Identität ist das, was uns ausmacht und von anderen unterscheidet. Ohne Identität könnten wir nicht sagen: »Ich!« Gleichzeitig ist Identität etwas, das einem verloren gehen kann. Eine Erfahrung, die man niemandem wünscht, denn der Zerfall der Identität bedeutet den Verlust der Rollen, die wir im Leben spielen: Vater, Kollegin, Tante, Geliebter, Spaßvogel, Freundin. Identität ist hochgradig von Kontexteffekten abhängig, also von dem Umfeld, das uns umgibt, und den sozialen Kontakten, die wir pflegen. Man könnte sogar sagen, wir sind die, die uns umgeben, bzw. werden erst durch die Begegnung mit den anderen zu denjenigen, die wir sind.
Bisher haben wir gelernt, dass im Spiel mit einem Narzissten derjenige bessere Karten hat, der als Person in seiner Selbstwahrnehmung gefestigt ist. Allerdings bedeutet ein starkes Selbstbewusstsein noch lange nicht, dass es dem bösartig agierenden Narzissten nicht trotzdem gelingt, sein Gegenüber zu manipulieren oder auszutricksen. Denn es kann passieren, dass wir zwar die Auseinandersetzung mit diesem starken Gegner bestehen, weil wir in uns selbst gefestigt sind, dabei jedoch das große Ganze übersehen, in dem der Narzisst sein Spiel betreibt. In diesem Fall laufen wir große Gefahr, das Nachsehen zu haben, weil wir uns bis zum Ende nicht bewusst sind, welches Spiel hier wirklich gespielt wird. Bis uns sehr unangenehme Umstände wachrütteln. Wie im Fall von Emma.
Emma, die Frau eines wohlhabenden Kunsthändlers, schien wie aus der Zeit gefallen. Sie trug Haute Couture, viel Gold und zu viel Make-up. Etwas zu viel Leopardenmuster. Asymmetrischer Haarschnitt. Mit überschlagenen Beinen, die Füße in Pumps, bei deren Absätzen mir schwindelig wurde, saß sie auf meiner Couch und presste die Lippen aufeinander. Laut ihrer Privatversichertenkarte war sie 53 und nach meinem ersten Eindruck tief verzweifelt.
»Ich bin der Teufel, der ihn verlassen hat«, stieß sie hervor, kaum dass wir die Formalitäten geklärt hatten. »Jetzt bestraft er mich dafür.« Ihre Stimme begann zu zittern. »Ich hab’s einfach nicht mehr ertragen. Und meine Tochter verloren.«
Ich griff nach der Box mit den Taschentüchern, doch Emma schüttelte den Kopf, kramte in ihrer kleinen Handtasche (Leder, goldene Kettchen und Schnallen) und zog ein Stofftuch heraus, mit dem sie sich die Augen tupfte.
Ich fragte sie, was sie nicht mehr ertragen habe.
»Seine Lügen.« Sie schnäuzte sich. »Wenn ich ihn damit konfrontiere und einen Beweis fordere, wird er erst aggressiv und dann eiskalt. Er hat riesengroße Angst vor Bloßstellung. Der gute Schein muss gewahrt werden. Und das setzt ihn so unter Druck, dass er ausflippt, wenn man auch nur die kleinste seiner Behauptungen geraderücken will. Er muss unbedingt die Kontrolle behalten, auch wenn es eine Fantasiewelt ist, die er sich aufgebaut hat. Er tut so, als ob er ein großartiger Kunsthändler sei, und das Absurde ist: Die anderen glauben ihm. Und dann ist er es wirklich, oder? Wenn genug Leute davon überzeugt sind, dann wird es real.«
»Erzählen Sie mir mehr von Ihrem Mann«, bat ich. »Damit ich mir ein Bild von ihm machen kann.«
»Haha, das Bild malt er schon selbst für Sie.« Emma lachte verbittert auf. »Aber gut. Emil ist ein Schauspieler. Er spielt das Opfer. Spielt den Ahnungslosen. Den Überraschten. Er manipuliert. Jeden. Ich habe zu lange nicht gemerkt, dass er nicht ehrlich ist. Im Beisein anderer spielt er zum Beispiel den tollen Ehemann. Er zieht sein abgeschaltetes Handy aus der Tasche, tut so, als ob er mit mir telefonierte, und legt am Ende mit einem ›Ich liebe dich!‹ auf. Ich hab per Zufall davon erfahren, nachdem mir eine Malerin zuraunte, wie glücklich ich mich schätzen könne, einen so zärtlichen Mann erwischt zu haben. Die meisten Männer würden ja eher einen auf cool machen.« Emma zog ein Päckchen Zigaretten aus ihrer Tasche, um es sofort wieder zurückgleiten zu lassen. »Emil ist ein pathologischer Lügner. Manchmal muss ich jedes Wort daraufhin prüfen, ob es nicht gelogen ist.« Sie schnaubte. »Sie wollen wissen, wie mein Mann ist? Tja. Er ist einer, der mir beim Frühstück in aller Ruhe mitteilt, dass er nie in eine Scheidung einwilligen wird, weil er gar keine Scheidung will, sondern nur ein bisschen Drama, um auf die böse Frau an seiner Seite zeigen zu können. Unter seinen Freunden verbreitet er, dass ich fremdgehe und scharf auf sein Geld sei, dass ich ständig Partys feiere und nebenbei übrigens hundsmiserabel koche. Seine Freunde glauben, dass ich ihn schlecht behandle, während er angeblich alles für mich tut.« Ihre Stimme zitterte wieder, und sie hatte die Hände zu Fäusten geballt. »Alles gelogen. Ich war seit Jahren auf keiner Party, geschweige denn dass ich auch nur einmal ausgegangen wäre. Durch unseren fantastischen Ehevertrag bliebe mir bei einer Scheidung kein einziger Cent. Und wenn ich so schlecht kochen würde, wie er überall herumerzählt – warum beschwert er sich dann nie, sondern isst alles, was ich ihm vorsetze, ratzeputz leer?« Sie sah mich an, und ihr Blick bohrte sich in mich hinein. Ich hatte es mit einer starken Persönlichkeit zu tun, die durchaus in der Lage war, ihrem Mann Paroli zu bieten. Und dennoch saß sie hier.
»Was kann ich tun?«, fragte sie mich. »Helfen Sie mir, dass ich mich besser gegen ihn wehren kann. Immerhin war ich die Leiterin seines Büros und habe mich um den ganzen Papierkram gekümmert. Ohne mich hätte der ganze Laden gar nicht funktioniert!«
Ich bat sie, mir mehr Details über Emil zu erzählen, weil ich herausfinden wollte, wie es tief in ihm drin aussah, wie seine innere, verborgene Identität beschaffen war. Schwierige Menschen wie Emmas Ehemann verbergen ihre ursprünglichen und authentischen Bedürfnisse nach Anerkennung, nach Wichtigkeit, nach Sicherheit und Loyalität, nach Unabhängigkeit und Territorialität auf einer schwer zugänglichen Motivebene. Sie fühlen sich angreifbar und verletzlich, wenn sie ihre innersten Sehnsüchte freilegen, sodass sie sie verstecken und wie durch einen Filter mit ungünstigen Verhaltensweisen umlenken. Statt ihre mächtigen Motive offen darzulegen, erzeugen sie sogenannte Images, gewissermaßen Kunstbilder des eigenen Selbst, die den verdeckten Absichten dienen. Wie ein Avatar, den sie für sich aufs Schlachtfeld schicken. Naturgemäß sind diese künstlichen Bilder nicht authentisch, jedoch beherrschen Narzissten die Fähigkeit, sie zu produzieren, so gut, dass sie echt aussehen.
Für Narzissten ist es von immenser Bedeutung, wie sie bei anderen ankommen, weshalb sie sich eine entsprechende Identität verschaffen. Vielen manipulativen Narzissten ist dabei nicht einmal bewusst, dass sie auf diese Weise agieren. Möchten Narzissten überzeugend wirken, verknüpfen sie mit dem erzeugten Selbstbild sogenannte Appelle, in denen sich, wenn man genau hinhört oder hinsieht, die Motive erahnen lassen, die sie verfolgen: Liebe mich! Bleib bei mir! Arbeite für mich! Versorge mich! Unterwerfe dich! Bestätige mich!
Meistens folgt das Umfeld diesen Appellen, weil das vom Narzissten erzeugte Kunstbild so überzeugend funktioniert. Stellen Sie sich einen Landstreicher vor: Ihm würden Sie vermutlich viel eher ein paar Euro zuschieben als einem Porschefahrer. Umgekehrt öffnen sich für den Fahrer eines Luxusautos ganz andere Türen, wo der Landstreicher nie durchkäme. Steigt der Landstreicher aber aus einem Porsche, haben wir ein Wahrnehmungsproblem. Wir ertragen die Widersprüchlichkeit nicht (Ambiguitätsintoleranz) und reagieren dementsprechend selbstoffenbarend: »Cooler Typ!« oder »Dieb! Dieb! Dieb!« Es ist das Bild, das ohne Worte wirkt, das uns manipuliert. Weil wir immer eigene Meinungen, Normen und Überzeugungen mit diesen Bildern verknüpfen.38
Emma schilderte mir ihren Mann als einen hochsensiblen und zutiefst amoralischen Typen, der den Narzissmus früh als Schutz und Abwehr für sich entdeckte, um seine verletzte Herzensseite zu schützen, wie er sagte. Manchmal offenbarte er sich ihr und ließ sie in sein Inneres blicken, meistens abends, wenn beide nach einer Veranstaltung zusammensaßen und noch einen Drink nahmen. Dann wurde Emil nachdenklich und weich, fast melancholisch. Er habe ein Problem mit Beziehungen zu Menschen, gestand er bei einer solchen Gelegenheit, ihm fehle der Filter im Kontakt mit anderen, und seine größte Angst sei nicht nur, bedeutungslos zu sein, sondern auch mit Gefühlen anderer überfordert zu werden.
»Ich hasse Gefühle!« So formulierte er es. Und regelmäßig mündete der Stress, den Emotionen in Emil auslösten, in selbstschädigenden Mustern – in Alkoholsucht, im Raubbau an der eigenen Gesundheit und in schillernder Extraversion. Mitunter überfiel ihn zusätzlich die Panik, alles zu verlieren, was er sich über die letzten zwanzig Jahre aufgebaut hatte. Er wurde dann unsicher und zittrig, wie Emma beschrieb, und seine Muskeln zuckten. Nach außen hin besaß er eine hohe Führungskompetenz, vor allem sich selbst gegenüber. Wenn er sich in Arbeit stürzte, fühlte er sich geschickt und mächtig.
Emma seufzte tief. »Zu Hause ändert er dagegen ständig die emotionale Richtung. Erst zeigt er sich sensibel und anlehnungsbedürftig, und wenn ich darauf eingehe, sitzt da Sekunden später wieder dieser Blender neben mir, der so tut, als sei er der Held der Kunstszene. Sie sollten mal hören, was der alles behauptet, wen er schon alles getroffen hat. Und wenn man dann nachhakt und ihm beweist, dass das gar nicht sein kann, ist er beleidigt. ›Du bist ja bloß neidisch‹ – wissen Sie, wie oft ich mir diesen Satz anhören musste? Am besten noch mit einer ›blöden Kuh‹ hinterher. Ohne ihn sei ich gar nichts.«
Diesbezüglich hatte Emma insofern recht, als dass Emil sie so sehr in seine Realität eingesponnen hatte, dass ihr nichts daneben blieb. Sie war die Frau an seiner Seite, die Mutter seiner Tochter, die Dame, die sein Büro leitete. Das war, was er aller Welt präsentierte, und sie hatte so lange mitgemacht, dass er tatsächlich überall der blendende Strahlemann war, den er gab. Hätte sie mit der Wahrheit rausgerückt – dass er ein sensibler Blender war –, niemand hätte ihr geglaubt. Er hatte die gemeinsame Identität längst festgelegt, und sie hatte sie bestätigt.
»Kommen wir zu Ihnen zurück«, hakte ich ein. »Erzählen Sie mir, wie Sie ihn verlassen haben und warum.«
»Es war eine Nacht-und-Nebel-Aktion. Vor ein paar Wochen. Unsere Tochter habe ich bei ihm gelassen. Er hat sie mir total entfremdet.« Emma stiegen Tränen in die Augen. Ich reichte ihr erneut die Box mit den Taschentüchern, die sie wiederum ablehnte. »Wahrscheinlich muss ich noch Unterhalt zahlen, weil ich es bin, die gegangen ist. Dabei gehört ihm doch alles.« Sie ballte die Fäuste. »Ich habe damals diesen Ehevertrag unterschrieben, der ihm im Falle einer Trennung alles zuspricht – wie konnte ich nur! Dabei war ich es, die sich jahrelang um die Geschäfte gekümmert hat; er musste bloß immer seine Töne spucken – den Laden am Laufen gehalten habe ich! Der ist doch überhaupt nicht in der Lage, ein Unternehmen zu organisieren.« Sie lachte schrill auf. »Wissen Sie, wie ich ihn nennen musste? ›Mein Herrscher‹ sollte ich zu ihm sagen, stellen Sie sich das mal vor! Und ich dumme Kuh hab’s jahrelang auch noch getan. Hab seinen Kram gemanagt und ihn bewundert. Und was ist der Dank?« Wütend starrte Emma zu mir herüber, bevor ihr ein ganzer Sturzbach an Tränen die Wangen hinunterströmte. »Er bestraft mich. Weil ich nicht mehr an ihn glaube, nicht bei ihm bleibe, will er mich unglücklich sehen und vielleicht sogar zerstören.«
»Ist er mächtig?«, fragte ich.
Emma dachte nach und schnäuzte sich in ihr eigenes Taschentuch, bevor sie erwiderte: »Ja, definitiv. Er sagt etwas, das echt klingt, verhält sich aber gegenteilig. Verstehen Sie? Mit voller Absicht macht er diesen leeren Blick und sagt dazu: ›Ich liebe dich.‹ Das, was er äußert, entspricht nicht dem, was er zeigt, also fühle ich es nicht. Daraufhin stellt er meine Wahrnehmung infrage und behauptet, dass ich verrückt sei.« Sie zerknüllte das Taschentuch und starrte auf ihre Hände hinab. »Obwohl ich es durchschaue, verunsichert es mich. Und das ist das eigentlich Verrückte!«
»Sie sprechen von Absicht«, sagte ich. »Aber könnte es auch sein, dass das Verhalten Ihres Mannes, das Sie beschreiben, automatisch und unbewusst abläuft? Sie sagten, er halte Emotionen nicht aus – ist es vielleicht möglich, dass er, sobald er welche äußert, dissoziiert und nicht mehr ganz da ist?«
Emma überlegte erneut, bevor sie antwortete: »Sie haben recht. Ihm ist nicht bewusst, dass er lügt. Er ist die Lüge. Und das mit den Emotionen hat er tatsächlich irgendwo gelesen und es dann von sich behauptet, um mich damit zu kriegen.«
Zur Trennung sei es gekommen, nachdem Emils Spannungen schlussendlich in Gewalt mündeten. Er habe Dinge nach ihr geworfen und sie geschlagen. Schließlich habe sie es nicht mehr ausgehalten, und obschon ihr überstürzter Auszug bereits mehrere Wochen zurücklag, höre sie immer noch Emils Schritte, den Schlüssel klappern und die Tür schließen.
»Ich bin ein einziges Nervenbündel«, schluchzte sie und warf die Hände vors Gesicht. »Ich kleide mich sogar noch so, wie es ihm gefällt. Dabei bin ich diesen Schickimickikram so satt!«
Ich zeigte Emma ein paar Körperübungen, mit denen sie sich selbst intensiver spüren und die Anspannungen ableiten konnte. Schmetterlingsumarmung. Streicheln. Schütteln. Ich empfahl ihr, das regelmäßig zu tun.
Nach sechs Monaten sah ich Emma wieder. Der Spuk in ihrem Kopf war vorbei. Aber Emma war nicht mehr Emma, die Managerin einer erfolgreichen Kunstgalerie und Mutter einer Teenagerin. Sie erschien im Schlabberlook, Mütze, goldene Sneaker, Jogginghose. Statt in erlesenen Kreisen zu verkehren, sich mit Schönem und Teurem zu umgeben und sich als Frau eines charmanten Strahlemannes feiern zu lassen, bezog sie eine Zweizimmerwohnung und lebte von Sozialhilfe. Nicht jede Frau, die sich über zwanzig Jahre hinweg ein Leben in Wohlstand aufgebaut hat, ist bereit, das alles einfach aufzugeben. Emma hatte ihren sozialen Status verloren und mit ihm die Tochter, die bei Emil geblieben war und die Mutter für ihre vermeintliche Schwäche verachtete. Was Emma dafür bekam, war die Chance auf eine neue, ganz eigene Identität.
Emma schaffte es. Es gelang ihr, sich von den Jahren an Emils Seite zu erholen und sich ein eigenes Leben ohne ihn aufzubauen. Doch es hätte auch anders kommen können. Eine weniger starke Persönlichkeit hätte mit dem Verlust der jahrelang gepflegten Identität womöglich jegliche Orientierung verloren.
»Man muss erst mit sich selbst klarkommen, bevor es mit anderen Menschen funktioniert«, sagte einmal einer meiner Klienten. Eine Tatsache, die unter den Lockdown-Bedingungen der Coronapandemie aktuelle Brisanz erfährt. Denn allein, auf dem Sofa oder zurückgeworfen auf die wenigen Personen des eigenen Haushaltes, muss man fähig sein, sich selbst auszuhalten. Das kann nicht jeder.
Stellen Sie sich selbst einmal die Frage: Wer bin ich? Aus welchen Selbstanteilen bestehe ich? Welche Rollen spiele ich im Leben? In meinem eigenen und im Leben der anderen.
Es ist wichtig, dass Sie zufriedenstellende Antworten darauf finden, denn die eigene Identität betrifft alle konflikthaften Selbstbereiche wie Geschlechtsidentität, religiöse, soziale und kulturelle Identität. Tochter, Mutter und Schwester zu sein. Sohn, Vater und Bruder. Geht ein Spalt durch Ihre Brust, ist das nicht ungefährlich. Die beste Freundin mag Ihnen einreden, dass der Lebensgefährte nichts für Sie ist. Der beste Freund macht sich lustig über eine Leidenschaft, die Sie selbst als identitätsstiftend empfinden. Oder Sie sind seit Jahren in einem Job gefangen, der Sie auffrisst, statt zu befriedigen.
Entstehen zu viele solcher Risse oder nutzt ein manipulativer Narzisst sie für seine Zwecke, kann Ihr seelisches Gebäude, das aus vielen Einzelidentitäten (Rollen) besteht, beträchtlichen Schaden nehmen und schlimmstenfalls in sich zusammenfallen. Sie zweifeln an sich und Ihrer Identität und finden keine Antwort mehr auf die Frage: Wer bin ich? Die Folgen sind emotionale Not und der Verlust von Orientierung und Lebenssinn.
Ohne eine mehr oder weniger definierte Lebensrolle besteht zudem die Gefahr, ferngesteuert und ahnungslos als Konsument vorverdauter Informationen durch den Alltag zu treiben oder endlosen Energieräubern anheimzufallen – Social Media zum Beispiel, das dem User vorgaukelt, ganz nah bei sich selbst zu sein. Um sich über den Verlust der eigenen Identität zu trösten, nimmt der Verlorene das Unmittelbare und Einfache hin. Ohne Identität bleibt nichts, wofür man sich einsetzen könnte, also neigt die betroffene Person zu Verharmlosungen und bagatellisiert das Furchtbare, das ihr geschieht.
Zweierlei kann geschehen: Der identitätsschwache Mensch leiht sich fremde Identitäten oder baut sich ein fiktives Leben. Manch einer sucht sich sogar einen Partner, der eine Identität spendet. Beruflich kann das so extrem werden, dass sich die betroffene Person übermäßig mit dem Unternehmen identifiziert, statt auf ihre eigenen Bedürfnisse und Rechte zu schauen. In einem solchen Fall muss dann meist der Besitz von Gütern und Geld über die innere Leere hinwegtrösten. Traurig, wenn sich ein Mensch nur noch über seine materielle Habe identifiziert: mein Auto, mein Haus, mein Boot, mein Handy.
Gefährlich wird es, wenn radikale Wortführer die innere Leere betroffener Personen mit Irrglauben, Halbwahrheiten und Fake News füllen und die Opfer unbedacht folgen, um sich selbst stark, im Recht und mächtig zu fühlen. Hier setzen Verführer an, impfen Willige so lange mit ihren Überzeugungen, bis diese sie für ihre eigenen halten. Und sind es erst eigene Grundsätze, wird es schwer, sie zu korrigieren. Das Spiel mit der Überzeugung dient allen Verführern, großen wie kleinen, um ihre egoistischen und zerstörerischen Ziele zu erreichen. Alle Verschwörungserzähler und Anstifter infizieren ihre Opfer mit neuen (oder alten und neu aufgezogenen) Überzeugungen, die sich im Opfer ausbreiten, wachsen und in Gewalthandlungen ihr volles Potenzial entfalten.
»Ich bin überzeugt, dass XYZ so ist! Ich weiß, dass es so ist!«, lautet deren Beweis. Mehr braucht ein Manipulator nicht. Vor allem funktioniert dieser Trick prächtig, wenn sich die Verschwörer in die Opferrolle begeben und beispielsweise gegen eine Elite stemmen, die uns alle ausbeutet.
Das gewinnt umso mehr an Brisanz, wenn man unsere heutigen Lebensbedingungen betrachtet. Nach dem Ende der Sowjetunion prägte die US-Army den Begriff der VUCA-World, der eine Welt beschreibt, die bestimmt ist von Volatility (Flüchtigkeit), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Mehrdeutigkeit). Man wollte damit zum Ausdruck bringen, dass durch den Wegfall das alten Freund-Feind-Bildes neue Wertesysteme zur Orientierung entwickelt werden mussten.
Heutzutage beschreibt das VUCA-Modell in erster Linie unser digitales Zeitalter bzw. die Herausforderungen, die es mit sich bringt. In unserer schnelllebigen Zeit mit seinem Inszenierungs- und Bewertung-für-alles-und-jedes-Wahn gerät die eigene Rollensicherheit leicht ins Wanken, selbst wenn man keinem vorschädigenden Umfeld entstammt. Kurz: Die Welt, in der wir leben, verunsichert uns. Erfährt jemand zusätzlich emotionale Gewalt oder stammt aus einer Familie, die sich nie um den Aufbau einer stabilen Identität gekümmert hat, fehlt die nötige Rollensicherheit.
Hat man erst mal verlernt, was man für sich selbst will, und ist im Dümpeln angelangt, hat der bezaubernd manipulative Narzisst leichtes Spiel. Im Kleinen wie im Großen baut er das Opfer in seine Welt ein und nimmt ihm die Verantwortung, für sich selbst zu denken. Die betroffene Person wiederum lässt sich in ihrer Orientierungslosigkeit allzu gern an die manipulative Hand nehmen und verliert dadurch das letzte Stückchen eigener Identität. Auf Außenstehende wirken solche Menschen farb- und konturlos. Sie spielen, im wahrsten Sinne des Wortes, keine Rolle. Doch ohne Rolle kommt niemand weit.
Ein Beispiel: Der Unterschied zwischen einem erfolglosen Getränkehändler und einem erfolgreichen Finanzinvestor ist die Durchhaltekraft im Aufrechterhalten des Bildes, das er von sich hat. Der Getränkehändler betrachtet sein Geschäft als Möglichkeit, Geld zu verdienen, und beschränkt sich darauf, neue Kunden herzlich zu behandeln, damit sie wiederkommen. Sobald sie den Laden das zweite Mal betreten, ist das Ziel erreicht, und unser Händler verfällt in einen arroganten, kurz angebundenen Ton, schließlich hat er jede Menge anderes zu tun. Es gelingt ihm nicht, eine Stammkundschaft zu etablieren, und er wird ewig vor sich hindümpeln.
Der Finanzinvestor hingegen gibt sich stets charmant, mondän, großartig und verweist auf seine hohe Fachkompetenz. Er identifiziert sich mit dem, was er tut. Wer es mag, bleibt bei ihm und gibt ihm etwas vom Privatvermögen. Der Investor bleibt charmant, zuvorkommend, klug und raffiniert – genauso wie die Kunden sich einen Finanzinvestor vorstellen.
Halten wir solche Bilder, die wir beruflich wie privat in Rollen vor uns hertragen und leben, nicht aufrecht, wenden sich uns zugewandte Menschen wieder ab, und wir spüren das Gefühl von Haltlosigkeit. Dabei ist es entscheidend zu erkennen, wie viel von der gezeigten Rolle man tatsächlich ist oder ob man lediglich ein Trugbild vor sich herträgt. Denken Sie an Emmas Ehemann Emil, der sich nach außen als liebevoller Gatte präsentierte, zu Hause jedoch den Herrscher gab. In seinem Fall stimmten Rolle und Identität nicht überein – Emma verließ ihn.
Die meisten Narzissten kennen diese Problematik, sie leben ausschließlich in ihren Rollen und haben nicht selten das Gefühl, eine Mogelpackung zu sein. Das hat eine stark verunsichernde Wirkung, die den Narzissten dazu zwingt, sich in seinem Umfeld zu vergewissern, dass sein großartiges Selbstbild noch funktioniert.
Die Krise der Identität trägt also viele Früchte. Der Narzisst bewältigt sie, indem er noch narzisstischer wird. Ein wenig narzisstischer Mensch ist ehrlicher zu sich selbst und schaut nach innen. Er unterscheidet zwischen »Wer bin ich?« und »Wie wirke ich?« Ein Unterschied, den der Narzisst nicht macht.
Dabei hat die psychologische Forschung längst herausgefunden, dass unsere Identität zum Großteil aus der Gestaltung unseres sozialen Umfeldes erwächst. Wir müssen uns also nur entscheiden, mit wem wir uns umgeben, um eine Identität zu entwickeln, mit der wir leben können, und brauchen nichts zu erfinden.
Der Soziologe Jim Rohn sagte, wir sind die Summe unserer fünf engsten Mitmenschen. Und der US-amerikanische Verhaltens- und Sozialpsychologe David McClelland sprach davon, dass der eigene Erfolg und Misserfolg bis zu 95 Prozent von den Menschen in unserem Umfeld abhängen.
Positive, gesund lebende Menschen in Ihrem Umfeld machen Sie also zu einer positiven, gesunden Person. Dieser Einfluss ist unbewusst oder teilbewusst und bestimmt auf direktem oder indirektem Weg, was Sie entscheiden, tun oder unterlassen. Werden Ihre Ihnen nahestehenden Personen von schädlich wirkenden Dritten beeinflusst, so ist deren Effekt auf Sie zwar noch spürbar, aber deutlich abgeschwächter. Leben Sie hingegen in einem narzisstisch aufgeladenen Umfeld, ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass Sie selbst narzisstische Züge entwickeln.
Je weiter weg schädliche Personen von Ihnen sind, desto geringer ist die schädigende Beeinflussung. Rauchen Ihre Freunde, rauchen Sie höchstwahrscheinlich ebenfalls. Umgeben Sie sich hingegen mit Personen, die Nikotin meiden, bleiben Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit Nichtraucher. Das liegt daran, dass Menschen durch ihr großes Bedürfnis nach Bindungen, nach Leben in der und Definition über die Gruppe, bereit sind, eigene Identitäten aufzugeben, um dazuzugehören.
An dieser Stelle lade ich Sie zu einer kleinen Übung ein, mit der Sie leicht feststellen können, mit was für Menschen Sie sich umgeben.
•Erstellen Sie zunächst eine Liste mit den fünf bis zehn Personen, die Ihnen am nächsten sind: Partner, Eltern, Angehörige, Freunde, Arbeitskollegen.
•Gehen Sie jede einzelne Person durch und stellen Sie sich folgende Fragen:
˚Wirkt er oder sie positiv auf mich? Unterstützt mich die Person, hilft sie mir, fördert, befreit, bestätigt sie mich, spendet sie mir Stolz und Anerkennung, gibt sie mir Energie?
˚Oder beeinflusst er oder sie mich negativ? Begrenzt mich die Person, kritisiert, beschämt, entwertet sie mich, bedenkt sie mich und mein Tun mit abfälligen Kommentaren, lacht mich aus und raubt mir Energie?
˚Über welche Themen und wie sprechen Sie miteinander?
˚In welchem Ton?
˚Fördert die Person Ihre Bedürfnisse und Wünsche oder begrenzt sie sie?
˚Unterstützt die Person Sie beim Verfolgen Ihrer Ziele und Träume oder behindert und zerstört sie sie durch Scheinerklärungen und Abwertungen?
Wenn man verstanden hat, wie groß der Einfluss nahestehender Personen auf die eigene Identität ist, liegt die Erkenntnis nicht fern, wie wichtig es ist, mit wem wir uns umgeben. Viele Menschen in unserem Umfeld sind zufällig da – Nachbarn, Klassenkameradinnen, Arbeitskollegen, die Mitglieder aus unserem Sportverein. In solchen Zusammenhängen bleiben uns wenig Gestaltungsmöglichkeiten, und solange man Kind oder Jugendliche ist, wird es schwer, sich von Eltern oder Geschwistern zu lösen, die einen ungünstigen Einfluss ausüben.
Bei den engsten Vertrauten jedoch, Partnern und Freundinnen, besteht Handlungsspielraum, den wir nutzen können. Mehr noch: Im Laufe des erwachsenen Lebens sollten wir lernen, täglich die Entscheidung zu fällen, mit wem wir uns umgeben wollen und mit wem nicht. So gestalten wir aktiv unsere individuelle Identität.
Lesen Sie diese Zeilen und wissen, Sie haben einen toxischen Menschen in Ihrem nahen Umfeld, dann sollten Sie sich klarmachen (und sprechen Sie das ruhig laut und deutlich aus!), dass Sie sich aktiv für oder gegen diese Person entscheiden können.
Im Umgang mit narzisstisch-manipulativen und psychopathischen Menschen sind Grenzen notwendig. Emma fühlte sich zwar stark an der Seite ihres Emil, hatte jedoch an den entscheidenden Punkten keine Grenzen gezogen. Sie gestaltete ein Leben an seiner Seite, mit guter Kompetenz. Nicht immer muss in so einem Fall der Kontaktabbruch am Ende stehen. Aber Emma hatte es versäumt, eine eigene, robuste Identität für sich aufzubauen. Sie war immer nur die Frau an Emils Seite, der sie stark in ihrem Handeln und Denken beeinflusste und mit der Masche seiner inneren, emotionalen Bedürftigkeit an sich band.
Prüfen Sie daher sehr nachhaltig und tief, welche Menschen Sie verlassen oder wegschicken wollen und wer in Ihrem Umfeld verbleiben darf. Etablieren Sie Grenzen in der Interaktion mit Menschen, die Sie nicht loswerden können, obwohl sie einen toxischen Einfluss auf Sie haben. Verbringen Sie so wenig Zeit wie möglich mit schädigenden Personen. Manchmal muss das sein, es ist nicht zu vermeiden. Wenn Sie in Kontakt mit diesen Menschen gehen (müssen), achten Sie jedoch darauf, nicht zu authentisch zu werden, denn das könnte Sie beschädigen. Bewahren Sie eine Fassade, stellen Sie einen Pappaufsteller vor sich auf, generieren Sie eine sichtbare Identität, eine Rolle, und lassen Sie diesen Avatar in die Auseinandersetzung gehen. Schützen Sie Ihr Innerstes vor dem Zugriff des anderen.
Es ist sinnvoll, sich klein zu fühlen. Es korrigiert. Die Welt ist bunt. Der Mythos, der Mensch stehe im Mittelpunkt und an der Spitze der Evolution, ist selbstüberheblich und damit auch irgendwie narzisstisch. Es gibt genug lebende Beweise, die bezeugen, dass es schlauere, effizientere und humorvollere Erdenbewohner gibt als uns (falls Sie mir nicht glauben, schauen Sie sich mal ein Video an mit Delfinen, die gerade lang genug auf einem giftigen Igelfisch herumkauen, um für eine Weile einen lustigen Rausch zu erleben). Da hilft es, ich sagte es in diesem Buch bereits, ruhig mal einen Blick in den Nachthimmel zu werfen, um sich angemessen klein zu fühlen.
Auch Emma machte schmerzlich die Erfahrung, sich verkleinern zu müssen, wenn sie überleben wollte. Sie spürte Demut und Scham, und nur der Glaube an sich selbst, an ein inneres, sakrosanktes Selbst, rettete sie. Emma erkannte, dass sich niemand über jemand anderen stellen kann oder legitimiert ist, andere abzuwerten. Wir sind alle auserwählt. Alles ist heilig. Statt zu denken, wir seien groß und wichtig, müssen wir uns als einen winzigen Teil des großen Ganzen begreifen. Ewige Expansion, ob eines egozentrischen Selbst oder einer narzisstisch-pervertierten Weltökonomie, kann nicht funktionieren.
•… die Natur und das soziale Umfeld, in dem wir leben, wahrnehmen und respektieren.
•… Grenzen setzen und Grenzübertritte und (emotionale, psychische, körperliche, sexualisierte) Gewalt nicht tolerieren.
•… Güter wie Zeit und Energie nicht verschwenden, denn wir sind endlich. Wir vergehen, und unsere Energie verfliegt, daher:
˚Entscheiden Sie jeden Tag neu, mit wem Sie Ihre Zeit verbringen wollen und für was Sie Ihre Energie nutzen.
˚Setzen Sie Prioritäten, welchen Personen Sie sich als Gesprächspartnerin/Freundin/Kollegin zur Verfügung stellen.
•… akzeptieren, dass Veränderung von Rollen zu Ihrer Identität gehört.
˚Erfinden Sie sich selbst jeden Tag neu, ein Leben lang.
˚Beschränken Sie sich nicht auf die eine Rolle – Sie sind mehr als Ehefrau, Vater, Chefin.
˚Erkennen Sie, dass es Ihre Entscheidung ist, welche Rollen und Eigenschaften Sie in Ihrem Leben verfolgen, pflegen und wachsen lassen wollen.
•… Personen um sich herum sammeln,
˚mit denen Sie lachen, träumen, tanzen und kreativ sein können.
˚die Sie inspirieren, anregen, unterstützen, fördern, weiterbringen und Ihnen Mut und Spaß machen.
˚die Sie liebevoll korrigieren, anspornen und herausfordern.
˚die Sie lieben, halten, wärmen und beschützen.
•… die Personen Ihres Umfeldes mit Eigenschaften verknüpfen, die von Bedeutung für Sie sind.
˚Umgeben Sie sich ausschließlich mit Personen, in deren Gegenwart Sie sich am wohlsten und am besten fühlen, sodass Sie sagen können: »In deiner Gegenwart kann ich so sein, wie ich will, und das tut mir gut.«
•… eine Auswahl an Personen treffen, zu denen Sie aufschauen (Mentoren, Künstler, Vorbilder aus nah und fern).
˚Bleiben Sie nah an jenen Menschen Ihres persönlichen Umfeldes, die Sie inspirieren, unterhalten und Mut machen.
˚In Zeiten der Pandemie haben Sie gelernt, wie Nähe zu Prominenten und Experten auch online über Insta, Facebook, Livestreams und Podcasts funktioniert. Nutzen Sie das!
•… Beziehungen pflegen, die Ihnen guttun. Investieren Sie hier Ihre verfügbare Zeit und Energie.
•… den Personenkreis um sich herum erweitern und neue Lebensweisen, neue Gedanken, neue Werte und Normen entdecken.
˚Nutzen Sie jede Gelegenheit für Ihr persönliches Wachstum: psychisch, intellektuell, spirituell, körperlich und beruflich.
˚Akzeptieren und begrüßen Sie es, wenn neue Menschen in Ihr Leben treten.
˚Akzeptieren Sie es genauso, wenn Menschen aus Ihrem Leben wieder verschwinden.
•… anerzogene Ängste vor dem Fremden, vor Verlassensein und Ausgeschlossenwerden in Neugierde und Ansporn verwandeln und zur Entdeckenden Ihres eigenen Lebens und Ihrer wahren Freunde werden.
˚Gehen Sie souverän und angstfrei mit Dilemmata zwischen zwei Meinungen und Personenkreisen um (Beispiel Impfbefürworter und Impfgegner). Dann müssen Sie keinen Spagat machen und sich nicht selbst zerreißen.
˚Denken Sie immer daran: Freundschaftliche Beziehungen respektieren und werten nicht ab, drohen nicht, machen keine Angst und schließen nicht aus.
Wenn Sie bereit sind, so zu denken, sind Sie selbst irgendwann die Summe der Personen, für die Sie sich entschieden haben. Seien Sie geduldig, es dauert, bis Sie sich wirklich verändern, da es Zeit braucht, die Personen im eigenen Umfeld zu sortieren. Und bis Sie es schaffen, sich zu entscheiden, mit wem Sie sich umgeben möchten und mit wem nicht. Geben Sie nicht auf – die Mühe lohnt sich!
Mit einer gefestigten Identität schaffen Sie sich ein mächtiges Bollwerk gegen jeden narzisstischen, manipulativen Einfluss von außen. Sie werden Energie spüren und sich wohlfühlen und ermöglichen sich selbst eine persönliche Entwicklung. Mehr noch: Sobald Sie wissen, wer Sie sind, können Sie für die Personen, die Sie umgeben, selbst wertvoll und inspirierend werden.
Wer als Partnerin eines Narzissten kaum noch Luft zum Leben hat, kann sich entscheiden, aus dieser Beziehung zu treten. Wie Emma im genannten Fall, die keine weitere identitätsstiftende Aufgabe hatte, als neben ihrem Emil zu existieren und für ihn zu arbeiten. Die Chance: Wer zu Hause als Person nicht mehr existent ist, der kann sein eigenes Leben vor dem narzisstischen Partner zu hundert Prozent vertuschen.
Haben Sie vor, sich von Ihrem narzisstischen Partner zu trennen, beginnen Sie frühzeitig damit, alles vor ihm wegzuschließen und zu verstecken, damit er sich nichts davon aneignen kann. Tarnen Sie Ihre außerhäuslichen Aktivitäten als Yogakurs oder kleine Reisen mit der Freundin, um mehr und mehr einer identitätsstiftenden Strategie zu folgen.
Eine meiner Klientinnen führte ein Doppelleben in der Ehe und nutzte es erfolgreich als Exit-Strategie. Eines Tages, als ihr Ehemann von einer Geschäftsreise zurückkam, war sie weg. Unbekannt verzogen. Gone Girl. Ohne sein Wissen hatte sie eine Ausbildung zur Feldenkrais-Practitioner gemacht, in einer anderen Stadt eine Praxis eröffnet und sich damit eine Lebensgrundlage geschaffen. Da sich ihr narzisstischer Mann nie für sie interessierte, bekam er es nicht mit. Sie schwieg eisern und lieferte eine Geschichte zur Tarnung. Sie leide an einer Beckenbodenschwäche, müsse daher regelmäßig Trainingskurse besuchen und habe zur Diagnose Termine bei einem Spezialisten in einer anderen Stadt. Diese behauptete Unzulänglichkeit passte in das abschätzige Frauenbild, das ihr Ehemann pflegte, und er machte sich ständig darüber lustig, wenn sie wieder für ein verlängertes Wochenende verschwand, um zu ihrem »Pinkeldoktor« zu fahren.
»Immer schön zusammenhalten!«, witzelte er abfällig. Er konnte sich trefflich darüber amüsieren.
Meine Klientin lachte mit ihrer Feldenkrais-Ausbilderin so herzhaft über ihn, dass beide fast wirklich einpinkelten.