»Viele Jahre wurde diskutiert und debattiert. Doch viel zu wenig ist passiert. Jetzt ist Schluss mit freiwilligen Vereinbarungen.« Im März 2014 präsentierten die damalige Familienministerin Manuela Schwesig und der damalige Justizminister Heiko Maas die Leitlinien für ein Gesetzesvorhaben zur Frauenquote in Aufsichtsräten. »Wir werden das Gesetz für mehr Frauen in Führungspositionen auf den Weg bringen.«[26] Die Verpflichtung von mehr als 100 börsennotierten Unternehmen zu einer Frauenquote von mindestens 30 % für Aufsichtsräte wurde 2015 verabschiedet und gilt seit dem 1. Januar 2016. Sie geht bis heute vielen zu weit, weil sie in die unternehmerische Handlungsfreiheit eingreift, und vielen nicht weit genug, weil die beabsichtigte Wirkung auf die Geschlechterverhältnisse in Vorständen und Führungspositionen bislang auf sich warten lässt.
Im Gespräch im Mai 2020 gibt sich Heiko Maas zu gleichen Teilen stolz und realistisch: »Wenn man mich fragen würde, was sind denn so Sachen, die du gemacht hast und die dir ganz besonders wichtig sind, dann ist das sicherlich einer der Punkte gewesen. Dafür muss sich niemand bedanken – allenfalls muss man sich dafür entschuldigen, dass es erst so spät passiert ist. Und ehrlich gesagt: Es ist ja die gesetzliche Frauenquote auch nur in den Aufsichtsräten. Das, was darunterliegt, die Vorstandsetagen, und das, was wir dort an Leitvorgaben gemacht haben, an die sich zu wenige halten, ist ein noch mal viel größerer Bereich.«
Ich war selbst lange gegen eine verbindliche Frauenquote. Ich hielt sie – und halte sie in Teilen noch immer – für einen unerhörten Eingriff in mein unternehmerisches Handeln. Außerdem war meine Agentur in Sachen Geschlechtergerechtigkeit hervorragend aufgestellt – im Team, in den Gehältern, auf der Führungsebene. Es ging doch also auch ohne Zwang. Doch je näher ich die deutsche Wirtschaft, die Konzerne und den Mittelstand, die Führungs- und Entscheidungsgremien kennenlernte, desto offensichtlicher wurde es, dass es eben nicht »einfach so« passieren würde. Nicht nur, dass mir überall Männer begegneten, manche bestanden auch darauf, unter sich zu bleiben. Mehr als einmal mussten wir als Agentur männliche Juniorkräfte anstelle der weiblichen Führungskraft Präsentationen halten lassen, weil der Kunde darauf bestand oder deutlich empfahl, einen Mann vor das Entscheidungsgremium zu stellen. Gut, wenn man es sich leisten kann, auf solche Kunden zu verzichten. Besser, wenn man es schafft, solche unternehmerischen Parallelgesellschaften aufzubrechen.
Natürlich wurde ich oft nach meiner Meinung zu einer gesetzlich verordneten Frauenquote gefragt. Kurz und knapp: Ich halte sie für ein essenzielles Instrument zur Herstellung von Geschlechtergerechtigkeit und zur Beschleunigung der zähen Veränderungsprozesse in der deutschen Wirtschaft. Idealerweise setzt man sie in der Wirtschaft im mittleren Management ein, um dort die Spitzenkräfte von morgen auszubilden. Denn je organischer der Wandel gestaltet wird, desto nachhaltiger wird er wirken, und desto schneller kann man eine künstliche Quotierung wieder abschaffen.
Selbstverständlich habe ich auch die erfolgreichen Männer nach ihrer Meinung zur verbindlichen Frauenquote gefragt, zunächst ganz binär: dafür oder dagegen? Elf von zweiundzwanzig Männern sprechen sich dafür aus, sechs dagegen. Fünf wägen laut das Für und Wider ab, ohne sich abschließend zu positionieren.
Die Befürworter sehen die Quote vor allem als Instrument, um die traditionellen, sich selbst kopierenden Männerzirkel aufzubrechen. Damit würde zum einen die Geschlechtergerechtigkeit gefördert, zum anderen die kognitive Vielfalt und damit die Handlungsfähigkeit der Unternehmen. »Es ist halt meine Erfahrung«, sagt Rainer Esser, »dass Typen gerne Typen einstellen, die so ähnlich aussehen wie sie, an ähnlichen Stellen lachen und ansonsten auch so sind wie sie selbst. Das bringt ein Unternehmen nicht voran.«
Das sieht einhorn-Gründer Waldemar Zeiler ganz ähnlich: »Es ist eben nicht so, als wären die ganzen Männer da oben, weil sie alle superbegabt sind. Die sind da hochgekommen aufgrund der Systeme.«
Ole von Beust sieht die Politik gefordert, in ihren Strukturen eine gesellschaftliche Normalität abzubilden, zu der eben auch ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis gehört: »Wenn man in Länder sieht, wo etwa die CDU unglaublich wenige Kandidatinnen und keine Frauen in Führungspositionen hat, dann braucht es eine Zeitlang eine Quote, bis es sich normalisiert hat. Um diese Normalität zu schaffen, einen großen Anteil an Frauen zu haben, bin ich inzwischen für eine Quote. Früher war ich eher dagegen, aber wenn es nicht hilft, muss man es eben machen.«
In diesem latenten Widerwillen sind sich viele Befürworter der Quote ebenso einig wie darin, dass die Quote eine befristete Lösung sein muss. »Ja, um Parität durchzusetzen. Danach eher nein, denn die führende Dimension sollte Kompetenz sein«, meint etwa Holger Friedrich. »In dem Moment, wo wir die Gleichstellung der Geschlechter wirklich erreicht haben, kann man das aufgeben«, entgegnet Gregor Gysi den Quotenskeptikern.
Etwas grundsätzlicher und systemischer denkt Joe Kaeser: »Wenn man es selbst nicht schafft, dann muss vielleicht der Gesetzgeber doch ein bisschen helfen. Ich war früher auch ein Gegner der Quote. Der Gedanke war: Nur weil man eine Quote erfüllen muss, nimmt man jemanden, der gar nicht qualifiziert ist? Dabei wäre die Frage doch eigentlich gewesen: Was mache ich, damit ich Frauen in einem frühen Stadium der Entwicklung so führen kann, dass sie nicht nur Quoten erfüllen, sondern den entsprechenden Beitrag leisten?« Ich fühle mich in diesem Augenblick sehr verstanden, denn wäre diese Frage schon früher öfter gestellt und beantwortet worden, wäre die Quotendiskussion völlig überflüssig. Da das aber größtenteils nicht geschehen ist, kann die Quote das Instrument sein, das Antworten einfordert. Wer sie nur als »Da muss jetzt halt ’ne Frau hin« versteht, hat nichts verstanden.
Joe Kaeser ist noch nicht fertig: »Vielleicht ist es ja doch so, dass weiße alte Männer ein unconscious bias haben. Und deshalb finde ich es gut, dass wir ehrlich mit dem Thema umgehen. Auch mit der Frage nach einer Quote. Aber die Frage ist eben dann auch: Kuriert man damit an den Symptomen oder geht man besser an den root cause und beschäftigt sich mit der Frage, wie können wir den Frauen, wenn man so will, nicht nur rechtlich, sondern auch inhaltlich gleichberechtigt die Möglichkeit geben, sich zu entfalten? Wir diskutieren nicht ausreichend darüber, was gemacht werden muss, damit diese Freiräume entstehen. Und wer sich damit nicht gut genug auseinandersetzt, der findet auch keine guten Lösungen. Außerdem ist es sehr wichtig, dass wir auch denjenigen besser zuhören, die es angeht: den Frauen.«