Ein weiterer Besuch in Axel Ehnboms Haus. Ein weiterer Versuch zu verstehen, was zu seinem Tod geführt haben könnte. Elias Ehnbom saß Maria und Ray-Ray am Küchentisch gegenüber. Er sah gut aus, fand Maria – eine unprofessionelle, aber unvermeidliche Reflektion. Elias hatte viel vom Aussehen seiner Mutter geerbt – dunkle Haut und schwarze, kurz geschnittene Haare –, aber Gesichtszüge und Gestalt hatte er von seinem Vater. Runde Augen, entschlossenes Kinn, breite Schultern.
Seine Unterarme ruhten auf der Tischplatte. Er trug ein weißes Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln und eine schwarze Hose. Seine Stimme erinnerte an die von August: dunkel und ruhig. Ein Klang, der von einem stabilen Kern zeugte, von etwas Unverbrüchlichem. Auch seine Miene verriet das. Freundlichkeit, Stabilität und Wärme. Und Trauer. Keine verzehrende, sondern eine, die er tragen konnte, ohne von ihr zerstört zu werden. Das machte das Gespräch leichter.
»Wie Sie bereits wissen, hatte ich keinen Umgang mit meinem Vater«, sagte Elias gedehnt. »Aber … jetzt, da er nicht mehr ist, fühlt es sich seltsam leer an in mir. Alles wird so definitiv. Mama ist ja auch nicht mehr da. Geschwister habe ich nicht. Da bin nur noch ich übrig. Ich hätte nicht gedacht, dass es sich so schwer anfühlen würde.«
Maria schluckte.
Elias sprach nicht nur mit einer Stimme, die an Augusts erinnerte, auch seine Lebensgeschichte war ähnlich.
Allein übrig geblieben, dachte Maria. Der letzte Ausläufer einer Familie.
»Erzählen Sie, warum Sie und Ihr Vater den Kontakt abgebrochen haben«, bat Ray-Ray.
Elias griff nach dem Wasserglas, das vor ihm stand, und nahm einen Schluck.
Jetzt trat eine andere, mehr alltägliche Art der Trauer auf sein Gesicht.
»Das ist eine bedauerliche Geschichte«, sagte er. »Sechs Jahre ist es her, dass es passierte.«
»Und Sie haben seither nichts voneinander gehört?«
»Er hat angerufen, wenn ich Geburtstag hatte, und manchmal ein Weihnachtsgeschenk geschickt. Aber mehr nicht.«
»Haben Sie auch angerufen?«, fragte Ray-Ray. »Ich meine, wenn Axel Geburtstag hatte?«
Elias schüttelte den Kopf.
»Mir ist schon klar, das klingt hart, aber ich war mit der Beziehung zu meinem Vater fertig. Es gab irgendwie keine Hoffnung … keinen Weg zurück. Es war nicht so, dass einer von uns gewünscht hätte, dass es so kommt, und doch sind wir da gelandet.«
»Was ist passiert?«, fragte Maria. »Wir würden gern die längere Version der Geschichte hören.«
»Geld«, sagte Elias und zog eine gequälte Grimasse, ehe er fortfuhr.
»Geld?«, fragte Ray-Ray.
Elias befingerte das Wasserglas und nickte.
»Papa besaß die unermüdliche Fähigkeit, richtig beschissene Investitionen zu tätigen. Er hat massenhaft Geld verloren. Vor allen Dingen in einem gescheiterten Immobilienprojekt in Spanien. Es war ungeheuer frustrierend, das zu sehen.«
Ray-Ray beugte sich vor.
»Streng genommen könnte man sagen, dass die privaten Finanzen Ihres Vaters Sie nichts angingen«, sagte er.
»Absolut«, stimmte Elias zu. »Aber Papa hat mich um Rat gebeten. Bei dem Mal, als wir uns zerstritten haben, war es jedenfalls so. Aber er wollte nicht auf mich hören und hat gesagt, das Geschäft in Spanien würde sein bestes jemals werden. Wir sind ordentlich aneinandergeraten … und wir haben vieles gesagt, das niemals hätte gesagt werden sollen. Unverzeihliches. Denn er hatte ja schließlich meine Ausbildung in den USA bezahlt. Er fand, ich sollte dankbar sein und mich für ihn freuen, da er nun die Chance auf ein Riesengeschäft hätte.«
Er schluckte.
»Natürlich ging es auch um Mama. Ich fand, dass er sich, als sie noch lebte, nicht ausreichend für sie eingesetzt hat. Er war schlecht darin, Grenzen zu ziehen und sie zu verteidigen. Und er hasste es, kritisiert zu werden.«
»Haben Sie oft gestritten?«, fragte Ray-Ray.
»Hin und wieder. Vor allem nach Mamas Tod.«
Maria verarbeitete, was sie hier hörte.
Streit um Geld und unterdrückte Wut waren schließlich in einem Konflikt kulminiert, der Vater und Sohn veranlasste, den Kontakt zueinander abzubrechen. Ein ebenso klassischer wie unnötiger Konflikt.
»Das ist die ganze Geschichte«, sagte Elias. »So habe ich meinen Vater verloren. Meine Freundin Olivia hat ihn nie kennengelernt. Als er noch lebte, war ich ganz sicher, dass es so richtig war, aber jetzt …«
Er verstummte.
Maria erinnerte sich, was sie im Einwohnermelderegister gesehen hatte. Elias war unverheiratet und lebte allein in einer Wohnung in Vasastan in Stockholm.
»Sind Olivia und Sie schon lange zusammen?«, fragte sie.
»Ein halbes Jahr. Wir haben uns in der Kanzlei, in der wir beide arbeiten, kennengelernt und suchen jetzt eine gemeinsame Wohnung.
»Kinder?«
Ray-Ray stellte diese Frage.
»Nein, ich habe keine Kinder.«
»Das weiß ich bereits, aber ich dachte, Ihre neue Freundin hätte vielleicht welche.«
»Nein, keiner von uns hat Kinder. Aber wir hoffen natürlich, dass wir in einer nicht allzu fernen Zukunft welche bekommen werden.«
Elias lächelte wehmütig.
»Wann sind Sie von Göteborg weggezogen?«, fragte Maria.
»Im Zusammenhang mit dem Job, den ich bei der Kanzlei in Stockholm bekommen habe. Das ist fast exakt sechs Jahre her. Ich habe mich beworben, nachdem Papa und ich uns gestritten hatten. Da wirkte die Westküste plötzlich so seltsam leer, und ich empfand den starken Drang wegzukommen … noch mal neu anzufangen.«
Seine Stimme wurde immer leiser, sodass die letzten Worte mehr wie ein Flüstern klangen.
Er räusperte sich.
»Was glauben Sie, ist meinem Vater zugestoßen?«
»Wir glauben nicht, dass sein Tod ein Unfall war«, antwortete Maria.
Elias schluckte.
»Sie glauben, er sei ermordet worden? Von wem?«
Ray-Ray lehnte sich zurück.
»Wir hatten gehofft, Sie würden uns das sagen können.«