10.
N ach dem Telefonat mit Gruber war Benno etwas erleichtert, trotzdem beschäftigte er sich gedanklich natürlich weiter mit Kaufmann. Deshalb war er auch froh, als sein Freund Dennis ihn später noch anrief.
Er schilderte ihm ebenfalls, was sich zugetragen hatte, und auch, was Gruber dazu gesagt hatte. Dass Dennis mit seinem Partner übereinstimmte, kam nicht gänzlich unerwartet, war aber ein gutes Gefühl, zumal Benno wusste, dass sein Freund sich niemals so äußern würde, nur um ihm einen Gefallen zu tun. Hätte er eine andere Meinung vertreten, er hätte es ohne zu zögern auch gesagt, davon war Benno überzeugt.
Als er am nächsten Morgen zur Arbeit aufbrach, war ihm trotzdem etwas mulmig zumute. So sehr, dass er sogar das Frühstück ausfallen ließ. Er hätte ohnehin nichts heruntergebracht, so gespannt war er, ob Kaufmann wieder auftauchen und welche Erklärung er dann für sein Verschwinden vom Vortag haben würde. Gesetzt den Fall, er ging nicht einfach wortlos darüber hinweg.
Zumindest seine erste Sorge erwies sich als unbegründet.
Wie bereits am Vortag saß Kaufmann bei Bennos Eintreffen bereits an seinem Platz und war in eine Akte vertieft, vor sich einen Becher Kaffee und einen Teller, auf dem ein angebissenes belegtes Brötchen lag.
„Guten Morgen“, murmelte Benno, wusste aber nicht, wie er sich nun weiter verhalten sollte.
Er räusperte sich und ging zu seinem eigenen Schreibtisch. Umständlich streifte er die Jacke aus und entdeckte dabei einen zweiten Becher Kaffee und eine Papiertüte mit dem Logo einer nahegelegenen Bäckerei vor seinem Monitor.
„Ist das für mich?“, fragte er verblüfft und sah zu seinem Kollegen hinüber.
Der nickte, schien aber für den Moment ebenfalls noch zu verlegen, um mehr dazu zu sagen. Benno beschloss, es ihm etwas leichter zu machen. Immerhin mussten sie zusammenarbeiten und es war ihnen beiden nicht damit gedient, wenn er sich nun ebenfalls auf Kindergartenniveau begab.
„Danke.“ Er nickte lächelnd. „Du kannst wohl Gedanken lesen, ich hab’ nämlich noch nichts gefrühstückt.“
Kaufmann schien überrascht von der freundlichen Antwort, atmete dann jedoch sichtbar auf und erwiderte: „Freut mich. Ich hoffe, der Kaffee ist noch heiß.“
Dann folgte eine Pause, während der Benno sich hinsetzte und prüfend den Becher berührte.
„Scheint okay zu sein“, sagte er.
Als Nächstes griff er nach der Bäckertüte, wickelte sie auf und schaute hinein.
„Oh! Tomate und Mozzarella, lecker“, kommentierte er, fischte das Brötchen aus dem Papier und biss herzhaft hinein. Gleichzeitig schaltete er den Computer ein und überlegte, ob er die Brücke für seinen Kollegen womöglich noch etwas stabiler ausbauen musste, und wenn ja, wie das gehen könnte. Gleich darauf erwies sich das jedoch als unnötig.
Von der anderen Seite des Schreibtisches ertönte ein Räuspern, dann sagte Kaufmann: „Hör mal, wegen gestern … Also, ich wollte mich bei dir entschuldigen. Dass ich einfach so abgehauen bin, das … das war ziemlich kindisch von mir. Aber … zugegeben, du hast mich echt eiskalt erwischt, also damit, dass du schwul bist, meine ich. Das hätte ich nie gedacht, aber … na ja, ich schätze, das ist dann wohl auch der beste Beweis dafür, wie bescheuert meine Einstellung gewesen ist. Ich hab’ wohl einfach immer nur das nachgeplappert, was alle anderen gesagt haben, ohne groß drüber nachzudenken. Dass Schwule eben weibisch sind und … na ja, feige Weicheier halt. Das war falsch, so viel ist mir seit gestern klargeworden. Ich meine, du bist schließlich das beste Beispiel dafür, dass schwul zu sein nicht automatisch heißt, dass man feige ist oder schwach.“ Er machte eine vage Geste in Bennos Richtung, tat sich aber offenbar schwer damit, ihn offen anzusehen. Stattdessen blickte er im Zimmer umher, aus dem Fenster oder in die Akte, die er vor sich liegen hatte.
„Du hast in den paar Monaten, wo du hier bist, immerhin schon ein paar Mörder entlarvt“, fuhr er dann fort. „Und dabei bist du selbst auch mehr als einmal in Lebensgefahr geraten. Also …“
Er fuhr sich durchs Haar und endlich richtete er den Blick geradewegs auf Benno.
„Was ich damit sagen will: Es tut mir echt leid und ich werde mich bemühen, in Zukunft nicht mehr so … na ja, eben so ein voreingenommenes Arschloch zu sein. Wenn das für dich in Ordnung ist und du weiter mit mir zusammenarbeiten willst, heißt das.“
Benno erwiderte seinen Blick und versuchte zu beurteilen, ob er den Worten Glauben schenken konnte. Kaufmann wirkte auf ihn eindeutig verlegen, unsicher, auf jeden Fall aber aufrichtig, und deshalb nickte er schließlich.
„Okay“, entgegnete er. „Entschuldigung angenommen. Mir tut’s übrigens auch leid, dass ich dich so angefahren habe. Dieser ganze beschissene Fall geht mir total auf den Sack und das hab’ ich letzten Endes an dir ausgelassen. Das war genauso wenig in Ordnung. Also – Friede?“ Er beugte sich vor und streckte Kaufmann die Rechte über den Schreibtisch hinweg entgegen. Sein Kollege stutzte kurz, dann ergriff er sie und sie schüttelten sich die Hände.
„Friede“, bestätigte er, spürbar erleichtert, und grinste schief. Als Nächstes deutete er auf die Akte, in der er bis gerade eben gelesen hatte, und sagte: „Apropos beschissener Fall: Das hier war heute früh in der Post. Die Unterlagen zu dem Prozess, den dieser Meierling vor zwei Jahren wegen Verleumdung geführt hat.“
„So fix? Wow!“
Bennos Interesse war sofort geweckt, mischte sich allerdings mit einem gewissen Überdruss.
„Und hast du schon einen groben Überblick, was damals genau los war?“, erkundigte er sich und nahm einen großen Schluck Kaffee.
„Ich hab’ das Ganze bis jetzt nur überflogen, aber so wie es aussieht, ist – oder war – der Beklagte im horizontalen Gewerbe tätig. Interessant, oder?“, erläuterte Kaufmann.
Benno hob die Brauen.
„Ein Stricher? Na, sieh mal an.“
Doch sein Kollege schüttelte den Kopf.
„Nicht ganz. Zumindest, wenn man auf sprachliche Feinheiten Wert legt. Der Kerl war bei einer Begleitagentur angestellt, MB-Escorts . Nach dem zu urteilen, was ich über die rausgefunden habe, ist das eine Escort-Agentur, die Begleiter für Männer vermittelt und dabei durchaus im gehobenen Preissegment anzusiedeln ist. Laut ihrer Website sind sexuelle Gefälligkeiten aber offenbar nicht im Angebot. Zumindest nicht offiziell.“
„Aha.“ Das wurde ja immer interessanter. „Und was ist nun genau passiert?“
„Also, so wie der Beklagte es vor Gericht schilderte, hat er Meierling kennengelernt, als er im Rahmen eines Kundentermins eine Ausstellung besucht hat. Man kam miteinander ins Gespräch, war sich sympathisch und laut Aussage des Escorts tauschten er und Meierling schließlich ihre Kontaktdaten aus. Bei einem Telefonat, einen Tag später, vereinbarten sie einen Termin für ein etwas … sagen wir, privateres Treffen. Allerdings dachte der Escort, im Gegensatz zu Meierling, dabei wohl in erster Linie an ein bezahltes Date. Das Treffen fand dann wiederum ein paar Tage später in einem Hotel statt. Natürlich keine billige Absteige, schließlich hat Meierling gewisse Standards. Allerdings dachte der feine Herr Autor nicht im Traum daran, den Escort zu entlohnen, und nicht nur das. Nach erfolgter Begattung machte er sich sang- und klanglos aus dem Staub und ließ den Mann zu allem Überfluss auch noch auf den Kosten für das gebuchte Hotelzimmer sitzen. Jedenfalls, wenn man der Aussage des Escorts Glauben schenkt. Nachdem der dann noch ein paar Mal vergeblich seine Bezahlung angemahnt hatte, verlegte er sich stattdessen darauf, aus Ärger Gerüchte über Meierlings sexuelle Orientierung in diversen sozialen Netzwerken zu streuen, was den wiederum dazu veranlasste, den Escort vor den Kadi zu zerren.“
„Hm.“
Benno runzelte die Stirn. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, klang die Geschichte des Escorts in seinen Ohren schon verdammt glaubwürdig. Er hielt Meierling für durchaus fähig, sich so zu verhalten. Anders ausgedrückt: Es passte in das Bild, dass er sich von dem arroganten, selbstverliebten Mistkerl gemacht hatte. Aber hatte es nicht geheißen, der Escort wäre verurteilt worden? Wie passte das dazu?
„Gab es denn irgendwelche Beweise für oder gegen die Geschichte dieses Escorts?“, fragte er deshalb.
Kaufmann zuckte die Achseln.
„Das Hotelzimmer hat der Beschuldigte selbst gebucht, so viel ist belegt, aber Meierling konnte nicht nachgewiesen werden, dass er tatsächlich dort gewesen ist. Sein Assistent hat ausgesagt, dass sein Chef den fraglichen Abend mit ihm verbracht hat. Dagegen kam der Escort nicht an.“
„Dann war der Kerl aber selten dämlich“, stellte Benno fest. „Soviel ich weiß ist es in der Branche doch eigentlich üblich, dass der Kunde die Buchung vornimmt, sofern ein Treffen in einem Hotel stattfindet.“
„Na ja, angeblich hat Meierling ihn dazu überredet, mit Hinweis auf seine Bekanntheit und dass er vorsichtig sein müsste wegen seiner Leser und so weiter. Jedenfalls fand sich kein Hinweis darauf, dass er an dem besagten Abend auch nur in der Nähe des Hotels gewesen ist, geschweige denn, dass er sich dort mit einem männlichen Escort getroffen hat“, sagte Kaufmann. „Am Ende wurde der Mann wegen Verleumdung und übler Nachrede zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt und musste eine Unterlassungserklärung unterzeichnen.“
„Und damit sieht man mal wieder, dass an dem alten Sprichwort, nach dem der Teufel immer auf den größten Haufen scheißt, was dran ist. Der stinkt schließlich am meisten“, sagte Benno verächtlich.
„Du glaubst also, die Geschichte des Escorts ist wahr?“
Kaufmann sah ihn fragend an und Benno zuckte die Achseln.
„Es würde jedenfalls ins Bild passen.“
Er gab seinem Kollegen in Kurzform das Ergebnis seiner gestrigen Befragung des Autors wieder und am Ende pfiff Kaufmann durch die Zähne.
„Was für ein abgewichstes Schwein“, sagte er. „Das hat er sich ja ganz fein ausgedacht.“ Er lehnte sich zurück, legte eine Hand auf die Akte und ließ die Finger darauf trommeln. „Aber stimmt. So ergibt die Aussage dieses Escorts absolut Sinn und passt wie die Faust aufs Auge. Mann, wenn ich bedenke, dass ich die Bücher von diesem Kerl gelesen und ihn genauso bewundert habe und vor allem, wie viele das immer noch tun.“
Es klopfte an der Tür zu ihrem Büro.
„Ja?“
Eine Beamtin in Uniform kam herein und hielt einen braunen Umschlag in der Hand.
„Post für Sie“, sagte sie und hielt Benno den Brief hin.
Der griff danach und nickte ihr dankend zu, worauf sie kurz lächelte und wieder verschwand. In dem Umschlag steckte nur ein einzelnes Blatt Papier. Benno überflog den Text darauf, dann stieß er einen Fluch aus.
„Was ist denn los?“, wollte Kaufmann wissen. „Schlechte Neuigkeiten?“
„Kommt ganz drauf an“, erwiderte Benno grimmig und stand auf. „Du erinnerst dich an diese Ivre de Sang?“
Kaufmann runzelte die Stirn.
„Du meinst diese Tante aus dem Fanforum? Was ist mit der?“
Benno reichte ihm das Schreiben über den Tisch.
„Schau selbst. Die Kollegen von der Abteilung für Internetkriminalität waren verdammt schnell. Sie haben bereits herausgefunden, wer hinter diesem Namen steckt.“
„Und? Wer ist es?“
Benno wies auf das Schriftstück, das sein Kollege eher zögerlich ergriffen hatte.
„Glaub es oder nicht, aber laut diesen Daten hier kamen sämtliche Nachrichten dieser Ivre de Sang von ein und demselben Internetanschluss und der ist auf niemand anderen registriert als Johannes Haferkamp.“
Kaufmanns Kopf ruckte empor und er riss die Augen auf.
„Wie jetzt? Der Assistent?“
„Genau der“, bestätigte Benno. „Und deshalb werden wir uns den Kerl jetzt noch mal vorknöpfen. Der schuldet uns nämlich ein paar Antworten.“
Nur Minuten später saßen sie nebeneinander im Dienstwagen, dessen Steuer Benno bereitwillig seinem Kollegen überlassen hatte, und fuhren in Richtung des Hotels Lindenkrone . Dort angekommen erklärte ihnen jedoch ein höflicher Portier, dass Herr Johannes Haferkamp bereits am Vorabend plötzlich abgereist sei. Als Benno daraufhin nach Cosmin Zellerfeld fragte, bedauerte der Mann, dass Herr Zellerfeld gerade ebenfalls nicht anwesend wäre und er auch nicht wisse, wann er zurückkäme.
„Puh. Und nun?“
Kaufmann hatte sich ihm zugewandt und in seinem Blick lag dieselbe Frustration, wie Benno sie ebenfalls empfand.
„Richten Sie bitte Herrn Zellerfeld aus, er soll sich nach seiner Rückkehr umgehend mit mir in Verbindung setzen. Es ist dringend“, bat Benno den Hotelangestellten und reichte ihm eine dienstliche Visitenkarte. Der warf einen kurzen Blick darauf und nickte.
„Selbstverständlich, Herr Kommissar.“
Anschließend wandten sie sich zum Gehen und marschierten wortlos zurück ins Freie.
„Was machen wir nun?“
Kaufmann, der vorausgegangen war, blieb stehen und sah Benno fragend an. Der zuckte die Achseln.
„Ich denke, wir lassen als Erstes mal bei Haferkamp daheim nachsehen. Wenn er gestern Abend schon abgereist ist, sollte er inzwischen da aufgetaucht sein. Seine Adresse haben wir doch, oder?“
„Müssten wir“, erwiderte sein Kollege und nickte. „Der wohnt irgendwo bei Frankfurt, wenn ich das richtig im Kopf habe. Klingt vernünftig.“
Noch auf dem Weg zum Wagen zückte Benno sein Handy und rief im Präsidium an, um eine entsprechende Anweisung zu geben. Als sie dann beide wieder im Auto saßen, rieb er sich über die Stirn und überlegte. Im Grunde müssten sie Thomas Meierling zu einer weiteren Befragung vorladen, um herauszufinden, ob er gewusst oder auch nur geahnt hatte, dass diese Ivre de Sang und sein eigener Assistent ein und dieselbe Person waren.
Er warf einen Blick auf die Uhr am Armaturenbrett. Gerade mal halb zehn am Vormittag.
„Also, ich weiß nicht, wie’s dir geht“, sagte er, an Kaufmann gewandt. „Aber ich könnte jetzt noch einen Kaffee gebrauchen.“
Sein Kollege war einverstanden, weshalb sie den nächsten Coffeeshop ansteuerten und sich jeder noch einen großen Becher des schwarzen Muntermachers besorgten. Kaufmann nahm einen riesigen Schokoladen-Muffin dazu und Benno beobachtete amüsiert, wie der Mann das süße Gebäck bereits auf dem Rückweg zum Wagen zur Hälfte verputzte und dabei ein ums andere Mal vor Entzücken brummte. Bei dem großen Kerl wirkte das irgendwie … lustig? Merkwürdig? Egal, befand Benno und stieg wieder ins Auto. Die entspannte Atmosphäre, die gerade zwischen ihnen herrschte, war zumindest deutlich angenehmer als die gereizte Stimmung vom Vortag. Vielleicht war Kaufmann ja doch ganz in Ordnung.
Während sein Kollege sie anschließend zurück zum Präsidium chauffierte, öffnete Benno den Browser seines Smartphones und gab aus reiner Neugier den Namen „Ivre de Sang“ ins Suchfeld ein. Er versprach sich nicht wirklich irgendwelche Erkenntnisse davon und war deshalb umso überraschter, als der oberste Treffer, der ihm angezeigt wurde, eine Übersetzung aus dem Französischen ins Deutsche war. Er klickte den Eintrag an und stieß ein leises Schnauben aus.
„Was?“
Kaufmann drehte kurz den Kopf in seine Richtung, konzentrierte seine Aufmerksamkeit aber gleich wieder auf den Verkehr.
„Willst du mal wissen, was Ivre de Sang bedeutet?“, fragte Benno.
„Wie – bedeutet? Ich denke, das ist ein Name“, erwiderte sein Kollege.
„Nicht ganz. Es ist französisch und kann, sinngemäß übersetzt, so viel wie blutrünstig bedeuten.“
„Blutrünstig? Na bravo“, meinte Kaufmann. Danach schwieg er eine Weile. „Sag mal, denkst du, Haferkamp könnte doch was mit diesen Briefen zu tun haben?“, ergriff er dann erneut das Wort. „Und falls ja, meinst du, der macht vielleicht noch mehr, außer nur böse Briefe zu schreiben?“
Er klang beunruhigt und Benno hätte zumindest die letzte der beiden Fragen nur zu gerne mit Ja beantwortet. Allerdings musste er zugeben, dass er das nicht konnte. Nicht mehr …
Sein Handy klingelte plötzlich und er nahm das Gespräch an.
„Ja?“
Am anderen Ende war jemand aus dem Präsidium, der ihm mitteilte, dass eine Polizeistreife Johannes Haferkamps Wohnung aufgesucht, dort aber alles verwaist vorgefunden hatte. Eine Nachbarin, der die Beamten aufgefallen waren, hatte außerdem angegeben, sie habe den Schlüssel und kümmere sich während seiner Abwesenheit um die Post und die Blumen. Ihr habe Haferkamp seine Rückkehr für den kommenden Sonntag, also in drei Tagen, angekündigt, und sie habe seit seiner Abreise auch nichts von ihrem Nachbarn gesehen oder gehört.
Benno bedankte sich und beendete das Gespräch. Danach schaute er mit zusammengezogenen Brauen ins Leere.
„Was Neues?“, wollte Kaufmann wissen.
„Haferkamp ist ganz offensichtlich nicht zu Hause angekommen“, erwiderte Benno.
„Nicht? Wo steckt er denn dann?“
„Gute Frage.“
„Also, dass er so plötzlich abreist, obwohl er ja eigentlich wegen dieser bescheuerten Hochzeit hier ist, lässt doch die Vermutung zu, dass er sich mit diesem Meierling gezofft hat, oder siehst du das anders?“, fragte Kaufmann. „Wäre möglich“, räumte Benno ein. „Zumal der ja gestern bei der Befragung schon Andeutungen in der Richtung gemacht hat, von wegen, Haferkamp könnte sich auf was gefasst machen. Vielleicht hat er ihn ja rausgeschmissen?“
„Seinen billigen Laufburschen? Meinst du wirklich, dass er das macht?“
„Na ja, zuzutrauen wäre es ihm, denke ich. Er hält sich doch für so was Ähnliches wie den Godfather of Fantasy oder so, dem alle zu Füßen liegen müssten.“ Benno schnaubte abfällig. „Vermutlich hat Meierling seinem Assistenten ziemlich übel genommen, dass wir ihm auf die Schliche gekommen sind, was seine Beziehung zu Bianca Meerbusch angeht. Sie streiten sich, am Ende wirft das Arschloch Haferkamp raus und der packt umgehend seine Koffer. Das scheint mir jedenfalls noch so ziemlich das wahrscheinlichste Szenario zu sein.“
„Okay, da ist allerdings was dran. Aber wieso ist er dann nicht zu Hause?“
Benno zuckte die Achseln und Kaufmann warf ihm einen beunruhigten Blick zu.
„Meinst du wirklich, der Typ wäre in der Lage … ich weiß nicht – irgendwas Dummes anzustellen?“, fragte er und musste nicht erst erklären, was er damit meinte. Benno ging gerade exakt dieselbe Frage durch den Kopf.
„Tja, gute Frage. Er hat seinen Boss die ganze Zeit auf eine Art Podest gestellt. Meierling konnte bis jetzt in Haferkamps Augen nichts falsch machen. Das war zumindest mein persönlicher Eindruck bei der Befragung gestern. Wie weit er allerdings gehen wird, wenn sein vergötterter Chef ihn fallenlässt oder in die Enge treibt – schwer zu sagen.“
„Hm. Sollten wir ihn dann nicht besser zur Fahndung ausschreiben lassen?“, fragte Kaufmann, doch Benno schnaubte nur.
„Wegen was denn? Vorläufig haben wir gar nichts, außer einer Menge Spekulationen, aber so gut wie keine Fakten. Und ein Bauchgefühl rechtfertigt nun mal keine Fahndung. Dass er unter dem Namen Ivre de Sang im Internet irgendwelche Vorwürfe gegen Bianca Meerbusch erhoben hat, ist noch lange kein Beweis dafür, dass er der Frau tatsächlich was antun wird. Immerhin hätte er das längst tun können, wenn er es wirklich gewollt hätte. Abgesehen davon – wenn es strafrechtlich relevant wäre, sich im Netz gegenseitig anzuzicken, säße die halbe Nation bereits im Knast.“
„Stimmt auch wieder“, gab Kaufmann zu und seufzte. „Bleibt trotzdem die Frage, was wir jetzt machen.“
„Ich sage es nur ungern, aber außer abwarten und Tee trinken bleibt uns im Moment nicht sonderlich viel“, sagte Benno. „Wir können die Funkstreifen bitten, die Augen nach ihm offen zu halten, aber viel mehr ist nicht drin. Ach, wer weiß, vielleicht ist ja auch alles ganz anders. Vielleicht taucht Haferkamp doch noch bei sich zu Hause auf und alles entpuppt sich als heiße Luft. Vielleicht besucht er seine Eltern oder Freunde, oder er macht eine ausgedehnte Shoppingtour, was weiß ich.“
Kaufmann, der den Dienstwagen soeben auf den Parkplatz des Präsidiums lenkte, warf ihm einen Blick mit erhobenen Brauen zu.
„Denkst du das wirklich?“, fragte er.
Benno seufzte.
„Keine Ahnung“, gab er zu. „Ich weiß nur, dass dieser Fall mich ankotzt.“