Das klingt eigentlich nicht allzu schlimm, oder?
Wackelpudding in den Schuhen? Auch wenn es BLAUER Wackelpudding war?
Fast schon lustig.
Das Problem war, dass es hier um Mrs Martin ging, die absolut großartigste Lehrerin der GANZEN Welt. Und sie schien es überhaupt nicht lustig zu finden — ebenso wenig wie meine Mitschüler.
Vi Delap schnappte nach Luft. Elizabeth Fishers Mund stand vor Erstaunen offen, allerdings wahrscheinlich deshalb, weil sie noch NIE in ihrem ganzen Leben IRGENDETWAS Schlechtes getan hat. Andere waren auch geschockt — angesichts der Tatsache, WER das Opfer war. Es ist nämlich so: Nicht nur ich finde Mrs Martin TOLL. An unserem ersten Tag in der dritten Klasse sollten wir uns in einer Reihe aufstellen. Wir waren nervös und hatten keine Ahnung, was sie wollte. Vi stand ganz vorn, total verschüchtert und ängstlich, bis Mrs Martin sie angrinste.
»Was ist dein liebstes Hobby?«, fragte sie mit sanfter Stimme.
»Fußball«, sagte Vi, denn sie ist wirklich gut (und nein, nicht nur für ein Mädchen — Frauenfeind!).
Und ohne auch nur einen Augenblick nachzudenken, sang Mrs Martin:
Wenn du im Tor stehst und der Ball fliegt herbei, wer hat ihn wohl gekickt? Wahrscheinlich Vi!
Dann klatschte sie Vi zweimal ab, gefolgt von einem Grätschsprung und einem zweiten Grätschsprung. Vi lief knallrot an und strahlte. Danach war Lance an der Reihe. Er sagte Radfahren, klar (das ist sein Ding), und im Nullkommanichts sang Mrs Martin:
Vor mir ist mein Freund Lance, er gewinnt die Tour de France — legal.
Sie klatschte Lance ab: zuerst in der Hocke, mit nach oben gedrehten Handflächen, dann noch einmal ganz normal im Stehen. Danach taten sie beide so, als würden sie ganz schnell Rad fahren. Lance grinste wie ein Zweijähriger bei der Bescherung an Weihnachten.
Als Marcus Breen an der Reihe war, sagte er, sein Hobby sei schlafen, denn er ist eben Marcus Breen. Wir stöhnten auf, aber Mrs Martin lachte.
Bereitet das Schlafen dir Kummer, frag Marcus Breen, der kennt sich aus mit dem Schlummer.
Sie klatschte Marcus zweimal über Kreuz ab und tat dann so, als würde sie schlafen. Und das machte sie bei jedem. JEDER einzelne in unserer Klasse bekam sein eigenes Erkennungslied und seine eigene Begrüßung, auch wenn es bei einigen schwieriger war als bei anderen.
»Cymbeline Iglu«, sagte ich.
Mrs Martin fuhr sich mit der Hand über die Stirn. »Puhh.«
»Ich mag Fußball, aber ich mag auch Kunst.«
»DOPPELTES Puhh. Aber dann mal los.« Und sie sang:
Wenn du ’nen Elfmeter brauchst, verzweifle nich’ — Cymbeline Iglu zeichnet die Schwalbe für dich.
Ich bekam einen doppelten Fauststoß, gefolgt von einem doppelten Grätschsprung wie Vi, während Mrs Martin und ich Bilder in die Luft zeichneten. Und ich spürte, wie sich die Wärme in der Mitte meiner Brust immer mehr ausbreitete, als wäre dort ein Heizkörper, bis sie sogar meine Ohren erreichte. Ich hatte das Gefühl, etwas Besonderes zu sein; wir alle hatten das Gefühl, etwas Besonderes zu sein — und jeder einzelne Schulvormittag begann so! Diese sonnige Wärme kam von Mrs Martin, und sie blieb den ganzen Tag. Sie begrüßte jeden von uns mit seinem eigenen Ritual, und NIEMALS machte sie auch nur den kleinsten Fehler. Es war fantastisch, und ich sage euch eines: Nirgendwo im ganzen Internet steht, dass Sokrates so etwas tat.
Und der hatte nur Platon.
Dass überhaupt jemand Mrs Martin einen Streich spielte, war für einige von uns wahrscheinlich schon zu viel. Alle erstarrten, als Mrs Martin nach Luft schnappte und hinuntersah. Wir taten es ihr nach. Der Wackelpudding (der BLAUE Wackelpudding) quoll zwischen ihren Zehen hervor wie etwas, was man vielleicht in Doctor Who sieht, auch wenn ich das eigentlich gar nicht wissen kann, weil meine Mum behauptet, ich sei für diese Serie zu jung (obwohl Lance sie schauen darf, und er ist DREI TAGE jünger als ich).
Mrs Martin wirkte zuerst verwirrt, weil sie nicht richtig verstand, was sie sah. Dann veränderte sich ihr Ausdruck. Ich erwartete, dass sie wütend würde. Miss Phillips hätte das Gesicht verzogen und die Hände in die Hüften gestemmt. Mr Gorton wäre explodiert wie der Vesuv. Aber was Mrs Martin tat, war irgendwie schlimmer.
Diese brillante Lehrerin, die wir alle lieben, runzelte nicht die Stirn. Und sie schrie auch nicht. Oder wurde wütend. Stattdessen wurde sie ganz ruhig und sagte »Oh …«, so wie ihr es vielleicht sagen würdet, wenn jemand, den ihr WIRKLICH mögt, euch mitteilt, dass ihr nicht zu seiner Geburtstagsfeier eingeladen seid, obwohl ihr schon das Geschenk gekauft habt.
Und in diesem Augenblick tat ich etwas, was ich immer noch nicht glauben kann. Mrs Martin trat ein wenig zurück. Sie sah uns an mit einem Ich-kann-es-nicht-fassen-Blick in ihrem offenen, vom Leben gezeichneten Gesicht. Alle sahen weg, weil sie ihr nicht in die Augen schauen konnten — nur ich nicht. Als unsere Blicke sich trafen, war ich plötzlich nervös und konnte mich kaum bewegen, weil mir auf einmal bewusst wurde, wie merkwürdig die ganze Situation war. Jemand hatte Wackelpudding in ihre Schuhe gefüllt? WIE BITTE? Das erschien mir auf einmal so bizarr, dass sich der Heizkörper in mir in merkwürdige Schaumbläschen verwandelte.
Und ich fing an zu kichern.
Ich weiß nicht, warum — ehrlich! Es kam einfach. Ein blödes, kindisches, LÄCHERLICHES Kichern, das schrecklich laut war. Mrs Martin stutzte. Und ich auch. Mrs Martin wirkte noch bestürzter — und überrascht —, und ich sah, wie es in ihrem Gehirn ratterte und sich langsam die vollkommen FALSCHE Schlussfolgerung formte.
»Nein«, sagte ich, so schnell ich überhaupt konnte. »Das heißt nicht …«
Aber bevor ich weitersprechen konnte, wurde ich unterbrochen. Von Mr Baker (unserem neuen Rektor). Er führte ein paar Männer durch die Schule, wandte sich aber an Mrs Martin und sah dabei so neugierig aus, dass sie von mir abgelenkt war. Sie drehte sich um, bückte sich und nahm ihren rechten Schuh und auch den linken, der ebenfalls voller Wackelpudding war. Dann drängte sie sich zwischen uns hindurch, warf mir einen kurzen Blick zu, sodass mein Gesicht brannte, und ging eilig in Richtung Lehrerzimmer davon. In der einen Hand baumelten ihre Schuhe, die andere hielt sie sich vors Gesicht.
Auf halbem Weg fing sie an zu rennen.