Das Schloss an der Ladentür machte Schwierigkeiten. August wurde wütend und ruckelte am Schlüssel, bis schließlich die Tür aufging und er reingehen konnte. Er schloss die Tür hinter sich und verriegelte sie. Dann kontrollierte er noch mal an der Klinke, ob sie auch zu war.
Nur um im nächsten Moment festzustellen, dass die Alarmanlage nicht funktionierte. Das Display blinkte aufgeregt, und ein schwaches Piepen war zu hören.
August schaltete das gesamte System aus und rief die Firma an. Die versprach, die Sache zu überprüfen, ehe er am Abend den Laden schließen würde.
»Danke, das wäre sehr freundlich«, sagte er verärgert und beendete das Gespräch.
Eigentlich hatte er keine Tendenz zur Paranoia. Und Menschen, die sich seltsamen Verschwörungstheorien hingaben oder sich ganz allgemein verunsichert verhielten, waren ihm auch immer suspekt. Das meiste in der Welt war genau das, was es zu sein schien, und in den allermeisten Situationen machte man sich nur unglücklich, wenn man diverse unterschiedliche Sicherheitsvorkehrungen traf.
Wie zum Beispiel, eine Tür abzuschließen, die man ansonsten offen ließ.
Es war Paul, der Augusts Denken durcheinanderbrachte.
Wahrscheinlich sollte er dankbar für die Alarmanlage sein, doch bedeutete es auch Stress.
Wie auf Bestellung rief Henrik an.
»Wie ist die Lage?«
August ließ sich schwer auf der Schreibtischkante nieder.
Wie die Lage ist? Ja, ziemlich verrückt.
»Hallo?«
»Ich bin hier, ich überlege nur gerade, was ich darauf antworten soll.«
Und dann erzählte er ihm alles, was passiert war. Ließ nichts aus. Henrik war schließlich kein besorgter Vater, der vor der Wahrheit über Augusts Leben geschützt werden musste. Und im Moment sah das vor allem chaotisch aus. Alles andere wäre eine Lüge.
Als er fertig war, hörte er Henrik am anderen Ende atmen. Schließlich war August an der Reihe zu sagen:
»Hallo?«
Henrik sonderte ein schwaches Stöhnen ab, von der Sorte, wie man es auf theatralische Weise äußert, um dem anderen klarzumachen, wie dumm man ihn findet.
»Im Ernst? Bist du suizidal? Bleibst du deswegen in diesem verdammten Loch hängen? Jetzt hast du deine Lebenskrise gehabt, also werd mal erwachsen, und komm nach Hause. Es ist nicht gut für dich, da zu wohnen. Du wirst komisch, wenn du dableibst. Jetzt machst du mal Folgendes: Du fragst Maria, ob sie dich heiraten will, und dann nimmst du sie mit nach Stockholm. Die Polizeiarbeit hier ist sicher unvergleichlich unterhaltsamer. Da wo sie jetzt ist, passiert ja nichts.«
August merkte, wie er lächeln musste.
Im nächsten Moment wurde Henrik klar, was er da gesagt hatte.
»Warte, ich merke gerade, wie das klingt. Das Problem ist ja eher, dass da, wo Maria jetzt arbeitet, zu viel passiert. Das habe ich gemeint.«
»Ne, ne«, sagte August und lachte laut, »gesagt ist gesagt.«
Das hier war genau der Grund, warum er Henrik so mochte. Weil er ihn immer zum Lachen brachte.
»Du, ich muss jetzt Schluss machen. Ich muss arbeiten.«
»Versprich mir, dass du Schutz bekommst, jetzt wo dieser verdammte Wahnsinnige auf der Flucht ist«, verlangte Henrik.
August betrachtete die Alarmanlage, die er auf den Tisch gelegt hatte.
»Yes, dafür ist gesorgt.«
»Ich rufe später noch mal an. Das hier gefällt mir gar nicht.«
»Da sind wir schon zwei«, antwortete August und legte auf.
So hatte er sich das nicht vorgestellt. Sein Leben hatte sich binnen nur eines Jahres unfassbar verändert. Vor zwölf Monaten noch war er frisch Single geworden und dabei, sich von Helene zu trennen.
»Ich liebe dich nicht mehr«, hatte sie gesagt. »Ich möchte, dass wir uns trennen.«
August schämte sich fast, wenn er daran dachte, wie erleichtert er gewesen war, als sie ihn verlassen hatte.
Die Nachricht, dass sie ein Kind erwartete, schmerzte immer noch, aber nur, weil er selbst jetzt wusste, dass auch er eine Familie gründen wollte.
Mit Maria.
Am liebsten so schnell wie möglich.
Sein Blick wanderte über die Regale und Sachen in seinem Laden. Die vielen Bücher und die seltsamen Porzellanfiguren, die gebrauchten Skiklamotten und Skier und die Schallplatten und dann die Sammlung mit alten Reisekoffern, die so viele Jahre auf dem Buckel hatte, dass sie mit zum Coolsten gehörte, was man sich in Sachen Reisetasche vorstellen konnte. Ganz zu schweigen von all den ganz besonderen Abendkleidern, die er angesammelt hatte.
Er konnte inzwischen leichter Kleider ablehnen, von denen er sich keinen Wiederverkaufswert versprach, aber die Festkleidung war ein richtiger Glückstreffer geworden.
Er war stolz auf das, was er geschaffen hatte.
Sogar auf das »Danke-für-alles«-Regal mit all seinen unglaublich unpraktischen und hässlichen Dingen war er stolz.
Doch plötzlich hielt er inne.
Mitten auf dem »Danke-für-alles«-Regal lag eine grüne Mütze mit Ohrenklappen.
Er ging hin und nahm sie in die Hand.
Und erstarrte.
Diese Mütze erkannte er wieder, die hatte er schon viel zu oft gesehen.
Auf dem Kopf von Gunnar Wide.
Verdammt noch mal.
Wie war diese Mütze im Laden gelandet? Hatte Gunnar sie am Tag zuvor vergessen? Nein, denn er war ja ohne Mütze und mit einer gestohlenen oder geliehenen Jacke aufgetaucht.
Aus der Küche hinter dem Laden war ein kratzendes Geräusch zu hören, nur kurz und gedämpft, und wenn er nicht gerade mit Gunnars Mütze in der Hand dagestanden hätte, dann wäre es ihm sicher gar nicht aufgefallen.
Aber jetzt.
August ging in die Küche.
»Ich weiß, dass du hier bist, Gunnar.«
Kaum, dass er die Worte ausgesprochen hatte, wurde ihm klar, dass er das eigentlich gar nicht wusste. Es sprach sie nur aus, weil es sich wie eine gute und starke Eröffnungsphrase anfühlte, falls wirklich sein seltsamer Nachbar da wäre.
Und so war es, wie sich herausstellte.
In der Speisekammer, die August noch nicht in Gebrauch genommen hatte.
Die Tür schrammte, als sie vorsichtig geöffnet wurde und Gunnar herausschaute.
»Sind wir allein, Strindberg?«
August warf die Mütze auf den Küchentisch.
»Teufel noch mal«, sagte er und fasste sich an den Kopf. »Hast du sie noch alle, Gunnar?«
Der alte Mann kletterte aus der Speisekammer.
»Natürlich«, erwiderte Gunnar verärgert.
»Hast du die ganze Nacht hier gesessen?«
»Nein, ich habe tatsächlich auf einer Matratze im Keller geschlafen. Das nimmst du mir doch hoffentlich nicht übel, oder? Ich bin verdammt spät gekommen und war müde.«
August sah Gunnar von oben bis unten an. Er sah wirklich ein wenig mitgenommen aus.
Er unterdrückte einen Seufzer. Soweit er wusste, wurde Gunnar nicht länger von der Polizei gesucht.
»Natürlich nehme ich dir das übel. Was machst du bloß?«
»Die Polizisten sind Idioten«, verkündete Gunnar. »Ich weiß es nicht genau, aber ich habe mich entschieden, einfach mal davon auszugehen, dass sie Leute auf mich angesetzt haben. Sie haben mich ziehen lassen, glauben aber immer noch, dass ich Axel getötet habe.«
»Hast du das denn nicht?«
August war selbst erstaunt, wie scharf er klang.
Er verschränkte die Arme vor der Brust und streckte sich.
Gunnar warf ihm einen langen Blick zu. Die buschigen Augenbrauen warfen einen Schatten über seine Augen.
»Kann man vielleicht ein bisschen Wasser kriegen?«
»Hast du Axel getötet?«
»Nein, ich habe Axel nicht getötet. Kann ich ein Glas Wasser kriegen?«
August nahm ein Glas aus dem Küchenschrank und drehte den Hahn auf. Gunnar hatte sie nicht alle, so viel stand fest.
»Hast du meine Alarmanlage kaputtgemacht?«, fragte August.
»Was heißt denn kaputtgemacht? Ich habe nur ein bisschen drauf rumgetippt. Ich habe dieselbe zu Hause. Taugt nichts.«
»Du kannst hier nicht bleiben«, sagte August und reichte das Glas Wasser rüber. »Ich habe zu arbeiten. Ich kann dir nicht helfen.«
Gunnar leerte das Glas.
»Du sollst nicht mir helfen«, sagte er, »sondern Axel.«
»Axel lebt nicht mehr.«
»Genau.«
Gunnar stellte das Glas ab und machte eine Kunstpause.
»Aber du«, sagte er. »Und ich auch. Und ich glaube, dass ich auf etwas Wichtiges gestoßen bin.«