«Du hast was gemacht?!», rief Dario, sein Bier auf halbem Weg zum Mund.

«Genau das, was ich gesagt habe. Mich in einen Mordfall verwickeln lassen. Ziemlich wahrscheinlich bin ich meinen Job als Konsul los. Ach, und Federica hat mich verlassen.» Ich zündete mir eine Zigarette an. «Was soll’s, man darf den Humor nicht verlieren, oder?»

Dario wedelte den Qualm weg. «Ich dachte, du wolltest mit den Dingern aufhören?»

«Hab ich. Macht bloß jetzt keinen Sinn mehr.»

«Ach, Nathan …»

«Ich meine, ohne meine Selbstmedikation würde ich mich bestimmt noch viel elender fühlen.»

«Und was hast du den ganzen Tag gemacht?»

«Hauptsächlich geschmollt. Mich wieder etwas ins Bett gelegt. Zu viel geraucht. Ein bisschen Leonard Cohen zur Aufheiterung gehört.»

«Und was hast du jetzt vor?»

Ich nahm meinen Taschenkalender heraus und schlug ihn auf. «Lass mal sehen. Nachdem du dich auf den Nachhauseweg machst, stehen noch ein paar Stunden zu viel trinken auf dem Programm. Dann hat RAI einen Horrorfilm im Spätprogramm, den ich mir anschauen kann. Anschließend scheint mir einschlafen auf dem Sofa und morgens in Klamotten wieder aufwachen eine gute Idee.»

«Nat. Hör auf. Das bringt doch nichts.»

Dario holte tief Luft und legte den Kopf in die Hände. Als ich mir noch eine Zigarette anzündete, schlug er sie mir aus der Hand und zertrat sie. Ich griff nach dem Päckchen, aber er war zu schnell für mich und riss es mir weg. Dann zerdrückte er es langsam und entschieden zwischen den Fingern und warf es zurück auf den Tisch.

«Dario?»

Er antwortete nicht, rieb sich nur das Gesicht. Dann sah er mir direkt in die Augen. Ich versuchte, seinem Blick standzuhalten, vergeblich. «Hast du mal daran gedacht, dass sie vielleicht recht haben könnte?», fragte er schließlich.

«Wie meinst du das?»

«Guck dich doch an. Guck dich doch bloß mal an. Sie war das Beste, was dir je passiert ist, und du hast es vermasselt. Und anstatt dir zu überlegen, wie du die Sache wieder in Ordnung bringen kannst, lässt du dich total hängen und badest in Selbstmitleid.»

«Das ist nicht fair. Du hast meine verzweifelten Versuche in Galgenhumor vergessen.»

«Siehst du, was ich meine. Sie hat recht. Du musst erwachsen werden. Komm schon, was ist dein Plan? Die Dinge regeln oder den Rest deines Lebens rauchen, trinken und schmollen?»

«Na ja, wo du es erwähnst …»

«Wenn du jetzt sagst, dass das ein ziemlich guter Vorschlag ist, hau ich dir wirklich eine rein. Sehe ich aus, als würde ich scherzen?» Und wieder blickte er mich entschieden an. Wir saßen einen Moment lang schweigend da.

«Dario. Du bist mein Freund. Du bist mein bester Freund.»

«Ich verstehe nicht.»

«Das heißt, manchmal geht’s nur um Pink Floyd und ein, zwei Bier zu viel und das Wissen, dass du auf dem Nachhauseweg Zigaretten kaufst, weil du weißt, dass ich es hasse, wenn du rauchst. Was mir aber ziemlich schnuppe ist, weil mein Kumpel glücklich ist und sich daheim an die hübsche Federica kuschelt. Manchmal heißt es auch, ehrlich zu sein und dir zu sagen, dass dein Haarschnitt dir nicht steht oder dass du dir dringend ein neues Jackett kaufen musst. Und dann gibt es Gelegenheiten, da bedeutet es, dir zu sagen, dass du dich wie ein egoistisches, dummdreistes Arschloch aufführst und dass du dich zusammenreißen musst, bevor du dein Leben völlig verpfuschst.»

«Wow. Du bist ja ziemlich von dir überzeugt.»

«Ja, das stimmt.» Er stand auf. «Die Drinks gehen auf mich.» Er ging ins Fabelhafte Brasilianische Café, vor dem wir saßen, und kam kurz darauf wieder heraus. «Also schön, du machst jetzt Folgendes. Du gehst direkt hoch ins Bett. Du schläfst einmal über das Ganze. Und morgen früh machst du dir ernsthaft Gedanken, wie du das alles regelst. Das Problem mit Federica und den Fall.»

«Den Fall? Es gibt keinen Fall, Dario. Vanni hat mir gesagt, ich soll die Sache auf sich beruhen lassen.»

«Die Polizei wird die Sache nicht auf sich beruhen lassen, vecio. Wenn sie es dir anhängen können, dann hängen sie es dir an, glaub mir. Vanni vielleicht nicht, aber andere.» Er klopfte mir auf die Schulter. «Okay, ich bin dann mal weg. Wir hören uns morgen, ja?»

«Was hast du vor?»

«Ich gehe nach Hause und denke darüber nach, wie wir dein Leben wieder in Ordnung bringen. Dazu sind Freunde

Ich ging in die Bar und stellte mich an die Theke. «Einen Negroni als Absacker bitte, Ed.»

Ed schüttelte den Kopf. «Sorry, Nathan, heute nicht.»

«Was? Was soll das heißen, heute nicht?»

«Dein Kumpel Dario. Er hat gesagt, ich kann was erleben, wenn ich dir heute Abend noch irgendwas verkaufe.»

«Was ist das, eine Zwangsmaßnahme?»

«Kann sein. Aber er meinte, er tut bloß seine Pflicht als Freund. Da dachte ich mir, ich sollte das auch tun. Geh einfach nach Hause, Nathan. Wir sehen uns morgen zum Frühstück, aufs Haus, ja?

Ich nickte. «Morgen also.» Beim Gehen wandte ich mich noch einmal um. «Danke.» Mir versagte die Stimme, und ich beeilte mich, zur Tür hinaus- und in die Wohnung hinaufzukommen, bevor er mein Gesicht sehen könnte.

Als ich die Haustür aufschloss, fing mein Handy an zu klingeln. Ich fischte es beim Hineingehen aus der Tasche und schob gleichzeitig Gramsci sanft mit dem Fuß wieder die Treppe hinauf. Federica? Bitte lass es Federica sein. Oder Dario. Oder wenigstens Eduardo, der mir sagt, ich hätte etwas in der Bar vergessen, und mir eine Entschuldigung liefert zurückzugehen. Dann sah ich die Nummer und erschrak.

«Sutherland?»

«Herr Botschafter. Wie geht es Ihnen?»

«Gut, gut. Nun ja, eigentlich nicht. Sie sind offenbar wieder in den Schlagzeilen.»

«Ach. Sie haben also davon gelesen?»

«Allerdings. Hören Sie, Sutherland, die Sache ist uns allen etwas unangenehm … mir sogar außerordentlich … aber wir

«Wie bitte?»

«Es ist nicht persönlich gemeint, glauben Sie mir bitte, aber – nun ja, das ist jetzt schon das zweite Mal innerhalb von zehn Tagen, dass Sie in der Zeitung stehen. Womöglich wirft das kein so gutes Licht auf uns alle.»

«Botschafter Maxwell, bitte, Sie waren doch zur selben Zeit in dem Pavillon wie ich. Sie können doch nicht glauben, dass ich irgendetwas mit der Sache zu tun habe.»

«Oh, natürlich nicht, natürlich nicht. Aber bis das Ganze geklärt ist, halten wir es für das Beste, wenn Sie sich einfach etwas im Hintergrund halten. Leiten Sie etwaige Anfragen zum Konsul in Mestre weiter … es ist doch Mestre, richtig?»

«Ja», antwortete ich wie ferngesteuert.

«Gut. Und dann lassen Sie die Polizei in Ruhe ihre Arbeit machen.»

«Und was tun Sie? Etwa mich feuern? Sie feuern mich von meinem ehrenamtlichen Job?»

«Aber nicht doch, Sutherland. Lassen Sie nur den Burschen in Mestre vorübergehend übernehmen, und dann, wenn sich hoffentlich bald alles aufgeklärt hat, sehen wir weiter, ja?»

«Gewiss. Natürlich.»

«Guter Mann. Guter Mann.» Ich antwortete nichts. «Schön, dann will ich Sie nicht länger aufhalten. Sie haben sicher noch etwas vor heute Abend. Wer weiß, vielleicht wird das ja ein netter kleiner Urlaub für Sie.» Er legte auf.

Ich ließ das Handy in meine Tasche gleiten, schloss die Augen und atmete tief durch. Aus meiner Knöchelgegend war ein leises Miau zu hören. Ich bückte mich und kraulte Gramsci hinter den Ohren. «Das wird schon wieder, was,

Ich ging ins Büro und betrachtete die Papiere, mit denen der Schreibtisch übersät war. Die Titelseiten der Zeitungen aus den letzten Wochen. Diverse Notizen über Nicolodi, Fitzgerald und Considine. Die Postkarte von der Vision des Todes. Die Einladung zum Lazzaretto Vecchio.

Irgendwo dazwischen lag die Antwort. Aber jetzt war ich müde, hundemüde. Ich würde mich morgen früh darum kümmern. Und dann würde alles gut werden. Ganz bestimmt.