19. Kapitel

Elisa blieb an derselben Stelle auf der Bellevue Terrace stehen, als hätte sie Wurzeln geschlagen. Wie Liebe aussah. Oh ja, daran erinnerte sie sich gut. Gestern Nachmittag hatte sie begonnen, über ihre Reise nach Kuba 1985 zu schreiben, nachdem Philip ihr den Heiratsantrag gemacht hatte. Diese Zeit hätte solch einen Wendepunkt in ihrem Leben bedeuten können, aber … Manchmal erkannte man Wendepunkte nicht oder höchstens im Rückblick. Bei anderen Gelegenheiten konnte man nicht anders, als sie zu sehen …

Ihre Rückkehr nach Kuba war für Elisa mit einigen Ängsten verbunden gewesen. Sie hatte sich Sorgen um ihre Tante gemacht. Es war so lange her. Und … Nun ja. Der eigentliche Anlass hatte irgendwie mit Duardo zu tun und allem, was sie damals zusammen erlebt hatten. Elisa hatte schreckliche Angst, dass es wehtun würde, nach Kuba zurückzukehren …

Kuba 1985

Merkwürdig, dachte sie im Flugzeug, aber Kuba stand ihr so lebhaft vor Augen, als hätte sie es erst gestern verlassen, obwohl sie über zwanzig Jahren aus dem Land fort gewesen war. Und was Duardo anging – sein Bild war nie verblasst. Sie konnte ihn so klar vor sich sehen wie immer. Den Hut, den er schräg aufsetzte, sodass ein Teil seines Gesichts immer im Schatten lag, die dunklen, großen, ernsten Augen, die vollen Lippen, die warme, schokoladenbraune Haut. Die Art, wie er sie bei ihrer ersten Rumba gehalten hatte – als kenne er sie bereits, die Form ihres Körpers, die Art, wie sie sich bewegen würde. Wie er mit den Lippen leicht ihren Mund streifte, sanft wie eine Sommerbrise, aber mit der Verheißung eines aufziehenden Sturms. Seine Freude, die Lebendigkeit. Sie schienen sich in ihre Seele eingebrannt zu haben, und sie war sich nicht sicher, ob sie davor fliehen konnte, unabhängig davon, dass er schon lange nicht mehr lebte, wie alt sie war oder wie viel Zeit vergangen war.

Endlich landete das Flugzeug – Elisa hatte von ihrem Bordfenster aus innerlich den Umriss ihres geliebten Kuba nachgezogen: das saphirblaue karibische Meer um die Insel, das an den weißen Sandstränden allmählich in Türkis und Grün überging, und ganz zum Schluss das Gewirr von Gebäuden und Plätzen, aus dem die Stadt Havanna bestand, sein centro histórico, die Altstadt, ihre halbverfallenen Häuser und prächtigen Boulevards im amerikanischen Stil. Elisa ging ins Terminal, stellte sich mit den Touristen an und fühlte sich in dieser rauchgeschwängerten Atmosphäre, in der sogar die Bürokratie entspannt ablief, selbst fast wie eine Touristin. Es war eine Weile her. Aber sie war zu Hause, und ihre Füße fanden den Weg wie von allein.

Draußen drängte sie sich durch die Menge und winkte ein kleines gelbes Taxi heran. Sie gab der Fahrerin die Adresse und verfiel sofort in das kubanische Spanisch, das sie so lange nicht gesprochen hatte – schnell und lässig und Silben verschluckend –, und schuf damit gleich eine Verbindung mit der Fahrerin.

»Waren Sie lange weg?«, fragte die Frau, als sie den Rand des alten Havanna erreichten.

»Über zwanzig Jahre.« Elisa lehnte sich in ihrem Sitz zurück und betrachtete die Pferde und Karren, die amerikanischen Autos und die camellos, die langsamen und schmutzigen zu Bussen umgebauten Sattelschlepper, die über das Kopfsteinpflaster krochen, die buntgekleideten Menschen auf den Straßen, die einen Kontrast zu der allgemeinen Atmosphäre des Verfalls bildeten, den bröckelnden Putz heruntergekommener Häuser. Das alte Havanna hatte im Lauf der Jahre gelitten, und selbst wenn sie von ihrer Familie nicht über die Probleme gehört hätte, dann hätte sie sie jetzt selbst gesehen. Die Lage war schlimm genug gewesen, als sie fortgegangen war, aber sie hatte gehofft, die Revolution würde mehr bewirken als das hier …

»Aber jetzt bin ich zurück«, erklärte sie. »Wenigstens eine Zeit lang.« Sie hoffte, dass es lange genug sein würde, um schöne Stunden mit ihrer Familie zu verbringen, bevor sich die Gesundheit ihrer Tante weiter verschlechterte. Und um ihnen das Geld zu bringen, das Philip ihr gegeben hatte, und dafür zu sorgen, dass sie es besser hatten. Es fühlte sich an, als wolle sie Wiedergutmachung leisten. »Aber jetzt kommt es mir überhaupt nicht so lange vor«, meinte sie zu der Fahrerin.

Das Taxi hielt in der Nähe der Plaza de Armas an. Auf den ersten Blick hatte sich der Platz nicht groß verändert. Es hatte einige Versuche gegeben, Gebäude zu restaurieren, aber sie vermutete, dass Bauwesen und sozialer Wohnungsbau nicht zu den Hauptanliegen der Regierung gehört hatten. Wiedergutmachung, dachte sie noch einmal. Weil sie fortgegangen war und sie im Stich gelassen hatte – den Rest ihrer Familie, ihr geliebtes Land und, ja, sogar das Andenken an ihren Duardo. Sie schaute auf die vertrauten verfallenen Gebäude – geschwärzt, mit abblätternder Farbe und zerbrochenen Fensterläden und Balkonen –, auf den üppigen Pflanzenwuchs auf dem Platz, den Springbrunnen und den Ceiba-Baum, dessen Rinde wie Elefantenhaut aussah. Und sie spürte, wie tief in ihrer Brust pochend Emotionen erwachten. Sie schluckte heftig. Dafür ist noch Zeit genug, dachte sie.

Elisa war seit zwölf Tagen zurück in Havanna, als sie beschloss, an der Plaza einen Kaffee zu trinken. Das fühlte sich fast wie Verrat an, aber manchmal musste man einfach von der Familie wegkommen und nachdenken.

Im Jahr 1985 waren die Zeiten in Kuba schwerer, als sie gedacht hatte. Die Krise verschlimmerte sich, und den Menschen mangelte es sowohl an Nahrung als auch an Wohnraum – sie lebten dicht gedrängt in Häusern, in denen auf jeder Etage eine Familie unterkommen musste. Die Läden waren fast leer, und es sah aus, als gebe es nichts zu kaufen. Das Hotel Inglaterra, das ihrem Vater so am Herzen gelegen hatte, war noch in Betrieb und immer noch prachtvoll, aber das Hotel Bristol war schon vor langer Zeit geräumt worden und verfiel. Sie hatte gehört, die ehemaligen Angestellten hätten dort gelebt – vielleicht wohnten sie ja immer noch dort – und den leeren, rissigen Swimmingpool auf dem Dach als Küche benutzt. Elisas erster Eindruck war richtig gewesen. Und doch hatten so viele Menschen, darunter Duardo, ihr Leben für die Revolution gegeben. Was kostete die Freiheit? Und wenn das hier Freiheit war – sich ständig abmühen, um ohne fließendes Wasser, mit wenig Nahrung und kaum einem Dach über dem Kopf auszukommen –, war es das dann alles wert gewesen? Grundnahrungsmittel gab es zwar, weißen Reis und schwarze Bohnen, und Elisa konnte fast Duardos Stimme hören, der sie daran erinnerte, wie es gewesen war, bevor die staatlichen Läden dafür sorgten, dass jede Familie zumindest etwas zu essen hatte. Aber es reichte nicht. Ihre Tante und ihre Cousinen hatten ihr erzählt, dass es nicht genug war, und nun hatte sie es mit eigenen Augen gesehen.

Ihre Familie gehörte zu den Glücklicheren. Ganz in der Nähe der Plaza lebten sie nur zu sechst in einer großen Wohnung und mussten zwar schuften, überlebten aber. Zwei der Cousinen hatten Arbeit. Elisa war zwar schockiert darüber, wie wenig sie verdienten, aber sie konnten wenigstens etwas zu essen kaufen – das hieß, wenn es etwas gab. Trotzdem, als sie sah, wie wenig sie hatten, und an Philips herrschaftliches Haus in der King Street dachte und an das Essen, das sie in England aßen, ohne sich Gedanken zu machen, da musste sie einen Schauder unterdrücken. Wäre ihr Vater nicht so entschlossen gewesen, Kuba zu verlassen, wäre Duardo nicht für die Sache gefallen, wie anders wäre Elisas Leben verlaufen!

»Erzähl uns von England«, hatten die Kinder ihrer Cousine Ramira mit großen Augen verlangt. »Was isst du? Wo schläfst du? Was arbeitest du?«

Elisa hatte gelacht und ihnen von ihrem Unterricht erzählt. Sie hatte ihnen auch von Grace erzählt. Als sie Philip erwähnte, musste sie sich eine Menge Scherze und raues Gelächter gefallen lassen.

»Du durchtriebenes Ding«, schalt Ramira. »Davon hast du nichts gesagt. Dann hast du dir einen reichen Engländer gesucht, was? Du hast Glück, Elisa. Und ein Glück für dich war es auch, dass du damals weggegangen bist.«

Was Elisa daran erinnerte, wie unglücklich sie damals gewesen war, wie ungern sie gegangen war. Sie hatte überhaupt nie das Gefühl, Glück gehabt zu haben.

»Vermisst du ihn?«, fragte Ramiras Tochter, die selbst fast erwachsen war. »Fehlt dir dein Engländer jetzt, wo du hier bei uns bist?«

Elisa lächelte. Sie wusste, sie wollten eine romantische Geschichte über Liebe und einen attraktiven englischen Prinzen hören. Aber die Wahrheit war, dass Philip ihr nicht fehlte. Als sie die Insel betreten hatte, war es, als wäre sie nie fort gewesen. Das machte sie traurig, war aber nicht gerade eine Überraschung. Schließlich hatten sie beide nie so getan, als wären sie junge, romantische Liebende. Beide hatten schon einmal geliebt, und sie würden aus anderen, praktischeren Gründen heiraten. Aber Elisa vermisste Grace. Und ihr fehlte der Friede in England; die Ruhe, die sie in ihrem Leben geschaffen hatte. Hier war es immer so laut – Musik, laute Stimmen, immer wollte sich jemand zu Gehör bringen. »Natürlich«, sagte sie leichthin. »Aber ich bin froh, hier bei euch zu sein.«

Sie berührten ihre Kleidung und probierten die wenigen Schmuckstücke an, die sie bei sich hatte. Als Geschenke hatte Elisa Kosmetika und ein paar kleine Luxusartikel mitgebracht, und die schnappten sie sich und zankten sich um die besten Teile. Natürlich wollten sie alles über das Essen in England wissen, also erzählte Elisa ihnen von den Sonntagsessen bei Philip, wobei sie taktvoll untertrieb, wie viele Fleischsorten und welche Mengen an Gemüse man kaufen konnte. »Aber ich koche immer noch kubanische Gerichte«, sagte sie. »Das sind und bleiben die besten.« Sie hielt die Finger an die Lippen und küsste sie. Das hieß, wenn sie die Zutaten bekommen konnte.

Ihre Verwandten schienen das sowohl rasend komisch als auch schwer zu glauben zu finden. »Nichts ist besser als Reis und Bohnen?«, fragte Ramira. »Darauf wette ich. Ich glaube, du bist in England ein bisschen übergeschnappt, Elisa.«

»Es ist einfaches Essen«, sagte sie, »aber es schmeckt gut.« Sie sehnte sich danach, ihnen mehr Hühnchen, mehr Gemüse, alles, was ihnen fehlte, besorgen zu können. »Und man kann keinen frischen Obstsaft trinken wie hier.«

»Warum nicht?«

»In England ist es kalt«, antwortete Ramira an ihrer Stelle. »Mangos und Papayas mögen das nicht.«

Und sie alle hatten gelacht.

Wie wunderbar, dachte Elisa bei sich, während sie auf der Plaza langsam ihren heißen, starken Kaffee trank. Kubaner waren imstande, sich ein sonniges Gemüt zu bewahren, ganz gleich, was sie durchmachten, ganz gleich, wie hungrig oder verzweifelt sie waren. Sie sahen das Positive, und sie hielten zusammen. Und doch … es war nicht wegzudiskutieren, dass Elisa nicht nur ein anderes Leben führte, sondern dass ihr neues Leben sie auch zu einem anderen Menschen gemacht hatte.

»Sind Sie fertig, señora?«, fragte die junge Kellnerin.

»Ja. Ich hab nur nachgedacht«, antwortete sie. Sie wusste nicht, wie lange sie schon hier in dem Café am Platz saß. »Es ist lange her, dass ich in Havanna gelebt habe.«

»Oh?« Die junge Frau überspielte ihre offensichtliche Überraschung darüber, dass Elisa keine spanische Touristin war. Wahrscheinlich hatte sie das ebenso an ihrem Akzent erkannt wie daran, was sie tatsächlich gesagt hatte.

»Man kann fortgehen«, sagte Elisa. »Das ist manchmal wirklich nicht schwer. Aber wissen Sie, zurückzukommen ist nie so einfach.«

Schon seit Jahren hatte sie sich gefragt, wie sie sich fühlen würde, wenn sie wieder den Fuß auf kubanischen Boden setzte. Und jetzt wusste sie es. Der Lärm machte sie wahnsinnig, aber diese Insel rührte etwas tief in ihrem Inneren an. Auch hier empfand sie den Schmerz über ihren Verlust, aber irgendwie tröstete sie sie. Die Zeiten waren schwer, aber die Kubaner machten immer noch Musik und tanzten. Bei dem Gedanken, nach England zurückzukehren, bekam sie schon jetzt Heimweh. Hier gab es etwas, das ihr gefehlt hatte – vieles vermutlich. Sie hatte sich verpflichtet, bei Philip und Grace in England zu bleiben – deshalb hatte sie überhaupt erst herkommen und ihre Familie unterstützen können. Also hatte sie keine andere Wahl. Außerdem war Duardo tot. Aber wahrscheinlich lag ihr Kuba trotzdem noch im Blut.

Sie erhaschte einen Blick auf einen jungen Mann, der aus dem aus grau gesprenkeltem Stein errichteten, tempelähnlichen El-Templete-Gebäude kommend – der Stelle, an der die Stadt San Cristóbal de la Habana einst gegründet worden war – den Platz überquerte. Er ging an dem majestätischen Ceiba-Baum vorbei und kam auf sie zu. Sie starrte ihn an, bis er irgendwo in der Bepflanzung der Plaza verschwand. Und dann tauchte er wieder auf.

Elisa stockte der Atem. Er hatte etwas an sich – diesen selbstbewussten Hüftschwung, die braunen Arme, die locker an seinen Seiten herabhingen, die kecke Art, wie er seinen Hut schräg aufgesetzt trug, das sie exakt an Duardo erinnerte. Sie zog ihre Wasserflasche aus der Handtasche und nahm verzweifelt einen großen Schluck. Wie lächerlich sie war. Man sehe sie nur an. Eine Frau von über vierzig, die diesen Jungen von zwanzig oder jünger anstarrte, obwohl sie alt genug war, um seine Mutter zu sein. Trotzdem. Sie dachte an Philip und hatte das Gefühl, ihn zu verraten. Das unangestrengte Selbstbewusstsein der kubanischen Männer gefiel ihr immer noch. In ihrem Gang lag ein gewisser Rhythmus – als könnten sie plötzlich in eine Salsa oder Rumba ausbrechen. Elisa musste lächeln. Dann schüttelte sie den Kopf und verzweifelte erneut an sich selbst. Nun, diese Zeiten waren jedenfalls vorbei.

Sie stand auf und verließ das Café, wobei sie den Blick nicht von der Gestalt des Mannes nahm, der jetzt an dem steinernen Springbrunnen vorbeiging. Sein Gang wirkte locker und lässig. Er hatte es nicht eilig, und als er näher kam, wurde ihr klar, dass er vor sich hin pfiff. Heilige Mutter Gottes. Sogar sein Pfeifen klang wie das von Duardo.

Der Junge befand sich jetzt fast auf gleicher Höhe mit ihr, trat beiseite, um sie vorbeizulassen, und tippte sich dabei an den Hut. Charmant, dachte sie. So charmant.

»Hola«, sagte sie spontan.

»Hola, señora.« Ihr Gruß schien ihn nicht zu erstaunen, aber natürlich redeten Kubaner ständig mit Fremden – so waren sie nun mal. »Haben Sie einen schönen Tag?« Er grinste.

Ach, du meine Güte. Sogar sein Grinsen war das von Duardo. Obwohl seine Augen ganz anders waren. In ihnen stand eher ein herausforderndes Glitzern und weniger von Duardos Ernst. Sein Haar war viel kürzer und lockiger, und er war auch größer und schmaler. Elisa holte tief Luft. Hier stehe ich, dachte sie, rede mit einem jungen Mann und stelle mir meinen toten Liebsten von vor zwanzig Jahren vor. Was bin ich nur für eine Närrin.

»Das hab ich«, entgegnete sie. »Es ist schön, wieder in meinem Heimatland zu sein.«

»Sie sind Kubanerin?« Er zog eine Augenbraue hoch. »Das dachte ich mir, nach ihrer Stimme. Aber …« Er sah sie an. »Sie kleiden sich wie eine Europäerin – wenn ich das sagen darf, señora.« Wieder grinste er.

Elisa war sich sicher, dass die meisten Menschen ihm alles verziehen hätten. Sie sah an ihrem rotgelben Baumwollkleid hinunter. Für englische Verhältnisse sah sie wie ein Papagei aus. Hier war ihr Kleid weder kurz genug noch eng genug und wahrscheinlich nicht einmal bunt genug, um einer Musterung standzuhalten. Sie erwiderte sein Lächeln. »Ich bin vor vielen Jahren weggegangen«, gestand sie. »Mit meiner Familie, nach England.«

»Wirklich?«, fragte er. »Ich kenne viele Leute, die nach Amerika gegangen sind. Aber England – das ist wirklich aufregend, was?«

Sie lachte über seine Begeisterung. Und dachte daran, wie einsam ihr Leben manchmal gewesen war, besonders nach dem Tod ihrer Eltern. Wie grau ihr England oft vorgekommen war. Wie öde und ohne die Freuden ihrer Heimat. »Es hat schon was«, versetzte sie trocken. »Aber ich vermisse eine Menge.«

Wieder sah er sie mit hochgezogener Augenbraue an. »Zum Beispiel?«

»Die Menschen, zum Beispiel«, antwortete sie. Das war nicht schwer. »Die Sonne. Die Rumba.« Weil die Rumba Kuba war – so einfach war das.

»Ah, die Rumba.« Er musterte sie jetzt neugieriger.

Wahrscheinlich war es merkwürdig gewesen, das zu sagen. Hatte sie gehofft, dieser gut aussehende junge Mann, der sie so sehr an Duardo erinnerte, würde sie in einer Rumba von den Beinen reißen? Wohl kaum. Er war freundlich – aber nicht verrückt.

»Und haben Sie noch Familie hier in Havanna?«, fragte er.

»Ein paar Verwandte.«

»In der Altstadt?«

»In der Altstadt.«

»Das ist schön.« Er nickte. »Dann genießen Sie Ihren Aufenthalt noch, señora. War schön, mit Ihnen zu plaudern.«

»Ganz meinerseits«, sagte sie.

Als er davongegangen war, ging Elisa um den Platz herum und ließ den vertrauten Anblick auf sich wirken. An der Ecke gegenüber dem El Templete lag die Festung Castillo de la Real Fuerza, die aus dem sechzehnten Jahrhundert stammte und von einem breiten Wassergraben und kantigen Befestigungsmauern umschlossen war. An der nächsten Ecke befand sich der alte Gouverneurspalast, in dessen prächtigem Innenhof eine Kolumbus-Statue und zwei hohe Königspalmen standen. Kuba zu verlassen hatte ihr aber eine andere Perspektive eröffnet, dachte Elisa jetzt. Es hatte sie dazu gebracht, über die Geschichte ihres Landes nachzudenken, von den Konquistadoren bis zur Revolution. Anscheinend hatte es immer jemanden gegeben, der die Macht an sich reißen wollte.

Diese Begegnung, dieser encuentro mit dem Jungen war interessant gewesen. Langsam ging sie über die Plaza, vorbei an der weißen Statue und einem weiteren Ceiba-Baum mit knorriger Rinde, und wieder zurück zum Café. Sie sah sein Gesicht noch vor sich, sein Lächeln und seinen schräg aufgesetzten Hut. An einem Stand für gebrauchte Bücher wurden Zeitschriften aus den 1940er- und 1950er-Jahren und Zeitungen aus der Zeit der Revolution angeboten. Elisa blieb stehen und blätterte in einer davon. Sie wollte sich nicht erinnern, aber … Sie legte die Zeitung wieder hin. Das ist Vergangenheit, Elisa, sagte sie sich. Sie hatte damit gerechnet, sich irgendwie fehl am Platz zu fühlen, wenn sie hierher zurückkam. Aber es fühlte sich immer noch wie ihre Heimat an.

Sie drehte sich um und wollte zurück zu dem Mietshaus gehen, in dem ihre Tante lebte, als sie hörte, wie jemand ihren Namen sagte. Die Stimme kam ihr merkwürdig vertraut vor. Sie fuhr herum.

»Elisa«, sagte der Mann. »Du bist es.«

Elisa überlegte, wie nahe sie daran gewesen war, direkt mit Grace zusammenzustoßen. Vielleicht war es ja ein glücklicher Zufall, dass man sich der Gorse Lane aus zwei Richtungen nähern konnte – von der Jacob’s Wells Road aus und über die Treppe, die zur Bellevue Terrace hinaufführte. Vielleicht ein glücklicher Zufall, dass Elisa sich nicht für den anderen Weg entschieden hatte. Sie schnalzte mit der Zunge.

Und was jetzt? Sie ging die Stufen hinunter, die zu Theos Haustür führten, und klingelte so lange und so heftig, wie sie konnte.