19. Birgit

O bwohl ich alles andere als ruhig und stark bin, gehe ich mutig voran. Von meinem Parkplatz aus sind es nur wenige Schritte bis zu dem Haus, in dem Kerstin mit ihren Zwillingen eine kleine Wohnung bewohnt.

In der Hoffnung, dass Hennes, Ida und Kerstin sich darüber freuen, habe ich Muffins gebacken. Marcel habe ich erzählt, dass ich eine Bekannte besuchen gehe und weil ich kein Unmensch bin, hat er auch einen Muffin abbekommen.

Seit ich sein Kind unter meinem Herzen trage, versucht Marcel aus Angst, dass ich das Kind wieder verlieren könnte, alles, damit ich so viel Zeit wie möglich Zuhause verbringe. Das macht die Sache für mich nicht unbedingt leichter, da ich ihm ja eigentlich aus dem Weg gehen möchte.

Kerstins Geständnis vor ein paar Monaten hat mich ganz schön aus der Bahn geworfen. Weniger wegen dem, was sie gesagt hat als wegen dem, was es in mir ausgelöst hat. So durcheinander war ich noch nie zuvor in meinem Leben. Ich hatte es bereits geahnt. Schließlich bin ich weder kurzsichtig, noch blöd.

Natürlich habe ich gesehen, wie sie mich angeschaut hat. Das allein wäre aber gar kein Problem gewesen. Wir hätten einen Weg finden können. Wenn mich ihre Worte und ihre Blicke kalt gelassen hätten. Genau das haben sie aber nicht. Sie sind mir tief unter die Haut direkt in mein Herz gedrungen. Mein Herz hat wieder mal angefangen schneller zu schlagen. Ich konnte und kann an nichts anderes mehr denken als an sie. All mein Denken und Fühlen dreht sich ausschließlich um sie. Bin ich wach, driften meine Gedanken zu ihr ab und wenn ich endlich in den Schlaf finde, träume ich von ihr. Sie ist so präsent gewesen. Schon immer. Aber während der letzten Monate ist es immer heftiger geworden. Ich habe versucht, mir einzureden, dass Kerstin gar nicht so ein besonderer und toller Mensch ist, doch mein Herz … sieht das offenbar anders.

Das hat mir Angst gemacht und mich innerlich zerfressen.

Ich wollte die Gefühle, die Kerstin in mir auslöst, nicht haben. Sie passten nicht zu meinem Leben.

Um mich selbst davon zu überzeugen, dass ich nicht auf dem besten Weg bin, mich in Kerstin zu verlieben, habe ich mit Marcel geschlafen. Wir haben gefickt. Gerammelt wie die Karnickel.

Gefühlt … habe ich … nichts.

Ich habe die Augen geschlossen und an Kerstin gedacht.

Das war das letzte Mal, dass ich mit Marcel Sex hatte.

Ein letzter Schuss. Ein Volltreffer.

Was all die Jahre nicht geklappt hat … Argh.

Ich weiß, dass ich mich von Marcel trennen muss – und zwar so schnell wie möglich. Marcel freut sich so auf unser Kind, dass er regelrecht am Rad dreht. Das Kinderzimmer war schon nach dem zweiten Monat vollständig eingerichtet. Ich kann mich nicht richtig freuen, weil die Sehnsucht nach Kerstin und ihren liebevollen Umarmungen und Küssen mich schier in den Wahnsinn treibt.

Vor der Eingangstür zu dem Haus, in dem sie wohnt, bleibe ich einen Augenblick stehen und atme tief durch.

»Autsch.«, jammere ich und streichle zärtlich über meinen Bauch.

»Das ist ein ganz unpassender Moment, mich zu treten. Hör bitte damit auf.«

Ich warte ein paar Sekunden.

»Dankeschön.«, hauche ich und streichle noch einmal über den Bauch.

»Drück Mami die Daumen, dass Kerstin mich erhört. Weißt du, Schatz, Mami hat dich lieb. Sie hat auch Papi lieb. Aber um glücklich sein zu können, braucht sie Kerstin. Verstehst du?«

Ich halte kurz inne.

»Ich weiß, dass ich lange gebraucht habe, das einzusehen, aber so einfach ist das alles nicht. Das wirst du später auch herausfinden. Gefühle sind … kompliziert. Ich verspreche dir, dass ich immer für dich da sein werde. Egal, was passiert. Du bist die Liebe meines Lebens.«

Ein erneuter Tritt gegen den Bauch. Dann kommt das kleine Wesen in mir langsam zur Ruhe.

Ich hebe die Hand. Nur wenige Millimeter ist meine Fingerspitze vom Klingelknopf entfernt. Soll ich? Oder soll ich doch lieber mein Leben weiter so leben wie bisher? Einigermaßen zufrieden aber nicht glücklich? Habe ich nicht etwas Besseres verdient?

Bevor die Angst mich doch noch packen kann, überwinde ich mich und drücke den Knopf. Der Summer ertönt. Ich schiebe die Tür auf und betrete einen dunklen Flur. Wenige Schritte von mir entfernt wird eine Wohnungstür geöffnet.

Kerstin steht im Schein des Lichts, das aus ihrer Wohnung nach draußen dringt.

Die Papiertüte, in der ich die Muffins transportiere, wackelt so sehr, dass das Papier knistert. Ich zittere und bebe. Kerstin schaut mich an. Ihr Blick ist weder offen, noch besonders freundlich. Eher abschätzig, würde ich sagen.

Ich schlucke.

»Darf ich rein kommen? Ich habe auch Muffins mitgebracht. Für die Kinder.«

»Hennes und Ida sind nicht da.«

Obwohl ihre Begeisterung sich sichtlich in Grenzen hält, macht Kerstin einen Schritt zur Seite und lässt mich an sich vorbei gehen. Ich schaue mich um.

»Schön hast du es hier.«, murmle ich.

»Hmh … Birgit, wenn du her gekommen bist, um mir zu sagen, dass ich eine schöne Wohnung habe, kannst du auch gleich wieder gehen.«

»D … das … äh … wollte ich doch gar nicht.«

Ich wollte doch nur etwas Smalltalk betreiben, um das Eis zu brechen, aber anscheinend hat Kerstin nicht vor, es mir leicht zu machen. Ich kann sie verstehen. Besonders leicht habe ich es ihr schließlich auch nicht gemacht. Im Gegenteil. Ich wollte ihre Freundin sein, wollte Zeit mit ihr verbringen und just in dem Moment, in dem sie sich mir offenbart und sich angreifbar gemacht hat, habe ich sie im Stich gelassen. Ich habe es nicht besser verdient. Es ist kein Wunder, dass Kerstin mir die kalte Schulter zeigt.

»Kerstin. Bitte hör mir zu.«, sage ich leise und flehe sie mit meinen Blicken an.

Kerstin muss mir eine Chance geben.

Mit einer Hand umklammere ich die Henkel meiner Papiertüte. Mit der anderen Hand halte ich meinen Bauch und versuche, mein aufgebrachtes Kind zur Ruhe zu bringen. Unentwegt tritt das ungeborene Wesen gegen meine Organe. Das schmerzt fast so sehr wie der Hass in Kerstins Augen.

Mein Kind tritt mich. Kerstin hasst mich. Na toll. Was soll ich noch hier?

»Komm schon.«, sagt Kerstin plötzlich ganz sanft nachdem sie mich eine Weile reglos angestarrt hat.

Sie fasst mich vorsichtig am Arm und führt mich in eines der Zimmer. Das Zimmer ist nicht besonders groß. Dafür ist es umso gemütlicher. Ein großes Sofa nimmt mehr als die Hälfte ein. Der Stoff des Sofas ist ziemlich abgewetzt. Ich schaue Kerstin fragend an.

»Setz dich bitte. Möchtest du Kaffee? Oder lieber Tee?«

Ein Schnaps wäre mir am liebsten, aber das geht wohl eindeutig zu weit.

»Tee ist okay. Oder … hast du vielleicht Kakao?«

»Klar habe ich Kakao. Aber nur echten. Mach es dir gemütlich. Bin gleich wieder da.«

»Kann ich dir vielleicht helfen?«

Kerstin schüttelt den Kopf. Trotzdem folge ich ihr aus dem Wohnzimmer in die Küche. Die Küche bietet gerade so viel Platz, dass wir zu zweit einigermaßen bequem stehen können, ohne uns gegenseitig über die Füße zu stolpern.

Mit Rücken und Po lehne ich mich an die Küchenzeile und schaue Kerstin zu. Ihre Handgriffe sind geübt und routiniert. Wenn sie ähnlich aufgeregt ist wie ich, zeigt sie es nicht. Sie wirkt wie die Ruhe selbst. Obwohl … nein. Ihre Finger zittern ganz leicht, ein eindeutiges Zeichen, dass sie nicht annähernd so kalt ist wie sie sich gibt.

»Möchtest du Sahne?«, fragt sie und dreht sich zu mir.

Ich schenke ihr ein Lächeln.

Sie verharrt in ihrer Bewegung.

»Oh Mann. Ich hatte ganz vergessen, wie gut du aussiehst.«, murmelt sie kaum hörbar.

Mein Herz schlägt schneller.

»Uff.«, stöhne ich nach einem erneuten Tritt gegen die Blase.

»Setz dich hin. Ich komme gleich wieder zu dir.«

Ich schüttle den Kopf. Ganz sicher werde ich diesen Platz nicht verlassen. Ich will so lange es geht in Kerstins Nähe sein. So lange habe ich auf sie verzichten müssen. Es tut so gut, wenn sie mich anlächelt. Eine eigenartige Schwäche nimmt mich ein. Ich muss mich mit beiden Händen festhalten. Kerstin macht einen Satz auf mich zu und greift nach meinen Schultern. Vorsichtig schiebt sie mich aus der Küche und wartet, bis ich mich aufs Sofa gesetzt habe. Dann legt sie eine Decke über mich. Sie bleibt vor mir stehen und schaut mir tief in die Augen.

Das ist es. Das ist es wirklich. Das ist es, was ich brauche.

Ich habe mich so sehr nach Kerstin gesehnt.

»Ich war so dumm.«, stöhne ich gequält.

»Schschsch … «

»Kannst du mir verzeihen?«

»Das habe ich doch schon l … Mist. Was stinkt hier so grauenhaft?«

Ich recke die Nase in die Luft.

»Die Milch!«, schreien Kerstin und ich wie aus einem Mund und Kerstin hechtet los.

»Scheiße! Scheiße! Scheiße!«, höre ich sie aus der Küche fluchen.

Mit einem Lächeln im Gesicht kuschle ich mich an das Kissen, dass Kerstin mir hingelegt hat. Das Kissen riecht nach Kerstin. Ebenso die Decke. Mehrmals inhaliere ich den Duft, der sich mit dem Gestank verbrannter Milch mischt.

Es dauert eine Weile, bis Kerstin wieder kommt. Vorhin sah sie noch aus wie aus dem Ei gepellt, doch mittlerweile … hat sie wohl einen großen Kampf hinter sich gebracht. Ihr Haar ist ziemlich zerzaust, das Make-up verlaufen, ihr Hemd zerknittert. Sie grinst mich entschuldigend an.

Sie sagt etwas, was wie »Tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe, aber ich brauchte die Zeit, um mich wieder einzukriegen.« klingt, aber ich kann mich auch täuschen.

Von dem Hass, der sich vorhin noch in ihren Augen abgezeichnet hat, ist nichts mehr zu sehen. Das ermutigt mich wenigstens ein bisschen.

Kerstin stellt zwei volle Kakao-Becher und zwei flache Teller auf den niedrigen Wohnzimmertisch und setzt sich ans andere Ende des Sofas. Und ich hatte so gehofft, dass sie sich direkt zu mir setzt. Ich wünschte, sie würde mich berühren. Ich wünschte, sie würde mir sagen, dass alles gut wird. Ich wünschte, sie würde mir meine Angst, mich ihr zu öffnen, nehmen. Ich wünschte … Ich bin egoistisch. Ich habe sie verletzt und nicht umgekehrt. Ich bin nicht in der Position, Wünsche oder Erwartungen haben zu dürfen. Ich kann froh sein, wenn sie mir überhaupt zuhört. Ich weiß nicht, ob ich ihr zuhören würde.

Ich nehme einen großen Bissen vom Muffin. Während ich kaue, versuche ich mich zu sammeln.

»Worüber möchtest du mit mir reden?«, nuschelt Kerstin und schaut mich auffordernd an.

»Über uns. Ich meine … über dich und mich.«

Ich fange an zu sprechen und erzähle Kerstin, dass ich niemals unseren Kuss und den gemeinsamen Walzer am Tag unserer Hochzeit vergessen konnte. Ich gestehe mir selbst und ihr offen ein, dass ich damals schon wusste, dass es ein Fehler war, Marcel zu heiraten und dass ich am liebsten mit ihr durchgebrannt wäre.

Sie lacht verhalten und schüttelt wieder und wieder ungläubig mit dem Kopf.

»Ich konnte dich auch nie vergessen.«, gesteht sie zaghaft.

Mein Herz macht einen kleinen Hüpfer.

»Du warst der Grund, warum ich mich von Torben getrennt habe.«

»Aber du hattest doch etwas mit dieser anderen Frau. Ich habe euch gesehen. Damals beim Jahrmarkt.«

»Das war Kristina. Wir hatten damals eine kurze Affäre. Mittlerweile ist sie meine engste Vertraute.«

Tausend Fragen schwirren mir durch den Kopf. Tausend Fragen, die ich mich nicht zu stellen wage. Als würde Kerstin spüren, was mich beschäftigt, öffnet sie den Mund.

»Kristina ist eine tolle und faszinierende Frau. Trotzdem konnte ich mich nie ganz auf sie einlassen, weil eine andere tolle und faszinierende Frau mein Herz eingenommen hat. Vor vielen Jahren schon.«

»W … wer?«, stammle ich.

Kerstin rutscht zu mir. Sie nimmt mein Gesicht in beide Hände.

»Du.«, haucht sie ganz nah an meinem Mund.

Überwältigt von der Wirkung dieses kleinen Wortes du schließe ich die Augen.

»Dann küss mich doch endlich.«

Kerstin weicht zurück. Ihr Blick ist voller Sehnsucht und Verlangen. Mein Bauch kribbelt so sehr wie er es grundsätzlich nur in Kerstins Nähe tut.

»Du bist schwanger.«

Na und? Wo ist das Problem? Kerstin war damals schließlich auch schwanger.

»Du sagst, dass du schon bei deiner Hochzeit gewusst hast, dass du in mich verliebt bist. Trotzdem bist du schwanger. Was wird dein Mann dazu sagen?«

Ich weiß nicht, wie oft ich mir während der letzten vierundzwanzig Stunden genau diese Frage gestellt habe. Es muss unzählige Male gewesen sein.

»Ich bin seitdem ich Teenager war mit Marcel zusammen.«, erkläre ich und bin mir bereits im nächsten Moment klar, dass all diese Erklärungen nichts bringen werden.

Wenn ich Kerstin von mir überzeugen will, werde ich Nägel mit Köpfen machen müssen.

»Wirst du da sein, wenn ich deine Hilfe brauche?«

»Natürlich bin ich da.«

»Egal, was passiert?«

»Egal was.«

»Auch, wenn … ich mich nicht von ihm trennen kann?«

»Das kann ich leider nicht.«

Kerstin sinkt vor mir auf die Knie und nimmt meine Beine in die Hände. Sie legt ihren Kopf auf meine Knie und schaut mir in die Augen.

»Ich hätte niemals gedacht, dass mir so was mal passieren könnte. Entgegen jeder Logik habe ich mich so sehr in dich verliebt, dass kein Platz für eine andere Frau in meinem Leben ist. Ich bekomme ständig Angebote, aber … ich kann nicht. Solange du in meinem Herzen bist.«

Eine Träne löst sich aus Kerstins Auge und kullert einsam über ihre Wange. Ich strecke die Hand aus und fange die Träne mit der Spitze des Zeigefingers auf. Dann schiebe ich die Hand unter mein Oberteil.

»Ich setze mir deine Träne ins Herz, damit aus Leid Liebe wird.«, erkläre ich mein Handeln.

Kerstins Blick folgt meiner Hand. Ihre Atmung wird hektischer.

»Was empfindest du für mich?«, fragt sie.

»Ich fürchte, dass ich das Gleiche für dich empfinde wie du für mich.«

»Du fürchtest?«

»Ja. Ich fürchte mich so sehr vor meinen eigenen Gefühlen. Marcel kenne ich länger als mein halbes Leben. Dich habe ich über die Jahre nur ein paar Mal gesehen. Trotzdem sehne ich mich nach dir und nicht nach Marcel. Ich wünsche mir so sehr … «

Darf ich ihr wirklich sagen, was ich mir wünsche? Steht mir das überhaupt zu?

»Was wünschst du dir?«

Ich schlucke.

»Ich … wünsche mir … dich. Ich wünsche mir deine Liebe und deine Geduld. Dein Verlangen und dein Vertrauen. Ich wünsche mir, dass du da bist für mich und das Kind in meinem Bauch. Ich wünsche mir … doch, ich wünsche mir dich.«

Nun kullern die Tränen in Sturzbächen über Kerstins Wangen und ich hocke da und weiß nicht, was ich sagen oder tun soll. Wie immer, wenn jemand, der mir wichtig ist, mich tief im Herzen berührt, bin ich restlos überfordert.

Ich strecke die Hand aus und streichle Kerstins tränennasse Wange. Kerstin schmiegt ihr Gesicht in meine Hand. Mich überkommt das sichere Gefühl, genau da zu sein, wo ich sein will.

»Gib mir Zeit. Bitte. Lass mich das mit Marcel über die Bühne bringen.«

»Okay. Aber nur unter der Voraussetzung, dass du nicht einfach wieder aus meinem Leben verschwindest. Noch einmal packe ich das nicht.«

Ich habe solche Sehnsucht nach Kerstin, ihrer Nähe und ihrer Zärtlichkeit, dass ich mich ihr so gerne hingeben würde, aber Kerstin hält sich diesbezüglich sehr zurück. Jeden Kuss, der in einen leidenschaftlichen Kuss abzurutschen droht, unterbricht sie, bevor es zu gefährlich wird. Sie will mir Zeit geben und mich nicht überfahren. Das rechne ich ihr hoch an.

Auf der anderen Seite wäre ich ihr dankbar, wenn sie mir dabei helfen würde, den letzten Schritt mit ihr zu gehen. Ich will sie spüren. Ich will ihren Körper erkunden und wünsche mir, dass sie meinen Körper mit ihren Händen, ihren Lippen und ihrer Zunge erforscht. Ich wünsche mir, dass sie meine Seele streichelt, so, wie sie es schon bei unserem ersten Treffen vor acht Jahren gemacht hat.

»Bist du mir böse, wenn wir den Abend an dieser Stelle enden lassen?«, fragt sie irgendwann spätabends.

Ich liege gerade so schön an sie gekuschelt und bin kurz davor, einzuschlafen. Mühsam hebe ich den Kopf.

»Hmh?«

»Ich muss morgen früh raus.«, sagt sie entschuldigend.

»Wenn die Kinder bei Torben sind, mache ich gerne die eine oder andere Überstunde.«

Ist das jetzt wirklich ihr Ernst? Darf ich nicht bei ihr schlafen?

»Okay.«, murre ich und hieve mich langsam hoch.

Dem Kind in meinem Bauch scheint das nicht so zu gefallen. Es tritt einmal schwungvoll gegen meine Blase.

»Ufff.«, jammere ich und halte meine Kugel ganz fest.

»Sehen wir uns morgen?«, frage ich voller Hoffnung.

»Eine Frage habe ich vorher noch. Du hast nachdem ich dir gesagt habe, dass ich in dich verliebt bin, mit Marcel geschlafen. Warum?«

»Weil ich Todesangst hatte. Das, was du mit deinen Worten in mir ausgelöst hast, war so viel mehr als ich ertragen konnte. Ich habe mit ihm geschlafen, weil ich dachte, dass dann wieder alles so ist wie immer.«

»Und? Hat es geklappt?«

»Nicht wirklich. Nur das Kind, das hat geklappt.«

Ich lege beide Arme um Kerstin. Mein Bauch drückt gegen ihren. Die Nippel unter meinem Shirt streichen über ihre. Wir schauen uns an. Die Luft vibriert. In mir tobt ein Sturm. Wird es jetzt passieren? Wird sie mir jetzt das geben, was ich so sehr brauche? So sehr will?

»Wir sehen uns morgen.«, murmelt sie und haucht einen Kuss auf meine Lippen.

Dann schließt sie die Tür hinter mir und ich gehe. Nein. Ich schwebe. Getragen von dem Gefühl, endlich das Richtige getan zu haben.