Ich hatte Albträume. Sie schienen mich die ganze Nacht zu verfolgen, aber als ich aufwachte, rannten sie davon wie Kinder beim Fangenspielen. An ihre Stelle trat Veronique, und ich sah sie blinzelnd an. Sie kniete neben meinem Bett. Ihr Gesicht war gewaschen. Und sie war angezogen. Sie hatte sich sogar die Haare zusammengebunden.
»Wo ist euer Klavier?«, fragte sie.
Ich stöhnte und zog mir die Decke über den Kopf. »Du kannst es nicht verfehlen. Es steht neben dem Ferrari.«
»Und wo ist der?«
»Das war ein Witz«, sagte ich, und Veronique seufzte, denn Witze sind das EINZIGE, worin sie nicht gut ist. Sie sind für sie, was für mich Rechtschreibung ist. Marcus Breen kriegt sie immer dran.
Am Freitag standen wir in der Schlange zum Mittagessen, da stupste er sie in die Rippen.
»Schau mal, die Leiste ist total verbiegt«, sagte er. Veronique runzelte die Stirn.
»Verbogen, meinst du wohl?«
»Ja, genau, es heißt ja auch nicht verliebt, sondern verlogen!«
Marcus konnte sich kaum halten vor Lachen, und Veronique fragte, was so komisch sei.
»Egal. Was macht ein Clown im Büro? Na, soll ich’s dir sagen? Faxen.«
Marcus lief fast blau an. Ich dachte, er würde ersticken. Als er sich wieder erholt hatte, sagte er:
»Du bist doch so furchtbar schlau. Wie geht die Reihe weiter? Himmel, Fimmel, Schimmel, Pi- …?«
Veronique wollte gerade antworten, aber zum Glück erreichten wir den Anfang der Schlange, und Mrs Stebbings gab jedem eine Portion Curry.
Jedenfalls — als ich sagte, dass wir kein Klavier hätten, machte Veronique ein so erstauntes Gesicht, als ob ich gesagt hätte, dass es bei uns kein Sofa gibt.
»Aber mein Vorspiel ist am Samstag in einer Woche! Ich konnte schon gestern Abend wegen Nanai nicht üben. Und ich übe donnerstags immer morgens, weil ich nach der Schule zum Fechten gehe, sodass ich heute Abend nicht üben kann. Oder ich übe, aber dann bleibe ich so lange auf, dass ich am nächsten Morgen nicht früher aufstehen kann. Und das bedeutet …«
»Nur die Ruhe.« Ich schob die Decke zur Seite und griff nach meiner Kunstkiste.
Nach allem, was Veronique mir am Abend zuvor erzählt hatte, wollte ich alles für sie tun, was in meiner Macht lag. Ich selbst war besorgt wegen Nanai, aber sie war nicht meine Großmutter, nicht wahr? Für Veronique war es bestimmt viel schlimmer, und ich konnte mir nicht vorstellen, wie sie sich wohl fühlte. Deshalb holte ich ein paar Bögen Papier und klebte sie auf den Küchentisch. Veronique erklärte mir, wo die Tasten hinkommen, und ich malte eine Klaviertastatur. Dann sagte Veronique, auf dem Boden müssten Pedale sein, deshalb holte ich meine Gummistiefel. Sie erzählte mir, sie werde ein Stück mit dem Titel »Die vier Jahreszeiten« spielen, worüber ich mich sehr freute. Allerdings stellte sich heraus, dass es nichts mit Pizza zu tun hatte. Aber gut war es trotzdem, besser als ihr Stück in der Schulversammlung, denn es war ohne Ton, sodass ich die Musik und gleichzeitig Harry Potter auf Mums Handy hören konnte. Ich kann diese Art von Klavier nur empfehlen und würde allen klassischen Musikern nahelegen, dass sie auch ein bisschen mehr an die Menschen denken, die dicht neben ihnen sitzen müssen, während sie spielen.
Ich hoffte, es würde Veronique aufmuntern, dass sie üben konnte. Aber das war leider nicht oder zumindest kaum der Fall. Deshalb versuchte ich etwas anderes: Ich gab ihr das Handy, damit sie ihren Dad anrufen konnte.
»Und?«, fragte ich, nachdem sie aufgelegt hatte.
»Die Ärzte können nichts finden.«
»Großartig!«
»Wahrscheinlich.«
»Was willst du damit sagen? Nanai ist keine Ärztin, oder? Die Ärzte müssen es doch besser wissen als sie, oder?«
»Wahrscheinlich«, sagte Veronique wieder, und dann erschien Mum. Ihre Augen wurden groß wie Frisbeescheiben, als sie mich sah.
Der Grund für Mums Reaktion war, dass ich normalerweise morgens nur ein kleines bisschen widerstrebend aus dem Bett komme. Besonders an Schultagen. Mum sagt, bei meiner Geburt sei es genauso gewesen, nur mich aus dem Bett zu bekommen sei noch komplizierter, als mich aus ihr herauszubekommen.
»Kaiserschnitt!«, ruft sie dann immer und zerrt an meiner Decke. »Macht einen Kaiserschnitt!«
Aber das ist nicht meine Schuld. Es liegt am Bett. Abends beklagt man sich darüber, dass man hineinmuss, aber am Morgen ist es wie von Zauberhand dieser perfekte Ort, den man auf keinen Fall verlassen möchte. Ein bisschen Wasser im Gesicht und danach eine Schüssel Weetabix sind NICHTS im Vergleich dazu.
»Veronique«, sagte Mum, »könntest du vielleicht jeden Tag bei uns übernachten?«
Bald wünschte ich mir das auch, denn an diesem Morgen gab es keine Weetabix, sondern Mum machte Rührei. An einem Donnerstag! Dann fütterte Veronique Kit-Kat, und weil wir nicht richtig darüber nachgedacht hatten, wo er tagsüber bleiben sollte, rief Mum Veroniques Dad an und bat ihn, Kit-Kat wieder zu sich nach Hause zu holen.
Er traf uns oben an der Schultreppe und berichtete uns noch einmal von Nanai. Die Ärzte hatten verschiedene Tests durchgeführt, aber sie konnten nichts finden.
»Das ist doch wunderbar«, sagte Mum. »So eine Erleichterung. Obwohl Veronique uns jederzeit willkommen ist. Natürlich zusammen mit Kit-Kat. So ein süßer Hamster.«
»Oh, er ist kein Hamster«, sagte Veroniques Dad stirnrunzelnd. »Er ist eine …«
»RENNMAUS!«, rief ich.
»Wirklich?«, sagte Mum. »Ich hätte schwören können, dass du gesagt hast … Egal, er ist total süß.«
»Und sehr gut im Tischfußball«, fügte ich hinzu.