Aber was ist so schlimm an einem Koffer?
Wenn ihr das jetzt denkt, will ich es euch erklären: Vor Weihnachten wurde Mum krank. Also, richtig krank.
Sie musste ins Krankenhaus und blieb dort eine Ewigkeit. Ich dachte schon, sie würde gar nie wieder rauskommen. Sie nahm damals einen Koffer mit, und jetzt stand sie da mit DEMSELBEN Koffer. Und gestern war es ihr nicht gut gegangen. Ich sah sie also an und fragte mich, was los wäre, bis sie die Hand vor den Mund schlug.
»Oh nein!«, sagte sie. »Mach dir keine Sorgen!«
Ich schluckte. »Dann bist du also nicht …?«
Mum nahm meine Hände und stieß einen langen Seufzer aus, während sie vor mir in die Hocke ging. »Ich habe nicht daran gedacht, dass du das annehmen könntest. Wie dumm von mir. Aber nein. Schau, Liebes, mir geht es absolut gut.«
»Gestern schien es dir nicht so gut zu gehen.«
»Ich weiß. Das war blöd von mir. Aber es geht mir gut. Wirklich.«
Ich bemühte mich, meine Erleichterung nicht zu zeigen. »Was ist es dann?«
»Ach. Na ja. Es ist nur …«
»Was?«
»Stefan«, sagte Mum.
Ich verstand nicht, was sie damit meinte. Als sie auf den Koffer hinunterblickte, wurden meine Augen groß.
»Da drin?«, rief ich.
»Nein!« Mum hob den Blick. »Hör zu, am Donnerstag bei Tante Mill lief alles ein bisschen schief, oder?«
»Das könnte man so sagen.«
»Und ich dachte …« — Mum schaute nach rechts und nach links —, »… dass er mich nicht mehr mag.«
»Weil du ihn mit Essen vollgekleckert hast?«
»Und alles andere.«
»Aber er mag dich noch?«
»Nun ja, er hat mich heute Morgen angerufen.«
»Und er möchte dich immer noch besser kennenlernen?«
»Ja. Und deshalb hat er …«
»Was?«
»Also, er hat uns Tickets gebucht.«
»Für Charlton?!«
»Nicht direkt.«
»Wofür dann?«
»Paris«, sagte Mum.
»Paris!« Ich starrte sie an und wurde beim Gedanken an Veronique von Panik erfüllt. »Aber ich kann nicht!«, rief ich. »Ich muss hier sein.«
»Alles gut«, sagte Mum. »Beruhige dich. Er hat kein … Pass auf, es ist jammerschade, dass du nicht mitkommen kannst, aber ich sagte ihm, dass du wahrscheinlich sowieso nicht könntest.«
»Danke. Aber warum hast du dann den Koffer dabei?«
»Ähm.« Mum holte Luft. »Nun, ich dachte — aber nur, wenn das für dich okay ist —, dass ich allein mit ihm fahre.«
»Nach Paris? Für einen Tag?«
»Zwei Tage. Stefans Töchter gehen zu seiner Mum.«
»Aber sind die Filme dort nicht alle auf Französisch?«
»Das kriegen wir hin.«
»Dann … bleibe ich bei Dad?«
Mum seufzte, und ich war mir unsicher, welche Antwort ich mir wünschte. Ich kenne meinen Dad nämlich nicht besonders gut. Er ist erst vor Kurzem in meinem Leben aufgetaucht, und ich sehe ihn nur jedes zweite Wochenende. Und auch dann nicht immer, weil er als Schauspieler oft beruflich unterwegs ist. Ich würde ihn wirklich gerne sehen, aber er lebt in North London, und das ist meilenweit weg.
»Er ist auf Tournee«, sagte Mum. »Und Onkel Bill ist verreist. Lance auch. Und Mill reagiert nicht. Sie liegt wahrscheinlich immer noch im Bett.«
»Also?«
»Du kommst mit zu uns nach Hause«, sagte eine Stimme hinter mir.
Und als ich mich umdrehte, konnte ich es einfach NICHT fassen, wer mit mir gesprochen hatte.
Es war schon merkwürdig genug, Veronique und ihre Mum überhaupt beim Fußball zu sehen — Veronique sollte eigentlich in der Klavierstunde sein. Sie hatte bald ihre Prüfung. Und — noch merkwürdiger — ihre Mutter lächelte. Wenn ich beim Rektor einbestellt worden wäre, wäre meine Mum ungefähr ein Jahr lang wütend gewesen, aber Veroniques Mum sah nicht einmal verärgert aus. Dann hatte Veronique keinen Hausarrest? Und selbst wenn nicht? Machten sie sich nicht so große Sorgen um Nanai, dass sie nicht auch noch nach mir schauen konnten?
Ich war verwirrt, aber ich würde mich auf keinen Fall dagegen sträuben. Das war SUPER! Ich könnte Veronique von dem CCTV-Video erzählen. Dann könnten wir beide Nanai zur Rede stellen. Ich nickte und sah zu, wie Mum meine Übernachtungstasche an Veroniques Mum übergab und mit ihr besprach, wann sie wieder zurück sein würde. Ich dankte unseren Trainern und sah dann hinüber zu Daisy, deren Vater gerade zu ihr joggte. Vor ihren Füßen lag ein Ball, den er ihr abnehmen wollte, aber sie spielte den Ball mithilfe eines Hackentricks zu Vi, die ihn mit einer Rabona an Lizzie abgab, die sich wiederum um 360° drehte und ihn zurück zu Daisy spielte. Sie zeigte ihrem Vater das Loser-Zeichen und lachte sich schlapp.
»Oh, schau mal«, sagte Mum. »Der Bus!«
Ich ließ Daisy stehen und begleitete Mum zur Bushaltestelle, wo die Nummer 386 gleich losfahren würde. Mum stieg ein und winkte. Ich winkte zurück, bis der Bus Richtung Greenwich Park weggefahren war. Dann drehte ich mich zu Veronique um, die mir mit ihrer Mum entgegenkam. Ich konnte es kaum erwarten, mit ihr zu reden, fragte mich aber, ob das in Anwesenheit ihrer Mum gehen würde. Doch Veronique sah merkwürdig aus. Sie war nicht mehr blass. Sie sah weder verloren noch besorgt aus wie zuvor in der Schule. Sie sah sogar nicht einmal besonders ernst aus wie normalerweise, als würde sie über eine schwierige Addition nachdenken oder so.
Veronique grinste.
»Es geht um Nanai!«, rief sie, ohne dass ich gefragt hatte. »Sie isst wieder!«