Sonntag

Eine angenehme Wärme und ein wohliges Gefühl – das ist das Erste, was Theo wahrnimmt, als sie langsam wieder zu sich kommt. Die Schmerzen scheinen weg, sie fühlt sich fast leicht und euphorisiert. Um sie herum ist alles hell und sauber. Im Hintergrund hört sie Geräusche, die sie nicht zuordnen kann. Stimmen, gedämpft wie hinter einem Schleier. Sie sieht an sich hinab, sieht den Schlauch an ihrem Arm, schaut nach links und erkennt die Apparaturen. Natürlich – man hat sie in ein Krankenhaus gebracht. Dieses wohlige Gefühl, das müssen die Schmerzmittel sein, denkt sie sofort. Durch das Fenster blickt sie in den strahlend blauen Himmel, der so aussieht wie immer, als sei nichts passiert, und das Licht ergießt sich golden auf ihr Laken zu ihren Füßen und beginnt sie nun auch von innen zu wärmen.

 

Wie viele Minuten sie einfach nur so dagelegen hat, stumm und darum ringend, zu sich zu kommen, weiß sie nicht, als sich die Tür öffnet und zwei Ärzte hereintreten. Sie muss

Sie bejaht es, leise, aber wahrnehmbar. »Sie haben großes Glück gehabt, wir konnten Sie aus den Trümmern bergen. Sie haben ein paar Knochenbrüche davongetragen, am Becken und der rechte Knöchel. Alle lebenswichtigen Organe sind verschont worden. Wenn es jetzt keine ungeahnten Komplikationen gibt, sind Sie in zehn Tagen hier raus.«

»Wie lange bin ich schon hier?«

»Zwei Tage. Was uns am Anfang viel mehr Sorgen machte, war die Gefahr eines Bergungstodes. Sie zeigten anfangs extreme Stressreaktionen – wenn diese nach der Bergung nachlassen, droht ein Kreislaufzusammenbruch mit schwerwiegenden Folgen. Daher haben wir Sie medikamentös stark sediert, was Sie wahrscheinlich noch spüren. Jetzt aber gehen wir davon aus, dass diese Gefahr nicht mehr besteht.«

Sie nickt. »Was ist mit den anderen?«, fragt Theo und hat Angst vor der Antwort. Sie erinnert sich noch an Amiras Stimme und an Jacques, der halb vergraben unter den Trümmern lag.

»Amira al-Fotouh wurde nahezu unverletzt geborgen. Sie wurde durch die Wucht der Explosion in eine Nische der Krypta geschleudert, wo sie relativ geschützt war vor den einstürzenden Gebäudeteilen. Sie hatte nur oberflächliche Verletzungen, ist aber mobil und so weit in gutem Zustand.«

»Und Jacques Bernheim und der Professor?«

»Auch sie konnten geborgen werden. Professor Hamdy ist schon wieder auf den Beinen. Der ist einfach

Theo schaut stumm geradeaus. »Aber wir gehen davon aus, dass er durchkommt«, fügt der Arzt schließlich hinzu. Ein Lächeln zeichnet sich zart auf Theos Gesicht ab. »Wenn Sie etwas brauchen, lassen Sie es uns oder eine der Pflegerinnen wissen.«

 

Nachdem die Ärzte die Tür hinter sich geschlossen haben, versucht Theo, an die Fernbedienung zu gelangen, die auf dem kleinen Tisch neben ihrem Bett liegt. Sie schafft es, sie zu greifen, auf der Tastatur die Programme durchzugehen. Überall sieht sie die Bilder aus Alexandria, auch jetzt noch, Tage danach. Der Nachrichtensender al-Arabiya zeigt Luftaufnahmen des al-Savvas-Klosters – oder besser, was davon übrig ist – und der Umgebung. Die Sprengung der großen unterirdischen Halle hat den Boden darüber zum Einsturz gebracht. Der Eingangsbereich der Kathedrale ist komplett versunken, ebenso ein Teil der Straße, die vor dem Gotteshaus vorbeiführte. Der Kirchturm steht noch, direkt an der Abbruchkante des Kraters, der sich dort, mitten im Zentrum Alexandrias, auftut. Dass sie es lebend dort herausgeschafft haben – Theodora begreift erst jetzt, welch großes Glück sie hatten.

Es klopft an der Tür. Durch den Spalt steckt Amira ihren Kopf herein, und sofort geht ein Strahlen über ihr Gesicht, als sie sie sieht. »Theodora, na endlich!« Sie hat Kratzer im Gesicht, Verbände an den Armen und eine Bandage um die rechte Hand. »Ich dachte schon, Sie wachen gar nicht mehr

»Ja«, fährt Amira fort. »In den Nachrichten meinen sie, sie wollen die Trümmer beseitigen und untersuchen, was sich in dem unterirdischen Gewölbe befand. Ich glaube, die werden nichts finden. Die Anhänger des Geheimbundes haben die Sprengladungen so angebracht, dass von dem Sarkophag, den Mumien nichts, aber auch gar nichts übrig geblieben ist.« Sie schaut Theodora an. »Es ist vorbei. Das Geheimnis des Grabes bleibt für immer gewahrt. Die Morde sind geklärt. Die Schuldigen tot.«

Skeptisch sieht Theo aus dem Fenster. Ist es wirklich so einfach? Sie schüttelt den Kopf. »Das Geheimnis gewahrt: ja. Die Morde geklärt: nein!«, sagt Theo leise und nachdenklich zu ihr.

Amira schaut sie groß an. »Ich lasse Sie jetzt auch besser in Ruhe und komme morgen wieder. Wenn Sie etwas brauchen, sagen Sie Bescheid!«

 

Theo ist noch immer benommen. Die starken Schmerzmittel machen sie träge und langsam im Geist. Dennoch driften ihre Gedanken immer häufiger zu den Ermittlungen.

»Es ist noch nicht vorbei«, flüstert sie, während ihre Hände sich in die Decke krallen, als müsste sie noch mal alle Kraft zusammennehmen. »Es ist noch nicht vorbei.«