»Das hier fühlt sich nicht gut an. Wir sollten Patrouille gehen.«
Gunnars Stimme klang streng, und seine Haltung war aufrecht.
August und Gunnar und eine Reihe neugieriger Bewohner von Hovenäset standen in einem Halbkreis auf dem Resovägen vor den Bootshäusern und beobachteten den Pyrotechniker, der im Gelände um das Feuer herumstocherte. Er sollte herausfinden, was das Feuer ausgelöst hatte. Eine Streifenbesatzung war auch da. Zwei uniformierte junge Männer, die sich zahm zwischen den anderen bewegten und ein paar Worte mit den Feuerwehrleuten wechselten.
Die sind zu jung, dachte August. Die wissen ja gar nicht, was sie hier machen.
Bei Verdacht auf Brandstiftung würden die Ermittler aus dem Dezernat für Gewaltverbrechen hinzugezogen werden. Maria war eine solche Ermittlerin und zudem noch in Kungshamn vor Ort. Wahrscheinlich würde sie den Fall übernehmen.
Der Anblick der zerstörten Bootshäuser schmerzte.
Alles war verkohlt, alles weg.
Verdammter Mist.
Sie wussten immer noch nicht, was passiert war, aber August nahm an, dass der Pyrotechniker nicht lange brauchen würde, um herauszufinden, ob der Brand gelegt worden war oder nicht.
Gunnar hingegen hielt mit seinen eigenen Schlüssen nicht hinterm Berg.
»Das hier ist angezündet worden, das sieht ja wohl jeder«, verkündete er. »Das nennt man Mordbrand. Sowas geht einfach nicht. Jemand muss dafür sorgen, dass Hovenäset sicher ist.«
August warf ihm einen raschen Blick zu. Soweit er wusste, hatte Gunnar niemals als Feuerwehrmann gearbeitet. Er war Seemann gewesen und hatte später eine Ausbildung zum Ingenieur gemacht.
»Glauben Sie nicht, dass Sie ein wenig übertreiben?«
»Wirklich nicht. Die Bootshäuser liegen in der Nähe der Wohnhäuser. Das hätte übel ausgehen können, wenn ich nicht zufällig vorbeigekommen wäre. Außerdem haben wir ja noch all die anderen Vorfälle. In zwei Häusern und in einem Bootshaus ist eingebrochen worden. Das kann so nicht weitergehen.«
August antwortete nicht.
Er hatte keine Ahnung, warum Gunnar mitten in der Nacht spazieren gegangen war. Er war über achtzig Jahre alt, aber kräftig für sein Alter. Und in Situationen, in denen er keine Ahnung hatte, wovon er redete, hatte er keine Scheu, wild zu raten. August war nicht sicher, ob das hier wirklich ein Mordbrand sein konnte. Was die Sache mit den Einbrüchen anging, hatte Gunnar allerdings recht. August selbst war nicht davon betroffen, aber mehrere andere im Ort.
August umklammerte sein Handy in der Jackentasche.
Maria hatte versprochen, von sich hören zu lassen, sowie sie wieder bei der Arbeit war und von ihren Kollegen das Neueste gehört hatte. Er hatte sich sehr gefreut, dass sie im Laufe der Nacht zu ihm zurückgekommen war. Oder mehr als das: Es wärmte ihn rundum. Doch er hatte keinen Schlaf bekommen, keine einzige Minute. Und kurz bevor Hovenäset nach dem Drama der Nacht wieder zum Leben erwachte, noch bevor die meisten Hundebesitzer es auf die Straße raus schafften, hatte Maria sich aufs Fahrrad gesetzt und war wieder Richtung Kungshamn gestartet.
»Auch wenn ich mich manchmal idiotisch benehme, musst du darauf vertrauen, dass wir wirklich zusammen sind«, hatte sie gesagt, ehe sie ging.
Er hatte genickt.
Es gab nur wenig Menschen, denen er ebenso sehr vertraute wie Maria.
Und dennoch störte ihn etwas, wenn er an ihre Beziehung dachte. Es war, als würde sie nicht nur ihnen gehören, sondern als hätte noch jemand anders die Macht über sie.
Gunnar merkte nicht, dass August in Gedanken versunken war, sondern redete weiter.
»Ich denke, wir sollten die Nacht in verschiedene Schichten einteilen«, sagte er. »Ich schreibe einen Aufruf auf die Website, und dann halten wir heute Abend eine Sitzung ab. Alle müssen dabei sein.«
Er nickte einem Mann zu, der ein Stück entfernt stand, und der Mann erwiderte das Nicken.
Linnea Jonasson, die zwei Häuser von August entfernt wohnte und ebenso wie er selbst im Lesekreis »Die Leseratten« aktiv war, näherte sich mit einem wild bellenden Hund, der an seiner Leine zerrte.
Ihre Wangen waren rot vor Kälte und die Augen schmale Schlitze entweder vor Müdigkeit oder möglicherweise auch als Reaktion auf den beißenden Rauch.
Sie legte eine Hand auf Augusts Arm.
»Es tut mir leid«, sagte sie.
Ihre Stimme hatte denselben Ernst, als würde sie »Herzliches Beileid« nach dem Tod eines Angehörigen sagen.
»Danke«, erwiderte August.
»Das ist furchtbar«, fuhr Linnea fort.
»Grotesk«, warf Gunnar ein.
»Man traut seinen Augen nicht«, ergänzte Linnea.
»Schrecklich«, schob Gunnar nach.
Mit einem Mal wirkte die Situation befreiend komisch.
August biss sich auf die Lippe, um nicht laut zu lachen.
Einer der Polizisten kam zu ihm. Der Asphalt war weiß von Eis und Schnee.
»Wir haben bei Axel Ehnbom geklopft«, sagte er, »aber der macht nicht auf. Und er geht auch nicht ans Handy oder ans Festnetztelefon. Wissen Sie, wo er sein könnte?«
»Nein, wir wissen nicht, wo er sein könnte«, antwortete Gunnar.
Er hatte keine weiteren rassistischen Dummheiten über Axels Frau Denise abgesondert, und das war eine Erleichterung. Gunnars Gesicht war von vielen tiefen Falten zerfurcht. Die Jahre auf See waren das, die sich in seine Haut eingegraben hatten. Salziges Meer schuf salzige Winde, und die zehrten sehr am Äußeren der Menschen.
Der Polizist sah über die Gruppe der Versammelten.
»Weiß jemand von Ihnen vielleicht, wie wir Axel erreichen können? Es ist gar nicht gut, ihn nicht erreichen zu können, wo jetzt sein Bootshaus abgebrannt ist. Hat er Angehörige?«
»Nur einen Sohn«, sagte Gunnar. »Aber die haben keinen Kontakt.«
Linnea trat einen Schritt vor.
»Ich bin ihm kürzlich begegnet«, sagte sie, »da hat er irgendwas davon gesagt, dass er für ein paar Tage einen Freund in Strömstad besuchen würde.«
»Das hat er zu mir auch gesagt«, sagte ein Mann, der ein Stück entfernt stand. »Außerdem weiß ich, dass Axel oft vergisst, sein Handy zu laden. Es ist schon häufig passiert, dass man ihn schlecht erreichen konnte.«
August kannte den Mann. Er betrieb eines der Restaurants auf Smögen, wohnte aber auf Hovenäset.
»Mir ist es auch schon passiert, dass Axel nicht rangegangen ist, weil er vergessen hatte, sein Handy zu laden«, fügte August hinzu. Er erinnerte sich, dass Axel, als August sein Bootshaus gekauft hatte und ihn in einer Sache um Rat bitten wollte, nicht leicht zu erreichen gewesen war.
»Sein Auto steht noch auf dem Marktplatz«, beharrte Gunnar, der den anderen nicht zustimmen wollte.
»Vielleicht ist Axel mit dem Bus nach Strömstad gefahren«, gab Linnea zu bedenken. »Ich habe ihn schon oft an der Bushaltestelle stehen sehen.«
»Ich auch«, bestätigte August.
Mehrere andere nickten zustimmend. Doch Gunnar reagierte jetzt ärgerlich.
»Ihr seid doch komplett verrückt«, sagte er. »Soll Axel bei dieser Kälte mit dem Bus gefahren sein? Nach Strömstad?«
Der Polizist sah Gunnar eindringlich an.
»Sie scheinen Axel besser als alle anderen zu kennen«, sagte er. »Wissen Sie, ob es jemanden gibt, der ihm Böses will?«
Linneas runde Augen sahen plötzlich ängstlich aus. »Was wollen Sie da eigentlich andeuten?«, fragte sie. »Dass jemand … dass Axel …«
»Ich will gar nichts andeuten«, sagte der Polizist, »aber das Bootshaus ist abgebrannt, und Axel ist verschwunden. Da müssen meine Kollegen und ich herausfinden, was passiert ist.«
Gunnar nickte.
»Gut«, sagte er. »Gut, dass ihr eure Arbeit macht. Und nein, ich weiß nicht, ob Axel irgendwelche Feinde hatte. Aber das kann ich garantiert herausbekommen.«
»Nein, vielen Dank«, entgegnete der Polizist. »Wir sind sehr froh, wenn wir die Ermittlungsarbeit leisten. Aber es beruhigt mich natürlich, dass hier mehrere sind, die bezeugen können, dass Axel sowohl sein Handy nicht regelmäßig lädt als auch von einer Reise gesprochen hat.«
Dann sprach er schnell weiter, ehe Gunnar ihn unterbrechen konnte:
»Wir müssten noch mit Ihnen reden.«
Er sah August und Gunnar an.
»Das habt ihr doch bereits getan«, antwortete Gunnar kratzbürstig. »Verwenden Sie Ihre Zeit lieber darauf, was wichtig ist. Zum Beispiel, Diebe und Pyromanen und anderes herumstreunendes Volk festzunehmen, das Sie hier frei ihr Unwesen treiben lassen.«
»Wir müssen mit jedem von Ihnen einzeln sprechen«, sagte der Polizist.
»Was soll das heißen, mit jedem einzeln«, fragte Linnea empört. »Sind Sie wegen irgendwas verdächtig? Das können Sie gleich mal vergessen. Ich kenne sowohl Gunnar als auch Anton, da ist überhaupt nichts …«
»Anton?«, fragte der Polizist.
Linneas Wangen wurde noch roter.
»Es ist doch unglaublich, wie dumm ich bin«, sagte sie. »Dass ich ausgerechnet deinen Namen vergessen kann, August.«
Sie streichelte wieder seinen Arm, und er lächelte steif.
»Das kommt vor«, erwiderte er.
Zu den Polizisten sagte er:
»Ich wohne ganz in der Nähe. Wenn es Ihnen passt, können wir sofort zu mir gehen.«
Seite an Seite gingen sie zu Augusts Haus. Als sie am Eishaus vorbeikamen, bemerkte August, wie der Polizist dorthin schielte, und auch August sah hin. Er bereute nicht, das Haus gemietet zu haben, als er nach Hovenäset gezogen war, aber jetzt war er froh, einige Häuser davon entfernt zu wohnen.
»Das ist doch total bescheuert, dass ausgerechnet du ein Haus gekauft hast«, hatte Henrik gesagt. »Wo du doch ein richtiger Wohnungsmensch bist.«
August fand, dass der Ort, an dem das Haus lag, nämlich auf Hovenäset, Henrik mehr erstaunen sollte als der Hauskauf selbst. Seine einzige Verbindung zu dieser Halbinsel war, dass seine Großeltern während Augusts Kindheit dort ein Sommerhaus besessen hatten. Die wären so erstaunt, wenn sie wüssten, dass er jetzt beschlossen hatte, sich dauerhaft dort niederzulassen. Ganz zu schweigen davon, wie erstaunt seine Eltern darüber wären.
»Sie haben es aber schön«, sagte der Polizist, als August ihn in die Küche führte.
Das war eine Gewohnheit, die er von zu Hause mitgebracht hatte, nämlich immer die wichtigsten Begegnungen in der Küche stattfinden zu lassen.
»Danke«, sagte August.
Auch das hatte er gelernt: sich zu bedanken, wenn er ein Kompliment bekam. Er freute sich, wenn jemand etwas Nettes über sein Haus im Allgemeinen und vor allem über die Küche sagte. Die alten Küchenschränke hatte er gelassen, aber die Fronten durch grüne ersetzt. Maria hatte vorgeschlagen, dass er sie mit Messingbeschlägen versehen sollte, was ein Volltreffer war. Das Grün zusammen mit dem Messing verlieh der Küche eine rustikale und warme Anmutung.
Der Polizist strich sich über sein rotes, kurz geschnittenes Haar.
»Kann ich Ihnen einen Kaffee anbieten?«, fragte August.
»Nein, danke«, erwiderte der andere, »alles gut. Ich wollte nur ein paar Details klären. Sind Sie der alleinige Besitzer des Bootshauses?«
»Ja.«
»Wie lange gehört es Ihnen schon?«
»Ich habe es im Oktober gekauft.«
»Wie traurig, dann haben Sie ja nicht lange Nutzen davon gehabt.«
Eigentlich gar keinen, dachte August.
Bootshäuser gehörten zum Sommer, und einen Sommer hatte er in Hovenäset noch nicht erlebt, zumindest nicht als Erwachsener.
»Wie haben Sie entdeckt, dass das Bootshaus brannte?«, erkundigte sich der Polizist.
»Gunnar ist vorbeigekommen. Er hatte den Brand rein zufällig entdeckt.«
»Was haben Sie gerade gemacht, als er hierherkam?«
»Ich habe geschlafen.«
»Wie gut kennen Sie Gunnar?«, fragte der Polizist.
»Eigentlich nicht sonderlich gut. Ich meine, wir laufen uns ab und zu über den Weg, und einmal war ich zu Hause bei Gunnar zum Kaffeetrinken. Und dann sehen wir uns manchmal in der Interessenvereinigung von Hovenäset. Aber das ist alles.«
August hatte schon bei den meisten auf Hovenäset Kaffee getrunken. Bei Gunnar, bei Axel, sogar bei Linnea – fast alle hatten ihn auf eine Tasse einladen wollen, als er neu zugezogen war.
»Wissen Sie, was Gunnar mitten in der Nacht draußen gemacht hat?«
August schüttelte den Kopf.
Der Polizist machte sich Notizen.
»Wissen Sie irgendetwas darüber, wie der Brand ausgelöst wurde?«, fragte August.
Zum ersten Mal während ihres Gesprächs richtete sich der Polizist auf. Das ließ ihn weniger jungenhaft aussehen und verlieh ihm Ausstrahlung.
»Die Pyrotechniker haben eine erste Beurteilung abgegeben«, sagte er. »Der Brand hat seinen Anfang im Bootshaus von Axel Ehnbom genommen, und es war Brandstiftung.«