M ir geht es nicht gut. Mir geht es überhaupt nicht gut. Mein Magen fühlt sich flau an, mein Schädel dröhnt. Ich bin um zwanzig Jahre gealtert. Mindestens.
Wie gerne würde ich heute einfach im Bett liegen bleiben und meinen Rausch ausschlafen, aber das … geht wohl nicht, da Torben heute arbeiten muss.
Wenigstens hat mein Mann unsere Kinder noch gewickelt und ihnen Frühstück gegeben bevor er gegangen ist, doch jetzt bin ich auf mich allein gestellt. Ich kann Hennes und Ida heute nicht mal bei meiner Schwiegermutter parken, weil Torbens Eltern übers Wochenende in den Harz gefahren sind. Verdammt und zugenäht.
Warum ist es so hell? Kann denn nicht mal jemand die Sonne ausschalten?
»Mama aufstehn!«, jammert Hennes.
Ida plärrt.
Ich rapple mich auf und muss mich kurz an der Wand festhalten, damit ich nicht mal eben einfach ins Bett zurück falle.
»Okay. Was wollt ihr heute machen?«, frage ich meinen quietschlebendigen Nachwuchs.
»Zoo. Ennes will Zoo.«
»Au ja. Zoo.«
»Tut mir leid, meine Schätze, aber für den Zoo haben wir kein Geld.«
Es zerreißt mir das Herz, den Zwillingen ihren Wunsch nach einem Zoobesuch nicht erfüllen zu können, aber in unserer Familienkasse herrscht eben mal wieder Ebbe.
»Ich habe eine gute Idee. Wir könnten in den Park gehen und zum Spielplatz.«
Der Spielplatz ist zwar nicht der Hit, aber besser als nichts ist er auf alle Fälle.
»Nööö, Mama, Zoo.«
Die Kinder plärren wild durcheinander. Mein Schädel hämmert noch mehr.
Auf dem Weg zum Waschbecken lege ich einen Zwischenstopp am Medikamentenschrank ein und hole mir gleich zwei Kopfschmerztabletten, die ich mit einem großen Schluck Wasser hinunter spüle.
Eigentlich haben Torben und ich den Notgroschen für einen echten Notfall zur Seite gelegt. Für den Fall, dass die Waschmaschine die Grätsche macht oder andere plötzlich anfallende Kosten.
Heute ist ein Notfall. Ich kann heute keine plärrenden Kinder ertragen. Ein bisschen schlechtes Gewissen habe ich zwar schon, aber ein Notfall ist eben ein Notfall. Und für den Notfall ist unser Notgroschen ja auch gedacht. So what.
Ich hole hundert Euro aus der Schatulle und stecke sie in den Geldbeutel. Der Rucksack für die Kinder ist schnell gepackt. Keine halbe Stunde später stehen wir zu dritt an der Bushaltestelle und warten auf den nächsten Bus.
Samstags fahren in unserer Stadt die Busse nur unregelmäßig, weshalb wir eine Weile stehen müssen. Mein Handy brummt.
Während ich die Ungeduld meiner Kinder zu bremsen versuche, überfliege ich die Nachricht und muss automatisch lächeln.
Statt unnötig Zeit mit dem Tippen einer Antwort zu vergeuden, wähle ich einfach die Nummer an und warte gespannt ab.
»Guten Morgen Kerstin.«
Mein Herz hüpft.
Kristina klingt so viel fitter und ausgeruhter als ich.
»Wie schön, dass du dich gleich meldest.«
»Wir sind auf dem Weg in den Zoo. Wenn du Lust hast … «
»Ich komme sehr gerne mit. Treffen wir uns beim Haupteingang?«
Kribbelige Vorfreude überfällt mich. Ich freue mich wirklich auf Kristina und die Zeit mit ihr. Ein bisschen Angst habe ich aber auch. Hoffentlich benehmen sich die Kinder anständig und zeigen sich ausnahmsweise von ihrer gut gelaunten Schokoladenseite.
Als ich mit hängender Zunge am Eingang des Tiergartens ankomme, steht Kristina bereits da und schaut sich nach uns um. Kristina sieht aus wie aus dem Ei gepellt. Ihre Jeans betonen ihren sexy Körper. Ich kann meinen Blick kaum abwenden. Meine Vorgesetzte sieht … scheiße. Stimmt ja. Kristina ist ja meine Vorgesetzte und ich bin im Begriff, mit ihr den Tag zu verbringen, nachdem wir uns gestern geknutscht haben.
Au weia. Ich entwickle Fluchtgedanken.
»Tut mir leid, Kinder, ich habe das Geld vergessen.«, erkläre ich meinem aufgeweckten Nachwuchs.
»Wir müssen leider wieder heim.«
»Zoo.«, quäkt Hennes und Ida stimmt sofort mit ein.
Au. Mein Kopf. Seid doch bitte leise.
Mit dem Kinderwagen fest in den Händen bewege ich mich wieder vom Eingang weg, doch besonders weit komme ich nicht.
»Findest du den Eingang nicht?«, fragt Kristina mit ihrer tiefen rauchigen Stimme.
Ich spüre ihre Hand auf meiner Schulter.
Langsam drehe ich mich wieder um.
»Ich habe gerade gemerkt, dass ich das Geld vergessen habe.«, flunkere ich wenig einfallsreich.
»Kein Problem. Ich habe schon eine Familienkarte für uns alle vier gekauft.«
Na wunderbar. Ist das peinlich. Bitte, liebe Erde, tu dich auf, ich möcht in dir versinken.
Kristina strahlt mich an. Sie beugt sich vor und haucht mir einen Kuss auf die Lippen. Sofort fängt mein Bauch an zu kribbeln.
Kristina vertieft den Kuss und erst als die Kinder zu quengeln beginnen, weicht sie ein Stück zurück.
Sie geht vor dem Kinderwagen in die Hocke.
»Ihr müsst Hennes und Ida sein. Ich bin Kristina.«
Die Zwillinge schauen Kristina mit großen Augen an.
»Ich hoffe, ihr habt Lust auf Zoo.«
»Zoo. Zoo.«, rufen meine Kinder wie aus einem Mund und wackeln mit den Ärmchen.
Kristina lächelt mild. Sie richtet sich auf und reicht mir ihre Hand. Hand in Hand schieben wir den Kinderwagen vor uns her durch den Tiergarten. Hennes und Ida sind so fasziniert von den vielen Tieren, dass sie vor lauter Staunen sogar vergessen zu quengeln.
Was für ein schöner Tag.
»Darf ich euch zum Mittagessen einladen?«, fragt Kristina gegen Mittag, doch ich lehne dankend ab.
Erstens ist es mir oberpeinlich, da Kristina bereits den Eintritt für uns bezahlt hat. Zweitens weiß ich, wie schlecht sich meine Kinder benehmen, wenn sie müde sind – und nach dem Essen sind sie immer müde. Drittens und viertens und fünftens.
Mit »Ach, das ist doch kein Problem.«, winkt Kristina lässig ab.
»Wir können auch alle zu mir fahren. Dann können die Kinder in Ruhe schlafen und wir machen es uns auf der Terrasse gemütlich.«
Das klingt so verlockend und eigentlich will ich die Zeit mit Kristina noch nicht enden lassen. Im Gegenteil. Ich möchte sie so lange es geht auskosten.
»Wer war eigentlich die Frau, die dich gestern angesprochen hat?«, fragt Kristina als wir bei einer Tasse Kaffee bei ihr auf der Terrasse sitzen.
Ihr Haus ist ungefähr zehnmal so groß wie unsere Wohnung und sie lebt hier ganz allein. Hätte ich doch was Anständiges gelernt.
»Das war Birgit. Wir haben am gleichen Tag geheiratet.«
Was sonst noch zwischen Birgit und mir passiert ist, möchte ich lieber nicht sagen.
»Ach, stimmt ja. Du bist ja verheiratet.«
Kristinas Blick verfinstert sich.