Man lernte ja erstaunlich viel über einen Menschen, wenn man seine finanzielle Situation unter die Lupe nahm. Diese Erfahrung hatte Maria schon oft gemacht, und auch bei Axel bestätigte sie sich wieder. Ein gewöhnlicher Kontoauszug konnte alles Mögliche enthüllen: wie oft (und wo) man zum Friseur ging und wie viel Geld man für Essen, Geschenke, Alkohol und Reisen ausgab.

In Axels Ordnern waren zwar keine Kontoauszüge, aber die Rechnungen waren auch interessant. Vor allem diejenigen, die von Versicherungsunternehmen stammten.

Maria schaute die jüngsten Rechnungen an. Da ging es um eine Versicherungsprämie für ein Sommerhaus. Sie wurde nachdenklich. Axel besaß kein Sommerhaus. Doch als sie auf der nächsten Seite den Brief der Versicherung las, klärte sich das auf. Hier ging es um die Versicherung eines Bootshauses. Zahlungsziel der Rechnung war der 3. Januar, und mitten auf das Papier hatte jemand »OK« geschrieben. Dasselbe Kürzel stand auf allen anderen Rechnungen auch, somit nahm Maria an, dass es Axels Methode gewesen war zu markieren, dass er die Rechnung bezahlt hatte.

Das Bootshaus war mit einer Summe von 200.000 Kronen versichert. Das machte Maria nachdenklich. 200.000 war natürlich viel Geld für jemanden, der gar keines hatte, aber das Bootshaus wäre sehr viel mehr wert gewesen, wenn Axel es verkauft hätte. Warum hat er also nicht das gemacht? Warum war ihm so daran gelegen, schnell an Bargeld zu kommen?

Wenn es wirklich so war, dass Axel selbst die Hütte angesteckt hatte. Die Ordnung in seinem Zuhause ließ Maria das fraglich erscheinen. Axel war offenbar ein Mann gewesen, der die Situation unter Kontrolle hatte. Natürlich hatte er in Spanien ein schlechtes Geschäft gemacht und bestimmt auch die ein oder andere wirtschaftliche Fehlentscheidung getroffen, doch das konnte jedem passieren. Außerdem zeugten die Literatur und die Zeitschriften im Haus von Bildung.

Hatte er allen Ernstes geglaubt, dass er mit seinem recht amateurhaften Abbrennen des Bootshauses davonkommen würde? War ihm nicht klar gewesen, dass die Vorgehensweise Fragen aufwerfen würde, die eine Bezahlung der Versicherungssumme gefährdeten?

Ray-Ray kam zurück. Er sah aufgeregt aus.

»Die Reinigungsfirma hat bestätigt, dass sie Axel als Kunden hatten«, berichtete er. »Einmal die Woche haben sie hier geputzt. Die Reinigungskraft hatte keinen eigenen Schlüssel, sondern er war immer zu Hause und hat sie reingelassen.«

»Okay«, sagte Maria.

»Ich habe ihre Nummer bekommen und sie angerufen. Sie hat erzählt, dass Axel in den letzten Wochen eine Art von großem Aufräumen begonnen hat. Jedes Mal, wenn sie in der Zeit gekommen war, saß er da und sortierte Sachen und packte sie in Kartons. Deswegen steht eine ganze Reihe Kartons im Keller. Sie hat gesagt, sie hätte noch mit ihm gescherzt und gefragt, ob er alles sterbeklar machen würde, doch das hatte er verneint und stattdessen behauptet, er hätte einfach das Bedürfnis, seine Besitztümer durchzugehen und alten Mist wegzuwerfen.«

»Oder ihn August zu geben«, sagte Maria bedächtig.

»Wie bitte?«

»Der Karton, den August von Axel bekommen hat. Der mit der Kamera, dem Projektor und dem Film und den Steinen. Das kann er ja auch alles beim großen Aufräumen zusammengesammelt haben.«

»Stimmt«, sagte Ray-Ray. »Aber mit den Sachen in dem Karton ist doch irgendwas komisch. Ich meine, von allen Dingen, die man an einen Secondhandladen weitergeben kann, warum ausgerechnet einen Projektor? Oder einen Haufen Steine?«

Er sah sie verständnislos an.

»Wir machen weiter. Hast du noch was anderes gefunden?«

»Sieh dir das an«, sagte Maria und reichte ihm den Ordner.

Ray-Ray las konzentriert und blätterte weiter.

»Verdammt noch mal, was ist denn das hier?«, fragte er und hielt ihr den Ordner wieder hin.

Da war eine weitere Versicherungsprämie, aber bei einer ganz anderen Firma. Diesmal war es ein international aufgestelltes Unternehmen, das auf die Versicherung von wertvoller Kunst spezialisiert war.

»Sieh doch«, sagte Ray-Ray, »vor drei Wochen erst hat er ein Gemälde versichert, das laut Gutachten des Unternehmens über eine Million Kronen wert war.«

Maria war verblüfft, vor allem, als sie die Beschreibung des Gemäldes las. Der Name des Künstlers sagte ihr gar nichts, aber angeblich war das Gemälde zwei Meter hoch und anderthalb Meter breit.

Maria und Ray-Ray sahen sich verwirrt um.

Keiner von ihnen hatte ein so großes Bild im Haus gesehen.

»Diesen Anruf erledige ich«, sagte Maria und rief das Versicherungsunternehmen an.

Einige Minuten und diverse Weiterverbindungen später hatte sie einen der Chefs in der Leitung. Sie stellte das Handy auf Lautsprecher. Der Mann klang jung, aber betroffen, als er hörte, wer sie war und warum sie anrief.

»Was sagen Sie da? Axel Ehnbom ist gestorben? Das ist ja schrecklich.«

»Ja«, sagte Maria, »das finden wir auch. Aber sagen Sie mir, dieses Gemälde, das er kürzlich bei Ihnen hat versichern lassen. Haben Sie eine Ahnung, wo sich das befinden könnte?«

Wenn es das überhaupt gibt, fügte sie im Stillen hinzu.

»Durchaus«, antwortete der Mann. »Aber in dem Fall müsste ich Ihre Ausweise sehen. Solche Informationen kann ich ja nicht einfach so herausgeben.«

Maria schaute den Versicherungsbrief an. Das Unternehmen hatte sowohl in Stockholm als auch in Göteborg Büros.

»Ich kann einen Kollegen von der Polizei Göteborg bei Ihnen vorbeischicken«, sagte sie.

»Tun Sie das«, sagte der Mann. »Ich helfe Ihnen auf jeden Fall so gut ich kann. Axel Ehnbom werde ich so schnell nicht vergessen. Ein sehr besonderer Mann, der außergewöhnliches Glück hatte.«

Maria war erstaunt. Außergewöhnliches Glück? Sie hatte doch eben erst erzählt, dass er gestorben war.

»Das klang jetzt etwas unpassend«, beeilte sich der Mann zu sagen. »Ich weiß schon. Aber ich dachte nur an das Kunstwerk und wie er dazu gekommen ist.«

»Verstehe«, erwiderte Maria, die sich darüber ärgerte, wie viel Neugier der Mann in ihr weckte, ohne eigentlich etwas von Wert zu erzählen.

»Waren Sie derjenige, der das Kunstwerk begutachtet hat?«

»Ja«, sagte der Mann. »Das war eine besondere Begegnung. Es war mein erster Besuch auf Hovenäset. Fantastischer Ort!«

Maria und Ray-Ray sahen sich an. So konnten sie zumindest sicher sein, dass das Kunstwerk existierte, auch wenn sie keine Ahnung hatten, wo es sein könnte.

»Das heißt, Sie waren zu Hause bei Axel?«, fragte Maria.

»Das ist richtig«, bestätigte der Mann. »Wir haben uns in seinem Haus getroffen und sind dann zum Bootshaus spaziert.«

Er hielt inne und schien einzusehen, dass er zu viel gesagt hatte.

Zum Bootshaus.

»Das Kunstwerk befand sich also im Bootshaus?«, fragte Maria bedächtig.

Der Mann redete weiter, doch jetzt wirkte er unsicher und besorgt.

»Warten Sie, warten Sie, ich muss nachdenken. Also entschuldigen Sie bitte, ich müsste eigentlich wirklich einen Ausweis von Ihnen sehen, ehe ich was sagen kann … aber ich möchte dennoch fragen. Was heißt denn befand sich im Bootshaus? Ich meine, wie …«

Nun tauschten sie die Rollen. Jetzt waren es Maria und Ray-Ray, die darüber nachdenken mussten, wie viel sie übers Telefon sagen durften.

»Das Bootshaus ist vor zwei Nächten abgebrannt«, erklärte Maria.

»Gütiger Gott«, flüsterte der Mann. »Ja, das Kunstwerk befand sich im Bootshaus. Es war direkt auf die eine Wand gemalt, die dann mit einem Holzpaneel von innen zugebaut worden war.

»Wie bitte?«, fragte Maria, die das nicht richtig verstand.

»Eine Wand im Bootshaus war doppelt beplankt. Und als Axel das innere Paneel weggenommen hatte, fand er das Gemälde. Es stellte sich heraus, dass der Künstler irgendwann zuvor das Bootshaus besessen hatte. Das Gemälde war in diversen Künstlerkreisen bekannt und fast zu einem Mythos geworden, weil niemand herausfinden konnte, wo es sich befand. Und dann hat Axel es rein zufällig gefunden.«

»Aber wie konnte es in einer alten nicht gedämmten Bootshütte erhalten bleiben?«, fragte Maria.

»Weil es mit derselben Farbe gemalt worden ist, mit der die Leute zu jener Zeit ihre Häuser gestrichen haben, und mit einem groben Pinsel. Der Künstler hat mit nur drei Grundfarben gearbeitet, die dann in verschiedenen Nuancen gemischt wurden. Äußerst ansprechend, muss ich sagen. Außerdem möchte ich noch hinzufügen, dass ein altes, nicht gedämmtes Bootshaus keineswegs das Schlimmste ist, was man einem Kunstwerk antun kann.«

Maria versuchte, sich das Gemälde vorzustellen. Es funktionierte nicht.

»Entschuldigen Sie eine sicher etwas dumme Frage«, begann sie, »aber wenn hier jemand mit übrig gebliebener Hausfarbe ein feines Gemälde direkt auf die Wand in einem Bootshaus malt, wie kann daraus Kunst im Wert von Millionen werden?«

Der Mann am anderen Ende schwieg eine Weile.

»Ich denke, dass Sie von dem Künstler noch nie zuvor gehört haben«, sagte er dann vorsichtig, »aber ich kann Ihnen das erklären. Stellen Sie sich vor, dass zum Beispiel Vincent van Gogh in ein Bootshaus in Bohuslän gereist wäre und direkt auf die Wand gemalt hätte und dass dieses Wandgemälde dann relativ gut erhalten hundert Jahre später entdeckt worden wäre. Glauben Sie nicht, dass dieses Gemälde, obwohl er es nur mit Hausfarbe gemalt hätte, auch sehr viel wert wäre?«

Maria wurde rot, und Ray-Ray verdrehte die Augen.

»Sicher wäre es das«, sagte Maria. »Aber …«

»Natürlich war der Künstler, der das Gemälde in Axels Bootshaus geschaffen hat, überhaupt nicht so groß wie Van Gogh, ist aber definitiv einer unserer Größten. Viele würden sehr viel für ein Gemälde von ihm bezahlen. Außerdem war das Motiv schön. Ansprechend.«

»Aber wie würde ein Käufer es denn mitnehmen können?«, fragte Maria ungläubig.

»Das wäre der nächste Schritt. Wenn Axel das Gemälde hätte verkaufen wollen, dann hätte man die Holzplanken im Bootshaus eine nach der anderen rausnehmen, sie beschneiden und dann woanders aufhängen müssen. Die Restaurierung des Werkes wäre ganz einfach gewesen.«

Und damit war das Wichtigste klargestellt.

Kurz bevor das Bootshaus angezündet wurde, war dort ein wertvolles Kunstwerk gefunden worden. Jetzt wussten sie, warum es in der Hütte eine Alarmanlage gab. Wenn Axel noch leben würde und mit seinem Versicherungsbetrug durchgekommen wäre, dann wäre er jetzt ein reicher Mann.

»Warum hat er das Gemälde nicht verkauft?«, fragte Maria, nachdem sie aufgelegt hatte.

»Verdammt gute Frage«, sagte Ray-Ray. »Vielleicht weil er an seiner Echtheit zweifelte?«

»Oder weil die Zeit nicht reichte«, sagte Maria. »In dem Fall möchte ich gerne wissen, warum er es so eilig hatte, an Geld zu kommen.«