Alfred Jodocus Kwak hatte eine Erkältung erwischt. Der Doktor hatte gesagt: »Ein paar Tage in den Bergen würden dir guttun.« Und Alfred hatte auf ihn gehört. An dem Tag, an dem er nach Hause wollte, fiel ihm eine Schneeflocke auf den Schnabel. »Huch«, sagte die Schneeflocke. »Wer bist du?«, fragte Alfred. »Wo willst du hin?« – »Ich bin Sterre, die Schneeflocke. Ich gehe zu meiner Mutter.« – »Zu deiner Mutter?« – »Ja, meine Mutter ist das Meer.« – »Deine Mutter ist das Meer? Darf ich mitkommen?« – »Ja, aber schnell.« – »Schnell?« – »Ja, ich will hier nicht schmelzen.«
Die Wendung »Meeresstern« ist in den katholischen Gottesdienst gekommen durch den heiligen Hieronymus. Er deutete den hebräischen Namen für Maria, »Maryam«, um in stilla maris (»Meerestropfen«), woraus später stella maris wurde, Stern des Meeres, nach dem wiederum später eine Biermarke benannt wurde.
Wie das, was nicht wahr sein kann, wahr wird, deine Welt stillsteht und sich doch weiterdreht, wie du, überfragt, nicht mehr aufhören kannst zu reden, wie das, was nur anderen passiert, dir widerfährt, die Gespenster in deinem Kopf mit ihrem Fragebogen kommen, du auf einmal begreifst, sie geht verloren, die Zeit. Es lässt sich weder erklären noch verstehen, weg ist weg ist weg. Nichts hilft in diesem Moment, kein Trost, kein Gott, keine Reue.
Ich hatte noch nie das Meer gesehen. Auf Bildern, Kalendern und Ansichtskarten schon, aber nie mit Gerüchen und Farben. Die Düne ist zu niedrig, um das ganze Meer zu überblicken. Wie hoch muss man stehen? Wie sehe ich den Anfang? Wo ist das Ende? Wird wohl in der Mitte sein. Dort gibt es natürlich eine Unterwasserfontäne.
»Papa, weißt du, wo der Anfang des Meeres ist?« Mein Vater blickte aus dem Strandkorb von seiner Zeitung auf. Deutete nach oben. »Ich sehe nichts.« – »Was siehst du?« – »Nichts.« – »Doch. Was siehst du da treiben?« – »Da treiben? Wolken.« – »Genau. Da kommt das Meer her. Die Mutter des Meeres sind die Wolken, und umgekehrt ist die Mutter der Wolken das Meer.« Ich wusste nicht, ob ich es richtig verstand. »Ja, aber nicht heute«, fuhr mein Vater fort, »laut dem Enkhuiser Almanach bleibt es heute trocken.«
Wir kletterten langsam durch den lockeren Sand nach oben auf die Düne. Was ich dann sah, habe ich niemals mehr vergessen. Dass das Meer so groß war, wie hätte ich das wissen können. Das Meer hörte nicht auf, nirgendwo, war überall. Es passte nicht mal in meine Augen.
Ich konnte es nicht erwarten, auf dem Strand meinen neuen Drachen aus dünnen Bambusstöckchen und feiner Baumwolle steigen zu lassen. Fantastisch, nichts riss, nichts brach. Der Drachen schwebte und machte Sturzflüge über die Brandung wie ein großer Vogel. Das Seil zitterte stramm in meiner Hand. »Herman, Herman, willst du ein Eis?«, schrie meine Schwester von der Düne herab. »Ja, aber ich kann nicht weg. Ich bin beim Drachenfliegen.« – »Binde den Drachen an das Halsband des Schäferhundes. Er ist stark genug.« – »Sitz, bleib! Bin gleich wieder da.« Ich rannte zum Eismann. Leckte am Eis, so schnell ich konnte. Offensichtlich nicht schnell genug. Den Drachen haben wir am Mittag beim Leuchtturm wiedergefunden. Vom Schäferhund keine Spur. Dem Wind konnten wir keine Schuld geben.
Im Zelt hinter den Dünen konnte man das Meer noch hören. Es war immer da. Das Licht des Leuchtturmes strich über die Zeltdächer. Abends hörte man die Seeländer.
Wir sahen uns die Fischerfrauen mit ihren weißen Hauben und ihren schwarzen Capes an. Bewunderten ihre flinken Hände, die Fischernetze flickten, wobei sie Lieder sangen vom Warten, dem Wind in den Segeln, von Hoffnung, alle Mann an Deck! Und vom Nachhausekommen. Das alte Lied von Stavoren.
Es war einmal eine reiche Hansestadt namens Stavoren aan de Zee. Der reichste Mensch der Bürgerschaft war eine bildschöne Witwe. Eines Tages schickte sie einen ihrer Schiffer auf die Reise mit dem Ziel, für sie das Allerallerkostbarste, das es gab, zu suchen. Der Schiffer fuhr um die ganze Welt, aber er konnte nichts finden, was die Witwe nicht schon besaß. Bis er in Danzig an der Ostsee goldgelbes Getreide fand, das prächtiger war, als er jemals gesehen hatte. Dies musste das Kostbarste auf der Erde sein, dachte er. Er lud sein Schiff damit voll und segelte guten Mutes zurück nach Stavoren. Dort fand die Witwe das Getreide nicht einmal für ihre Schweine gut genug, und sie befahl dem Schiffer, das Getreide ins Meer zu schütten. Ein uralter Bettler flehte die Witwe an, die Entscheidung zurückzunehmen. »Tun Sie das nicht, meine Dame. Wenn Sie es tun, dann werden Sie einmal so arm werden wie ich.« Mit einem spöttischen Lächeln zog die hochmütige Frau einen goldenen Ring vom Finger und warf ihn in das Wasser vom Hafen. »So gering die Chance ist, dass dieser Ring wiederkommen wird, so gering ist die Chance, dass ich arm werde.« Doch schon am folgenden Tag fand die Dienstmagd den Ring im Bauch eines Fisches, und bevor die Witwe sich von dem Schrecken erholt hatte, bekam sie eine Hiobsbotschaft nach der anderen. Ihre Schiffe versanken, ihre Lager gingen in Flammen auf, und das ganze Land, das sie hatte, wurde vom Meer verschlungen. Sie wurde auf der Stelle hässlich und so schnell arm, dass sie für ein Stückchen Brot betteln gehen musste. Und auf dem Platz, auf dem das Getreide ins Meer gekippt worden war, entstand eine enorme Sandbank, die den Hafen von Stavoren und das Meer bis zu Harderwijk, Soest und Amersfoort unzugänglich machte. Ja, einst lag Soest, der Ort, in dem wir wohnen, am Meer. Deshalb heißt es jetzt hier Zuhause.
Eines Abends bekamen mein Vater und meine Mutter Streit im Zelt. Mein Vater ist damals wieder mal für immer fortgegangen. Meine Mutter war überhaupt nicht unglücklich. Als meine Schwestern in Panik fragten, warum sie nicht unglücklich war, sagte sie, dass er sowieso wiederkommen würde. »Wieso bist du dir so sicher?« – »Seine Schuhe stehen noch da. Vater hat nur Socken an den Füßen.« Als er wiederkam, zankten sie sich noch ein bisschen. Danach durften wir noch vor dem Zelt im Gaslicht der Butanflasche Monopoly spielen. Mein Vater und meine Mutter wollten etwas früher ins Bett.
Am nächsten Tag war herrliches Wetter. Pa ging fröhlich zum Fischen, Ma schön schlafen am Strand. Wir schippten Vogelsand über sie. Und gingen dann Garnelen suchen. Danach gab es ein Problem. Wir hatten Mama verloren. »Papa, wir haben Mama begraben, aber wir können sie nirgendwo mehr finden.« Mein Vater hat dann den Hirtenhund des Bademeisters an einer noch ungewaschenen Unterhose von ihr schnuppern lassen. Wir fanden unsere Mutter, kurz bevor die Springflut kam. Mit einer Qualle auf ihrem Gesicht, einer Krabbe in einer Achselhöhle und einer Garnele, das schwindele ich dazu, in ihrer Muschel. Aber wunderbar ausgeschlafen.
Und die Mütter kucken,
Väter fischen,
während wir
Sandburgen bauen.
Die Wellen
finden kein Ende.
Ein Drachen
mit einem Schwanz
aus Zeitungspapierschleifen
schwebt zwischen
dem Kreischen der Möwen.
Eine schwache Sonne scheint,
jemand lehrt ein Kind zu laufen.
Ein alter Mann
mit hochgekrempelten Hosenbeinen
geht ein Eis kaufen.
Im Transistorradio
schreit jemand
sein Herz
von innen nach draußen.
Es folgt eine Bekanntmachung des Staatlichen Informationsdienstes. Sie betrifft die sehr schweren Stürme aus Südwest und das extreme Hochwasser. Wir fordern alle Nord- und Südholländer auf, in die Schweiz zu fahren und sich in Zürich, Zug, Bern und Luzern registrieren zu lassen. Alle Groninger, Drenther und Overijsseler bitte auf dem schnellsten Weg nach Schwyz, Uri und ins Tessin. Alle Utrechter und Gelderlander nach Glarus, Sankt Gallen und Jura. Die Zeeuwen nach Aargau oder Thurgau. Alle Friesen wie der Blitz nach Neuenburg, Waadt, Freiburg und Wallis. Die Amster- und Rotterdamer nach Graubünden und jeder mit blauem Blut nach Tirol. »Seitdem der Ozean aus dem Wasserhahn kommt, haben wir den Überblick verloren«, murmelte der Installateur. Für das Steigen des Meeresspiegels spielt das Schmelzen der Eisdecke des Nordpols keine große Rolle: Das sind treibende Eisschollen, und dadurch nehmen sie im Meerwasser schon Raum ein. Denke ich mal. Allerdings bedeutet das Verschwinden von Eis und von Schnee, der darauf liegt, dass die Erde ein bisschen dunkler wird und sich dadurch stärker erwärmt.
Inzwischen behalten Wissenschaftler für uns das arktische Eis genau im Auge: Totales Schmelzen würde schlimme Folgen haben für die lokale Ökologie, aber auch für die Erwärmung, weil dunkles Wasser mehr Wärme absorbiert und so zu weiterer Erwärmung beiträgt.
»Opa, wo kommt das Leben her?« – »Tja, mein Junge, was soll ich sagen? Erst mal müssen wir dafür sorgen, dass du einundzwanzig bist. Bleib so sitzen, wie du sitzt. Wenn du dich rührst, klappt es nicht. Hokuspokus einundzwanzig. Hör zu, junger Mann. Du fragtest also: Wo kommt das Leben her? Früher dachte man, dass ein Übergott für das Leben auf der Erde verantwortlich war. In großen Teilen von Europa, Nord- und Südamerika, Asien und Afrika denkt man das noch immer. Jetzt wirst du fragen: Aber wer erschuf dann den Schöpfer? Und so weiter. Okay, das ist geklärt.
Viele Religionen heute und in der Vergangenheit haben von ihrem spezifischen Gesichtspunkt eine Antwort darauf gefunden. In den meisten Fällen war ein einziger (Ober-)Gott für das Leben auf der Erde verantwortlich. Von dem Augenblick an, in dem das Christentum im Jahre 380 zur Staatsreligion des Römischen Reiches wurde, war in Europa der Gott der Bibel das A und O des Lebens. Und das ist Er in großen Teilen von Europa, Nord- und Südamerika und Afrika noch immer. Denn wer oder was erschuf den Schöpfer? Und wer den Schöpfer des Schöpfers? Und so weiter und so fort. Das müssen dann noch allmächtigere Entitäten gewesen sein, wenn es eine Steigerung von allmächtig geben würde. Die oft gehörte Lösung des Problems ist: Der Schöpfer ist ewig, hat immer existiert und wird immer existieren.
Vorläufig lautet die Antwort der Wissenschaft auf die Frage nach dem Ursprung des Lebens: ›Das wissen wir noch nicht.‹ Es wird angenommen, dass organische Materie (Leben) aus anorganischer Materie (Nicht-Leben) entstanden ist, vermutlich durch das, was eine ›chemische Evolution‹ genannt wurde. Das kann auf der Erde geschehen sein, aber auch anderswo im Weltall, wonach es zum Beispiel durch einen eingeschlagenen Meteoriten oder Asteroiden auf die Erde gelangte. Der Beweis dafür muss noch geliefert werden. Das kann man nachlesen in Tim und Struppi, wo genau, habe ich vergessen. Die Frage nach dem Beginn des Weltalls (also, was war vor dem Urknall?) scheint noch etwas schwieriger zu beantworten als die nach der chemischen Evolution: Das Universum, so nimmt man an, ist aus dem Nichts entstanden. Diese wissenschaftliche Theorie wird ziemlich eindeutig erklärt von klugen Köpfen wie Stephen Hawking und Lawrence Krauss.
Es ist schön gewesen. Ich zaubere dich jetzt wieder zurück zu sechzehn Jahren. Entspann dich. Gut, meiner Meinung nach kommt alles Leben aus Mutter Meer. Und das Meer missbrauchen wir heutzutage als Mülltonne.« Den letzten Satz murmele ich mehr für mich selbst.
Das Steigen des Meeresspiegels vor der niederländischen Küste kann extremer werden als gedacht. Wenn der Ausstoß von Treibhausgasen unvermindert zunimmt, ist ein Anstieg von 1,2 Metern bis zum Jahr 2100 (im Vergleich zum Beginn dieses Jahrhunderts) vorstellbar. Früher war es undenkbar, dass der Meeresspiegel mehr als einen Meter steigen würde.
Das steht im Klimaatsignaal’21, einem Bericht, in dem das Königliche Niederländische Meteorologische Institut (KNMI) ausgewertet hat, was der maßgebliche IPCC-Klimabericht von diesem Sommer für die Niederlande bedeutet. In dem IPCC-Bericht stellten Hunderte von Wissenschaftlern auf der ganzen Welt fest, dass die Klimaveränderung schneller fortschreitet als je zuvor.
Laut der Lehrerin meiner Enkelin kommt der Strand von selber zur Straße, in der du wohnst. Dann kannst du später, wenn du groß bist, barfuß im Wasser zur anderen Seite patschen.
In Gedanken sehe ich jetzt die Dächer meiner Jugend, bei uns gegenüber in der Kievitdwarsstraat. Vor dem Sonnenuntergang flogen da im Sommer die Fledermäuse wie Schwalben herum. Sie zu zählen, war unmöglich, schon gar, sie zu fangen. Manchmal fand man eine schlafend im Holz eines morschen Fensters und sah ihr Herzchen klopfen. Nicht anfassen, sagte meine Mutter. Fledermäuse haben eine Sorte Flöhe, die schlecht für Menschen sind.
Französische Wissenschaftler fanden neulich bei einer Population Hufeisennasen-Fledermäuse ein Coronavirus, das zu 96,8 Prozent mit SARS-CoV-2, dem Coronavirus, übereinstimmt. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist er über ein mehr mit dem Menschen verbundenes »Zwischentier«, wie zum Beispiel den Nerz, die Zibetkatze oder das Schuppentier, ins chinesische Wuhan gekommen. Eine kanadische Untersuchung ergab, dass während des ersten Ausbruchs in Wuhan in hohem Maße Schwarzhandel mit den Tieren betrieben wurde. Fledermäuse sind berüchtigte Träger von Viren. Wenn einer heute die Frage nach dem Wie und Warum stellt, dann lautet vielleicht die richtige Antwort: Es fiel ein Fledermausschiss in unsere Hühnersuppe.