Kapitel 13
Nachdem Marie die nötige Unterstützung für eine umfassende Durchsuchung des Windrush-Sanatoriums organisiert hatte, kehrte sie in den Ermittlungsraum zurück, um ihre Jacke und den Schlüssel zu holen. Jackman saß tief in Gedanken auf ihrer Schreibtischkante.
»Ich dachte, Sie wollten zu Toni Clarkson?«
»Ja, aber ich habe noch mal nachgedacht. Würden Sie vielleicht doch mitkommen?«
»Natürlich, aber warum haben Sie Ihre Meinung geändert?«
»Wegen Tonis Vater. Wenn nur ich hinfahre, will er sicher bei dem Gespräch dabei sein. Aber wenn Sie mitkommen, können wir vielleicht allein mit ihr reden.«
»Ja, Sie haben recht. Sie öffnet sich sicher mehr, wenn ihre Eltern nicht zuhören.« Sie sah ihn an. »Gibt es schon Neuigkeiten von Rosie und Max?«
»Heute Abend um halb elf geht’s los. Max hat gerade angerufen.«
»Wo findet die Party statt?«, fragte Marie. Ihre Kehle war wie zugeschnürt.
»Offenbar wird der Veranstaltungsort erst eine halbe Stunde vor Beginn bekannt gegeben. Ich weiß nicht genau, was Max und Rosie zu den Geschwistern gesagt haben, aber Chloe ist stinksauer, während ihr Bruder Luke wie ein Vögelchen singt. Max meinte, er hätte gehört, dass sich vor etwa einer Woche plötzlich etwas geändert hat. Außerdem hat er bestätigt, dass Shauna Kelly mehrmals unter den Partygästen war. Er ist ganz versessen darauf, uns zu helfen.« Jackman grinste trocken. »Er hat Rosie angeboten, seinen Namen zu benutzen, um reinzukommen.«
»Können wir ihm vertrauen?«
»Luke ist schon eine ganze Weile dabei. Er geht zwar nicht zu jeder Party, aber es waren doch einige. Die Veranstalter stufen ihn als ›sicher‹ ein. Was aber nicht bedeutet, dass er viel über sie weiß.«
»Wo ist Rosie im Moment?«
»Sie ist zu ihrer Nichte gefahren, um sich das passende Outfit auszuleihen. Sie kommt um zehn wieder und wartet dann hier im Büro auf die nächste Nachricht.« Jackman warf einen Blick auf die Uhr an der Wand. »Es ist erst sechs, wir haben also mehr als genug Zeit, um Toni zu besuchen, zu Abend zu essen und uns ein wenig zu erholen.« Jackman erhob sich. »Bereit?«
»Bereit.«
Jackman fuhr zügig durch die einsamen Fens in Richtung Harlan Marsh. Die lange, von Reet begrenzte Straße erschien ihm endlos, und er ging ein wenig vom Gas. Er hatte vom ersten Tag an gelernt, dass man die scheinbar harmlosen Straßen nicht unterschätzen durfte. Eine leichte Änderung der Straßenwölbung, eine gewölbte Brücke, eine plötzliche, unerwartete Kurve oder schlichtweg Selbstüberschätzung konnten jederzeit dazu führen, dass man mit der Motorhaube voran im Graben landete.
Die Müdigkeit übermannte ihn beinahe, als er um eine Kurve bog und Harlan Marsh vor ihm auftauchte. Der Besuch hätte wirklich bis zum nächsten Morgen Zeit gehabt, allerdings musste er sobald wie möglich mit der Suchmannschaft ins Windrush-Sanatorium.
Neil Clarkson wirkte nicht gerade erfreut, die beiden Polizisten zu sehen. »Fassen Sie sich kurz, DI Jackman, meine Tochter ist sehr müde.«
Ja, vielleicht, aber sie lebt wenigstens noch, dachte Jackman. Und sie ist in Sicherheit – im Gegensatz zu Emily. »Natürlich, Sir. Es dauert nur ein paar Minuten, dann lassen wir Sie in Frieden.«
Clarkson runzelte die Stirn. »Sie wollen allein mit ihr reden?«
»Ja, das wäre besser. Wenn Sie nichts dagegen haben? Jugendliche mögen es nicht sonderlich, wenn ihre Eltern zu viele Geheimnisse kennen.«
Clarkson trat widerwillig zurück und deutete den langen Flur hinunter. »Die dritte Tür rechts. Sie müssen laut klopfen, wahrscheinlich hört sie gerade Musik.«
Tonis Zimmer war eine wilde Mischung aus Kinder- und Jugendzimmer. Zwei kuschelige Teddybären saßen vor einem Poster, das zwei zähnefletschende Vampire in einer blutigen Umarmung zeigte. Jackmans Neffen liebten Twilight, aber das hier war düsterer und hatte einen erotischen Unterton. Vermutlich waren Tonis Eltern nicht gerade glücklich über die Wanddekoration ihrer Tochter.
»Was hörst du da?«, fragte er, nachdem Toni die Kopfhörer abgenommen hatte.
»Die Band heißt Taking Back Sunday«, antwortete sie und sah ihn geduldig an. »Aber das sagt Ihnen wahrscheinlich nichts.«
»Oh! Ich hätte dich nicht für eine Emo gehalten.«
Tonis Augen wurden groß. Sie betrachtete ihn amüsiert, sagte aber nichts, was auch gut war, denn es war reiner Zufall, dass Jackman vor Kurzem ein Interview über die Emo-Szene im Kulturradio gehört hatte.
»Ich habe über Emily nachgedacht«, erklärte Toni. »Habe ich Ihnen schon gesagt, dass sie seltsam gesprochen hat?«
»Du meinst, sie hatte einen Sprachfehler?«, fragte Marie.
»Nein, einen Akzent. Ich glaube, sie kommt ursprünglich aus Osteuropa.« Tonis Finger glitten über das Display ihres Handys, auf dem bunte Bilder erschienen.
»Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich glaube, sie hat von ihren Großeltern gesprochen, die nicht aus ihrem Heimatdorf fortwollten, obwohl es echt schrecklich war. Total heruntergekommen und so.«
Jackman atmete langsam aus. Das konnte der Grund sein, warum sie keine Vermisstenanzeige gefunden hatten. In Greenborough gab es eine große Gruppe EU -Bürger, die als Gastarbeiter im Land waren. Sie blieben meist für sich und misstrauten der hiesigen Polizei.
»Außerdem heißt sie eigentlich gar nicht Emily.« Toni betrachtete das Bild eines düster dreinschauenden Jungen mit gebräuntem, öligem Oberkörper und gebleichten Zähnen. »Sie nannte sich so, weil wir Engländer ihren richtigen Namen nicht richtig aussprechen können. Und Emily gefiel ihr.«
Jackman rieb sich die Stirn und versuchte nachzudenken. Die Sache wurde von Minute zu Minute komplizierter.
»Aber das ist wirklich alles, woran ich mich erinnere.« Toni wischte den hübschen Jungen vom Display, und ein Pokémon erschien.
»Du hast uns sehr geholfen, Toni«, versicherte Marie.
»Glauben Sie, dass sie tot ist?«
Die Schonungslosigkeit der Frage ließ Jackman erschaudern. »Wir tun unser Bestes, um sie zu finden, bevor ihr etwas zustößt.«
»Ich glaube, dass sie tot ist. Die Männer in dem Keller …« Toni begann zu zittern. »Ich habe ihre Augen gesehen. Vor allem der eine, der mich geschlagen hat … Er hatte grauenhafte Augen.«
»Was meinst du damit?«, fragte Marie sanft.
»Sie waren tot. Er war zwar richtig aufgeregt, als er sie nach ihrem Geburtstag fragte und so, aber die Augen waren trotzdem tot. Wie in einem Zombie-Film. Aber ich habe es noch nie bei einem echten Menschen gesehen.«
Jackman spürte, wie sich Kälte über sie legte, während Toni von dem Mann erzählte, der sie mitgenommen hatte. Er hatte dem Mädchen schreckliche Angst eingejagt, und es würde wohl lange dauern, bis die Erinnerungen verblassten.
Marie sah ihn an, und ihm war klar, dass sie dasselbe dachte.
Sie versuchte, von den toten Augen abzulenken. »Toni, als wir uns im Krankenhaus unterhalten haben, sagtest du, dass jemand gesungen hätte. Erinnerst du dich? Kannst du uns erklären, was du gemeint hast?«
Toni verzog nachdenklich das Gesicht. »Das hätte ich beinahe vergessen. Es war echt schräg! Total unheimlich. Wir saßen in dem stinkenden Keller mit den ganzen Kerzen und dem Wein, und plötzlich begann dieser Kerl zu singen, und seine Stimme war …« Sie hob die Hände, um ihr Er staunen zum Ausdruck zu bringen. »Er klang wie ein Chorsänger. Aber irgendwie besser. Kraftvoller. Als hätte er keine Kontrolle über die Lautstärke. Es war ziemlich geil.«
Marie warf Jackman einen Blick zu und zuckte mit den Schultern.
Jackman runzelte die Stirn. Er war sich sicher, dass diese Information extrem wichtig war.
»Danke, Toni. Das war’s. Ruh dich ein wenig aus.« Er holte eine Visitenkarte aus seiner Tasche und gab sie ihr. »Vielleicht schreibst du alles auf, was dir noch einfällt, und rufst mich dann an? Egal, wie unbedeutend es auch ist.«
Toni nahm die Karte, und dabei berührten ihre kalten Finger Jackmans Hand. »Ich sehe sie immer noch vor mir. Ihr Gesicht, als sie sie davongezerrt haben.«
Sie legte die Karte auf den Nachttisch und drehte sich langsam um. In ihren Augen standen Tränen.
Marie griff nach Tonis Hand.
Das Mädchen legte eine Hand schützend auf die verletzten Rippen, schlang den anderen Arm um Marie und vergrub den Kopf an ihrer Brust. »Und das alles nur wegen ihres Geburtstags«, schluchzte sie. »Wenn sie an einem anderen Tag geboren wäre, hätten sie vielleicht mich mitgenommen.«
Von der trotzigen Nervensäge war nichts mehr übrig.
Marie streichelte Tonis Haare und redete beruhigend auf sie ein. »Aber das haben sie nicht, okay, Liebes? Du bist zu Hause und in Sicherheit. Du kannst Emily am besten helfen, wenn du alles aufschreibst, was dir einfällt. Wir werden sie finden, Toni, und dann kannst du alles hinter dir lassen und mit deinem Leben weitermachen.«
Das Mädchen weinte noch ein wenig länger, und Jackman bemerkte, dass ihr Vater bereits nervös vor der Tür wartete. Wenigstens bewies er genug Vernunft und kam nicht herein.
Als sie das Haus zehn Minuten später verließen, waren beide überzeugt, dass es dort draußen ein weiteres Opfer gab, das gefunden werden musste. Die Frage war nur, ob tot oder lebendig.
Auf dem Weg zurück zur Dienststelle sagte Jackman: »Ich hoffe, ich täusche mich nicht, aber meine Haushälterin stellt mir normalerweise etwas zum Essen auf den Herd, wenn im Büro viel zu tun ist. Sollen wir es uns teilen?«
Marie hatte schon von Mrs Maynards legendären hausgemachten Gerichten gehört, und ihr Magen knurrte. »Sehr gerne.«
»Wunderbar.« Er lächelte kaum merklich. »Obwohl sie es heute vielleicht zum ersten Mal vergessen hat. Aber in diesem Fall habe ich eine Notfallration Fertiggerichte im Gefrierschrank.«
Er bog von der Hauptstraße ab in Richtung Cartoft. »So können wir während des Essens gleich unseren heutigen Einsatz planen und besprechen, was Toni uns gerade erzählt hat.«
»Und zwar in netterer Umgebung als im Büro.«
Marie liebte Jackmans alte Mühle und fühlte sich dort jedes Mal willkommen. Sie hätte alles für ein solches Haus gegeben, und auch Bill hätte es geliebt. Sie sah ihn vor sich, wie er in der Werkstatt an einem alten Motorradmotor herumschraubte, und seufzte unwillkürlich.
»Alles in Ordnung? Sie machen sich doch nicht immer noch Sorgen um Rosie, oder?«
»Nein, es war bloß ein kleiner Gruß aus der Vergangenheit. Manchmal kommen die Erinnerungen hoch, wenn man es am wenigsten erwartet.«
»Bill?«
Sie nickte. »Ich weiß, dass es nichts bringt, aber wenn jemand so früh stirbt, fragt man sich manchmal, was wohl aus ihm geworden wäre.« Sie rieb gedankenverloren die Hände aneinander. »Ich versuche, mir vorzustellen, wie er mit manchen Dingen umgegangen wäre – mit den modernen Ermittlungsmethoden und der neuen Technik zum Beispiel. Mit Autos, die selbstständig einparken, und Telefonen, die vom Büro aus die Heizung zu Hause steuern.« Sie lachte leise. »Er war neuer Technik gegenüber eher feindselig eingestellt. Vielleicht mochte er alte Motorräder deshalb so gerne. Er liebte Dinge, die nach Öl rochen und die man reparieren und wieder zum Leben erwecken konnte. Er konnte nicht zusehen, wenn ein Auto bloß an einen Diagnosecomputer angeschlossen wurde, um es wieder zum Laufen zu bringen. Ich glaube, er hätte es gehasst, dass Pakete mittlerweile sogar mit Drohnen zugestellt werden können.«
Jackman nickte. »Das kann ich verstehen. Ich finde es natürlich positiv, dass die Wissenschaft uns neue Methoden eröffnet, um Verbrechen aufzuklären, und die Fortschritte im medizinischen Bereich sind unumstritten, aber ich mag die Dinge lieber einfach.«
Marie schob die Gedanken an die Vergangenheit beiseite, als ihr klar wurde, dass sie bereits auf die Zufahrtsstraße zur Mühle gebogen waren.
»Jetzt hoffen wir mal, dass Mrs M. wieder etwas gezaubert hat«, meinte Jackman grinsend. »Und ich glaube, ein Glas Wein zur Entspannung wäre auch nicht schlecht.«
Er parkte, stellte den Motor ab und öffnete die Tür. »Riechen Sie es? «
Marie stieg aus und atmete tief ein. »Es duftet nach Curry. Gibt es in Cartoft ein indisches Restaurant?«
»In Cartoft gibt es absolut gar nichts – und ich meine, wirklich nichts, außer einer Kirche und dem Gemeindesaal. Der Geruch ist also ein gutes Zeichen.«
Sie eilten zur Mühle, öffneten die Tür und wurden von einem würzigen Duft begrüßt.
»Ja!« Jackmans Augen begannen zu strahlen. »Sie werden sehen, es schmeckt ganz anders als beim Inder. Mrs M. hält sich nicht an Rezepte, sondern macht lieber ihr eigenes Ding.«
Sie gingen in die Küche, wo ein Zettel auf dem Tisch lag. Jackman las laut vor:
Im Ofen steht ein Hühnercurry, und unter der Folie ist auch etwas von dem ausländischen Brot, das Sie so mögen. Sie müssen es nur ein paar Minuten aufwärmen.
Am Donnerstag kommt der Gärtner zum Heckenschneiden.
Hetty
Marie lächelte. »Ich hätte auch gerne eine Mrs M. – Leihen Sie sie mir mal?«
»Sie ist Gold wert, glauben Sie mir.« Jackman schlüpfte aus seiner Jacke und warf sie über die Stuhllehne. »Machen Sie es sich bequem. Ich hole den Wein, während ich das Naan aufwärme.« Er öffnete den Kühlschrank und nahm eine Flasche Chardonnay heraus. »Ich weiß nicht, warum, aber der hier passt perfekt zu Hühnercurry.«
»Aber nicht zu viel, sonst müssen wir den heutigen Einsatz abblasen. «
»Keine Sorge, ich halte mich zurück.« Er goss etwas Wein in zwei Gläser und stellte die Flasche wieder zurück in den Kühlschrank.
Wenige Minuten später richtete er das Curry in zwei großen Schüsseln an und stellte einen Teller mit heißem Brot zwischen ihnen auf den Tisch. »Lassen Sie es sich schmecken!«
Während des Essens unterhielten sie sich über Toni und die beunruhigenden Dinge, die sie ihnen erzählt hatte. Falls Emily tatsächlich als Gastarbeiterin im Land war, würde es schwer werden, ihre Identität zu klären, denn es handelte sich um eine sehr verschworene Gemeinschaft.
Nach einer Weile sagte Marie: »Mir ist klar, dass wir morgen das Windrush-Sanatorium auseinandernehmen, aber wir dürfen nicht vergessen, dass wir auch noch mit den Bewohnern von Allenby Creek reden müssen.« Sie schluckte und fuhr fort: »Irgendjemand muss doch irgendetwas gesehen haben! Ein fremdes Auto oder ein Unbekannter fällt an einem so abgelegenen Ort doch sofort auf, oder nicht?«
»Ja, hoffen wir, dass die uniformierten Kollegen bei der Befragung der Anwohner jemanden nicht angetroffen haben, der morgen zu Hause ist.« Jackman erhob sich und nahm die Schüsseln mit. »Mein Gott, wie die Zeit vergeht! Danke Mrs M., es war sehr lecker.«
»Ich danke ebenfalls«, fügte Marie lächelnd hinzu. »Wegen heute Abend … Ich bin irgendwie …« Sie brach ab.
»Aufgeregt? Besorgt?«
»Ein wenig von beidem, nehme ich an. Rosies Einsatz könnte uns eine Menge neue Informationen verschaffen, andererseits machen mich solche Männer wahnsinnig wütend, und mir wird richtig übel, wenn ich daran denke.« Marie verzog angewidert das Gesicht .
»Ja, das verstehe ich, und das ist auch der Grund, warum wir sie so schnell wie möglich festnageln müssen.«
Marie nickte. »Schon klar. Ich hoffe nur, dass wir Rosie keiner zu großen Gefahr aussetzen.«
»Wir sind doch alle in der Nähe. Wenn auch nur das geringste Problem auftritt, wissen die Partybetreiber schon eine Sekunde später nicht mehr, wie ihnen geschieht.« Seine Augen wurden schmal. »Außerdem habe ich das Gefühl, dass Rosie heute erst mal nur die Lage checken wird. Sie wird so viele Informationen wie möglich sammeln, ohne dass ihre Tarnung auffliegt, und sich die Option offenhalten, noch einmal wiederzukommen.« Er lächelte Marie zu. »Zur Abwechslung teile ich Ihre Sorge dieses Mal nicht. Ich glaube, Rosie wird ihren Job hervorragend erledigen. Sie hat bereits undercover gearbeitet und war sehr erfolgreich.«
Vielleicht lag es am unterschiedlichen Geschlecht, dass sie ausnahmsweise nicht einer Meinung waren. Marie hoffte jedenfalls inständig, dass sie sich irrte, und freute sich bereits auf Jackmans »Ich hab’s Ihnen ja gleich gesagt!«.
»Wollen Sie vielleicht noch einen Kaffee, bevor es losgeht?«
»Das wäre perfekt, danke!« Marie atmete tief durch und beschloss, dass der Abend sowieso seinen Lauf nehmen würde und sie sich genauso gut darauf einstellen konnte. »Dann beginnen wir mal mit der Planung!«
Kurz vor zehn Uhr abends spürte Jackman langsam ebenfalls diese seltsame Mischung aus Aufregung und Sorge. Die Ausgangslage war alles andere als perfekt. Nachdem sie keine Ahnung hatten, wo die Party stattfinden würde, gab es keine Möglichkeit, den Ort vorher zu erkunden und die Rückendeckung zu planen .
Rosie trug ein Outfit, das Jackman in jedem anderen Zusammenhang zum Erröten gebracht hätte, und starrte wie gebannt auf Chloes Telefon, während Marie und Max Cohen nervös im Ermittlungsraum auf und ab wanderten. Tatsächlich schien Max sogar noch besorgter als Marie, was ihm gar nicht ähnlich sah. Normalerweise liebte er solche Einsätze.
»Bingo!«, flüsterte Rosie plötzlich und griff nach dem Handy.
Alle hielten den Atem an.
»Jubilee Lane, im alten Ruderclub neben der Mühle.« Rosie sprang auf. »Kennt das jemand? Ich nämlich nicht.«
»Entspann dich«, beruhigte Max sie und gab die Daten in seinen Computer ein. »Das ist nur etwa zwanzig Minuten entfernt von hier, auf der Straße nach Harlan Marsh. Ich war früher ein paarmal mit einem Freund zum Fischen dort. Die Mühle ist verfallen und nicht mehr zugänglich. Ich hole mir gerade die Satellitenbilder auf den Schirm.«
»Soweit ich mich erinnere, wurde das Clubhaus ebenfalls geschlossen. Vor ein paar Jahren hat es gebrannt, und der Ruderclub musste umziehen.« Jackman nickte nachdenklich. »Es gibt keine anderen Häuser entlang der Straße, und die beiden Gebäude sind verlassen – der perfekte Ort für eine Party.« Er wandte sich an Gary. »Geben Sie den uniformierten Kollegen die genaue Adresse. Ich will, dass sie in ausreichender Entfernung Stellung beziehen, sodass sie nicht bemerkt werden, aber trotzdem schnell eingreifen können, wenn wir sie brauchen. Und möglichst leise – kein Blaulicht und auch keine Sirenen!«
»Hier sind die Bilder.« Max rief ein Satellitenbild des heruntergekommenen Clubhauses und der näheren Umgebung auf. »Wenn wir Rosie an diesem Punkt absetzen, kann sie den Fluss entlanggehen und hier auf die Hauptstraße biegen. Die meisten Partybesucher werden wahrscheinlich aus Richtung der Hauptstraße kommen.« Er fuhr mit dem Finger den Flussverlauf entlang. »Am Treidelpfad und bei der alten Mühle gibt es vermutlich genug Deckung. Wir müssen jedenfalls so nahe wie möglich ran.«
Jackman richtete sich auf. »Das sehe ich genauso. Sind alle bereit? Dann legen wir los. Rosie? Wollen Sie es immer noch durchziehen?«
»Klar! Los geht’s.«
Jackman lächelte, als er ihr in die leuchtenden, intelligenten Augen unter den langen falschen Wimpern schaute. Dank des Make-ups und des Outfits sah sie tatsächlich aus wie sechzehn. Nur Marie schien nicht sonderlich motiviert zu sein. Sie hatte kaum etwas gesagt, seit sie ins Büro zurückgekommen waren. Jackman machte sich deshalb zwar Sorgen, aber er wusste auch, dass sie hundertprozentig hinter ihnen stehen würde, wenn es brenzlig wurde.
»Okay, überprüfen Sie noch mal die Verkabelung, Max. Wir dürfen nicht riskieren, dass die Verbindung abreißt.«
»Habe ich schon, Chef. Ich habe die Standardausrüstung außerdem noch ein wenig aufgepeppt. Jetzt ist sie top. Rosie hat das beste Signal und die größtmögliche Reichweite.«
Jackman sah sich um. »Dann lasst uns gehen, Leute. Und alles Gute! Wir müssen ein paar echt üblen Kerlen das Handwerk legen.« Er berührte Rosies Schulter. »Seien Sie vorsichtig, Rosie. Sie müssen selbst beim kleinsten Problem sofort verschwinden, und das meine ich ernst. Keine Heldentaten – hauen Sie einfach so schnell wie möglich ab!«