Als ich aufwachte, hatte ich rasende Kopfschmerzen. Etwas verwirrt betrachtete ich die flackernden Kerzen und brauchte einen Moment, um zu erfassen, wo ich eigentlich war und was sich in diesem seltsamen Raum im Untergeschoss des Palisades abgespielt hatte.
Ruckartig setzte ich mich auf und spürte, wie mein Herz raste. Da war ein eigenartiger Geschmack ganz hinten auf meiner Zunge. Ich schlug die Bettdecke zur Seite und stellte mit großer Erleichterung fest, dass ich nicht nackt war. Ich konnte mich daran erinnern, dass ich mit Roth hergekommen war, mit Cayman und den bösartigen Dämonenzwillingen geredet hatte und dann …
O mein Gott!
Ich wusste auch, dass ich von der Seele dieser Frau gekostet hatte.
Seltsamerweise war die Übelkeit, die sonst dem Hochgefühl nach dem Kosten einer Seele folgte, diesmal nur minimal wahrnehmbar. Es war mehr ein leichter Druck auf den Magen, aber das war harmlos im Vergleich zu dem, was ich sonst schon durchgemacht hatte.
Ich stieg aus dem Bett und sah mich in Roths Loft um. Am Bettrand lag das kleine weiße Kätzchen und streckte sich genüsslich. Als das Tier mich sah, fauchte es. Die schwarz-weiße Katze saß auf dem Klavier und stand auf, um gemächlich über die Tasten zu spazieren. Jeder Ton, den das Kätzchen dabei anschlug, tat mir in den Ohren weh. Aus dem Augenwinkel entdeckte ich einen Schatten, der an der Glaswand vorbeistrich und dabei für einen Moment den Mondschein und das Licht von den Gebäuden ringsum absorbierte. Voller Angst drehte ich mich um.
Aber da war nichts.
Ich sah zur Badezimmertür. Sie stand offen, aber sie war geschlossen gewesen, als ich … O verflucht! Roth. Ich hatte mich an ihn rangemacht. Oder genauer gesagt: Ich hatte ihn auf den Rücken geworfen und mich auf ihn gesetzt. Ich hatte ihn geküsst, und er hatte den Kuss erwidert, dann aber das beendet, was ich sehr wahrscheinlich einfach fortgesetzt hätte.
Ich legte mir eine Hand an die Schläfe und verzog den Mund. In diesem Augenblick wusste ich nicht, was schlimmer war: dass ich Roth belästigt hatte, bis er sich vor mir ins Badezimmer flüchten musste, oder dass ich eine Seele gekostet hatte.
Wieder sah ich mich um, konnte Roth aber nirgends entdecken. Jeder Schritt war eine Qual, meine Beine fühlten sich wacklig an. Meine Schuhe und mein Kapuzenshirt lagen zusammen mit meiner Tasche auf einem Stuhl neben der Tür. Ich konnte mich nicht mal mehr erinnern, dass ich die Tasche mitgebracht hatte. Nachdem ich mein Handy herausgekramt hatte, tippte ich auf das Display. Stacey hatte zweimal versucht, mich zu erreichen. Zaynes Anrufe konnte ich gar nicht erst zählen. Erst dann fiel mir die Uhrzeit auf.
3:15 Uhr am Morgen.
„O Scheiße“, schrie ich, das Kätzchen auf dem Piano zuckte hoch und rannte los. Das Tempo der missklingenden Töne entsprach meinem erhöhten Puls. „Scheiße, Scheiße, Scheiße!“
Ich wühlte in der Tasche nach meiner Brieftasche, die ich zwischen Notizblöcken entdeckte. Ich musste ein Taxi bekommen. Als ich das Handy wegsteckte, fielen mir die entgangenen Anrufe von Zayne ein. Er war sicher in Panik geraten und hatte geglaubt, dass … Nein, diesen Gedanken konnte ich nicht zu Ende führen. Meine Hand zitterte, als ich nach dem Tragegurt der Tasche fasste. Natürlich musste ich ihn anrufen, aber ich konnte mich nur darauf konzentrieren, einen Fuß vor den anderen zu setzen.
Wo war Roth?
Es war egal. Er hatte mich hergebracht und … und mich stundenlang schlafen lassen. Wut überkam mich, aber konnte ich ihm wirklich die Schuld an dieser Bescherung geben? Ich hätte auf meinen Instinkt hören sollen, stattdessen war ich mit ihm hergekommen. Ich war diejenige, die mit Sucky und Inky getanzt hatte, und auch wenn die zwei irgendwas mit mir angestellt hatten, änderte es nichts daran, dass ich von der Seele dieser Frau gekostet hatte. Es war so, als hätte Roth mit seinem Vorschlag, meiner bösen Seite freien Lauf zu lassen, eine Tür geöffnet, durch die ich prompt gerannt war.
Ich hatte mir das Ganze selbst eingebrockt.
Es kostete mich ungeheuer viel Energie, zur Tür zu gehen und sie zu öffnen. Im Korridor vor dem Loft saßen die beiden Höllenhunde wie Wachposten. Die Ohren hatten sie gespitzt, aber sie drehten sich nicht zu mir um. Als ich an ihnen vorbeiging, bemerkte ich das Spiel ihrer Rückenmuskeln. Ich hielt den Atem an und betete, dass sie nicht auf die Idee kamen, mich aufzufressen. Dann hatte ich endlich das Ende des langen Gangs erreicht und machte die Tür zum Treppenhaus auf.
Ich stürmte Etage um Etage nach unten, bis ich auf einmal gellende Schreie hörte. Vor der Tür, die in die Lobby führte, blieb ich wie erstarrt stehen. Ausgelassenes Gelächter schallte durch das Treppenhaus, immer wieder untermalt von Schreien und lautem Stöhnen.
Was war da los?
Ich wich zurück, dabei fiel mir der Durchgang zum Parkhaus auf. Alles war besser, als noch einmal diese Bar zu betreten, diesen Ort des Wahnsinns, wenn Roth nicht bei mir war. Oder hielt er sich in der Lobby auf und genoss die Party?
Durch den Zugang gelangte ich in das düstere Parkhaus und von dort nach draußen auf die Straße. Mein dünner Sweater nützte bei der kalten Nachtluft nicht viel. Ich drückte die Tasche an mich und schlang die Arme um mich, während ich durch die nebelverhangenen Straßen lief. Auf einmal musste ich an Jack the Ripper denken. Hatte der seine Opfer in London nicht immer bei Nebel überfallen? Nicht, dass ich mich gegen einen Serienmörder nicht zur Wehr hätte setzen können, trotzdem gruselte mir bei der bloßen Vorstellung.
Ich lief weiter und hielt dabei Ausschau nach einem Taxi. Gott, ich hatte mir ja solchen Ärger eingehandelt. Ich hatte eine Seele gekostet. Mein Inneres verkrampfte sich vor Scham und schlechtem Gewissen, bis ich mich ermahnte, nicht länger darüber nachzudenken. Schließlich konnte ich daran sowieso nichts mehr ändern.
Was hatte ich bloß getan?
Der Entzug hatte offenbar noch nicht eingesetzt, und ich verdiente dieses Wechselbad aus heißen und kalten Schauern ebenso wie den Hunger, der nicht gestillt werden konnte. Das alles und noch viel mehr hatte ich verdient.
Die Gebäude standen ruhig und dunkel da. Als ich die Straße überquerte, fiel mir auf, dass sich ein Schatten vom Rest gelöst hatte und neben mir über den Gehweg huschte. Er war dicker und größer als mein eigener schmächtiger Schatten, und ein ausgeprägter Schwefelgeruch verdrängte den fauligen Geruch vom nahen Fluss.
Ich blieb stehen.
Der Schatten hielt an.
Mir gefror das Blut in den Adern, während der Gestank nach faulen Eiern so intensiv wurde, dass mir die Tränen in die Augen schossen. Der Schatten hob die Arme hoch in die Luft, beugte sich zu einer Seite und hob ein Bein an. Der dichte Nebel zog sich davor zurück, als wollte er mit etwas so Abscheulichem nicht in Berührung kommen. Langsam begann sich der Schatten wie die Primaballerina auf dieser Schmuckdose zu drehen, die ich noch nie benutzt hatte.
O verdammt.
Das war ein Schemen – ein dämonischer Geist. Die Sorte, die von schwachen Menschen Besitz ergreifen und sehr viel Ärger verursachen konnte.
Ein eisiges Lachen schien von dem Schemen, dem Gehweg und allen Gebäuden ringsum auszugehen. Das Lachen umhüllte mich und bewirkte, dass mir alle feinen Härchen an meinem Körper zu Berge standen. Ich machte einen Schritt nach hinten.
Der Schemen hielt inne, setzte sein Bein auf den Boden, dann stemmte er die rauchigen Arme auf die Partie, die ich für seine Hüften hielt, und vollführte einen kleinen fröhlichen Tanz. Schließlich verbeugte er sich und hielt mir eine durchsichtige Hand hin. Die dünnen Finger wackelten hin und her wie eine Einladung zum Tanz.
Weitere Schemen gesellten sich dazu und schlossen sich dem bizarren Treiben an. Sie wirbelten um mich herum und sorgten dafür, dass sich dichte Nebelschwaden auflösten. In schwindelerregendem Tempo machten sie weiter und winkten mir zu, damit ich mich ihnen anschloss. Es erinnerte mich an diese Zwillinge und an den Anblick der fleischlosen Gesichter im Club.
Für so was hatte ich nun wirklich keine Zeit.
„Geht weg“, drängte ich sie. „Ich will nichts von dem, was ihr mir anbietet.“
Sie stoppten mitten in der Bewegung und neigten ihre rauchigen Köpfe zur Seite – nur nicht der erste Schemen. Der schwoll mit jeder Sekunde mehr an und wurde dabei fester und fester. Es begann Asche zu regnen, die auf meinen Händen und Haaren landete und nach Bösartigkeit und verbranntem Fleisch roch.
„Aber wir haben Zeit für dich“, erwiderte der Schemen heiser. „Wir wissen, wonach du suchst.“
Alle meine Instinkte schrien mich an, so schnell wie möglich wegzulaufen, doch ich blieb stehen. „Tatsächlich?“
Der Schemen nickte, und Rauch stieg auf. „Du suchst die Lilin, aber du suchst am falschen Ort.“
„Wow, besten Dank für den nützlichen Hinweis.“
Der Schemen lachte, was die Glasscheiben der Gebäude um uns herum erzittern ließ. „Du suchst zu weit weg. Du musst es in der Nähe versuchen, ganz in der Nähe“, verkündete er. „Die Wahrheit ist viel seltsamer als alles, was deine Fantasie sich ausdenken könnte.“
Gegen meinen Willen beugte ich mich vor, da die rauchige Stimme mich anzog.
Das wabernde Gesicht nahm Gestalt an, zwei Augen brannten in einem Meer aus sich windenden länglichen Dingern. Maden.
Schreiend machte ich einen Satz nach hinten und rannte los. Meine lauten Schritte auf dem Asphalt wurden von den Hauswänden zurückgeworfen. Die Schemen setzten zur Verfolgung an und liefen lachend neben mir her, während ich verzweifelt versuchte, sie irgendwie hinter mir zu lassen. Ich sah Leute auf der Straße, Obdachlose. Menschen, die wohl schon so gut wie alles zu sehen bekommen hatten. Doch als sie mich bemerkten, zogen sie sich in schmale Gassen oder einfach nur aus dem Licht der Straßenlampen zurück, um nicht auf sich aufmerksam zu machen.
Der Schemen mit dem Madengesicht ließ sich zurückfallen und stieg wirbelnd in den Himmel auf. Ein Luftzug erfasste mich, als ein zweiter die Verfolgung abbrach. Mitten in dem rauchigen Gesicht verliefen die Details, als wäre das Gesicht aus flüssigem Kerzenwachs. Einer nach dem anderen ließ mich in Ruhe, aber jeder von ihnen war schrecklicher anzusehen als der vorangegangene. Der Letzte, der fast greifbar fest war, sah mich mit meinem eigenen Gesicht an.
Erschrocken blieb ich stehen.
Meine eigenen runden Augen blickten mich an, aber sie waren seltsam verändert. Das Grau wurde in der Mitte durch einen schmalen Spalt geteilt, so wie bei einer Katze – und so, wie es mir erging, wenn ich mich wandelte. Mein Gesicht fauchte mich an und zeigte mir einen Mund voller Maden anstelle von Zähnen.
Ich war so entsetzt, dass ich nicht wegsehen konnte.
Die Maden befreiten sich und landeten leise klatschend auf dem Gehweg. Der Schemen mit meinem Gesicht sagte: „Bald wirst du erkennen, dass du so bist wie wir, und dann werden wir alle frei sein.“
Dann trieb der Schemen davon, und ich erwachte wie aus einer Trance. Schnell wandte ich mich ab und rannte weg. Die Straßen waren verwaist, ich lief auf die gegenüberliegende Seite und wagte einen Blick zurück.
Ich wurde langsamer und drehte mich schließlich ganz um. Schweiß lief mir über den Rücken und brannte in der feuchten, kalten Luft. Mein Magen verkrampfte sich. Da waren keine tanzenden Schemen zu sehen. Ich schaute auf meine Hand, sie war mit Asche bedeckt, die ich schnell an meiner Jeans abwischte. Schließlich sah ich wieder nach oben.
Der Schemen hatte mir mein Gesicht gezeigt.
Mein Gesicht.
Ein gewaltiger Druck legte sich auf meine Brust, und ich hatte Mühe durchzuatmen, während ich ein herannahendes Taxi zu mir winkte.
Ich riss die hintere Tür auf, schaute mich noch einmal auf der Straße um und stieg ein.
„Wohin?“, fragte der Taxifahrer.
Im Rückspiegel sah ich den Mann an. Er schien todmüde, denn er hatte Mühe, die Augen aufzuhalten. „Dunmore Lane.“
Er nickte und fuhr los. „Das ist ziemlich weit weg von hier. Sie sehen ein bisschen zu jung aus, um …“
In dem Moment fiel ein Wächter vom Himmel und landete genau vor dem Wagen.
Die harte Landung auf der Straße schüttelte das Taxi durch und sorgte für ein weiteres Schlagloch. Die Schwingen waren ausgebreitet und wirkten wegen ihrer beachtlichen Spannweite zusätzlich beeindruckend. Seine breite Brust hatte die Farbe von Granit und war völlig glatt. Ich musste nicht mal genau hinsehen, mir war auch so klar, wer da vor uns stand.
Zayne.
„Jesus!“, keuchte der Taxifahrer und drückte sich eine Hand auf die Brust. Menschen wussten von der Existenz der Wächter, allerdings hatte ich ernsthafte Zweifel, dass auch nur einer von ihnen damit rechnete, ein Wächter könnte mitten in der Nacht vom Himmel fallen. „Wo ist der hergekommen?“
Zayne drückte eine Klauenhand auf die Motorhaube, bis das Heck des Wagens in der Luft hing. Der Fahrer klammerte sich an seinem Lenkrad fest, ich wurde gegen den Vordersitz gedrückt.
„Steig aus dem Wagen“, befahl Zayne und ließ die Hinterreifen des Taxis wieder behutsam auf der Straße aufsetzen. Sein wütender Blick war auf mich gerichtet.
Der Fahrer drehte sich zu mir um: „Meint er Sie?“
Ich nickte.
„Dann raus hier“, forderte er mich auf und zeigte auf die Tür. „Mit denen will ich keinen Ärger haben. Er will, dass Sie aussteigen, also tun Sie es.“
Ich stutzte und hätte den Mann gern darauf hinweisen, dass ich eine unschuldige Frau sein könnte, die Hilfe benötigte. Aber das war natürlich nicht der Fall, und ich wollte auch keinen Unbeteiligten in diese Sache hineinziehen.
Also machte ich die Tür auf und stieg aus. Sie war gerade erst zugefallen, da gab der Fahrer auch schon Vollgas und raste mit durchdrehenden Reifen davon.
„Du warst bei ihm.“
Mein Herz blieb fast stehen, als ich mich zwang, Zayne in die Augen zu sehen. In seiner wahren Form war er ein wirklich beeindruckender Granitklotz.
„Du riechst nach ihm, also versuch gar nicht erst, es abzustreiten.“
„Das hatte ich auch gar nicht vor, das schwöre ich.“ Ich schluckte, weil ich einen Kloß im Hals hatte. „Zayne …“
„Seit gestern Abend suche ich nach dir“, unterbrach er mich und machte einen Schritt auf mich zu. Den Kopf hielt er tief nach vorn gebeugt. „Ich war bei ihm. Ich kam nicht ins Haus, aber er hat sich mit mir auf dem Dachgarten getroffen. Er sagte, du wärst nicht bei ihm.“
Was hatte er gesagt? Das musste in der Zeit passiert sein, als ich geschlafen hatte. Aber warum erzählte Roth ihm eine Lüge? Vermutlich weil er wusste, dass ich von einer Seele gekostet hatte, und er nicht einschätzen konnte, ob ich immer noch high war.
„Offenbar hat er gelogen“, fauchte Zayne. „Dass er so was macht, überrascht mich nicht. Aber du?“ Wut strömte förmlich aus ihm heraus, während er einen Schritt zurückwich. Er atmete tief durch und ließ dabei die Schultern sinken. „Du hast die Nacht mit ihm verbracht.“
Seine Feststellung – keine Frage, sondern eine Feststellung – traf mich tief. „Nein, nein! So war es nicht! Deshalb bin ich nicht mit ihm losgezogen.“
Er drehte den Kopf zur Seite, das Licht der Straßenlaterne wurde von den glänzenden schwarzen Hörnern reflektiert. Dass er immer noch in seiner Gargoyle-Form vor mir stand, war ein Beleg dafür, wie aufgebracht er war. Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da war er darauf bedacht gewesen, sich mir ja nicht in seiner natürlichen Form zu zeigen.
„Ich habe mit ihm zusammen das Mittagessen ausfallen lassen, sonst nichts! Ich weiß, es sieht nicht danach aus, aber darum habe ich heute einen halben Tag blaugemacht.“ Meine Tasche fiel zu Boden. „Ich war sauer wegen der Sachen, die Abbot letzte Nacht gesagt hatte. Ich … ich wollte einfach nur abhauen.“
Zayne sah mich an. „Mit ihm zusammen?“
„So war das nicht geplant.“ Ich kniff einen Moment lang die Augen zu, weil ich wusste, dass das, was ich ihm gleich gestehen würde, weitaus schlimmer war als alles, was Zayne wohl erwartete. „Wir sind in diesen … Laden gegangen, und da war diese Frau … und ich habe …“
„Was hast du?“
Ich machte die Augen auf und sah abermals, was der Schemen mir gezeigt hatte – mein Gesicht. „Da war diese Frau, und ich … ich habe mich von ihr genährt.“
Ungläubig schüttelte Zayne den Kopf. „Nein.“
Dieses eine kurze Wort klang so gequält, dass es mir einen Stich versetzte. „Ich wollte es nicht, und ich weiß auch, dass das keine Entschuldigung ist.“ Es war nicht wichtig, dass Sucky und Inky bei dem Ganzen auch eine Rolle gespielt hatten. Ihnen die Schuld geben zu wollen wäre völlig sinnlos gewesen. „Ich habe sie nicht umgebracht. Es ging ihr anschließend gut. Aber ich habe es gemacht und war dann …“
„High?“
Meine Wangen glühten vor Verlegenheit. „Ja.“
„Lass mich gerade mal zusammenfassen, ob ich das jetzt alles richtig verstanden habe. Du bist weggegangen, weil du dich darüber geärgert hast, was gestern rund um Maddox’ Sturz passiert ist, der übrigens wieder bei Bewusstsein ist und bestätigen konnte, dass du ihn nicht gestoßen hast.“ Er redete weiter, bevor ich anmerken konnte, dass diese Tatsache wohl kaum etwas daran ändern würde, wie sein Vater über mich dachte. „Also machst du heute blau und verbringst deine Zeit mit einem Dämon, um genau das zu tun, was mein Vater dir unterstellt?“ Aufgeregt ging er vor mir hin und her. „Wie zum Teufel soll das einen Sinn ergeben?“
Ich fuhr mir durchs Haar. „Tut es nicht, und ich weiß auch, dass ich Mist gebaut habe …“
„Weil du mit ihm unterwegs warst.“
Ich schüttelte den Kopf, da ich wusste, dass ihm das Schlimmste noch längst nicht bekannt war und dass ich es ihm sagen musste. „Das hatte nichts mit ihm zu tun. Er hat mich zu überhaupt nichts gezwungen.“
Zayne setzte zu einer Erwiderung an, aber dann zuckte Schmerz über sein Gesicht. Er trat einen Schritt nach hinten, seine Haut wurde heller, und gleich darauf stand er in seiner menschlichen Form vor mir. Auch wenn er nur eine tief auf den Hüften sitzende Lederhose trug, sah er immer noch beängstigend aus.
Aber es war sein Gesichtsausdruck, es waren diese stechend blauen Augen, die mich bis ins Mark erschütterten. Er fuhr sich durchs Haar und ließ die Hand anschließend wieder sinken. „Was … was hast du getan?“
„Ich … ich habe Roth geküsst“, sagte ich und musste mich zwingen, nicht den Blick von ihm abzuwenden, sondern zu dem Fehler zu stehen, den ich begangen hatte. „Ich war nicht bei Sinnen und …“
„Mit anderen Worten: Es war so, als würde man sich betrinken und mit irgendwem ins Bett gehen?“ Er lachte ohne einen Anflug von Humor. „Meinst du, damit fühle ich mich besser?“
„Nein, natürlich nicht. Aber ich hätte es nicht gemacht, wenn ich klar bei Verstand gewesen wäre.“ Die Stimme in meinem Hinterkopf widersprach diesen Worten zwar vehement, aber ich drehte dem Miststück sofort den Saft ab. „Es war ein Fehler“, flüsterte ich. „Und es tut mir leid. Ich weiß, das ändert nichts, und dadurch wird es auch nicht besser, aber es tut mir wirklich schrecklich leid.“
Traurig schüttelte er den Kopf. „Ich weiß überhaupt nicht, was ich noch dazu sagen soll, Layla. Ich kenne dich.“ Er fasste mich an den Schultern und ließ den Kopf nach vorn sinken. „Ich kenne dich, und trotzdem kommt es mir manchmal so vor, als wärst du mir völlig fremd. Du machst Dinge, mit denen du dir am Ende nur selbst wehtust, und du weißt nicht mal, warum du sie machst.“
„Es ist …“, begann ich und kniff die Augen zu. Wusste ich, warum ich manchmal solche Dinge tat? Die Antwort darauf war viel zu einfach. Es lag mir im Blut. Das war keine Entschuldigung. Mich nicht zu nähren, das lag mir nicht im Blut. Aber nichts davon war im Moment wirklich wichtig, denn als ich die Augen aufmachte, sah ich nur Zaynes Schmerz. „Es tut mir leid.“
Er strich über meine Arme, dann ließ er mich los und straffte die Schultern. „Als ich sagte, wir sollten uns eine Chance geben, da hatte ich nicht damit gerechnet, dass so etwas geschehen würde.“
Alles in mir verkrampfte sich bei diesen Worten. Das war es dann also. Was zwischen uns hätte sein können, war vorüber, noch bevor es überhaupt begonnen hatte. Vielleicht war es auch besser so. Eine Beziehung zwischen uns war sowieso unmöglich, und sie würde nur einen Keil zwischen ihn und seinen Vater treiben. Obwohl ich mir genau das gerade einredete, schnürte sich mir die Kehle zu, und ich rang mit den Tränen.
„Dann gibt es jetzt keine Chance mehr?“, fragte ich.
Eine Weile erwiderte er nichts. „Ich weiß es wirklich nicht.“
Ich zwang mich, tief durchzuatmen. Es war besser gelaufen als erwartet, aber es half nicht gegen mein schlechtes Gewissen.
Ein paar Sekunden später fügte er hinzu: „Ich habe dich gedeckt.“
Ich hob den Kopf und sah ihm an, dass er die Wahrheit sprach. Am liebsten hätte ich mir die Zunge rausgerissen. „Wieso?“
„Irgendwie wusste ich, dir ist nichts zugestoßen“, erklärte er und rieb mit der Handfläche an seinem Kiefer entlang. „Das hat mich allerdings nicht davon abgehalten, stundenlang nach dir zu suchen. Es war aber auch nicht so schwierig, dich zu decken.“
Vor Scham wäre ich am liebsten im Erdboden versunken.
„Als du heute Nachmittag unterwegs warst und … na ja, was immer du auch gemacht hast … auf jeden Fall hat uns die Nachricht erreicht, dass Dean McDaniel gestorben ist.“
Ich legte die Hand vor den Mund, alles andere war für den Augenblick vergessen. „O mein Gott.“
„Du weißt, was das bedeutet.“
Abgesehen davon, dass ein Mensch viel zu früh sein Leben verloren hatte? Ich ließ die Hand sinken. „Es bedeutet, dass er zum Geist geworden ist.“