»Am Tag seines Amtsantritts trägt Thomas Meyer einen feinen Anzug in Königsblau. Er steht ihm ausgezeichnet; er betont seinen muskulösen Körperbau und seine großen, blauen Augen. Er strahlt Eleganz aus. In den gespannten Gesichtern seiner Zuschauer liest man die unausgesprochene Frage: Wie ist es ihm gelungen, es an die Spitze eines Weltkonzerns zu schaffen?«
Fiktives Unternehmerporträt aus der Studie »Die Ausnahme, die Rabenmutter, die Kämpferin« von Hering Schuppener[27]
»Ey, lass mal den Fasching durch!« Im schnoddrigen Tonfall Urberliner Herzlichkeit fordert ein Mann einen anderen dazu auf, für den Fasching Platz zu machen. Es ist ungefähr das Jahr 2006, und der Fasching, das bin ich. Ich bin jung, ich bin Jurastudentin, ich bin äußerst farbenfroh und kreativ gekleidet. Über meinen Studentenjob im Catering bin ich in eine Teamleitungsposition gekommen und verdiene da recht gutes Geld – mit dem mein Studienfreund Christoph Bornschein und ich säckeweise Klamotten in der Berliner Kastanienallee kaufen. Ein großer Spaß, der uns verbindet. Wenn ich heute Bilder von uns sehe, dann muss ich uns durchaus Geschmack attestieren. Katastrophalen Geschmack nämlich. Aber wir fühlen uns cool, »Fasching« ist für mich ein Kompliment, ich will verkörpern, wie wir uns fühlen: sorglos und unbeschwert, ohne jeden Hauch von Krise oder Verzweiflung einfach durchs Leben laufend. Es geht nicht um Aufmerksamkeit um jeden Preis. Es geht darum, so zu sein, wie wir sind.
»Warum sollte ich mich verkleiden?« ist die Titelzeile des ersten Interviews, das nach meiner Wahl zur Aufsichtsrätin 2017 erscheint.[28] Am Abend vor und am Morgen nach der freenet-Hauptversammlung geführt, geht es direkt zum Einstieg darum, was in meinem Koffer ist und was ich zur Hauptversammlung anziehe. Ich habe mich nach viel Beratung im Freundeskreis für eine etwas gedecktere, vielleicht sogar elegante Variante dessen entschieden, was ich eben trage: schwarze Jeans, schwarzes Oberteil, Chucks. »Das entspricht nicht gerade dem Klischee einer Aufsichtsrätin«, informiert mich meine Interviewpartnerin. Ich bin mir gar nicht sicher, was das Klischee einer Aufsichtsrätin ist. Ich muss an Perlenohrringe denken. Kann sich in einem Bereich, in dem nach sehr langer Diskussion gerade erst eine verpflichtende Frauenquote von 30 % eingeführt wurde, überhaupt schon ein Klischee entwickelt haben?
»Die Unternehmerin und Gründerin einer Digital-Agentur, die mit 34 die jüngste Frau in einem Aufsichtsrat war und die lieber Jeans und Sneakers statt Businesskostüm und strenge Mundwinkel trägt, wäre nicht so weit gekommen, wenn sie sich nicht authentisch als Marke im digitalen Umfeld positioniert hätte«, heißt es im Januar 2020 über mich. Eine Agenturgründerin erwähnt mich im Düsseldorfer Wirtschaftsmagazin VIVID als Beispiel für »authentische Persönlichkeitsmarken«.[29] Ein Kompliment, keine Frage und vielen Dank, aber es fühlt sich genauso seltsam an wie die Vorstellung, in ein Businesskostüm zu schlüpfen. Ich bin doch keine Marke, ich zieh doch nur was an.
Wie wichtig ein Personal Branding sei und welche Rolle mein Aussehen dabei spiele, fragt der Stern im Januar 2019.[30] Ob es der Personal Brand Fränzi Kühne helfe, dass sie anders aussieht als andere Aufsichtsräte, fragt der PR Report kurz darauf.[31] Gut, spätestens seitdem es der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawik als Axiom formuliert hat, wissen wir: Man kann nicht nicht kommunizieren. Und dementsprechend kann man es auch nicht vermeiden, als Person in der Öffentlichkeit auch zu einer Marke zu werden – selbst dann, wenn man sich aktiv dagegen wehrt. Vielleicht gerade dann. Ich hatte nur einfach gedacht, den Fokus auf die Frisur, die Kleidung, das Äußere und die Mutmaßungen darüber, was ich damit sagen und nicht sagen will, mit meiner Zeit als Fasching hinter mir gelassen zu haben. Ich trage Kleidung, die mir gefällt, wähle Marken bewusst aus, unterhalte mich auch mit Gründer*innen und anderen Frauen über Mode und Accessoires. Insbesondere Taschen, die auf Kurzreisen praktisch und im Business-Kontext dennoch elegant genug sind, sind hier gelegentlich Thema. Aber meine Zeiten des lauten »Hier-bin-ich-und-hier-ist-mein-Lebensgefühl«-Stils sind vorerst einfach vorbei.
Doch der Fokus auf das Äußere, gerade bei Frauen und erst recht bei erfolgreichen Frauen, ist bewährte Tradition. Das hat nicht mit mir angefangen und wird wohl auch nicht mit mir aufhören. Angela Merkels Hosenanzüge, Maja Göpels Blusen, Birgit Schrowanges graue Haare. Als der FOCUS 2009 anlässlich des Prozessauftaktes zur sogenannten »Gigolo-Affäre« die Unternehmerin Susanne Klatten porträtiert, lauten die ersten fünf Worte: »Sie hat ihre Frisur verändert.«[32] Als die WirtschaftsWoche 2019 über den Führungsstil der neuen SAP-Chefin Jennifer Morgan schreibt, eröffnet der Artikel mit: »Das Kleid mit den großen roten Rosen auf schwarzem Grund hat die neue Frau an der Spitze von SAP an diesem Nachmittag ganz bewusst gewählt.«[33] Ganz bewusst und zum wiederholten Male übrigens, weil sie Arianna Huffingtons #repeats-Stilprinzip folgte. Das wiederholte Tragen von Kleidung, in der sich Frauen wohlfühlen, soll laut Huffington die Frauen vom Fashion-Druck entlasten und das Thema Kleidung aus dem Fokus nehmen. Im Fall Jennifer Morgan jedoch hat dieser Schritt ihr Kleid zum Aufhänger der Geschichte gemacht.
Die erfolgreiche Frau ist offenbar auch dann, wenn es tatsächlich um Fach- und Sachthemen wie ihren Führungsstil geht, unvollkommen und nackt, wenn sie nicht durch die Beschreibung angezogen wird, und unfrisiert, wenn ihr niemand medial das Haar richtet. Beim erfolgreichen Mann ist das Aussehen nur sehr selten Thema – meist dann, wenn er von klassischen Standards abweicht und wie mein Mitgründer Christoph Bornschein mit wirrem Haar, Hoodie und Turnschuhen Vorträge vor Vorständen hält oder wie Kai Diekmann mit Bart und Hoodie aus dem Silicon-Valley-Bildungsurlaub zurückkehrt. Ansonsten werden Männer über ihren Erfolg und ihre Position definiert. Frauen darüber, dass sie Frauen sind, die nun zu Erfolg und Positionen gekommen sind. »Vielen Männern ist in der Berichterstattung eine ideale Politiker-, Manager- und Wissenschaftlermännlichkeit auf den Leib geschrieben, Profession und Männlichkeit verschmelzen in der medialen Charakterisierung. Bei der attribuierten Weiblichkeit ist der professionelle Status hingegen nachgeordnet oder unsichtbar.« So beschreiben es 2008 vier Berliner und Lüneburger Forscherinnen in der Studie »Spitzenfrauen im Fokus der Medien«.[34] »Bei den Frauen«, so stellen sie fest, »findet sich in der Berichterstattung eine größere sprachliche Differenziertheit und Vielfalt, wenn über die Körper und die Einkleidungen der Frauen berichtet wird.«
Zwölf Jahre später, im März 2020, veröffentlicht die Kommunikationsberatung Hering Schuppener eine ähnliche Studie mit ähnlichen Ergebnissen. In »Die Ausnahme, die Rabenmutter, die Kämpferin« analysiert das Autor*innenteam 850 Presseartikel großer deutscher Tageszeitungen und Wirtschaftsmedien in Bezug auf die Darstellung männlicher und weiblicher Führungskräfte. Eine ihrer Erkenntnisse: Während das Erscheinungsbild der Männer durchaus auch Thema ist, wird es bei Frauen ausführlicher beschrieben. »Dementsprechend nimmt das Erscheinungsbild von Frauen 30 % mehr Raum ein als bei Männern.«[35] Offenbar hat sich seit 2008 wenig grundsätzlich geändert, es gibt nur mehr Online-Synonymwörterbücher.
Ergänzend zu den Studienergebnissen sprechen die Autor*innen der Studie mit sechs erfolgreichen Frauen über ihre mediale Darstellung, darunter Janina Kugel, Unternehmensberaterin und ehemaliges Siemens-Vorstandsmitglied, die mit den bislang medial verstärkten Strömungen eher unzufrieden ist: »Die Berichterstattung über Frauen fällt oft deutlich wertender aus als die über Männer. Bei Frauen wird nicht nur über die Leistung im jeweiligen Verantwortungsbereich geurteilt, sondern auch über die Persönlichkeit. Auch das Äußere wird immer wieder bewertet. Mir fällt nur ein einziger Mann ein, über dessen Aussehen und dessen Anzüge ständig geschrieben wird, und das ist Heiko Maas.«[36]