Kapitel 9

Das Spiel um Liebe und Sexualität

Wir haben die Orientierung verloren. Sexuell betrachtet. Nahezu alles in unserer westlichen, freien Welt definieren wir über Sex, Erotik und Rollen, sei es der Joghurt auf dem Werbeplakat, den eine hübsche Lady lasziv von ihrem Löffel schleckt, oder das Vorstellungsgespräch, zu dem wir figurbetont und zurechtgemacht erscheinen. Sex sells, und Sex ist überall. Das Unmoralische daran überhöhen wir als Fantasie oder verdrängen und tabuisieren es. Das gerade noch moralisch Erlaubte leben wir offen oder, wenn es grenzwertig wird, verdeckt.

Unsere geschlechtliche Identifikation wird immer komplexer. Was ist männlich, was ist weiblich? Die Anerkennung als Frau oder als Mann ist wichtig für unsere Identität und spielt deutlich in den Narzissmus hinein, auch wenn sie nicht primär damit zu tun hat.

Seit wenigen Jahren »gendern« wir in Deutschland, was bei Personen, die klare Rollenzuschreibungen und eine klare Sprache gewohnt sind, zu Irritationen führt. Bei mir ist es auch noch so, und ich kann mich mit dem Sternchen bislang nicht anfreunden. Doch natürlich sind die Menschen, die sich als divers, inter- oder transsexuell fühlen und so leben, ebenfalls Teil unserer Gesellschaft und nicht wegzuargumentieren. Es gehört sogar zur menschlichen Biologie, divers zu sein; pro Jahr werden allein in Deutschland knapp vierhundert sexuell undefinierte Menschen geboren.

Daneben hat sich die wichtige MeToo-Bewegung gebildet; eine richtige, weil korrigierende Entwicklung, um männliche sexualisierte Gewalt, meist durch Machtmissbrauch, aufzudecken. Noch immer gibt es zu viele Männer, die im Job ihr Umfeld sexuell kontaminieren, und viel zu viele Frauen, die aus Angst vor Sanktionen und aus Scham schweigen. Sich durch MeToo zu solidarisieren, ist nicht nur mutig, sondern bietet immer mehr Frauen einen Ausweg.

Typischerweise, man kann es mittlerweile wöchentlich nachlesen, stolpern Männer über ihre Neigung, sich sexistisch übergriffig Frauen gegenüber zu verhalten. Die beiden Fälle – Klaus Dörr, Intendant der Volksbühne Berlin, oder Bild-Chefredakteur Julian Reichelt –, die im Frühjahr 2021 für Schlagzeilen sorgten, seien hier als Beispiel genannt.

Spannend und weniger bekannt ist der umgekehrte Weg, wenn Frauen über ihre Neigung, sexualisierend grenzüberschreitend zu sein, zu Fall kommen. Das gibt es ebenfalls, tritt jedoch deutlich seltener auf. Ein Grund sind die geschlechtlichen Rollenbilder, die wir in unserer Gesellschaft pflegen.

Trieb oder Ziel?

Die libidinöse, also die triebhaft-lustvolle Ausrichtung unseres Handelns, Denkens und Fühlens ist aus klassischer, psychoanalytischer Sicht der Antrieb unserer Psyche. Triebhaftes treibt unsere Motivation an, das wusste schon der Begründer der Psychoanalyse Sigmund Freud. Heute sind wir zwar deutlich weiter, aber immer noch befeuert der animalische Trieb im Narzissten das Anerkennungsmotiv. Oder andersherum gesagt: Bei vielen Männern zeigt sich das Bedürfnis nach Bewunderung und Respekt in einem gesteigerten sexualisierten Verhalten. Nur sind wir heute im Wissen um die inneren Motive als Psychologen überzeugt, dass wir auch nach inneren, reflektierten Überzeugungen handeln und unsere Handlungsziele daran orientieren, wie wir die Welt sehen und welche Bedeutung wir der Sexualität und uns selbst darin geben. Das heißt, wir tragen eine viel größere eigene Verantwortung an dem, was wir tun, und können unsere (Misse-)Taten nicht elegant und supernarzisstisch unseren Trieben in die Schuhe schieben. Sexualverhalten ist erlernt und entlässt niemanden aus der Schuld.

Möglicherweise ist der Sexualtrieb die größte anzunehmende Frechheit, die es je in der Psychoanalyse gab. Obwohl Freud zumindest teilweise überholt ist, liefert er nach wie vor die willkommene Ausrede, gerade für die Männer, die sich sexuell anzüglich, übergriffig und despektierlich verhalten und sich dabei groß und, nur weil sie Männer sind, auch legitimiert fühlen, ungebeten ihre sexuellen Handlungen durchzuführen. Sie haben irgendwann in ihrem Leben mehr oder weniger gut gelernt, wie man Sexualität praktiziert, von wenig, normal bis missbräuchlich-pervers. Dafür sind sie verantwortlich. Und weil Männer sich ihr sexuelles Verhalten frech und missbräuchlich herausnehmen, stehen sie zu Recht im Fadenkreuz.

Sexualisierte Gewalt ist männlich, und Männer mit grandiosem Narzissmus drängen am heftigsten darauf, ihr Recht auf Sex einfordern zu dürfen. Das liegt am grandiosen Narzissmus selbst, wenn auch unterstützt durch jenes anerzogene Rollenbild, das Mütter und Väter ihren Jungs immer noch einimpfen und als Vorbild leben und das männlichen Kindern aufträgt, körperlich und sexuell stark und potent zu sein, ohne ihnen eine sinnvolle Verhaltensalternative anzubieten. Das gilt übrigens genauso für die Industrie mit ihren Produktwelten, die extra zugeschnitten sind auf Mädchen oder Jungs und niemals beide Geschlechter zugleich bedienen. Mädchen sollen sich in rosa-glitzrigen Shopping- und Stylingwelten wiederfinden, Jungs erleben Abenteuer, jagen Verbrecher und machen sich schmutzig. Besonders absurd: Mittlerweile kann man rosafarbene Spielzeugmüllautos kaufen. Überlegen Sie selbst, was das für Botschaften sind, denen wir unsere Kinder aussetzen.

Frauen glitzern und glänzen, Männer dürfen und müssen Druck ablassen. Samendruck. Stressdruck. Vor allem psychopathische Narzissten haben es nicht anders gelernt, und wenn es emotional mal nicht so gut läuft, bleibt ihnen nur der Weg über die sexualisierte Gewalt, um emotionale Spannungszustände zu lösen.

Körperliche Gewalt besteht aus testosterongetränkten Muskeln, und das ist angsteinflößend. Aber das ist nicht alles, was diese Männer können. Wer sich nicht auf seinen Bizeps verlassen will, greift auf die unsichtbare psychische Gewalt zurück, um Frauen zu nötigen, als Gegenleistung für einmal »chic ausführen« sexuelle Gefälligkeiten zu erweisen, um ihren Aktivitätsradius einzugrenzen und stärker an sich zu binden. Werden Frauen bedrohlich, weil sie sich an die beste Freundin wenden, Schluss machen wollen oder schlicht »Nein« sagen, neigen extrem narzisstische Männer dazu, sie, die ihnen einst zu Diensten waren, zu bestrafen oder zu zerstören.

Solche Muster verfestigen sich, und Täter, die niemand stoppt, werden es wieder und wieder tun.

Sinnlichkeit und Sex-Appeal

Auch Frauen stehen unter Druck, wenn es um die geschlechtliche Identität geht; und bei ihrer anerzogenen Prägung liegt mindestens genauso viel im Argen. Mädchen müssen vor allem hübsch sein und glänzen, sich mit Accessoires und Zubehör schmücken und gefallen. Kein Wunder, dass sich im Erwachsenenalter viel zu viele Damen bis heute auf die Rolle des »schwächeren« Geschlechtes reduzieren, zumal wenn sie in einem stark sexualisierten Umfeld aufwachsen. Gleichzeitig entwickeln viel zu wenige Frauen selbstwirksame Strategien, um sich abseits ihrer Sexualität zu definieren – im Gegenteil, oft scheint ihr Geschlecht ihre einzige Ressource zu sein, um sich zu behaupten. Denken Sie an das Klischee der Bürokraft, die nur dann »Gehör« beim Chef erlangt, wenn sie mit Pumps, Minirock und Dekolleté zum Meeting erscheint.

Bei gleicher Arbeitsleistung erhalten Frauen im Durchschnitt weniger Gehalt als Männer. Woran soll das liegen, wenn nicht am Geschlecht? Im Vorstellungsgespräch prahlen Männer mit ihren Fähigkeiten und Erfolgen. Frauen zählen sachlich ihre Stärken und Schwächen auf und schätzen sich realistisch ein. Dreimal dürfen Sie raten, wer den Job bekommt.

Das Absurde: Bringt eine Frau ihre Sinnlichkeit und »Sexyness« selbstbewusst ein, weil es in unserer sexualisierten Gesellschaft nun mal gut funktioniert, und kann sie damit tatsächlich punkten, wird sie nicht selten von anderen Frauen angegriffen und vielleicht sogar als »Narzisstin!« beschimpft. Was die Neiderinnen übersehen: Es ist nicht unfair, eigene Ressourcen für sich vorteilhaft zu nutzen, um erfolgreich zu sein, solange sich die Person nur selbstbezogen verhält und nicht fremdbeschädigend. Das ist ein Unterschied, und wir machen einen Fehler, selbstbewusste Frauen anzugreifen, nur weil sie, um sich zu behaupten, selbstbezogen auftreten und alles einsetzen, was ihnen zur Verfügung steht. Vielmehr sollten wir uns als Gesellschaft infrage stellen, solange Frauen leichter mit Sinnlichkeit und Sexyness punkten als mit Intelligenz, Ausbildung und Wertebasis.

Geschlechtliche Identität bringt also Konflikte mit sich, und wie in den anderen bisher betrachteten Spielen hängt es maßgeblich von Ihrer Rollensicherheit ab, inwieweit Sie Gefahr laufen, Opfer von missbräuchlichen Tätern zu werden, und in welchem Maße (mehr dazu am Ende des Kapitels).

Wie weit Missbrauch über die Liebes- und Sexschiene führen kann, zeigt die extreme Geschichte von Domenika.

Domenika und ihr Loverboy

Domenika, eine junge Frau Anfang zwanzig, suchte mich in meiner Praxis auf. Sie hatte wallendes Haar, trug High Heels, einen kurzen Rock und ein so tief ausgeschnittenes Dekolleté, dass ich kaum wagte hinzusehen, weil mir bereits der bloße Anblick wie eine Verletzung ihrer Intimsphäre vorgekommen wäre.

»Dieter ist weg«, eröffnete sie das Gespräch, während sie auf meiner Couch Platz nahm. »Vor einer Woche habe ich ihn zuletzt gesehen. Wir wollten zusammenleben, uns ein gemeinsames Leben aufbauen.« Domenika sprach leise, hatte die Beine aneinandergepresst und strich sich beständig mit einer Hand über den Rücken der anderen. Manchmal schob sie sich die Haare hinters Ohr oder kniff die Lippen zusammen, bevor sie weitersprach. »Ich weiß einfach nicht, was ich ohne ihn machen soll.«

»Vielleicht erzählen Sie der Reihe nach, damit ich mir ein Bild machen kann«, bat ich, und sie nickte.

»Wir haben uns auf einer exklusiven Privatparty kennengelernt. Er fiel mir auf, weil er so schöne, große, dunkelbraune Rehaugen hat.« Ein Lächeln huschte über Domenikas Gesicht. »Er wirkte schüchtern und ein bisschen verloren und stand in der Ecke des Raumes, da hab ich ihn angesprochen. Das war … Sie können sich das nicht vorstellen, da war sofort eine Intimität zwischen uns – ich hatte das Gefühl, mein Hirn schmilzt, so tief hat er in mich hineingesehen.«

Doch, das konnte ich mir vorstellen, so etwas höre ich öfter. Geschichten von Männern, die eine gewisse Hilflosigkeit ausstrahlen und damit anziehend wirken auf eine bestimmte Sorte Frau – Frauen mit Helfersyndrom und/oder geringem Selbstwert, die im Kümmern um den anderen Aufwertung erfahren und sich geschmeichelt fühlen durch seine Aufmerksamkeit. Narzissten, die sich gezielt an solche Frauen »ranmachen«, treten zunächst besonders charmant auf und nutzen, wie wir bereits gesehen haben, das »Love Bombing«, um die auserwählte Person rasch an sich zu binden.

Domenika fuhr fort: »Er wirkte so zerbrechlich. Er lebte allein, hatte keine Freunde. Er war nett, und ich hatte Mitleid mit ihm. Wir verbrachten die Nacht zusammen und wurden ein Paar. Das war vor acht Monaten.«

»Was ist seitdem geschehen?«, fragte ich. »Weshalb sind Sie zu mir gekommen?«

Sie zuckte mit den Schultern, strich mehrmals ihren tadellos sitzenden Rock glatt, bevor sie erwiderte: »Ich … ich weiß nicht. Ich bin durcheinander, weil er weg ist. Ich hab keinen Job, alles drehte sich um ihn. Er mochte meine Freunde nicht, sagte, die seien schlecht für mich. Also hab ich sie nicht mehr getroffen. Er wollte eine Familie mit mir gründen.« Domenika sah mich an, als erklärte das alles, und ich ahnte, dass Dieter Domenika mit seinen rasch erfolgten Zukunftsversprechen emotional von sich abhängig gemacht hatte. Auch die Isolation von ihren Freunden passte ins Bild.

»Ich habe alles gemacht, um ihm zu gefallen«, flüsterte sie.

»Alles? Was meinen Sie damit?«

Zunächst hörten sich Domenikas Schilderungen nach einer üblichen Narzissmus-Geschichte an. Sie erzählte von Situationen und Verhaltensmustern, in denen ich das ein oder andere perfide Spiel erkannte. Doch dann ließ sie einen Satz fallen, der mich aufhorchen ließ.

»Ich hab niemanden mehr getroffen«, sagte sie, »außer die anderen Männer, die zu Besuch kamen.«

»Andere Männer?«, hakte ich nach. »Was waren das für Männer?«

»Mit denen haben wir Geld verdient«, erklärte Domenika und rieb sich erneut über den Handrücken. »Das musste sein, Dieter hatte finanzielle Probleme.« Jetzt legte sie die Arme um sich selbst, wirkte dabei jedoch, als bemerke sie ihre eigene Geste nicht.

Wieder hakte ich nach, und Stück für Stück breitete sich ein furchtbares Szenario vor mir aus, das mit Dieters Verhaftung endete, worin der Grund lag, dass er, wie Domenika es formulierte, »weg« war.

Ich fasse hier zusammen, was im Laufe der nächsten Sitzungen nach und nach zutage trat: Die anderen Männer, die laut Domenikas Äußerungen regelmäßig »zu Besuch kamen«, schliefen mit ihr, zahlten für besondere Sexspiele und das Ausleben spezieller Fantasien. Domenika liebte ihren Dieter und prostituierte sich für ihn als Investition in ihre gemeinsame Zukunft und »nur so lange, bis wir genug Geld haben«. Doch nun war er weg, und sie wusste nicht weiter.

In unserer ersten Sitzung hatte ich noch nicht viel herausgefunden und kam der Geschichte in den nächsten Wochen nur deshalb auf die Spur, weil Domenika, als sie am Ende einer Stunde aufstehen wollte, an der Couch »festklebte«.

»Ich kann nicht aufstehen«, sagte sie mit einem hilflosen Lächeln. »Das habe ich immer, wenn ich an … an das denke. Meine Beine werden dann taub. Es geht aber wieder weg, wenn ich an was anderes denke.« Sie sprach leicht beschämt und zog die Schultern nach oben. »Wissen Sie, was das ist?«

Ich brauchte einen Moment, um mich zu sammeln, bevor ich eine Vermutung äußerte: »Ich tippe auf eine dissoziative Störung, eine psychogene Lähmung, die im Zuge einer Traumatisierung auftritt.«

Domenikas »sexy« Auftreten und die vagen Andeutungen, die sie bis jetzt gemacht hatte, brachten mich darauf. Besonders bei jungen traumatisierten Mädchen findet man solche Erscheinungen, und meist beschränkt sich das Taubheitsgefühl nicht nur auf ein Körperteil wie die Beine, sondern betrifft die ganze Persönlichkeit, die sich entzweispaltet. Das Furchtbare daran ist, dass es sich bei diesem Phänomen nicht um ein Geheimnis handelt, das lediglich Experten unter sich diskutieren. Täter bandenmäßig organisierter Prostitution machen sich die Abspaltung verschiedener Selbstanteile bei Frauen und Kindern zunutze und setzen sie gezielt ein, um die Opfer zu unterwerfen. Mehr noch, im Darknet finden sich sogar Handbücher, wie man diese Spaltung gezielt auslöst und abgespaltene Selbstanteile »programmiert«, um vor allem Kinder und junge Menschen mit einem schwachen Selbstwertgefühl gefügig zu machen. Das geschieht, indem sich jene Anteile des Selbst, die der sexualisierten Gewalt ausgesetzt sind, neben der Alltagsperson manifestieren und sich wie eine andere Person anfühlen. Je nach Schwere der Traumatisierung geht diese Spaltung so tief, dass die Alltagsperson sich nicht mal an das erinnert, was das abgespaltene Selbst erlebt. Löst man diesen Vorgang gezielt aus, ist es die perfekte Vorbereitung auf ein späteres Leben in der organisierten Prostitution.

Besonders heimtückisch daran ist, dass diese strukturelle Dissoziation in den Augen der Justiz viel zu häufig als unglaubwürdig erscheint, wie der Traumaexperte Jan Gysi bestätigt.45 Dadurch, dass sich die Opfer durch die innere Abspaltung nicht an das Tatgeschehen erinnern können, wirken sie verwirrt und psychisch labil, sodass viele Richter sie nicht ernst nehmen. Dermaßen ungeschützt, werden Opfer immer wieder Ziel narzisstischer, abwertender, diskreditierender oder selbstgerechter Angriffe. Ob vor Gericht oder durch andere Personen – Betroffene erleiden wiederholt psychische, emotionale und körperliche Übergriffe, vor denen sie wehrlos sind.

So etwas kann im Kleinen geschehen wie im Großen – so wie bei Domenika, die, wie sich herausstellte, tatsächlich nicht erst durch Dieter, sondern bereits mehrfach Opfer sexuellen Missbrauchs geworden war, zum ersten Mal mit etwa 14 Jahren. Sie besaß keine vollständige Erinnerung an ihre traumatischen Missbrauchserfahrungen, an die frühen noch weniger als an die erst kürzlich erfolgten, und sprach zunächst nur immer wieder von den »anderen Männern«, die »zu Besuch kamen«, damit sie Geld für Dieter verdienen konnte. Lediglich ihre kurze Beinlähmung, die sie fast beiläufig erwähnte und leichtnahm, lieferte einen Hinweis auf ihre langjährige Traumatisierung und innere Spaltung.

Behutsam versuchte ich im Folgenden, ihr die Idee nahezubringen, dass es solche Phänomene der Abspaltung und des Vergessens gibt. So weit, dass sogar Anteile des Selbst in der Amnesie verweilen und nur bewusst werden, wenn die Situation es auslöst.

Mit meinen Ausführungen konnte Domenika nicht viel anfangen, sie wollte nicht glauben, dass sie mehrere Anteile in sich trug, die sich zeigten, je nachdem, in welcher Lage sie sich befand.

»Es würde Ihre Erinnerungslücken erklären«, sagte ich und verwies darauf, dass sie mir erzählt hatte, sie wache manchmal nackt auf, ohne zu wissen, warum sie keine Kleidung trug. Außerdem verspüre sie regelmäßig Schmerzen im Vaginalbereich, die sie sich nicht erklären könne.

»Und manchmal habe ich Klamotten an, die ich nicht kenne. So komisches Zeug, das man in Sexshops vermuten würde.« Sie lachte unsicher. »Aber so was besitze ich gar nicht.«

Domenikas Beinlähmung ließ nach, sobald wir über das Wetter sprachen und die Aufmerksamkeit von den traumatischen Erfahrungen ablenkten, die sich tief in ihre Seele geschoben hatten.

In der vertiefenden Arbeit mit ihr zeigte sich einer ihrer Selbstanteile offen und motiviert, über das Geschehene zu sprechen. Ein anderer Selbstanteil jedoch wollte jedes Eingestehen und Zurückerinnern verhindern, denn über die Geschehnisse zu erzählen, brachte Domenika zurück in die Fänge der sexuell missbräuchlichen Täter. Der blockierende Selbstanteil dominierte sie und hinderte sie daran, über das Erlebte zu sprechen und damit Dieter und all die anderen Männer zu verraten. Jener Selbstanteil hatte sogar einen Namen, hieß Marco und lähmte ihre Beine, um ihr zu befehlen, nicht tiefer in die Erinnerung zu »gehen«.

Wir beschlossen, zunächst nicht über die alten Geschichten zu sprechen, sondern vereinbarten, lediglich jene Selbstanteile zu thematisieren, die Domenika stabilisierten. Damit konnte der blockierende Selbstanteil leben, und sogleich löste sich die eingebildete Lähmung. Es zeigte sich, dass sogar noch weitere Anteile in meiner Klientin existierten, die immer tiefer abgespalten waren und immer grausamere Erinnerungen zutage förderten.

Die Therapie half Domenika, sich zu verändern. Sie trug weniger sexy auf, wurde ruhiger und klarer. Sie gab an, sich besser selbst wahrnehmen und traurig sein zu können, die Erinnerungen auszuhalten, ohne ins Vergessen zu gehen, und besser und frühzeitiger zu erkennen, wenn etwas zu ihrem eigenen Nachteil passierte. Sie zog klarere Grenzen und war in der Lage, »Nein, das will ich nicht« und »Ja, das möchte ich« zu sagen – etwas, das sie sich vorher nie getraut hatte. Sie geriet kaum noch in missliche Situationen und lernte, auf sich aufzupassen.

Viele Monate nach Therapiebeginn fanden wir ein Bild, das Domenikas Aufspaltung in die Selbstanteile erklärte und die traumatisierten Anteile und den kompetenten Alltagsanteil verdeutlichte: »Es ist wie ein Schwamm, der sich mit den furchtbaren Erlebnissen aufsaugt, die Sie erleben und den Sie zurück an die Spüle legen, sobald der Spuk vorbei ist. Am Abend und am Morgen, wenn sie von Neuem vergewaltigt werden, wenn Sie also den Abwasch machen, nehmen Sie den Schwamm in die Hand und sind voll drin. Ist es vorbei, legen sie ihn zur Seite und vergessen für den restlichen Tag, dass er existiert.«

Schutz vor dem Schrecklichen

Dissoziative Symptome wie die Lähmung in Domenikas Beinen äußern sich auch im Gefühl von »weggetreten sein« oder »neben sich stehen«, und jeder von uns kennt Momente, in denen er oder sie so etwas schon erlebt hat; etwa wenn man die Überbringung einer schlechten Nachricht als »wie im Traum« erlebt oder, ganz alltäglich, eine Sache so routinemäßig erledigt, dass man hinterher nichts über die Details sagen könnte (denken Sie ans Autofahren oder den Abwasch).

Dissoziative Situationen, in denen man sich von sich selbst abgekoppelt wahrnimmt, halten meist nur über einen sehr kurzen Zeitraum an. Treten die Symptome wie bei Domenika regelmäßig auf oder bleiben über längere Zeit bestehen, haben wir es mit einer Störung zu tun, die auf ein tiefes Trauma hindeutet. In diesem Fall ist die Dissoziation ein Schutzmechanismus, der die Psyche vor Unerträglichem zu schützen versucht.

Domenikas Fall mag extrem sein, doch können dissoziative Symptome in jeder belastenden Beziehung auftreten. Achten Sie auf die Anzeichen!

Was Sie über dissoziative Symptome wissen sollten:

Alles, was körperliche Ursachen haben kann, lässt sich genauso gut auf psychogene Gründe (also ohne physischen Auslöser) zurückführen: Erblindung, Ertaubung, Sprachverlust, Schwindel, Nystagmus (zuckende Augenbewegungen), Stürze, motorische Lähmungen, Querschnittssyndrom, Sensibilitätsstörungen, Bewegungsstörungen (Feinmotorik, Zuckungen), Bewusstseinsstörungen.

Zu möglichen psychischen Phänomenen gehören Gedächtnisstörungen, Gedächtnislücken, Desorganisation (chaotisches Verhalten, Unordnung), Aufmerksamkeitsstörungen, Abwesenheit (Starren).

Falls Sie unter einem oder mehreren der genannten Symptome leiden, lassen Sie zunächst fachärztlich abklären, ob nicht eine körperliche Ursache dahintersteckt.

Typischerweise treten dissoziative Symptome in einem dafür passenden Umfeld auf, also wenn das, wovor das Symptom Sie zu schützen versucht, in Gefahr gerät, aufgedeckt zu werden, etwa bei einem Arztbesuch. Meist weisen sie (bewusst oder unbewusst) auf eine Gewalterfahrung hin.

Stoppen oder verändern Sie die Symptome nicht mit Gewalt! Protokollieren Sie sie und führen Sie ein Tagebuch darüber, wann welches Phänomen auftritt und mit welcher Intensität.

Suchen Sie eine Beratungsstelle für sexualisierte Gewalt oder Traumata auf.

Überlassen Sie die Arbeit den Profis. Begeben Sie sich in eine Traumapsychotherapie, wenn möglich bei fundiert ausgebildeten Fachpsychotherapeuten, Traumatherapeutinnen, Psychologen oder Psychiaterinnen. Es gibt auch gute Psychotherapeuten nach dem Heilpraktiker-Gesetz (HP), die sich auf Traumata spezialisiert haben – erkundigen Sie sich nach deren Qualifikationen. Denn: Falsch angegangene traumatische Erfahrungen können die Symptome und Störungen verschlimmern!

Der Zyklus der Gewalt: Gewalt entlädt sich typischerweise immer nach einer Phase der sich aufbauenden Spannung (1. Phase). In dieser Wahrnehmungszone werden Grenzverletzungen und Unangenehmes so lange ertragen und geleugnet, bis man den Ärger darüber nicht mehr wegschieben kann. Die Gewalt entlädt sich plötzlich verbal, körperlich oder sexualisiert (2. Phase). Anschließend folgt eine kurze oder keine Reue, häufig wird sich der Gewalttäter für seinen Ausbruch nur hier entschuldigen (3. Phase). Der Zyklus wird durch die ungünstige Kommunikation zwischen Täter und Opfer angetrieben. Der Täter (A) greift an oder ist enttäuscht, das provoziert die Abwehrhaltung im Opfer (B). Während A versucht, das ungeschickt und narzisstisch zu lösen (schwieriges Beziehungsangebot), erlebt B dies als einen Versuch mit seiner narzisstischen Notlage – z.B. »Alle anderen sind schuld, nur ich nicht!« – klarzukommen. Weil A sein Problem nur narzisstisch löst, wird dies erneut von B abgewehrt. Enttäuscht zieht sich A zurück und kritisiert obendrein noch das abwehrende Verhalten von B. Das erlebt B nun umgekehrt als Enttäuschung oder Angriff durch A. Schließlich entwickelt sich der Kreislauf zu einer Spirale, bis die ausgeübte Gewalt immer brutaler wird. (Angepasst nach dem »dysfunktionalen Zirkel« der OPD-2 und dem »Kreislauf der Gewalt« von Leonore E. Walker)

Vorsicht bei der Partnerwahl

Domenikas Fall ist nicht alltäglich, begann jedoch wie viele Geschichten rund um pädosexuell handelnde Verbrecher. Dieter gab sich schutzbedürftig und erregte damit Domenikas Mitleid. Er beflügelte ihr Selbstwertgefühl, indem er sie sich um ihn kümmern ließ und ihr damit das Gefühl gab, gebraucht zu werden. Er band sie mit gemeinsamen Zukunftsvisionen emotional an sich und isolierte sie gleichzeitig von ihren Freunden, um ihr jeden anderen Rückhalt zu nehmen. Derart in sein Netz eingesponnen, gab es für Domenika am Ende keine andere Möglichkeit, als seinen Forderungen nachzukommen. Perfide daran ist, dass sie ihn dafür auch noch liebte, weil sie glaubte, es geschähe für ihr beider gemeinsames Leben.

Andere sexualisierte Gewalt ausübende Narzissten benutzen andere Tricks, um ihr Opfer um den Finger zu wickeln und dann die Grenzen reuelos zu überschreiten.

Sie gewinnen Einfluss, indem Sie …

… Ihre körperliche Erscheinung einsetzen, um zu beeindrucken.

… ein erotisierendes, sexualisiertes Verhalten an den Tag legen (subtil, angemessen sinnlich oder unangemessen: übertrieben, ordinär, schamlos, frivol, distanzlos …).

… mit erotischen Anmachen, Andeutungen, Kommentaren, Nähe, Berührungen provozieren: »Komm noch etwas näher, ab fünf Zentimeter Körpernähe fange ich automatisch an zu küssen!«

Es gibt Frauen, die sich generell von solchem Verhalten geschmeichelt fühlen und darauf anspringen, denn vergessen Sie nicht: Steht der grandiose Narzisst als Diva, Primadonna, lecker Kerl oder Platzhirsch im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, strahlt dieser »Ruhm« auf die Frau an seiner Seite ab.

Während sie sich (zumindest anfänglich) in seinem Glanz sonnt, setzt sich der auf diese Art spielende Narzisst einem Durcheinander der Emotionen aus, da er stark wechselhaft dramatisiert, sich mal charmant, mal schamlos und angriffslustig gebärdet. Durch seine Masche verstrickt er sich in einen ständigen Kampf um Vorrang, Konkurrenz und Rivalität und läuft Gefahr, durch sein übertrieben provokantes Auftreten auch peinliche Ablehnung zu erfahren. So erhöht sich der innere Druck, erfolgreich zu sein, das aufdringliche, prahlerische Gehabe verstärkt sich.

Moralapostel

Neben dem narzisstischen Macho gibt es jene perfide spielenden Narzissten, die ihre eigene Sexualität leugnen, sie unterdrücken und als »schmutzig« oder »Sünde« deklarieren. Genauso wie ihre eigene versuchen sie sehr häufig, auch die natürliche sexuelle Entwicklung nahestehender Personen (Kinder) oder Partner (Ehe) zu unterbinden. Wenn sich jemand ihrer Meinung nach »unzüchtig« oder »ordinär« verhält, kritisieren und strafen sie das massiv und verstärken gleichzeitig die Schuldgefühle des anderen.

Der Spielraum sexueller Entfaltung ist dabei sehr eng gefasst, häufig in strengen, traditionell-religiösen Normen. Sexualität und der Versuch, sie auf normale Weise zu leben, ob allein oder zu zweit, wird von diesen Personen nicht selten als »unnatürlich« beschimpft. Abweichendes Verhalten gilt als Vertrauensbruch.

Doppelt perfide wird es, wenn solche »Moralapostel« insgeheim doch ein verborgenes Sexualleben führen, das sie hinter ihrer strengen Sittenregel vertuschen (zahlreiche Vertreter der katholischen Kirche, aber auch Sekten und sektenähnliche Gruppierungen können hier als Beispiel genannt werden).

Fühlen Sie sich anfällig für narzisstische Männer – unabhängig vom Typus –, achten Sie unbedingt auf die Gefahrenzeichen, bevor Sie sich einem neuen Partner zu schnell öffnen oder gar eine gemeinsame Zukunft planen.

So erkennen Sie, ob Sie gefährdet sind, in die Fänge sexualisierter Narzissten zu geraten:

Sie fühlen sich wenig bewundert, nicht anerkannt und sexuell unattraktiv.

Sie fühlen sich sexuell unterlegen.

Sie verdrängen Ihre Sexualität aus der eigenen Wahrnehmung, dem Erleben und Gefühlsleben.

Sie geben sich harmlos, langweilig, grau und kindlich.

Sie haben keinerlei Erfahrung mit dem rivalisierenden und anerkennenden Spiel der Sexualität.

Beim Thema Sex reagieren Sie unbeholfen, scheu, beschämt oder kokett.

Statt über eine solide Bandbreite von Gefühlen im Umgang mit Sexualität zu verfügen, spüren Sie lediglich Schüchternheit und Scham/Angst.

Sie vermeiden Sexualität, präsentieren sich asexuell, unattraktiv, »geschlechtsneutral« und wirken sexuell uninteressant.

Das Buch Das Trauma häuslicher Gewalt überwinden – ein Selbsthilfebuch für Frauen46 von Edward S. Kubany, Marie A. McCaig und Janet R. Laconsay listet außerdem folgende Frühwarnzeichen auf, an denen Sie erkennen, ob sie möglicherweise Gefahr laufen, von Ihrem narzisstischen Partner gewalttätig angegangen zu werden:

Ihr Partner verhält sich besitzergreifend.

Er ist eifersüchtig.

Er mag weder Ihre Familie noch Ihre Freunde.

Er hatte es sehr eilig, eine Liebesbeziehung mit Ihnen zu beginnen.

Er lügt und ist geheimniskrämerisch.

Er zwingt Ihnen seine Meinungen und Überzeugungen auf.

Er ist jähzornig, beleidigt andere und ist ihnen gegenüber körperlich gewalttätig.

Gibt anderen die Schuld für seine eigenen Probleme und Fehler.

Gebraucht beim Sex »spielerische« Kraft.

Konsumierte oder konsumiert noch immer übermäßig Alkohol und/oder Drogen.

Er hat den Ruf eines Weiberhelden.

Er ist unzuverlässig.

Er verhält sich Ihnen gegenüber anders, wenn Sie allein sind, als im Beisein anderer.

Er greift in Ihre Privatsphäre ein.

Kindern und Tieren gegenüber verhält er sich grausam.

Er ist charmant und charismatisch.

Sex ist das eine – aber wie steht es um die Liebe?

Liebe ist kompliziert, und der perfide spielende Narzisst nutzt Liebende für sich aus. Langfristig jedoch wird er damit scheitern, denn psychologisch betrachtet besteht Liebe aus drei Zutaten:47

Leidenschaft – sexuelle Leidenschaft, Verlangen. Der leidenschaftliche Narzisst kann sie anfeuern und damit spielen. Darin ist er gut, das nutzt er.

Intimität – Aufrichtigkeit und Verständnis. Diese Tiefe wird ein oberflächlich fühlender Narzisst nicht erreichen, aber ersehnen. Er reagiert traurig, ratlos oder ablehnend, weil diese Tiefenschichten für ihn unerreichbar bleiben.

Verpflichtung – Ergebenheit und Opfer. Schwerlich wird sich ein Narzisst für denjenigen, den er liebt, opfern und sich ihm ergeben. Vielleicht kurz, um den Schein zu wahren, aber nie dauerhaft.

In einer ernsthaften Beziehung ist Liebe die Feuerprobe für den männlichen und weiblichen Narzissmus gleichermaßen. Denn ist die anfängliche Leidenschaft erst einmal verraucht, gelingt es Narzissten typischerweise immer weniger, an Intimität und Verpflichtung zu arbeiten. In einer solchen Liebesbeziehung nehmen der Stress und leider auch die sexualisierte, körperliche und psychische Partnerschaftsgewalt zu, sobald die positiven Narzissmusmerkmale verblassen. Narzisstische Männer üben dabei deutlich mehr körperliche und Frauen deutlich mehr psychische Gewalt aus, wenn sie sowohl grandios und vulnerabel-narzisstisch sind. Wobei Frauen ebenfalls körperlich gewalttätig agieren, wenn sie lediglich männliche Narzissmusmerkmale tragen. Derart Betroffene stehen den Männern in nichts nach, so neueste Daten.

Der nur großartige männliche Narzisst übt bevorzugt psychische Gewalt aus, während der lediglich verletzliche männliche Narzisst seine Opfer schlägt und sexuell missbraucht.48

Frauen sind weiterhin führend, wenn es darum geht, verdeckt narzisstisch zu wirken, um ihr Anerkennungsmotiv zu befriedigen.

Studien lassen vermuten, dass grandiose Narzissten bald Sexualkontakt außerhalb der Beziehung mit wechselnden Sexualpartnern suchen, und das sehr erfolgreich. Denn wenn es um kurze Abenteuer geht, bevorzugen Frauen tatsächlich narzisstische Partner.49 In kleinen Sexbeziehungen zwischendurch sind Narzissten also tatsächlich überdurchschnittlich gut!50

Leidenschaft ist das Spiel, und mit Spielen kennen sie sich aus. Intimität und Verpflichtung hingegen sind ernsthafter, bindender, verbindlich. Ein Mensch mit deutlich narzisstischen Wesenszügen kennt oder respektiert diesen Unterschied nicht. Trotzdem schaffen es ein paar Narzissten, langfristig treu zu bleiben, wenn sie hochzufrieden mit ihrer Beziehung sind, weil es der Partnerin gelingt, der Anspruchshaltung an beispielsweise Sexualität, Attraktivität und Status zu genügen.51

Ob privat, beruflich, im sozialen Miteinander, im Umgang mit der Natur und mit den Dingen, die andere geschaffen haben, ja sogar im Umgang mit Werten, Gesetzen und Moral – der vom Narzissmus betroffene Mensch weiß a priori nicht, wie liebevoll, intim und verpflichtend damit umzugehen ist. Er muss es also lernen. Anfangs handelt er automatisiert und unbewusst, wenn er auf Angriffe und Kritik narzisstisch reagiert. Im Laufe seines Lebens trainiert er, seine Unarten kontrollierter einzusetzen. Um sich zu schützen, spielt er sein Spiel. Und geht dabei über Leichen, die er durch sein zwar leidenschaftliches, aber stets oberflächliches und unverbindliches Handeln produziert.

Liebe ist das komplizierte Ding. Sex ist das einfache. Perfekt, wenn man mit einem Menschen, den man liebt, auch noch Sex haben kann. Aber das Leben ist nicht perfekt. Nicht für jeden.

Wir benutzen uns. Alle. Gegenseitig. Weil wir uns brauchen. Weil wir uns guttun. Aus Liebe? Vielleicht. Weil wir soziale Wesen sind? Mit Sicherheit.

Die Begegnung mit einer narzisstisch-missbrauchenden Person: Im Leben treffen wir in romantischen Beziehungen auch auf Menschen, die uns nach ihren egoistischen Vorstellungen verformen wollen. Was zunächst wunderbar anfängt, führt für viele in eine Katastrophe. Aber der Weg ist noch lange nicht zu Ende, denn wer den narzisstischen Missbrauch erkennt und sich daraus befreit, kann ein Leben voller Selbstachtung und Selbstliebe führen. Zurück bleibt immer der ratlose, unverständige und selbstverliebte Narzisst, der kein Interesse daran hat, sich empathisch in den anderen hineinzuversetzen. Denn es ist ein gehöriger Unterschied, sich selbst nur toll zu finden oder sich mit den eigenen Schwächen und Stärken anzunehmen und zu lieben. Insofern kann die Begegnung mit einem narzisstisch-missbräuchlichen Menschen dazu beitragen, ein bewussteres und gesünderes Leben zu leben und nicht daran kaputtzugehen.