Das ist die Dynamik, die ich meinte: Die zwei Herzen, die in Jörg Eigendorfs Brust schlagen, haben Christoph Mönnikes und Sigrid Nikutta sauber unter sich aufgeteilt. Was die beiden zur Ausnahmeerscheinung – und damit ihn offenbar zum Spitzenvater – macht, ist tatsächlich nur die Umkehr der klassischen Vorzeichen. Doch auch wenn ich die Großfamilie mit Bahnanschluss deshalb für ein eher ungeeignetes Modell für die Vereinbarkeit von Kind und Karriere halte, beeindruckt mich der Pragmatismus, mit dem sie aus einer besonderen Karrieresituation – er auf beruflicher Konstante, sie auf dem Weg nach oben – ihr eigenes Familienmodell entwickelt haben. Meine These: So klar denken nicht viele über die Rollenverteilung in der Familie nach. Meist greift doch ein traditioneller Automatismus, wie ihn Christoph Mönnikes beschreibt: Die Frau wird zur Familienbeauftragten, unabhängig von Gehalt und Karriereaussichten.
Dieses Muster spiegelt sich auch in der Elternzeitquote: Neun von zehn Müttern nehmen Elternzeit, aber nur knapp vier von zehn Vätern. Und von diesen vieren nehmen drei nur das Minimum von zwei Partnermonaten. Claire Samtleben, Autorin einer Elternzeitstudie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, kommentiert: »Es verwundert daher kaum, dass die ›Partnermonate‹ im alltäglichen Sprachgebrauch zu ›Vätermonaten‹ wurden, denn das typische Nutzungsmuster beim Elterngeld ist, dass der Vater zwei Monate nimmt und die Mutter die übrigen zwölf.«[44] Als Motiv dafür, nicht länger Elternzeit zu nehmen, nennt die Mehrheit der Väter finanzielle Gründe. Ein weiterer Grund ist die Sorge vor möglichen Nachteilen im Beruf. Dafür gibt es, so die Studie des DIW, »bisher zwar keine wissenschaftlichen Belege«, doch die Möglichkeit allein reicht offenbar schon: Väter wägen zwischen Kind und Karriere ab und treffen eine Entscheidung.
Wie war es denn bei den Männern, die zweifellos Karriere gemacht haben? Von den 17 Befragten, die Kinder haben und darüber sprechen wollen, verneinen 10, jemals zwischen Karriere und Kind abgewogen zu haben. »Dass das, was ich bisher gemacht habe, ein Familienleben nicht erleichtert, ist mir immer klar gewesen. Aber ich hatte nicht das Gefühl, dass mein Berufsleben mein Familienleben komplett unmöglich macht«, stelzt Heiko Maas etwas umständlich um ein eindeutiges »Nein« herum. »Ehrlich gesagt: Nein. Es kommt, wie es kommt«, ist Rainer Esser da eindeutiger. »Nee, nie«, ist Holger Friedrich noch klarer, um dann auszuführen: »Zu einem erfüllten Leben gehört die Herausforderung. Und es gibt nichts Herausfordernderes und Erfüllenderes als Kinder. Insofern habe ich mir immer gewünscht, dass es in irgendeiner Art und Weise gelingt. Es hängt stark davon ab, welchen Partner man findet. Und für mich war ergänzend klar, dass ich ein finanziell selbstbestimmtes Leben führen möchte, was wiederum in der direkten Folge Unternehmertum bedeutet. Es ist eine Kausalkette: unabhängig sein wollen, diese Unabhängigkeit ermöglichen und eine Familie ernähren können.«
Das ist tatsächlich die Prioritätenkette, die mir bei vielen Männern begegnet. Teilweise liegt das einfach an der zeitlichen Abfolge, wie bei Jean-Remy von Matt: »In den ersten Jahren nach unserer Gründung hatte ich noch keine Kinder und konnte mich ungehemmt um das Wohl der Firma kümmern. Danach war ich immer bemüht, auch der Familie gerecht zu werden. Aber man kennt ja die Formulierung ›war immer bemüht‹.«
Auch Jürgen Bornschein musste nicht abwägen. »Da bin ich in einer sehr komfortablen Lage. Meine Frau und ich hatten immer so eine stillschweigende Vereinbarung. Sie wollte gern zu Hause bleiben beim Kind. Und dafür musste ich mehr arbeiten. Sie hat mich unterstützt.«
»Das musste ich nicht«, verneint auch Frank-Peter Weiß (zwei Kinder) das Abwägen zwischen Kind und Karriere. »Ich hatte den glücklichen Umstand, dass meine Frau mir da viel abgenommen hat. Die Kinder hatten Glück, dass sie eine Lehrerin als Mutter hatten, die kam dann am Nachmittag nach Hause und konnte sich um die Kinder kümmern.« So einfach kann das sein.
Vielleicht ist es nur ein Generationenunterschied, aber wenn ich an die Vielzahl von Absprachen, Konflikten und Unsicherheiten rund um meine Familie, meine Firma und mich denke, dann ist mir diese Beiläufigkeit schlicht ein Rätsel. Natürlich habe auch ich Glück mit meinem Partner, aber doch nicht, weil er mich vor meiner Mutterrolle schützt. Der Vater meiner Tochter hat viel Verantwortung übernommen – aber er hat in ihren ersten Lebensjahren auch ein sehr dickes und sehr gutes Buch über die Ramones geschrieben und es auf große Lesetour gebracht. Das kann er, weil wir uns die Aufgaben tatsächlich teilen, weil Erziehung, Betreuung und Management eben auch mein Thema sind: Ich bin’s, die Wächterin des Familienkalenders, die Hüterin des Kinderkleiderschranks, die Chefdiplomatin für multilaterale Kindergartenbeziehungen!
Machen wir einen kurzen Generationencheck: Waldemar Zeiler spricht immerhin nicht von Glück, er spricht von Naivität: »Beim ersten Kind waren wir einfach naiv: Wir sind Unternehmer, wir kriegen das hin.« Der einhorn-Mitgründer und seine Frau Susann Hoffmann, Co-Gründerin der Frauen-Business-Plattform Edition F, sind seit 2016 Eltern. Beide eint der Anspruch, sich die Elternrolle gerecht zu teilen. So kehrt Susann Hoffmann nach zwei Monaten Elternzeit wieder anteilig in ihre Firma zurück, Zeiler zieht sich aus seiner Firma anteilig raus. Jeder übernimmt zwei Tage, an einem Tag kommt Omi, die Wochenenden verbringen sie gemeinsam. Vor allem Zeiler ist optimistisch, alles schon unter einen Hut zu bekommen: »Niemand hat tatsächlich vor Augen gehabt, dass es eine Beeinträchtigung für mein unternehmerisches Handeln hat, wenn da ein Kind kommt. Ich weiß aber auch, dass wir versucht haben, uns das relativ gleichberechtigt zu teilen. Auch wenn Susann viel mehr gemacht hat als ich, war das eine krasse Einschränkung. Aber das hat niemand so wahrgenommen, weil es einfach keiner so kennt, dass es für einen Mann eine Einschränkung gibt.«
Waldemar Zeiler wird 1982 »in der weiten Steppe Kasachstans« geboren. Über diese Grundinformation hinaus hält er sich mit biographischen Daten bedeckt. Er studiert International Business in Maastricht und Manila, wird Unternehmensberater und Unternehmensgründer. Mit 20 ist es sein Ziel, mit 30 Millionär zu sein, doch auf dem Weg dahin verbrennt er vor allem Geld und sich selbst. Mehrere Angestelltenverhältnisse zerbrechen an seinen Ansprüchen, mehrere eigene Ideen scheitern. Weder vorgefertigte Lebensläufe noch UMTS-Tagespässe noch das Geschäft mit Saunen machen Zeiler zum Millionär. Schließlich Burnout, Ruhephase, Rückbesinnung. 2015 gründet er gemeinsam mit Philip Siefer das Kondom-Start-up einhorn. Mit einem manchmal sauber geplant, manchmal komplett chaotisch wirkenden Mix aus gutem Marketing, öffentlichkeitswirksamen juristischen Streitigkeiten, klugen Kooperationen und der Positionierung als unternehmerische Vorreiter in praktisch allen Gesellschaftsfragen von Feminismus über Nachhaltigkeit bis zu New Work machen die beiden ihr Unternehmen zum PR- und Bilanzerfolg. Zeilers Optimismus ist also nicht unbegründet, wenn es ums nächste große Projekt geht: das gemeinsame Kind mit Susann Hoffmann, die gleichberechtigte Übernahme elterlicher Pflichten, der vorübergehende Teilrückzug aus dem Geschäftsalltag.
»Aber die Realität ist natürlich knallhart. Bei bestimmten Entscheidungen oder Prozessen – abends noch ein Bierchen trinken, das ging einfach nicht mehr, ich war einfach nicht da.« Zeiler kommt dem Unternehmen abhanden, das Unternehmen ihm. »Natürlich fühlt man sich auch ständig bei bestimmten Themen ausgeschlossen, auch wenn das meine Partnerin noch krasser erlebt hat. Man hat das gegründet, hat alles getrieben, auf einmal verpasst man bei bestimmten Themen den Anschluss, weil man nicht da sein kann oder nicht fit genug ist.«
Nach einer Weile finden Zeiler und Hoffmann den jeweiligen Anschluss wieder und bleiben erfolgreich. Doch wenn alles ganz besonders homogen und harmonisch scheint, fallen kleine Abweichungen erst recht auf: Seine Frau hat »viel mehr gemacht«, die Distanz zu ihrer Arbeit »noch krasser erlebt«. Hier spricht Waldemar Zeiler, dessen Unternehmen Mitarbeiter*innen, die ein Kind erwarten, automatisch eine Gehaltserhöhung bietet, damit sie beim familiären Verhandeln um Kind und Karriere gute Karten haben. Der das Thema Feminismus in der Unternehmensstrategie verankert sieht und auch in Vorträgen repräsentiert. Der Freund der Frauen-Business-Plattform-Gründerin Susann Hoffmann. Hier spricht ein Mann, der sich vorgenommen hat, vollkommen gleichberechtigt in das Projekt der Elternschaft zu gehen. Und selbst in diesem Konstrukt und trotz seiner persönlichen Belastung, Müdigkeit und Erschöpfung wird beiläufig und in Nebensätzen deutlich, dass all das für ihn als Mann und Vater am Ende immer noch das kleine bisschen einfacher war als für seine Frau.
Haben Waldemar Zeiler und Susann Hoffmann denn zwischen Kind und Karriere abgewogen? »Ja, jetzt, beim zweiten Kind. Beim ersten wusste ich selbst nicht, worauf man sich einlässt. Deswegen war das im Vorfeld keine Frage. Ein Kind war eher etwas … damit erreichst du ein Level, erfährst neue Sachen, erfährst auch einen Grad von Liebe, den du vorher nicht kanntest. Eigentlich war immer klar, wir wollen ein zweites Kind. Und jetzt fragen wir uns: Geht das überhaupt so? Geht das mit dem, was wir beide beruflich vorhaben, was die Ambitionen sind? Beim zweiten Kind fragen wir uns das auf jeden Fall.«