Der Kampf der Gesetzeshüter und -brecher sorgte in den folgenden Wochen für Schlagzeilen, die die Auflage des Stadtspiegels in die Höhe trieben. Atemlos verfolgte die ganze Stadt, wie die Polizei die Jagd auf den Treuen Bund eröffnete. Fast täglich wurden geheime Stützpunkte gefunden und Verdächtige festgenommen; die höchsten Politiker lobten den Erfolg in der Verbrechensbekämpfung, während der Treue Bund den Eifer seiner Gegner mit demselben Enthusiasmus erwiderte. Brände wurden gelegt, sogar in zwei Kirchen und im Justizgebäude; die Verbrecher wurden zwar meistens noch am Tatort gefasst, doch sie schwiegen wie Tote. Die eiserne Entschlossenheit der Terroristen sorgte für großes Entsetzen. Die Bevölkerung lebte in ständiger Angst, einem Brandanschlag zum Opfer zu fallen oder ihre Söhne und Töchter durch eine Entführung zu verlieren; Haustüren wurden doppelt verschlossen, Kinder verschwanden von der Straße und sogar aus den Schulen und täglich gingen neue Hinweise bei der Polizei ein, weil jemand irgendeinen verdächtigen Fremden gesehen hatte.
Niemand ahnte, dass die Brände des TBK durchaus harmlos waren im Vergleich zu den Verbrechen, die sie vor ihrem Zusammentreffen mit den Dichtern hätten begehen können. Im Prinzip war das Vorgehen der Dichter ebenso einfach wie effektiv: Morbus und seine Lehrlinge trieben die Motten des Treuen Bunds auf und brachten sie nach Caer Therin, wo ihnen ihre Gaben genommen wurden. Dann setzten sie die entmachteten Feinde wieder in der Stadt aus, wo sie von der Polizei gefunden und für verwirrte Opfer des TBK gehalten wurden. Manchmal aber schrieben die Dichter alles aus den feindlichen Motten heraus und pflanzten einen einzigen Gedanken in ihren leergefegten Verstand: nämlich einen Brand zu legen. Dadurch hatte die Polizei Grund genug, die Motten festzunehmen und ihre Bemühungen zu verstärken. Und im Vergleich zu der Zerstörung, die der TBK in Wahrheit hätte anrichten können, waren Brandstiftungen eine sehr milde Alternative.
Trotzdem fragte Apolonia sich manchmal, wieso der TBK seine Macht nicht einsetzte, um einen Vorstoß zu wagen. Schließlich musste es sehr viele Mitglieder geben – die Dichter trieben in zwei Wochen vierzehn Bundmotten auf – und doch hielten sie sich verborgen. Als Apolonia ihre Tante am Tag vor Weihnachten darauf ansprach, stellte Nevera behutsam die Teetasse ab und lächelte.
„Ja, du hast recht. Wir haben fast die Hälfte aller Bundmotten unschädlich machen können, und im Moment halten sie sich mit ihren Angriffen zurück. Aber nicht alle Gefahr, die vom Treuen Bund ausgeht, ist so sichtbar wie ein Feuer. Sie schleusen ihre Leute in die Regierung ein, manipulieren Staatsoberhäupter und die wichtigsten Köpfe der Polizei; wir Dichter haben noch immer alle Hände voll zu tun, ihre Intrigen aufzudecken und im Stillen zu vereiteln. Die größten Kriege finden nicht auf dem Schlachtfeld statt, sondern in den Hinterzimmern der Staatsgebäude.“
Apolonia nippte an ihrem Tee und beobachtete das Schneegestöber vor den Fenstern. Das silbrige Klirren von Schmuckkugeln hing in der Luft, während zwei Diener den Weihnachtsbaum im Salon behängten. Der Kamin gab ein kaum wahrnehmbares Wummern von sich. Der Frieden bedrückte Apolonia merkwürdigerweise und ihr war ganz wehmütig zumute.
„Oh“, sagte Nevera mit einem Blick auf die Uhr auf dem Kaminsims. „Der Schneider für unsere Festkleider kommt in einer halben Stunde. Silvester wird aufregend!“
Apolonia sank tiefer in ihren Sessel.
Mit jedem Tag wurde die Laune der Bundmotten schlechter. Sie versuchten, die Zeit mit Kartenspielen und dem Üben ihrer Gaben totzuschlagen, doch nach zwei vertriebenen Stunden kamen ihnen die nächsten vier umso länger vor. Als Heiligabend bevorstand, erreichte die Stimmung im Versteck ein Tief; wegen des Schneetreibens draußen mussten die meisten im Untergrund bleiben und suchten nach einem geeigneten Vorwand, um den Grünen Ring zu benutzen. Tigwid war schon zweimal mit Zhang durch die Tür getreten, einmal um auf dem Markt Karotten zu kaufen, das andere Mal, um die Zeitung zu besorgen. Dabei hatte Bonni sie begleitet und war fast eine Stunde an den Schaufenstern der Geschäfte vorbeigeschlendert und hatte sich sogar Fahrradhupen und Angelhaken angesehen, um ihre Rückkehr hinauszuzögern. Collonta hatte sie zwar gebeten, das Versteck nur zu verlassen, wenn sie keine andere Wahl hatten, und danach so rasch wie möglich wieder zurückzukommen, aber die ewige Dunkelheit schlug ihnen noch mehr aufs Gemüt als die Gefahr, wenn sie draußen waren. Noch dazu fehlte ihnen Loos sanfte Art, mit der sie normalerweise die kleinen Kabbeleien unter ihnen geschlichtet hätte. Das Einzige, was Loo jetzt noch von sich gab, waren genau zwei Sätze: „Und wenn du fertig bist … dann bist du wirklich eine Dichterin. Das erste weibliche Mitglied, wenn man es genau nimmt, da Nevera nie selbst ein Buch geschrieben hat.“
Am Weihnachtsabend, nachdem sie zur Feier des Tages eine zusätzliche Erbsendose aufgemacht und das Feuer bis auf ein paar Kerzen gelöscht hatten, sah Loo Fredo das erste Mal seit ihrem Erwachen richtig in die Augen und seufzte plötzlich so glücklich wie ein Kind. „Ach … das hast du für mich geflochten? O Fredo, ich dich auch!“
Er starrte sie an, als hätte sie ihm einen Stern vom Himmel gepflückt. Mit zitternden Fingern berührte er ihr Handgelenk, an dem sie einen geflochtenen Reif trug. Dann schloss er sie in die Arme und die beiden hielten sich umschlungen, der eine lächelnd, der andere weinend.
Tigwid beobachtete sie über den Rand seines Pokerblattes hinweg. Sie bewegten sich keinen Zentimeter voneinander, als wäre für sie die Zeit stehengeblieben, und verharrten wie versteinert in ihrer Umarmung. Schließlich seufzte Tigwid und warf seine Karten hin. „Ich bin draußen.“ Das war mit Abstand das deprimierendste Weihnachtsfest seit langem. Zudem hatte er die Hälfte seines Geldes an Zhang verloren, die trotz ihres Münzhaufens nicht viel fröhlicher aussah. Kein Wunder. Der Untergrund bot nicht gerade viele Möglichkeiten, um sich mit Geld eine schöne Zeit zu machen.
„Ich hab auch keine Lust mehr“, sagte sie und warf ihre Karten hin – Tigwid schielte auf ihre zwei Paare. „Wollen wir mal gucken, ob Erasmus und Rupert da sind? Vielleicht trinken wir alle eine heiße Schokolade im Arbeitszimmer, da ist es viel gemütlicher als hier.“
Bonni und Emil nickten. Mart schnarchte bereits in seiner Schlafecke; Fredo schien in Loos Armen in einer anderen Welt zu sein und Loo sowieso; Kairo zeichnete Kohlebilder, doch als die anderen aufstanden und den Grünen Ring öffneten, erhob er sich ebenfalls, um mitzugehen.
Als sie alle im Dunkel standen, rief Zhang das runde Arbeitszimmer herbei und die runde Tür erschien. Das hieß, dass Collonta da war, denn sonst konnte niemand sein Zimmer betreten.
Als die Freunde aus dem Grünen Ring kamen, setzte Collonta eine fröhliche Miene auf. Wie immer war er nicht alleine, sondern in Begleitung von Rupert Fuchspfennig, der für Weihnachten seine abgewetzten Kleider gegen einen grauen Wollanzug getauscht hatte und mehr denn je wie ein Buchhalter aussah. Außerdem waren Laus und eine weitere Frau anwesend, die Tigwid nicht kannte.
„Frohe Weinachten!“, rief Collonta und schüttelte jedem Neuankömmling die Hand. „Ich wollte gerade gehen und euch holen. Wo sind Mart und Fredo?“
„Fredo ist bei Loo, Mart schläft“, sagte Bonni.
„Ah, ja. Ich glaube, wir sollten Fredo ein wenig mit Loo alleine lassen. Der arme Junge tut mir fast noch mehr leid als Loreley.“ Collonta schüttelte betrübt den Kopf. Dann zog er die Augenbrauen hoch und atmete tief durch. „Nun, Julesa war so lieb und hat uns allen Weihnachtspunsch mitgebracht. Darf ich euch einschenken?“
Collonta lief zu einem Bücherregal, zog einen Satz Gedichtbände heraus und holte mehrere Gläser aus einem Geheimfach dahinter.
Die Frau – Julesa – trat nervös einen Schritt vor und zurück. „Äh, ich bin spät dran. Ihr seid nicht böse, wenn ich schon gehe …“
Collonta kam zum Tisch zurück und goss in jedes Glas Punsch ein. „Jetzt schon?“
„Es ist doch Weihnachten. Und meine Familie …“
„Stimmt, ich vergaß.“ Als ginge Collonta ein Licht auf, deutete er auf Tigwid und überreichte ihm ein Glas. „Natürlich, die liebe Familie. Aber davor muss ich dir unser neuestes Mitglied vorstellen: Tigwid. Tigwid, das ist Julesa Abdahl – keine Sorge, Tigwid kann deinen Nachnamen ruhig erfahren, er gehört zu uns.“
Die Frau strich sich über die dunklen Haare und schien sichtlich beunruhigt. „Nett, dich kennenzulernen. Also dann, bis bald.“
Sie nickte allen noch einmal zu, dann murmelte sie an Collonta gewandt: „War mir ein Vergnügen.“
Nun geschah etwas sehr Merkwürdiges. Collonta gab Julesa einen Handkuss und sagte ernst: „Danke dir, Julesa.“ Die Frau lächelte unsicher. Dann verblasste ihre Gestalt wie ein Geist – und einen Augenblick später war sie verschwunden.
Tigwid spähte nach links und rechts, um sicherzugehen, dass die anderen dasselbe gesehen hatten wie er.
„Julesa ist eine Wandlerin“, erklärte Rupert Fuchspfennig, der Tigwids Verwirrung bemerkte. „Was überdies hervorragend zu ihrer Vorliebe für schnelle Abgänge passt.“
„Nun, Julesa kommt aus einer angesehenen Familie und kann es sich nicht leisten, in eine kompromittierende Lage zu geraten. Wir müssen akzeptieren, dass sie ein Leben neben ihrer Mottenexistenz führt“, sagte Collonta und reichte Fuchspfennig einen Punsch.
Bonni war inzwischen an den Schreibtisch getreten und betrachtete mit gerunzelter Stirn etwas. „Das ist natürlich ein guter Grund, es zu akzeptieren.“ Und sie hob zwei Hände voll Dynamitstangen empor.
„Vorsicht!“ Fuchspfennig nahm ihr die Stangen wieder aus den Händen und legte sie in eine Holzkiste zurück. Collonta verschloss die Kiste und warf einen Blick in die Runde.
„Seit Magdalenas Tod traut Julesa sich nicht mehr oft, als Geist zu wandern. Ich war vorher bei ihr zu Hause, um das hier abzuholen, und ich sage euch: Da war nichts mehr, nichts, das irgendwie verraten könnte, dass Julesa eine Motte ist. All ihre Bücher sind weg. Es bedeutet sehr viel, dass Julesa uns trotzdem unterstützt und uns das hier hat zukommen lassen“, schloss Collonta ernst. Dann erklärte er Tigwid: „Julesa ist mit dem Besitzer mehrerer Bergwerke verheiratet. Dadurch kann sie uns den Sprengstoff zuschmuggeln.“
„Wozu braucht ihr es?“, fragte Tigwid, der schon bezweifelt hatte, dass das Leuchten in Collontas Augen nur von Punsch und weihnachtlicher Freude herrührte.
„Nun, hauptsächlich zu unserer eigenen Sicherheit natürlich. Selbstschutz ist die beste Waffe gegen die Dichter, denn solange sie uns nicht kriegen, kriegen sie auch nicht unsere Gaben.“
„Außerdem …“ Fuchspfennig senkte vertraulich die Stimme. „Wir wissen nicht, wie weit die Dichter gehen wollen. Sie haben die Presse auf ihre Seite gezogen. Sie haben sich die Polizei gefügig gemacht – wir gehen davon aus, dass sie dafür ihre Wahren Worte eingesetzt und den einen oder anderen wichtigen Mann manipuliert haben. Wir müssen davon ausgehen, dass …“ Er stockte.
„Wir müssen davon ausgehen, dass die Dichter die Macht an sich reißen wollen“, schloss Collonta kurz und sachlich. „Wir wissen nicht, wie lange es dauern wird, bis sie alle nötigen Vorkehrungen getroffen haben, aber rasches Handeln ist jetzt nötig, um das Schlimmste – ja, nicht nur das Schlimmste für uns zu verhindern, sondern für die ganze Menschheit.“
Eine Weile schwiegen alle, um das Gesagte zu verdauen. Tigwid beobachtete die anderen: Kairo beäugte Fuchspfennig mit einem ängstlichen Funkeln, was angesichts ihrer gegensätzlichen Statur irgendwie verkehrt schien. Zhang sah Collonta besorgt und erwartungsvoll an. Es war unschwer zu erkennen, dass sie ihm treu ergeben war, egal, was er vorschlug. Bonni starrte gedankenverloren auf die Kiste unter Collontas Hand – was sie dachte, war auch offensichtlich. Laus, die ältere Motte, spielte unruhig mit ihren Schals, schien aber gespannt auf Collontas weiteren Vortrag zu warten. Emil hätte Tigwid fast übersehen – er stand im Schatten der anderen und beobachtete sie, genau wie Tigwid.
„Und damit wollt ihr die Dichter jetzt bekämpfen?“, fragte Tigwid in die Stille und wies auf die Dynamitkiste. „Dann würden wir genau das werden, als was die Dichter uns darstellen: gewalttätige Terroristen.“
Zhang zuckte langsam die Schultern. „Wenn die ganze Stadt das ohnehin schon glaubt …“
„Um eins klarzustellen“, sagte Collonta in einem Ton, der alle aufhorchen ließ. „Wir werden keinem Zivilisten etwas antun, um diesen Kampf zu gewinnen; das überlassen wir den Dichtern und ihren Bränden. Aber wenn die Waffen unserer Feinde Manipulation, Geld und die Unterstützung der Öffentlichkeit sind, können wir ihnen nicht mit bloßer Gutmütigkeit entgegentreten. Sobald die Dichter ihre Motten in die Regierung geschleust haben, ist die Regierung unser Feind. Dann müssen wir zum Risiko bereit sein.“ Er klopfte auf die Kiste, langsam, zweimal.
„Und dann?“, fragte Tigwid, als wieder alle schwiegen. „Mal angenommen, wir sprengen wirklich das Parlamentsgebäude mitsamt allen Dichtern in die Luft – tauchen wir einfach unter und verschwinden von der Bildfläche?“
„Wir können nicht einfach alles in Schutt und Asche legen und den anderen unser Chaos hinterlassen“, murmelte Fuchspfennig. Sein Blick flog nervös von Gesicht zu Gesicht. „Es wäre endlich an der Zeit, den Menschen zu geben, was ihnen zusteht, und …“
Collonta legte Fuchspfennig eine Hand auf die Schulter, um ihm zu bedeuten, dass er weitererklären wollte. Nach einem Moment begann er zu sprechen.
„Vor acht Jahren haben wir vom Treuen Bund versucht, mit der Wahrheit ans Tageslicht zu treten und die Regierung zu übernehmen.“ Er blickte einen fernen Punkt hinter Tigwid an und seine sanften Lachfalten verwandelten sich in bittere, tiefe Runzeln. „Einige Motten jedoch … wollten weiterhin geheim bleiben. Ihnen gefiel es durchaus, im Verborgenen die Fäden zu ziehen und ihre Gaben allein für ihren eigenen Vorteil zu nutzen. Wir vom Treuen Bund haben erkannt, dass dem nur Einhalt geboten werden kann, wenn unsere Gaben bekannt gemacht werden – und nur noch für das Wohl der Gemeinschaft eingesetzt werden dürfen. Nämlich in der Politik. Wir wussten aber auch, dass es Jahrzehnte dauern würde, um die Menschen von uns zu überzeugen. Darum setzten wir alles auf eine Karte und planten die schwache Regierung zu ersetzen. Es war alles perfekt geplant. Die friedlichste Machtübernahme in der Geschichte sollte stattfinden, denn wir wollten niemanden umbringen. Doch kurz vor unserer Aktion wurde Magdalena, eines unserer begabtesten Mitglieder, umgebracht. Damit hatten die Motten, die gegen uns waren, den Plan vereitelt. Alles ging schief. Menschen starben. Zuletzt gelang uns zwar die Flucht durch den Grünen Ring, doch zwei von uns wurden festgenommen und hingerichtet. Die Verräter waren Nevera, Morbus und seine Anhänger, die sich fortan Dichter nannten. Und nun, nach acht Jahren, sind sie so weit gekommen, dass ihre Machtübernahme kurz bevorsteht. Sie haben Apolonia auf ihrer Seite. Das macht sie zuversichtlich; nun, da sie sich sicher sind, dass die Prophezeiung zu ihren Gunsten eintritt, hält sie nichts mehr zurück. Die Einzigen, die sie noch aufhalten könnten, sind wir, Freunde.“
Die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr schlich unerträglich langsam dahin. Apolonia verließ das Haus kein einziges Mal und saß so lange vor dem Kamin, lag in ihrem Bett, trank Tee und las Bücher, dass sie bald meinte, sich vor Trägheit in Brei zu verwandeln. Seit jener nächtlichen Unterhaltung mit Tigwid hing eine düstere Wolke über ihr und machte sie schweigsam und grüblerisch. Den Grünen Ring hatte sie Morbus und Nevera gegenüber zwar erwähnt, doch dass Tigwid in ihr Zimmer gekommen war, behielt sie aus gutem Grund für sich. Sie hatte die Möglichkeit gehabt, ein Mitglied des Treuen Bundes unschädlich zu machen. Sie hätte ihn sogar zwingen können, ihr die Funktionsweise dieser merkwürdigen Zaubertür zu erklären und zu verraten, wo sich der TBK versteckte. Wieso hatte sie ihn so leicht davonkommen lassen? Wann immer sie sich diese Frage stellte, wurde sie noch mürrischer und versuchte an etwas anderes zu denken.
Dass Nevera und Morbus ein Neujahrsfest in Caer Therin planten, kam ihr gerade recht – so konnte sie sich mit Kleiderproben, Einladungskärtchen und der Überwachung der Vorbereitungen ablenken. Nevera hatte gesagt, dass die wichtigsten Leute aus Politik und Gesellschaft anwesend sein würden, und das Fest war die Gelegenheit, ihren Kampf gegen den TBK durch gute Kontakte zu verstärken. Apolonia betrachtete Silvester als öffentlichen Auftritt: Je erwachsener und seriöser sie sich gab, desto glaubwürdiger und einflussreicher würde sie werden.
Manchmal, wenn sie ihre Pläne und Strategien lange mit Nevera oder Morbus besprochen hatte, vergaß sie, wofür sie das alles tat. Dann musste sie sich erst wieder ins Gedächtnis rufen, dass es darum ging, die Menschen vor der Vorherrschaft böser Motten zu bewahren. Und, ganz ursprünglich, dass sie ihre Mutter und ihren Vater hatte rächen wollen.
Ihr Vater … sie hatte ihn seit drei Wochen nicht mehr gesehen. Es war das erste Mal, dass sie Weihnachten ohne ihn verbracht hatte. Aber das wirklich Schlimme war, dass ihr das erst am Nachmittag darauf bewusst wurde; sie hatte kein einziges Mal an Heiligabend an ihn gedacht. Apolonia war so bestürzt über sich selbst wie an dem Tag, an dem sie sich nicht mehr an das Gesicht ihrer Mutter hatte erinnern können.
Wo, wenn nicht bei den Menschen, die sie lieben sollte, waren ihre Gedanken bloß …