31. KAPITEL

Unbehagen machte sich in mir breit, gleichzeitig kehrte die Angst zurück, die mein ständiger Begleiter geworden war. Ich schaute zu Roth, sah seinen Kiefermuskel zucken. „Wie meinst du das?“, fragte ich.

Sie richtete ihre milchig weißen Augen auf mich. „Er weiß es. Du weißt es. Das ist alles, was ich zu sagen gewillt bin. Ihr seid vergebens hergekommen. Und jetzt geht.“ Sie hob den dürren Arm und fuchtelte mit ihren schmalen, knochenartigen Fingern. „Ich habe genug von dieser Unterhaltung. Geht.“

Roth ließ mir keine Gelegenheit zu einem Protest, sondern fasste meine Hand und zog mich hoch. Dann machte er einen tiefen Diener. „Gesegnet seist du.“

Die Alte johlte. „So albern, Prinz, so albern …“

Ein freches Grinsen lag auf seinen Lippen, als er sich zu mir umdrehte, doch sein Blick war so kalt, dass er die Hölle in eine Eiswüste hätte verwandeln können. Er hielt weiter meine Hand fest, als wir um die Tische herumgingen und auf den Ausgang zusteuerten. Womöglich wurden wir erneut von den Hexen beobachtet, so als wollten sie uns irgendwelche Zauber hinterherschleudern, aber das war mir egal.

Was du suchst, befindet sich genau vor dir, Prinz. Das weißt du.

Ich versuchte, meine Hand zu befreien, da sich mein Magen noch mehr verkrampfte, doch Roth hielt sie sofort umso fester. „Tu es nicht, Layla.“

Mein Atem ging so hastig, dass ich wiederholt zweimal ein- und nur einmal ausatmete. Ich ließ mich von ihm durch den Flur bis zum Aufzug ziehen, aber sobald sich die Lifttüren hinter uns geschlossen hatten, drückte ich auf den Notstopp.

„Was verschweigst du mir?“, herrschte ich Roth an und ballte frustriert die Fäuste.

Roth lehnte sich gegen die Kabinenwand. „Ich weiß nicht, wie du auf diesen Gedanken kommst.“

„Spiel nicht mit mir, Roth. Ich will wissen, wieso du wirklich aus der Hölle zurückgekommen bist. Sag mir dir Wahrheit.“

„Warum ich zurückgekommen bin, weißt du doch. Um nach der Lilin zu suchen“, antwortete er und verschränkte die Arme vor der Brust.

Doch ich war überzeugt, dass mehr dahintersteckte. „Es scheint doch so, dass die Alte davon ausgegangen ist, dass wir längst wissen, wer die Lilin ist. So als würde sie sich genau vor uns befinden … vor mir. Und weißt du, was ich glaube? Ich glaube …“ Mir versagte die Stimme, und ich drehte mich zur Seite.

„Was glaubst du?“, fragte er leise. „Sag es mir, Layla.“

Unsere Blicke trafen sich. „Ich glaube, es gibt keine Lilin, jedenfalls keine, die nach dem Ritual mit Paimon geboren wurde.“

Er sagte nichts, sondern stieß seinen Kopf gegen die Wand. Schließlich kniff er die Augen zu und fluchte leise, was mich total schockierte.

„Roth“, flüsterte ich.

Er rieb sich mit den Händen übers Gesicht. „Es ist nicht so einfach. Ich glaube nicht, dass du verstehen wirst, dass …“

Ich atmete wieder zweimal ein. „Versuch es doch mal.“

Roth ließ die Arme sinken, seine Augen hatten einen traurigen Ausdruck angenommen, der mir alles verriet, noch bevor ich ein Wort zu hören bekam. „Ich war nicht dabei, als die Ketten zu reißen begannen, und ich weiß auch nicht, ob das geschah, bevor ich in die Feuergruben verbannt wurde, oder ob es sich währenddessen abspielte. Der Boss … na, er passte nicht richtig auf. Wir konnten dem Ganzen nicht auf den Grund gehen. Wir wussten aber, das Ritual war nicht abgeschlossen worden.“

Ich sank gegen die Kabinenwand und beschwor meine Beine, nicht unter mir wegzuknicken. Ich hatte die Wahrheit hören wollen, und nun musste ich auch damit klarkommen.

„Zumindest dachten wir, das Ritual wäre nicht vollendet worden. Aber Cayman hatte recht. Wer weiß schon, ob es sich bei der fleischlichen Sünde um Sex handeln muss oder ob es auch etwas Artverwandtes sein kann? Keiner von uns kann das mit Gewissheit sagen, aber wir wussten, was hier oben los war, und für uns war klar, dass entweder eine Lilin geboren worden war oder …“

„… oder dass ich diejenige war?“, ergänzte ich.

Wieder kniff er für einen Moment die Augen zu, dann nickte er. „Oder ob du diejenige warst. Das sind die beiden einzigen Möglichkeiten. Das wussten wir alle. Also hat der Boss mich wieder raufgeschickt, um entweder die Lilin zu finden oder auf einen Beweis zu stoßen, dass du diejenige bist.“

Ich presste den Handballen gegen die Brust.

„Deshalb kam ich zuerst zurück zur Schule. Ich war nicht davon überzeugt, dass die Lilin sich tatsächlich dort aufhielt, aber ich … ich musste in deiner Nähe bleiben, um herauszufinden, ob du dich irgendwie verändert hattest“, fuhr er fort und stieß sich von der Wand ab. Nervös ging er vor mir auf und ab, während die Aufzugmusik für eine seltsame Atmosphäre sorgte. „Ich dachte nicht, dass du es bist, weil ich dich kenne. Du bist zwar zur Hälfte Dämonin, aber in deinem Innersten bist du rein. Nicht in dem idiotischen Sinn, in dem Leute irgendetwas als rein bezeichnen. Du bist von Natur aus gut.“

Mein Herz schmerzte, weil mich seine Worte so sehr an das erinnerten, was Zayne glaubte. Offenbar hatten sie beide gemeinsam, dass sie unbeirrt an das Gute in mir glaubten.

„Aber dann wurden andere Schüler infiziert, Leute, die alle auf die eine oder andere Weise eine Verbindung zu dir hatten.“ Kopfschüttelnd lief er weiter auf und ab. „Und es gab keinen Beleg für die Existenz der Lilin. Von einem Kokon abgesehen gibt es selbst jetzt noch keine konkrete Spur. Ich hatte gehofft, die Alte würde uns in eine andere Richtung schicken, aber nicht das bestätigen, was … was ich befürchtet hatte.“

Dass ich diejenige war.

Er blieb vor mir stehen, sein hübsches Gesicht spiegelte die Last, die auf seinen Schultern ruhte, wider. „Von Anfang an wusste ich, deine Fähigkeiten waren denen einer Lilin ähnlich. Nicht identisch, aber auch nicht allzu verschieden. Während die Lilin mit einer Berührung die Seelen an sich reißt, machst du das, indem du sie einatmest. Aber vielleicht haben sich deine Fähigkeiten auch verändert. Ich weiß es nicht, allerdings glaube ich nicht, dass es dir bewusst ist und dass du eine Ahnung hast, was mit dir geschieht.“

Jetzt kniff ich die Augen zu. „Besteht da irgendein Unterschied?“

„Ja.“

Ein raues Lachen kam mir über die Lippen. „Aber nicht für die Wächter oder die Alphas. Oder für die Menschen oder …“

„Du hast mir mal gesagt, dass jeder einen freien Willen hat, und ich habe das als Blödsinn abgetan. Erinnerst du dich daran?“

Ich machte die Augen auf. „Ja.“

„Du hattest recht. Wir haben alle einen freien Willen. Sogar Dämonen.“ Er legte die Hände an meinen Kopf und beugte sich vor. „Ich habe den Beweis erbracht. Und was mit dir geschieht – sofern du wirklich diejenige bist –, ist etwas, das du dir nicht aus freien Stücken ausgesucht hast. Deshalb besteht da für mich ein Unterschied.“

„Was meinst du mit, ‚sofern‘ ich diejenige bin? Wir haben die Lilin nicht gefunden, und die Alte hat mehr oder weniger unmissverständlich gesagt, dass ich diejenige bin. Du bist ja sogar zurückgekommen und …“ Wieder versagte mir die Stimme. Ich verstand nicht, warum es derart schmerzte zu erkennen, dass er nur aus dem Grund in die Schule zurückgekehrt war, weil er dachte, ich würde dort Seelen rauben. „Du bist zurückgekommen, weil vieles dafür sprach, dass ich diejenige sein könnte. Warum … warum hast du mir das nicht sofort gesagt?“

Er drehte den Kopf weg und atmete angestrengt durch. „Was hätte das gebracht?“

„Du hättest es mir sagen sollen.“

„Ich wollte dich nicht damit belasten“, erwiderte er.

Etwas in mir reagierte auf dieses sanfte Geständnis, aber ich musste noch etwas anderes erfahren. „Wie lauten deine Befehle für den Fall, dass ich die Verursacherin bin?“

Er schüttelte den Kopf.

Wut stieg so plötzlich in mir auf, dass ich die Hände hob und seine Arme von mir wegstieß. „Sag es mir!“

Wieder sah er mir in die Augen. „Ich soll mich um dich kümmern.“

Seine Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht. „Mit anderen Worten: Du sollst mich umbringen?“

Er schluckte. „Layla …“

„O mein Gott. Roth, du … du bist wirklich hergekommen, um mich unschädlich zu machen, wie? Wenn du den Beweis findest oder wenn ein anderer Dämon oder ein Wächter es herausfindet, dann sollst du mich aus dem Weg räumen?“

„Dann wäre das meine Aufgabe.“

„Ist das dein Ernst?“ Ich rutschte an der Kabinenwand entlang, um auf Abstand zu ihm zu gehen. Mein Magen rebellierte. Nach allem, was wir geteilt hatten, nachdem ich von ihm getröstet worden war, als ich ihm meine Befürchtungen gestanden hatte, verriet er mich auf so schändliche Weise?

„Ich habe dir vertraut. Himmel, alles, was von dir kam, hat nur dazu gedient, mich zu manipulieren! Ist dir das klar? Beim ersten Mal solltest du Paimon finden, und da war ich für dich Mittel zum Zweck. Und diesmal bin ich das Mittel und der Zweck. Ich bin nur ein beschissener Auftrag für dich.“

Er zuckte zusammen.

Ich lief im Kreis und strich mir die Haare aus dem Gesicht. Meine Gedanken überschlugen sich. „Gibt es noch was, das ich nicht weiß und das du mir erzählen möchtest?“

Nach einer winzigen Pause schüttelte er den Kopf, aber ich hatte ihn durchschaut. Ich ließ die Arme sinken und starrte ihn an. „Du lügst.“

„Du verstehst nicht.“

Es reichte, ich hatte genug! Was genau das Fass zum Überlaufen brachte, wusste ich nicht. Womöglich hatte es etwas damit zu tun, dass Roth als Killer auf mich angesetzt worden war. Ich holte aus und schlug ihm mitten ins Gesicht. Der Treffer verblüffte ihn, aber weiter geschah nichts. Er setzte sich nicht mal zur Wehr, sondern sah mich nur an. Schweigend. Und voller Geheimnisse. Ich holte noch einmal aus, aber diesmal schoss seine Hand vor und bekam meinen Arm zu fassen.

„Hör auf damit“, sagte Roth.

Ich hatte nicht die Absicht, noch länger auf ihn zu hören, hob das Bein und zielte mit dem Knie auf eine äußerst empfindliche Stelle. Doch bevor ich meinen Plan in die Tat umsetzen konnte, wirbelte er mich herum, fixierte meine Arme vor der Brust und hielt mich so an sich gedrückt.

„Lass mich los!“, kreischte ich und warf mich gegen ihn.

Roth rührte sich nicht von der Stelle. „Ganz sicher nicht.

Ich glaube kaum, dass ich von dir noch mal geschlagen werden möchte.“

Ich zog beide Beine an und ließ mich nach vorn fallen. Die Aktion kam für ihn so überraschend, dass meine Bewegung ihn mit nach vorn zog. Im Fallen drehte er sich so, dass er vom Aufprall das meiste einsteckte. Doch dann rollte er sich schnell zur Seite, sodass es ihm gelang, mich auf den Bauch zu drehen und sich so auf mich zu legen, dass er mich mit seinem ganzen Gewicht auf den Boden drückte.

„Hör endlich auf“, zischte er mir ins Ohr. „Ich will dir nicht wehtun.“

„Noch nicht“, gab ich wütend zurück.

Auf einmal verlagerte er sein Gewicht und drehte mich auf den Rücken. Ehe ich reagieren konnte, hatte er meine Arme gepackt und drückte sie über meinem Kopf auf den Boden. Mit meinen Hüften versuchte ich ihn zur Seite zu stoßen, erreichte damit aber das genaue Gegenteil, bis ich wieder unter ihm lag und mich nicht rühren konnte.

Er sah mir in die Augen, dabei veränderte sich etwas in seinem Blick. Meine Brust hob und senkte sich mit jedem angestrengten Atemzug. Roth wirkte nicht wütend, aber meine eigenen Gefühle waren so sehr in Aufruhr, dass ich nicht in der Lage war, etwas von ihm zu empfangen. Doch als er den Blick zu meinen Lippen wandern ließ, da ließen die Schatten auf seinem Gesicht ihn mit einem Mal … begierig aussehen.

Obwohl es Millionen Gründe gab, wieso das völlig verkehrt war, erwachte zwischen uns etwas Vertrautes, eine Verbindung, die uns zusammenschweißte.

„Bitte“, flüsterte ich.

Innerhalb eines Sekundenbruchteils war er von mir aufgesprungen und stand an der gegenüberliegenden Wand der Aufzugkabine. Seine Augen glühten, während er den Rücken durchdrückte.

Keuchend stand ich auf und betätigte erneut den Notstopp. Der Aufzug setzte sich in Bewegung. Roth machte einen Schritt auf mich zu, aber ich schüttelte den Kopf.

Hilflos ballte er die Fäuste. „Layla …“

„Habe ich dir jemals irgendwas bedeutet?“ Ich wusste, ich hatte ihn das schon einmal gefragt, aber jetzt … jetzt war es noch viel wichtiger für mich. Als er nicht antwortete, nickte ich, da ich endlich verstand. „Ich will dich nicht in meiner Nähe haben.“

„Das ist nicht möglich.“

„Mir ist egal, was deiner Meinung nach möglich ist oder nicht.

Wenn du dich in meine Nähe begibst, werde ich dir wehtun“, warnte ich ihn. Und dann wurde mir etwas klar. Bambi. Deshalb hatte er der Schlange befohlen, bei mir zu bleiben. Sie war wie ein GPS-Sender, nur in Form eines dämonischen Tattoos. „Bambi, runter.“

Roth sah mich mit großen Augen an. „Layla, das ist nicht gut. Tu das nicht. Bambi ist so sehr ein Teil von dir, wie sie ein Teil von mir ist.“

„Ich will nichts von dir haben.“ Erneut rief ich die Schlange. Sie sprang von meiner Haut und nahm zwischen uns Gestalt an. „Geh zu ihm“, forderte ich sie auf.

Bambi neigte den Kopf zur Seite und betrachtete mich. Der Aufzug kam zum Stehen, die Türen gingen auf, und sie drehte sich zu Roth um.

„Nein“, sagte er. „Layla, du brauchst mich. Du brauchst …“

„Halt dich von mir fern.“ Rückwärts verließ ich den Aufzug, riss die Kette ab, die um meinen Hals hing, und schleuderte sie ihm mitsamt Anhänger vor die Füße. „Halt dich einfach nur von mir fern.“

Die Aufzugtüren schlossen sich, Roth und Bambi waren noch in der Kabine. Ich rannte durch die kleine Lobby nach draußen in die kalte Nacht.

Zayne wartete an seinen Impala gelehnt auf mich. Als er mich sah, stieß er sich vom Wagen ab. „Hey, alles in Ordnung?“

„Ja.“ Ich wurde langsamer und schaute über die Schulter, aber Roth war mir nicht gefolgt. „Wir müssen los.“

Anstatt mich mit Fragen zu überschütten, hielt er mir die Tür auf, lief um den Wagen herum und ließ den Motor an. Erst da erkundigte er sich: „Was ist passiert?“

Ich schüttelte den Kopf, da ich nicht wusste, wo ich anfangen sollte. „Ich brauche einen Moment“, sagte ich, beugte mich nach vorn und hielt die Hände vors Gesicht.

Zayne legte eine Hand auf mein Knie, während er vom Parkplatz auf die Straße einbog. „Ich bin hier.“

Ich nickte und schloss die Augen. Mehr als diese drei Worte wurden während der Rückfahrt bis zum Anwesen nicht gesprochen. Zayne wusste, dass es zu früh war, um mich mit Fragen zu bedrängen. Das war auch gut so, weil ich nicht gewusst hätte, was ich sagen sollte.

Mein ganzer Körper fühlte sich wie taub an. Oder vielleicht hatte ein Teil von mir die Wahrheit bereits akzeptiert und sich mit den Tatsachen angefreundet, als ich schon vor einer Weile eins und eins zusammengezählt hatte. Trotzdem schmerzte Roths Verrat mich sehr.

Seit seiner Rückkehr hatte er es gewusst. Jedes Mal, wenn er sich mit mir unterhielt, hätte er es mir sagen können, vor allem als ich das letzte Mal zu ihm gegangen war. Ich hatte ihm vertraut, so dumm das auch von mir gewesen war. Denn sobald er einen zweifelsfreien Beweis für meine Schuld gefunden hätte, wäre es ein Leichtes für ihn gewesen, an mich heranzukommen, um seinen Auftrag auszuführen.

Himmel, wie oft ich mit ihm allein gewesen war. An diesem Tag im Club unter dem Palisades, in seinem Loft … Ich schauderte. Bei jeder dieser Gelegenheiten hätte er sich um mich „kümmern“ können. Diese Erkenntnis schmerzte umso schlimmer, weil ich geglaubt hatte, wir wären völlig ehrlich zueinander. Obwohl er mich ohne Rücksicht auf meine Gefühle zurückgewiesen hatte, und trotz aller wunderbaren Empfindungen für Zayne gab es da diese Ecke in meinem Herzen, in der ich all meine Gefühle für Roth angesammelt hatte.

Und nun? Sollte ich mich verkriechen und verrotten? Erneut begann ich am ganzen Körper zu zittern und krallte die Finger in meine Haare.

„Layla?“

Als ich Zaynes Stimme hörte, hob ich den Kopf und stellte fest, dass wir bereits in der Garage des Anwesens standen. Der Motor des Impala war aus. Ich hatte keine Ahnung, wie lange wir schon hier waren, mir fiel nur auf, dass das Wageninnere bereits ausgekühlt war.

Ich sah Zayne an, der mit bleichem Gesicht dasaß, aber meinem Blick nicht auswich. „Lass uns reingehen“, sagte er. „Dann können wir reden, okay?“

Im Haus war alles still. Im Foyer begegneten wir Morris, der mit einem Topf Weihnachtssterne auf dem Weg in eines der Wohnzimmer war. Oben angekommen, schloss Zayne die Tür hinter uns.

Ich drehte mich um, als er zu mir kam und die Arme um meine Schultern legte. Er sagte nichts, sondern drückte mich an seine Brust. Für ein paar ruhige Augenblicke schmiegte ich mich an ihn und schloss die Augen. Wenn ich mit ihm zusammen war und er mich so hielt, fühlte ich mich wieder wie zu der Zeit, bevor das Übel seinen Lauf genommen hatte. Aber ich konnte nicht in der Vergangenheit leben.

Seufzend lehnte ich mich zurück und hob den Kopf, während ich all meinen Mut zusammennahm, um ihm zu erzählen, was die Alte gesagt und welches Geständnis Roth mir gemacht hatte. Ich hatte keine Ahnung, wie es dann weitergehen sollte, denn alles war plötzlich aus den Fugen geraten, und damit musste ich irgendwie klarkommen.

Allerdings kam ich nicht dazu, etwas zu sagen.

Zayne umfasste mein Gesicht und strich mir mit den Daumen über die Wangenknochen. Meine Augen schlossen sich wie von selbst, sein Atem strich über meine Lippen. Alle Sorgen fielen von mir ab und schienen für einen kurzen Augenblick ganz weit weg. Ihn zu küssen sollte eigentlich nicht meine wichtigste Beschäftigung sein, aber bei mir war er sicher aufgehoben. Genau daran musste ich in diesem Moment erinnert werden, in dem ich mich wie ein Monster fühlte.

Unglaublich zärtlich küsste er mich, und ich öffnete die Lippen. Ein kehliges Stöhnen war zu hören, als sein Kuss immer leidenschaftlicher wurde. Ich atmete seinen Geschmack ein und musste ebenfalls leise stöhnen, da er seine Lippen fester auf meine drückte.

Zaynes Hände begannen zu zittern, seine Finger bohrten sich in meine Wangen. Als ich einen Schmerz auf mich überspringen spürte, öffnete ich die Augen. Seine waren weit aufgerissen und starrten ins Nichts, und dann … dann fühlte ich es.

Es sammelte sich in meiner Magengrube wie ein kompakter Ball aus purer Energie. Ich fasste ihn an den Handgelenken und hoffte, ihn von mir lösen zu können, bevor alles zu spät war.

Aber das war es bereits.

Ich konnte Zaynes Essenz, seine Reinheit, fühlen, sie schmeckte nach Pfefferminz. Das Zittern sprang von seinen Händen auf den ganzen Körper über. Panik befiel mich, als ich weiter versuchte, mich aus seinem schmerzhaften Griff zu lösen. Doch Zayne war wie erstarrt und bewegte sich nicht.

Und ich … nahm ihm dabei seine Seele.