6. Birgit

M arcel und ich lassen es uns seit ein paar Tagen in Ägypten gut gehen. Es ist so schön hier. Die Leute sind … genauso liebenswürdig wie immer. Vielleicht sogar noch etwas mehr.

Ich stehe vor dem Spiegel und begutachte mein Spiegelbild. Für den letzten Abend des Jahres möchte ich mich besonders in Schale schmeißen. Marcel sollen die Augen aus dem Gesicht kullern. Ich will, dass er nur Augen für mich hat.

Natürlich ist das auch sonst der Fall, aber heute ist es mir besonders wichtig. Warum weiß ich auch nicht so genau. Seit einer Woche sind wir kein Knutschpärchen mehr sondern ein frisch verheiratetes Ehepaar. Ich betrachte den Ring an meinem Finger. Ein einfach gehaltener Platinring mit einem kleinen Steinchen. Doch, der Ring ist wirklich schön.

»Schatz, bist du fertig?«, ruft Marcel und klopft an die Badezimmertür.

»Sofort.«, gebe ich zurück, lasse ein letztes Mal die Hand durchs Haar gleiten und öffne dann die Tür.

Marcel sieht gut aus. Er hat sich auch Mühe gegeben. Er trägt schwarze Hosen und ein hellblaues Hemd, das seine hell leuchtenden blauen Augen hervorragend in Szene setzt.

»Wow. Du siehst toll aus.«, bemerkt er und leckt sich unbewusst über die Lippen.

»Wir müssen doch nicht gleich von Anfang an bei der Party dabei sein, oder?«, murmelt er und kommt mir näher.

Seine Stimme vibriert. Er legt seine Arme um mich und überwindet die letzten Zentimeter, die sein Gesicht von meinem trennen. Während er seine Lippen auf meine drückt, schiebt er sein Knie zwischen meine Beine.

Na gut. Dann gehe ich vor dem Abendessen halt noch mal duschen. Lang wird es sowieso nicht dauern. Marcel braucht nie lang.

»Ich liebe dich.«, haucht er danach und streichelt meine nackte Haut.

Ich winde mich aus seiner Umarmung und stehle mich mit »Ich muss duschen.« davon.

A ls wir eine gute dreiviertel Stunde später im großen Restaurant eintreffen, ist die Party bereits im vollen Gang.

Wir gehen zu dem Platz, den wir für heute Abend reserviert haben und warten, dass ein Kellner vorbeikommt.

»Rotwein?«, fragt der Kellner freundlich und mit strahlenden Augen.

Für Marcel hat er nur ein müdes Lächeln auf Lager.

»Nein. Danke. Heute hätte ich gerne einen Weißwein.«

»Klar. Kein Problem.«

Der Kellner nimmt Marcels Bestellung auf und verschwindet im Getümmel. Als ich an ihm vorbeikomme, schaut er mir hinterher und fängt an, mit seinem Kollegen zu tuscheln.

»Der Mann hat ein Glück. Seine Frau ist wunderschön. Ihr Strahlen ist ein Traum. Ach, wäre das schön, wenn sie mich so anstrahlen würde.«

»Tut sie aber nicht. Und jetzt schau, dass du deinen Job machst.«

Ein Lächeln huscht über meine Lippen. Es gefällt mir, dass die Leute beeindruckt von mir sind. Wenn ich ehrlich bin, muss ich zugeben, dass ich ihre Aufmerksamkeit durchaus genieße.

Ich halte mich nicht für etwas Besonderes. Deswegen tun mir die bewundernden Blicke und das überaus zuvorkommende Verhalten der Leute um mich herum besonders gut. Sie sind wie Balsam für meine Seele.

Ich schenke dem Koch, der für die Garnelen verantwortlich ist, ein strahlendes Lächeln. Er grinst mich an und legt, wie immer, wenn ich ihn so anlächle, mindestens drei Garnelen mehr auf meinen Teller als auf die Teller der anderen Touristen.

Mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Ich halte den Teller mit beiden Händen fest, damit mir niemand meine Beute abspenstig machen kann. Von unserem Platz aus haben Marcel und ich einen guten Blick zur Bühne.

Gerade buhlt ein Folklore-Tänzer um die Aufmerksamkeit der Gäste. Er dreht sich im Kreis und wirbelt über die Bühne. Das, was er macht, sieht toll aus.

Schade, dass Kerstin nicht dabei sein kann. Ihr würde der etwas seltsam anmutende Tanz sicher auch gefallen. Sie liebt tanzen. Genauso wie ich.

Immer, wenn ich an Kerstin denke, muss ich automatisch lächeln.

»Sind die Garnelen so gut?«, fragt Marcel, der mein Lächeln nur minimal falsch interpretiert.

»Sie sind sehr gut.«, gebe ich zurück.

Was Kerstin wohl gerade macht? Wie sie und ihr Mann diesen Jahreswechsel wohl verbringen?

Wirklich schade, dass sie nicht hier ist. Zu viert hätten wir sicher eine Menge Spaß.

»Ich muss gerade an die andere Braut denken.«, platzt es aus mir heraus.

»Häh? Welche andere Braut?«

»Na die, die in der anderen Scheune ihre Hochzeit gefeiert hat.«

»Ach so.«

Marcel zuckt mit den Schultern.

»Ich habe sie nur kurz gesehen. Wenn mich nicht alles täuscht, hat sie einen Braten in der Röhre.«

Ich rolle mit den Augen. Ich kann es nicht leiden, wenn Marcel so spricht. Das klingt so … so … keine Ahnung. Es gefällt mir eben einfach nicht. Marcel hat es auch gar nicht nötig, so zu reden.

Er ist ein gebildeter Mann mit guten Manieren.

»Du meinst, dass sie schwanger ist?«

»Genau das meine ich.«

Marcel schaut mich nachdenklich an.

»Sag mal, verhütest du im Moment eigentlich?«

Ich schüttle den Kopf. Mein Mann strahlt von einem Ohr zum anderen.

»Heißt das, dass wir durchstarten?«

»So wie geplant. Ja.«

Marcel lässt sein Besteck fallen, springt auf und kommt auf mich zu. Er reißt mich in seine Arme und tut gerade so, als wäre ich bereits schwanger.

»Oh, Schatz, ich freue mich so sehr!«, jubelt er.

»Ich freue mich so sehr auf unser Kind.«

Sein Kuss ist sanft. Ohne die zielgerichtete Leidenschaft, die er sonst an den Tag legt, wenn er mich mit seinen Küssen überzeugen will, mit ihm ins Bett zu gehen.

Die Leute um uns herum schauen uns komisch an.

»Gibt es etwas zu feiern?«, fragt der Mann, mit dem wir während der letzten Tage öfter gefrühstückt haben.

»Logo. Bei uns gibt es immer etwas zu feiern. Wir sind hier auf Hochzeitsreise.«

»Oh. Wie schön.«

Der Mann streckt den Arm hoch und winkt einem Kellner.

»Champagner für das junge Paar!«, ruft er.

»Auf meine Kosten.«

Eigentlich mag ich Champagner so überhaupt nicht, aber wie heißt es so schön? Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.

Also lächle ich höflich und stoße mit Marcel und dem Mann auf unsere noch so junge Ehe an.

Je später der Abend, desto mehr steigt der Alkoholspiegel. Einige der tanzenden Touristen bewegen sich leichtfüßig wie Gazellen, andere hängen ziemlich in den Seilen. Es ist kurz vor Mitternacht.

Marcel hat seinen Platz mir gegenüber aufgegeben und ist mir nun ganz nah. Er hebt sein Glas. Gemeinsam mit den anderen Leuten im Raum zählen wir herunter. Zehn. Neun. Acht. Sieben. Sechs. Fünf. Vier. Drei. Zwei. Eins. Das alte Jahr ist vergangen. Ein neues beginnt.

Die Gläser klirren. Paare liegen sich in den Armen und küssen sich. Marcel und ich küssen uns auch.

Es ist schön, wieder einen Jahreswechsel mit dem Mann verbringen zu können, den ich liebe und der mich liebt.

So kann es gerne weitergehen.