17. Birgit

I ch springe auf und renne durch den Gastraum nach draußen. Vor der Tür laufe ich ziellos hin und her. Die Worte des netten italienischen Restaurant-Besitzers hallen in mir wie ein Echo in den Bergen.

Wieder und wieder höre ich die gleichen Worte. Ich halte mir die Ohren zu, doch auch das bringt nichts.

Verknallt. Verknallt. Verknallt.

Eine Endlosschleife.

Die Tür der Gaststätte wird aufgerissen. Kerstin erscheint mit hochroten Kopf im Licht vor der offenen Tür.

»Ich wollte es dir nicht sagen, weil ich mir genau so eine Reaktion ersparen wollte. Lebe wohl, Birgit. Pass auf dich auf.«

Kerstin haucht einen Kuss auf meine Lippen. Dann geht sie. Und ich starre ins Leere. Allerdings nur ein paar Sekunden lang. Dann nehme ich die Beine in die Hand und laufe ihr hinterher.

»Bleib bitte stehen!«, schreie ich und halte sie am Ärmel fest.

Es ist nicht zu übersehen, dass Kerstin nur widerwillig stehen bleibt und sich zu mir umdreht. Ihre Augen und Wangen sind nass. Mir ist auch zum Heulen zumute.

»Bitte bleib. Lass uns in Ruhe reden.«

»Da gibt es nichts zu reden. Ich bin auf dem Weg, mich in dich zu verlieben. Was soll reden da bitte helfen?«

Ich … weiß doch auch nicht. Aber ich will nicht, dass sie wieder aus meinem Leben verschwindet. Also muss ich Zeit schinden.

Vorsichtig lege ich meinen Arm um Kerstins Schultern und setze mich in Bewegung. Kerstin folgt mir, obwohl ich deutlichen Widerstand spüre.

»Meinst du nicht, dass wir einen Weg finden?«, frage ich unsicher und Kerstin zuckt mit den Schultern.

»Ich weiß es nicht.«, sagt sie ehrlich.

»Ich weiß nicht, ob ich es hinbekomme, meine Gefühle für dich abzustellen.«

»Aber du musst sie doch gar nicht abstellen.«

»Doch, das muss ich. Sonst drehe ich jedes Mal durch, wenn ich dich sehe und wenn ich mich wieder von dir verabschieden muss.«

Kerstin und ich sind fast zwei Stunden ziellos durch den Park gestrichen und haben nach Lösungen gesucht. Schlussendlich sind wir zu der Entscheidung gekommen, dass wir uns morgen wiedersehen.

Da Marcel mit seinen Kumpels unterwegs ist, liege ich alleine im Bett und schaue an die Decke. Die ganze Zeit muss ich an Kerstin denken.

Ihr Gesicht und ihr attraktiver Körper zeichnen sich so deutlich in meine Erinnerung, dass es sich anfühlt als wäre sie hier. Ein warmes Gefühl schleicht sich in mein Herz. Dieses Gefühl ist so besonders, dass ich gerne immer mehr davon haben möchte. Irgendwie habe ich die Befürchtung, dass nur Kerstin mir dieses Gefühl vermitteln und meine Bedürfnisse befriedigen kann.

Uff. Ich schieße hoch und sitze aufrecht im Bett.

Kerstin! Heilige Scheiße! Das kann doch nicht wahr sein.

A m nächsten Tag habe ich mich nicht mit Kerstin getroffen. Obwohl es mich innerlich schier zerfetzt, treffe ich mich vorerst gar nicht mehr mit ihr. Ich bin so überfordert, dass ich es nicht hinbekomme, ihr gegenüber zu treten. Mir fehlt schlicht und ergreifend der Mumm. Ich bin weit weniger stark als ich es gerne wäre. Genau genommen bin ich ein richtiger Schisser.

Kerstin setzt mir so zu. Das ist kaum zu ertragen. Alles in mir sehnt sich nach ihr.

Unser letztes Treffen liegt schon mehrere Monate zurück. Jeden Tag wird das Vermissen schlimmer. Ich weiß, dass ich sie nur anrufen bräuchte. Ganz sicher wäre sie sofort bereit, sich mit mir zu treffen. Aber das will und kann ich nicht. Mein Leben versinkt auch ohne sie gefühlt gerade im Chaos.

»Hey Schatz!«, ruft Marcel schon vor der Tür.

Ich schaffe es nicht, vom Sofa aufzustehen. Seit Tagen umarme ich die Kloschüssel und kotze mir die Seele aus dem Leib. Mir geht es so beschissen. Trotzdem muss ich ständig an Kerstin denken und frage mich, was sie wohl macht.

Müde hebe ich die Hand und winke Marcel zu.

»Was ist denn mit dir los?«, fragt mein Mann.

»Du siehst ja aus wie die kleine Schwester vom Tod.«

Schnellchecker.

»Bestimmt nur ein kleiner Magen-Darm-Infekt.«, murmle ich während sich mein Bauch anfühlt, als würde er sich einmal um die eigene Achse drehen.

Ich kicke die Decke mit einem Schwung weit von mir, hechte vom Sofa und renne ins Bad. Verdammt! Was habe ich gegessen? Während der letzten Tage doch eigentlich viel zu wenig. Es kann doch nicht sein, dass ich immer noch kotzen muss.

»Schatz? Kann ich dir helfen?«

»Nein!«, keife ich.

Mir gehen die Nerven durch. Marcel geht mir zunehmend auf die Nerven. Ich habe ihn nie geliebt, doch mittlerweile ertrage ich ihn kaum noch. Ich will, dass er verschwindet. Mich mir selbst überlässt und endlich glücklich wird. Ohne mich.

»Bekommst du deine Tage?«

Umpf.

»Lass mich bitte einfach in Ruhe.«

Ich versuche, ruhig zu bleiben, obwohl alles in mir in Aufruhr ist.

»Du gehst morgen zum Arzt.«

»Ja.«

Mit hängendem Kopf schlurfe ich aus dem Bad und lasse mich aufs Sofa fallen. Marcel setzt sich zu mir.

»Ich gehe morgen zum Arzt. Versprochen.«