Frater Rafael ist die Wildcard in meinem Kreis der erfolgreichen Männer. Der 1996 in Berlin-Biesdorf geborene Rafael Maria Klose wächst in einem weitgehend atheistischen Umfeld auf, entdeckt jedoch in seiner Jugend seinen Glauben und seine Liebe zu Gott. Er lässt sich mit 17 taufen und tritt nach Abitur und Bundesfreiwilligendienst in den Orden der Dominikaner ein. »Für mich war einfach klar, dass der Glaube für mein Leben eine wichtige Rolle spielen sollte. Ich habe das als großes Geschenk empfunden.« Im Dominikanerkonvent in Worms legt er sein Ordensgelübde ab, zurzeit studiert er Katholische Theologie in Wien und lebt auch dort im Konvent der Dominikaner. Sein Ziel ist es, Priester zu werden. Während unseres Gesprächs sitzt er in einem schmucklosen Raum mit viel Holzmobiliar, er spricht langsam und aufgeräumt, wirkt von seiner Sache sehr überzeugt, gelegentlich überzeugend, oft einfach sehr jung.
Mir imponiert an ihm, dass er sehr früh und aus tiefer Überzeugung einen Karriereweg gewählt hat, der mit den gängigen Schlüsselparametern, Symbolen und Leistungskennzahlen des Erfolges so gar nichts zu tun hat. Vielleicht macht ihn das jetzt schon zum erfolgreichsten Mann auf meiner Liste. Auf jeden Fall macht es ihn zum Mann mit der klarsten Kleiderordnung.
»Vielleicht sollte ich mal aufstehen«, sagt er, als ich um eine Beschreibung seines Outfits bitte. Knarzend schiebt er den Stuhl in den Hintergrund und geht ein paar Schritte zurück. Für einen Moment sehe ich gar nichts: Die strahlend weiße Ordenstracht der Dominikaner überfordert die Helligkeitssensoren von Frater Rafaels Webcam. Dann erscheinen im Licht die Umrisse des jungen Mannes. Der Raum wird wieder schmucklos, in der Mitte steht der Ordensmann, vom Ledergürtel des Dominikanerordens abgesehen ganz in Weiß. Ein sehr eindrucksvolles Bild. Ich frage mich leise, ob er weiß, wie das wirkt.
Er bleibt nüchtern und freundlich: »Das ist mein Ordensgewand, der sogenannte Habit. Das kommt vom Lateinischen her, habitus, und das bedeutet so viel wie Einstellung.« Frater Rafael kommt wieder an den Tisch, hockt sich vor den Rechner. »Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass das mehr ist als ein Kostüm oder eine Arbeitskleidung, sondern dass äußerlich das zum Ausdruck kommt, was wir von unserer inneren Einstellung her zu leben versuchen.«
Ich gehe zur nächsten Frage im Fragebogen über, die mir in ihrer Formulierung jetzt etwas respektlos erscheint: Das heißt, das ist dein Standard-Outfit?
Frater Rafael setzt zur Antwort an, pausiert, schaut sich dann kurz suchend um. »Ich hole mal meinen Stuhl zurück.« Wieder sitzend: »Genau. Hier im Konvent trage ich immer den Habit, der ja auch Zeichen der Gemeinschaft ist. Ich versuche, ihn auch zu tragen, wenn ich draußen unterwegs bin. Nicht in jeder Situation, nicht wenn ich einkaufen gehe oder so. Das empfinde ich dann auch als unpassend. Aber ich versuche, ihn auch nach außen zu tragen, um den Glauben auch sichtbar zu machen und zu zeigen: Es gibt auch diese Art zu leben, und es gibt auch heute Menschen, die sich dafür entscheiden.«
Mich beeindruckt die Absicht, mit so viel weißem Stoff so viel nach innen und nach außen sagen und symbolisieren zu wollen. Die schlichteste Kleidung will am meisten erzählen und ist für den Außenstehenden meist doch nur ein einfaches Zeichen: Guck an, ein Ordensmann. Und gleichzeitig, anderswo, werden die aufwendigsten Kleider mit größter Aufmerksamkeit beschrieben und interpretiert und sind am Ende doch nur Kleider.
»Mein Standard-Outfit ist Anzug mit Krawatte«, sagt der Social-Distancing-verwahrloste Heiko Maas. »Das hat natürlich etwas damit zu tun, dass ich regelmäßig Gäste empfange im Außenministerium, internationale Gäste. Und auch wenn ich es persönlich so ungezwungen wie möglich mag, von der Kleidung, vom Verhalten, vom Ablauf her, ist beruflich selbstverständlich völlig klar: Wenn ich mich mit Leuten aus anderen Kulturkreisen treffe, gibt es die Erwartung, dass man sich genauso an den Dresscode hält wie die Gäste. Und wenn man das nicht tut, wird es als eine Form von Respektlosigkeit empfunden. Teilweise ist schon das Nichttragen einer Krawatte eine Respektlosigkeit, die man dann einem Land, einer ganzen Gesellschaft, einem ganzen Volk gegenüber demonstriert. Solche Signale will ich natürlich auf gar keinen Fall aussenden. Das ist für mich das Wichtigste überhaupt, wo Menschen zusammenkommen: dass man sich mit Respekt gegenübertritt. Und wenn andere bestimmte Erwartungen haben, wie man Respekt äußerlich zum Ausdruck bringt, dann will ich dem auch gerne entgegenkommen.«
Das ist ein weiterer interessanter Aspekt an Kleidung, Codes und Kommunikation. Denn es ist ja nicht so, dass Anzug und Krawatte dort, wo sie der Dresscode vorgibt, auf eine besondere, explizite, aktive Weise Respekt ausdrücken. Anzug und Krawatte sind in diesem Fall ein Hygienefaktor, ein Standard, den es zu erfüllen gilt. Ein echter Akt der Kommunikation wäre in diesem Sinne das absichtsvolle Ignorieren dieser Standards. Wie Maas sagt: eine Demonstration von Respektlosigkeit. Das wäre ein Statement, ein unkluges in diesem Fall. Und vielleicht ist es die Vermutung, ich wolle ein Statement setzen, eventuell sogar ein unkluges, die meine Kleiderwahl zu meiner ersten freenet-Hauptversammlung so sehr zum Thema gemacht hat. Vielleicht ist es die Vermutung, Frauen wollten generell mit ihrer Kleidung Statements setzen, die ihr Äußeres so sehr zum Thema macht. Wie ich ganz am Anfang schon sagte: Es gibt noch keine bewährten Standards für den journalistischen Blick auf die erfolgreiche Frau. Also konzentriert man sich darauf, was sie vom bisherigen Standard abhebt – ihr Frausein und ihre Kleidung. Meine steile These hier aber: Die meisten Frauen wollen in den meisten Fällen mit ihrer Kleidung gar kein Statement setzen.
»Ich habe eine Regel: Über Kleidung will ich kein Statement senden«, sagt auch Jörg Eigendorf, der Konzernsprecher der Deutschen Bank, »obwohl man das natürlich immer tut.« Aber ist denn seine Kleidung (Turnschuhe, Jeans, Hemd) in seinem Umfeld der Standard? Eigendorf räumt ein, dass es schon gewisse Regeln gibt, aber: »Die Frage ist doch: Muss es sein, oder kann es sein?« Wie weit kann man die Grenzen des Regelwerks dehnen, ohne ein Statement zu setzen? »Ich ziehe eigentlich nie Krawatten an. Ich habe irgendwann mal gesagt, dass ich jedes Mal, wenn wir Ergebnisse veröffentlichen, eine Krawatte anziehe, also einmal im Quartal. Dann bin ich damals in den Raum gekommen, und ein Vorstand sagte: ›Mensch, du hast ja eine Krawatte an, jetzt musst du dich nur noch rasieren.‹ Da habe ich gesagt: Wenn ich das tu, kannst du mich feuern.«
Eigendorf hat seinen Job noch, hat sich bislang nicht rasiert, trägt keine Krawatten mehr zu Quartalssitzungen. Aber mit Turnschuhen, Jeans und Hemd kein Statement zu setzen, würde ich sagen, gelingt ihm nicht. Auch wenn die Krawatte bei Vorstandssitzungen der Deutschen Bank längst nicht mehr die Regel ist: Der kleine Krawattenscherz des Vorstands ist eben auch ein freundlicher Gruß der alten Kleiderordnung, die Eigendorf hier wohlgelaunt ignoriert. Und das passt ja auch zu seiner Rolle bei der Deutschen Bank: »Ich bin ja auch reingeholt worden, weil ich einen anderen Blick auf unsere Bank habe und etwas anderes verkörpere.«