geleistet hatten. Es fühlte sich gut an, hier zu stehen und den Leuten versprechen zu können, ab sofort für sie da zu sein. Oder zumindest ab morgen. Heute wurde gefeiert.
Sunny nahm einen Bissen von ihrer Wurst, die Luke für sie vom Grill geholt hatte, und beobachtete Shauna und Leslie, wie sie mit Cammie, Hazel und mehreren Hunden Fangen spielten, als Quinn zu ihr trat.
„Hey, großer Tag heute, was?“
Sunny zeigte ihr das breite Grinsen, das sich offensichtlich permanent auf ihrem Gesicht breitgemacht hatte. Sie war einfach glücklich. Aufgeregt. Und ungeduldig. Alles auf einmal.
„Sehr. Ich kann es nicht erwarten, morgen zur Arbeit zu fahren. Verrückt, was?“
„Nein, wieso? So geht es mir jeden Tag. So soll es doch sein. Anderes Thema: Hast du eigentlich deinen Waschbären noch?“
„Ich bin mir nicht so sicher, wer hier wen hat , aber er wohnt noch bei mir auf der Veranda und in meinem Truck.“ Schuldbewusst wandte sie den Blick ab. „Es ist möglich, dass ich ein altes Hundebett und ein paar zerschlissene Handtücher draußen vergessen habe. Dort fühlt er sich sehr wohl.“
Quinn schnaubte amüsiert, sah aber nicht sehr überrascht aus.
„So etwas in der Art hatte ich mir schon gedacht. Ich habe eine mögliche Erklärung für sein merkwürdiges Verhalten gefunden.“
„Echt jetzt?“
„Ja. Wir hatten uns doch gewundert, weshalb er Verhaltensweisen zeigt, die für Wildtiere so gar nicht typisch sind. Wie das Mitfahren in deinem Truck und so.“
„Genau. Ich erinnere mich. Und? Wird er irgendwo vermisst?“ Ihre Augen weiteten sich besorgt. „Es will ihn mir doch niemand wegnehmen?“
„Nein, keine Sorge. Alle Beteiligten sind froh, dass es ihm gut geht. Dass es ihm an einem Ort gut geht, der weit weg von ihnen ist, empfinden sie wohl eher als einen Bonus.“
Sunny lachte.
„Klingt, als würden sie ihn gut kennen.“
„Das kann man wohl sagen. Sie sind sehr vertraut mit ihm und seinen Eskapaden. Er stammt aus einer Handaufzucht in Wyoming. Dort in der Wildtierstation hat er ungefähr ein Jahr gewohnt und offenbar einen Unsinn nach dem anderen angestellt.“
„Klingt haargenau wie das Exemplar, das bei mir herumgeistert.“ Sie rollte mit den Augen. „Erst gestern ist er an uns vorbei ins Haus geflitzt. Lass es mich so formulieren: Ich hatte mal schöne Vorhänge.“
Wenig mitleidig kicherte Quinn bei der Vorstellung, wie der Waschbär Sunnys Inneneinrichtung zu seinem persönlichen Kletterpark umfunktionierte.
„Und dann? Was ist dann mit ihm passiert, wie ist er hierhergekommen?“
„Vor ein paar Monaten ist er auf einmal verschwunden gewesen. Offenbar hat er sich auf Wanderschaft begeben, aus welchem Grund auch immer.“
„Das ist ganz schön weit“, stellte Sunny beeindruckt fest. „Außer … Dem Kerl traue ich durchaus zu, dass er die Strecke per Anhalter beziehungsweise als blinder Passagier zurückgelegt hat.“ Nachdenklich runzelte sie die Stirn. „Ich hoffe, er geht nicht gleich wieder auf Wanderschaft.“
Quinn hob bedauernd die Schultern.
„Das kann wohl niemand vorhersagen. Wenn du ihn nicht einsperren willst, kannst du das nicht ausschließen.“
„Einsperren werde ich ihn auf keinen Fall“, protestierte Sunny. „Ich werde einfach die Zeit, die er bei uns verbringt, umso mehr genießen.“
„Gute Einstellung. Und wer weiß, vielleicht bist du eines Tages ja auch froh, wenn es ihm weit weg von dir gut geht. Mir geht es auf jeden Fall manchmal so mit Braveheart“, fügte sie hinzu. Bei Anlässen wie diesem musste sie ihn entweder zu Hause lassen oder immer an der Leine führen. Feiern mit Grillstation und anderen Köstlichkeiten betrachtete ihr Hund grundsätzlich als großes Selbstbedienungsbuffet. Er ging dabei so geschickt vor wie ein Dieb in der Nacht.
„Ja, vielleicht“, stimmte ihr Sunny zu, doch sie klang nicht überzeugt.
Eine graue Hundeschnauze schob sich in ihre Armbeuge.
„Arkana?“, fragte Sunny überrascht und streichelte der hochbeinigen Irischen Wolfshündin über das rau-seidige Fell am Kopf, bevor sie sich suchend umschaute.
„Kennst du den Hund?“, fragte Quinn verwundert. Gab es tatsächlich einen Hund in Independence, den sie nicht kannte?
Sunny deutete auf eine Gruppe Leute in ihrem Alter. Da waren Lee, der Kinderarzt, und seine Freundin Bertha, die ortsansässige Physiotherapeutin, sowie Lees Molosser-Mix Spartacus. Seine Schwester Mia, ebenfalls Ärztin, und ihr Mann Jason standen Arm in Arm daneben. Ihr junger Golden Retriever Bozo lag am Boden und machte Pause. Von ihren beiden Kindern Conrad und Aria war keine Spur zu sehen. Vermutlich spielten sie mit den anderen Fangen oder Verstecken. Ebenfalls mit von der Partie war Kristina.
Quinns Augen wanderten zu der einzigen Person, die sie nicht kannte. Eine hochgewachsene, dunkelhaarige Frau mit langen Haaren, einem hellen, teuer aussehenden Wintermantel und schwarzen Stiefeln unterhielt sich angeregt. Offenbar war sie die Besitzerin des großen, schlanken Wolfshundes. Die beiden passten optisch schon mal sehr gut zusammen, was nicht ungewöhnlich war. Sie dachte lieber nicht allzu genau darüber nach, was das in Bezug auf sie selbst und den Mischling mit den schiefen Ohren aussagte, den sie ihr Eigen nannte.
„Wer ist sie?“, fragte sie neugierig. „Ich meine“, erklärte sie, als ihr auffiel, dass die Frage vielleicht seltsam klingen mochte, „alle anderen haben direkt oder indirekt mit der Klinik zu tun und werden in irgendeiner Kapazität für die Klinik arbeiten. Sie auch?“
„Keine Ahnung. Sie ist Anwältin und sehr viel lustiger, als ihr Beruf vermuten lässt. Sie ist unglaublich vielseitig und ein absolutes Ass in ihrem Beruf. Wir haben schon mehrere lustige Abende verbracht. Unter anderem bei Mias und Jasons Hochzeit.“
„Anwältin? Wozu brauchst denn du eine Anwältin?“
„Sie war nicht meine Anwältin, sondern Jasons. Ihre Spezialität ist Familienrecht. Aber wir können sie ja gleich fragen.“
Zusammen gingen sie zu den anderen. Nachdem sie die allgemeine Begrüßung hinter sich gebracht hatten, fragte Sunny: „Was machst du denn hier, Zoé? Hast du deinen Job an den Nagel gehängt?“
Das wäre vielleicht die Lösung für ihre Probleme, dache Zoé deprimiert. Laut sagte sie ausweichend: „Ich konnte doch die Eröffnung nicht verpassen. Ich war schon ewig nicht mehr hier.“
„Das Wetter hat sie allerdings gezwungen, mit dem Auto zu kommen“, erklärte Jason mit einem Grinsen.
Erleichtert über den Themenwechsel, atmete Zoé auf. Sie hatte einen Vorschlag für Sunny und Kristina. Aber erst wollte sie ihre Pläne mit dem Sheriff und ein paar anderen besprechen. Auf keinen Fall wollte sie die Gewalt, die ihr auf dem Fuße folgte, zu ihren Freunden führen. Sie würde jede erforderliche Maßnahme ergreifen, um das zu vermeiden. Wenn Jake der Meinung war, dass sie dazu nach Alaska umziehen musste, würde sie das tun.
„Statt zu Fuß?“, fragte Quinn verwirrt und riss damit Zoé aus ihren düsteren Gedanken.
Jason lächelte verschmitzt.
„Statt mit dem Motorrad. Sie hat einen Seitenwagen so umgebaut, dass Arkana mitfahren kann.“
„Wow, echt? Das ist ja genial“, rief Quinn beeindruckt aus. „Den musst du mir unbedingt einmal zeigen.“
„Mach ich gern“, antwortete Zoé. Hier in Independence, umringt von Freunden, spürte sie, wie sie sich zum ersten Mal seit Wochen entspannte und richtig durchatmen konnte. Vielleicht war ihre Idee nicht so abwegig, wie sie erst gedacht hatte.
Conrad kam mit seiner Schwester Aria im Schlepptau und einem Mädchen an der Hand vom Spielen. Aria ließ sich in ihren dicken Skihosen auf den Boden neben Bozo plumpsen und kraulte seinen Bauch. Der kleine Hund drehte sich auf den Rücken, pures Entzücken im Gesicht. Spartacus legte sich daneben und schob seinen breiten Schädel unter ihre freie Hand. Offensichtlich fühlte er sich vernachlässigt.
Quinn wollte sich gerade verabschieden, als Lara und Hank mit ihrem Sohn Wolfe und der erst sechs Monate alten Tochter Raven, die gut eingepackt im Kinderwagen schlief, zur Gruppe stießen. Mit von der Partie waren Vi und Gregory. Vi war ausnahmsweise ohne Papagei unterwegs, dafür trug sie ihren Sohn Bear in einer Art Kängurutrage vor dem Bauch. Lange würde das nicht mehr funktionieren, vermutete Sunny. Der Kleine war so gewachsen. Wolfe hingegen rannte wie ein kleiner Irrwisch zwischen allen Leuten hindurch, bis er unter Arkana zum Stillstand kam und staunend nach oben zum Hundebauch blickte.
„Pony?“, fragte er und deutete nach oben.
Alle lachten. Conrad hingegen schenkte den Neuankömmlingen keinen Blick, sondern zerrte an der Hand seines Vaters.
„Dad, Moira fühlt sich nicht gut. Ich habe ihr gesagt, hier gibt’s viele Ärzte. Kannst du ihr helfen?“
Jason schaute in Richtung des Mädchens, das verlegen hinter Conrad stand.
„Tut mir leid“, sagte sie und senkte den Blick. „Ich habe versucht, ihm zu sagen, dass es nicht nötig ist, Sie zu stören.“
Der Husten, der ihren hastig hervorgestoßenen Worten folgte, klang allerdings alles andere als gesund.
Die drei Ärzte in der Runde tauschten einen Blick aus. Kristina war die Erste, die sich bewegte.
„Moira? Erinnerst du dich an mich?“
Das Mädchen lächelte scheu und streckte ihr höflich die Hand hin.
„Jetzt hast du nicht mehr einen so weiten Weg, wenn du ins Krankenhaus musst. Ist das nicht toll?“
Moira lächelte und nickte.
„Was hältst du davon, wenn wir deinen Vater suchen? Anschließend kann ich dir die neue Kinder- und Jugendabteilung zeigen, die wir hier in der Klinik haben. Dann kann ich dich gleich untersuchen. In Ordnung?“
Wieder ein Nicken. Zögernd ergriff sie Kristinas Hand und ließ sich von ihr wegführen.
„Hattet ihr auch den Eindruck, dass sich Kristina regelrecht um die Aufgabe gerissen hat?“, fragte Mia amüsiert in die Runde.
„Das finde ich allerdings auch“, bestätigte Sunny ihren Eindruck. „Beim letzten Mal konnte sie nicht schnell genug von Kane Evers wegkommen.“
„Tatsächlich? Dann sollte vielleicht jemand eine neue Wette starten“, bemerkte Luke, der von hinten an Sunny herangetreten war und seine Arme um ihre Taille geschlungen hatte. Sein Kinn hatte er auf ihre Schulter gelegt. „Seit wir unser Leben auf die Reihe gekriegt haben, ist ja ein Ersatz nötig.“
Sunny stimmte ihm grundsätzlich zu. Es gab nur eins, was sie verunsicherte. Seit seinem improvisierten Heiratsantrag hatten sie nicht mehr darüber gesprochen. Aus Angst, dass ihm die Frage nur in der Hitze des Gefechts herausgerutscht war, hatte auch sie das Thema tunlichst vermieden.
„Das hättest du wohl gerne“, zog ihn Lee auf. „Es gibt noch viele offene Punkte.“ Er zählte sie an einer Hand ab. „Hochzeitsdatum, Art der Zeremonie, schwanger oder nicht, Geburtstermin …“
Luke drehte den Kopf ein wenig und zwinkerte Sunny zu.
„Was meinst du, sollen wir eines der Rätsel für sie lösen und endlich unseren Hochzeitstermin festlegen?“
Ein Knoten löste sich in Sunnys Brust und sie strahlte übers ganze Gesicht.
„Wird auch langsam Zeit“, murmelte sie, bevor sie sich an ihre Freunde wandte. Ihre Augen funkelten, als sie sagte: „Was haltet ihr von einer Weihnachtshochzeit?“
Die Glückwünsche und freudigen Ausrufe waren Antwort genug.
Sunny und Luke lächelten sich an.
„Passt dir mein Vorschlag? Das ist bereits in zwei Wochen.“
„Mir ist alles recht. So lange es nur möglichst bald ist“, murmelte er und küsste sie.
*