Wütende Frauen sind im Crash-Raum. Das ist ein Ort, an dem man Geld bezahlt und dann einen Vorschlaghammer oder einen Baseballschläger und eine Schutzbrille erhält. Je nach Gusto. Dann geht es in einen Raum, der an ein klassisches Wohnzimmer erinnert. Möbel im 70er-Jahre-Flair, Heavy-Metal-Musik dröhnt aus den Lautsprechern, und eine Stunde lang kann man alles zerstören. Auf den alten Fernseher dreschen. Die grässlichen Möbel zerhacken. Vasen und Tassen zerschlagen, bis ihre Scherben wie kleine Juwelen über den Boden verstreut liegen. Treten, schlagen, zerschmettern — man ist da ganz allein. Nur man selbst und die Wut. Ohne dass irgendjemand einen sieht. Klingt großartig, oder? Deshalb sind laut Christian Block, dem Betreiber eines Wutraums in Berlin-Lichterfelde, Frauen mit 70 Prozent die dominanteste Kund:innengruppe.
In unserer Gesellschaft gibt es keinen Platz für die Wut von Frauen. Außer sie zahlen 150 Euro und gehen in einen geschlossenen Raum dafür. Oder sie halten es wie die Popsängerin Beyoncé im Musikvideo zu ihrem Song Hold Up. In einem zitronengelben Tüllkleid und auf hohen, mit Strasssteinen besetzten Plateauschuhen spaziert Bey durch die Straßen von St. Louis. Sie grinst, und ab und zu schwingt sie lässig einen Baseballschläger, um damit auf Autos am Straßenrand einzuschlagen. Das Musikvideo gehört zu ihrem Album Lemonade, auf dem sie mit der Untreue ihres Ehemanns abrechnet.
Echte Wut ist nicht so sexy. Verzerrte Lippen, gefletschte Zähne, die Stirn ist in Falten gezogen, aufgeblähte Nasenflügel — es ist schon eine hässliche Emotion.
Die Gesellschaft straft eine wütende Frau ab. Wie unter anderem mit dem Unwort, das jede Frau an einem gewissen Punkt hören musste, und zwar hysterisch. Den Begriff haben wir einem alten weißen Mann zu verdanken, so die Journalistin Anne Dittmann:
»›Hysterie‹ kommt aus dem Altgriechischen von ›hystéra‹ und bedeutet Gebärmutter. Es war Hippokrates, der Hysterie zu einer körperlichen und psychischen Störung erklärte, die von einer ›rasend gewordenen‹ Gebärmutter ausgelöst wird, wenn die Frau zu lange nicht penetriert wurde. Anders ausgedrückt: Wütende Frauen sollten also ordentlich ge***** werden, um sich wieder entspannen zu können. Hallo?!«
Wir kennen dieses Narrativ. Ich bin bereits in der achten Klasse damit in Berührung gekommen, und zwar dank meiner Erdkundelehrerin, die ich hier Frau Siebert nenne. Sie war immer »gereizt und unentspannt«. Gern gewählte Euphemismen für Frauen, die für ihr Recht einstehen und die dann schnell als frigide bezeichnet werden. In Retrospektive war Frau Siebert eine Feministin, aber damals empfanden wir Mädchen sie als unangenehm. Den Großteil unserer Zeit verbrachten wir nämlich damit, uns aufzubrezeln oder uns mit diversen Maßnahmen so zu verändern, dass die Jungs unsere Klugheit unter einer Tonne Make-up nicht erkannten. Also wenig Zeit, um über die Ungerechtigkeiten unserer Emotionswelt nachzudenken oder zu begreifen, welche Lektionen Frau Siebert über die Geografie hinaus auf Lager hatte. Sie war unter den anderen Lehrer:innen als »kompliziert« bekannt. Als ich zum Klassenbuchdienst verdonnert wurde, überhörte ich folgendes Gespräch im Lehrer:innenzimmer: »Ach die Siebert! Die ist immer so anstrengend«, sagte mein Chemielehrer. Worauf mein Mathelehrer grinsend antwortete: »Ich habe gehört, dass sie schon seit fünf Jahren geschieden ist. Sie lebt allein.« Ein bedeutungsschweres Schweigen folgte, welches mein Chemielehrer mit dem Satz durchbrach: »Mensch, die muss mal endlich wieder …«, Grinsen und dann, »du weißt schon!«
Wütende Frauen sind stark. Starke Frauen sind schwierig. Und die will keine:r haben! Monika Odum ist seit 33 Jahren Krankenschwester. Als sie noch »am Bett« auf der Intensivstation arbeitete, wurde sie die »Bitch der Station« genannt. »Dabei finde ich den Begriff überhaupt nicht schlimm«, sagt sie. »Ganz im Gegenteil. Wir — ein paar Kolleginnen und ich — haben ihn uns erarbeitet. Die jungen Assistenzärzt:innen hatten Angst vor mir. Ich war ihnen in der Zusammenarbeit zu aufmüpfig, anstrengend und unbequem.«
»Frauen sind genauso ärgerlich wie Männer«, so Dr. Ursula Hess, Emotionsforscherin und Professorin an der Humboldt Universität. »Wenn wir Männer und Frauen ins Labor holen — was wir öfter machen — und sie ärgern, bis sie sich richtig aufregen, reagieren Männer und Frauen gleichermaßen ärgerlich.« Trotzdem denken wir, dass Frauen nicht so wütend sind wie Männer.
Die Forscherin Agenta H. Fischer fand 2000 durch ihre Arbeit Gender and Emotion: Social Psychological Perspective heraus, dass Männer eher bereit sind, sich in Situationen zu begeben, in denen Wut die Konsequenz sein wird. Frauen nicht. Sie regen sich zwar auch auf, vermeiden es aber, wütend zu werden. Die Psychologin Dr. Ursula Hess sagt: »Wut hat viele positive Elemente. Menschen, die ärgerlich reagieren, werden häufig auch als fähiger, kompetenter und kräftiger wahrgenommen.«
Genau das erlebt Monika Odum im Krankenhaus. Sie nutzt ihre Wut als Werkzeug. Ihre Wut ist in diesem Kontext nützlich. Dabei steht für sie der Schutz ihrer Patient:innen an höherer Stelle als die gesellschaftlichen Normen. »Wut zu demonstrieren, hat auch viel damit zu tun, in was für einem Setting du dich bewegst. Ich bediene mich des Stereotyps der Drachenschwester. Dabei ist es mir egal, was die Leute über mich denken. Das macht mich frei«, sagt sie.
Auch die Autorin, Journalistin und Kabarettistin Dr. Michaela Dudley setzt ihre Wut regelmäßig ein. Sie berichtet beispielsweise, wie sie vor einigen Tagen beim Verlassen eines Gebäudes einer anderen Frau die Tür aufhielt. »Als sie an mir vorbeibrauste, sagte sie etwas Abfälliges und dass ich ihr nicht genug Platz gemacht hätte.« Dabei musste Michaela Dudley ihr überhaupt nicht die Tür aufhalten. Es war eine kleine freundliche Geste. Da nutzte eine Unbekannte ihre Nettigkeit aus. Um begreiflich zu machen, dass frau nicht so mit ihr umgeht, hielt Michaela Dudley ihr eine Standpauke. »Nach zehn Minuten hat sie sich in der Tat entschuldigt und sich freundlich von mir verabschiedet.« Wut kann also trotz Konfrontation in Harmonie enden.
Die Situation hätte auch ganz anders verlaufen können. Der eine Weg wäre, dass Michaela Dudley den eigenen Ärger an der Übeltäterin entlädt. Ein klassisches Wut-Narrativ. Die zweite Alternative wäre, die Situation gar nicht zu thematisieren. Es stattdessen mit sich selbst auszumachen, sich den ganzen Tag darüber aufregen, den Ärger mit sich herumschleppen und letztlich all die Emotionen zu internalisieren. Michaela Dudley nutzte ihre Wut anders. »Ich will keine Sonderrechte, sondern Mächte. Ich möchte respektiert werden, und das habe ich zu erwarten. Genau das habe ich der Frau gesagt.«
Monika Odum und Dr. Michaela Dudley lieben ihre Wut. Sie umarmen sie. Für sie ist es eine warme Kraft. Andere unterdrücken sie lieber. Statistisch halten sich Frauen häufig zurück, damit Konflikte gar nicht erst stattfinden. Sie gehen gar nicht so weit, den Ärger zuzulassen.
»Eine wütende Frau verliert an Status, ganz gleich, in welcher Position sie ist«, stellte eine Gruppe von US-Psycholog:innen um Victoria L. Brescoll von der Universität Yale fest. Sie zeigten Proband:innen Videos wütender Menschen. Ihr Resümee lautete: Die Wut der Männer wurde positiv gewertet, die der Frauen negativ. Der offene Umgang mit Wut ist bei Männern eine akzeptierte Verhaltensweise, Frauen hingegen müssen oft Ablehnung fürchten.
Ein Großteil der Frauen rastet lieber in einem geschlossen Raum aus, weil wir ganz früh verinnerlichen, wie wichtig es für die öffentliche Wahrnehmung ist, dass wir unsere Anliegen freundlich vortragen. Sonst nimmt man uns nicht ernst.
Ein prominentes Beispiel dafür ist die ehemalige SPD-Chefin Andrea Nahles. Nach einem Jahr an der Spitze haben Medien vor allem an ihre laute Art und ihre ironischen »In die Fresse«- und »Bätschi«-Sprüche nach der Bundestagswahl 2017 erinnert. Gerhard Schröder, Sigmar Gabriel oder Peer Steinbrück, der sich mit erhobenem Mittelfinger für ein Magazin-Cover ablichten ließ — sie waren rotzig, impulsiv. Jungs halt. Nahles aber war von Anfang an zu laut, zu dominant, zu wütend, auch wenn sich ihre Wortwahl und Ausdrucksweise kaum von der dieser Männern unterschied.
Obwohl ich diese Zeilen aus einer sicheren Distanz schreibe, spüre ich den Wunsch, mich selbst von diesem Gefühl zu befreien. Wenn ich an meine eigenen Wutmomente zurückdenke, stelle ich fest, dass auch ich meist eher traurig als wütend war. Dass mein loderndes Feuer in Wuttränen erlosch. Schluchzend, bibbernd, theatralisch das Taschentuch zückend ist eben damenhafter als eine stampfende Frau, die Feuer speit. Wasser ist fließend, ruhig. Es sorgt dafür, dass einem jemand zu Hilfe eilt. Es positioniert mich als Opfer. Als ein zu rettendes Wesen. Trauer lähmt. Wut hingegen zerstört. Sie brennt Städte nieder. Sie gibt mir Kraft. Traurig sein ist selbstlos, und Wut ist egoistisch. Tränen sind sympathisch und Brüllen kompliziert. Wir Frauen sind doch dafür da, um zu versorgen, freundlich zu sein und als Streitschlichterinnen zu fungieren. Es steckt in unseren Genen. Männer lassen ihrer Wut freien Lauf, nehmen Raum ein, und Frauen sollen sich kleinmachen, keinen Ärger verursachen. Wir sollen schrumpfen.
Wir hängen häufig diesem Idealbild einer Frau nach, die über allem schwebt, der man nichts entgegenschleudern kann, weil sie so in sich ruht, dass alles an ihr abprallt. Eine Person, die eigentlich nichts fühlt. Genau dieses Bild einer Frau wird belohnt. Sie ist erstrebenswert, geduldig und sympathisch. Eine Frau, die auf Ungerechtigkeiten aufmerksam macht, für sich einsteht oder Raum einnimmt, gilt als schwierig.
Als sich Kamala Harris und Mike Pence bei der TV-Debatte der Vizepräsident:innen im November 2020 gegenüberstanden, wurde im englischsprachigen Raum das Wort »Smirking«, was zu deutsch Grinsen bedeutet, zum Inbegriff eines Phänomens, das viele Frauen vermutlich schon in ihrem Leben einsetzen mussten: das unterdrückte Wutlächeln. Die Augen werden klein, das Lächeln steif. Wir ballen also die Fäuste, graben unsere Nägel in unser eigenes Fleisch, beißen uns auf die Zunge und machen es irgendwie mit uns selbst aus. Versuchen, entspannt zu bleiben. Weil: This is a man’s world. Oder, um genauer zu sein: eine Welt, die primär von weißen, heterosexuellen, nicht behinderten cis Dudes bestimmt wird.
Die Emotionsforscherin Agneta H. Fischer schreibt in ihrem Buch Gender and Emotion, dass Frauen ihre Wut eher gegenüber einer vertrauten Person ausdrücken als vor Fremden. Was logisch klingt, nachdem öffentliches Ausrasten von Frauen einem gesellschaftlichen Tabu entspricht. Fischer entdeckte aber auch, dass die Wut von Frauen sich gegen Personen oder Objekte richten kann, die dem Grund ihrer Wut ähnlich sind. Wenn eine Frau beispielsweise sauer auf jemanden ist, der sie ghostet, aber es nicht schafft, das dieser Person klarzumachen, wird die nächste Person, die sie ghostet, als Projektionsfläche herhalten müssen.
Viele Frauen führen ein Doppelleben. Wir bewegen uns in einer Welt, in der wir nie so wütend sein dürfen wie Männer — auch wenn wir diese Emotion genauso intensiv und häufig fühlen. Manche Studien zeigen sogar, dass Frauen mehr Wut empfinden als Männer. Andere wiederum ergeben das Gegenteil. Allerdings zeigen Studien einheitlich, dass Frauen in ganz anderen Situation wütend werden als Männer.
Frauen berichten über mehr Wut nach Verrat, Herablassung, Zurückweisung, unbedachter Kritik oder Nachlässigkeit, während Männer über mehr Ärger berichten, wenn ihre Partnerin launisch oder selbstbezogen ist. Männer sind also über alles sauer, was mit Frauen zu tun hat, und Frauen über alles andere.
Dass so viele Frauen ihre eigene Wut nicht mögen und lieber zu Tränen statt zu Aggression greifen, ist keine natürliche Entwicklung, sondern wurde über Jahrhunderte kultiviert. Dass die Wut von Frauen quasi verboten wird, basiert laut der Psychologin Teresa Bernardez auf drei Faktoren. Erstens auf der gesellschaftlichen Stellung der Frau als Untergebenen, zweitens auf der gesellschaftlichen Notwendigkeit, Frauen in Dienstleistungsaufgaben zu halten, und drittens auf der Rolle des »weiblichen Ideals«, das in seiner Konstruktion sowohl die Unterordnung als auch das Dienen und Kümmern enthält.
»In unserer Gesellschaft sind diese Verbote größtenteils unbewusst und hindern Frauen daran, sich offen zu beschweren, durchsetzungsfähig zu sein und Protest in eigener Sache zu äußern. Diese Verbote werden durch irrationale Ängste vor der zerstörerischen Kraft von Frauen verstärkt. Ängste, die in der Kindheit erworben wurden.«
Die Arbeit von Teresa Bernardez stammt aus den Achtzigern. Trotzdem fühlt sich ihre These knappe vierzig Jahre später immer noch aktuell an.
Frauen machen weiterhin den größten Teil an Angestellten in sogenannten Care-Berufen aus. Das umfasst die Tätigkeit als Krankenschwester, Erzieherin oder die Sachbearbeiterin in der örtlichen Gemeinde. Im Gesundheits- und Sozialwesen etwa sind mehr als drei Viertel der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten Frauen.
»Berufe, die man typischerweise als ›Frauenberufe‹ versteht, werden schlechter entlohnt«, erklärt Ilona Mirtschin, Arbeitsmarktexpertin der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg. Ähnlich sieht es in dem Bereich Erziehung und Unterricht aus. Ein spannender Punkt ist die Verteilung zwischen Grundschullehrer:innen versus Lehrkräften in der Oberstufe. Nur einer von zehn Lehrenden an Grundschulen ist ein Mann. Wer verdient wohl mehr? Die Grundschullehrerin oder der Oberstufenlehrer?
Frauen verdienten 2019 durchschnittlich 19% weniger als Männer — pro Stunde. Weiterhin hält sich der Mythos aufrecht, dass Frauen sich gerne kümmern. Dass ihre Entlohnung nicht nur monetär, sondern dass es auch eine persönliche Erfüllung für sie sei, für die Gesellschaft zu sorgen. Meine beste Freundin, die seit über vierzehn Jahren als Pädagogin arbeitet und mehr Überstunden akkumuliert, als sie ausgezahlt bekommt, würde sich über mehr Geld auf ihrem Konto mehr als freuen — viele ihrer Geldsorgen würden verschwinden.
Sie liebt ihren prekären Job. Aber ihre Finanzen sind aktuell knapp, ihre Rente wird mies. Aber klar, sie opfert sich für die Gesellschaft. Wenn sie sich darüber beschwert, ist sie zu emotional. Würden mehr Männer in einem so prekären Beruf arbeiten, dann wäre dieses Problem schon längst aus der Welt geschafft.
In traditionellen Männerberufen, wie Automechatroniker, Bauarbeiter oder Handwerker verdienen Männer immer noch besser als Frauen in traditionellen Frauenberufen wie Friseurinnen, Erzieherinnen, Krankenschwestern oder Altenpflegerinnen. Die Lösung ist aber nicht, dass Frauen programmieren lernen und in einen klassischen »Männerberuf« gehen. Denn da würden sie auch weniger verdienen als ihre Kollegen.
Natürlich finden viele Menschen diesen Verdienstunterschied nicht in Ordnung. Doch die Münchner Sozialforscherin Katrin Auspurg und ihre Kolleg:innen haben in einer Studie gezeigt, dass heute zwar fast jede:r grundsätzlich befürwortet, Frauen und Männer gleich zu bezahlen, aber in konkreten Fällen viele eine völlig andere Haltung einnehmen. Die Forscher:innen folgerten daraus, dass Männer und Frauen unbewusst eine Lohnlücke von 8% zwischen den Geschlechtern als gerecht empfinden. Dieser Effekt zeigte sich vor allem dann, wenn es um hochqualifizierte Beschäftigte ging. Viele halten es für fair, wenn eine Managerin weniger verdient als ihr männliches Pendant. Auch Frauen denken, dass Männer es verdienen, mehr Geld zu erhalten. Weil wir mit dem Gedanken groß werden, dass die Arbeit, Gedanken, Ansichten und Perspektiven von Männern wertvoller sind als die von anderen Menschen.
»Es zieht sich durch die ganze Pflege. Es ist eine Indoktrination. Ein Appellieren, dass wir, um Leben zu retten, uns selbst verausgaben müssen. Es ist kein Beruf, sondern eine Berufung«, erklärt Monika Odum, die seit über drei Jahrzehnten als Krankenschwester arbeitet. »Und dann merkt man, dass Imperien auf dieser Indoktrination aufgebaut werden. Man merkt, dass die Arbeitgeber uns ausnutzen. Man kann nichts dagegen tun. Es ist ein systematisches Problem. Es ist viel zu viel Arbeit für viel zu wenig Hände. Und man denkt immer, dass es das eigene Versagen ist. Es wird uns auch suggeriert. Es wird nicht dagegengesprochen. Wir alle wissen um den Pflegenotstand. Aber ich kann ein systemisches Problem nicht als Einzelperson lösen, und ich mache ein systemisches Problem nicht zu meinem persönlichen.«
Die Journalistin, Kolumnistin und Autorin Alena Schröder ist überzeugt, dass der einzige Grund dafür, warum die Welt noch nicht in Flammen steht, an der Fähigkeit von Frauen liegt, ihre Gefühle im Griff zu behalten.
»Wenn die weibliche Hälfte der Menschheit mit ihrer berechtigten Wut über Sexismus und Unterdrückung genauso umgehen würde, wie es die männliche Hälfte der Menschheit in den vergangenen Jahrtausenden getan hat, läge das Patriarchat längst in Trümmern. Und der Planet wahrscheinlich auch.«
Das sorgt dafür, dass auch ich meine Wut umarme. Sie verändert sich. Sie wird tiefer. Es ist keine geschüttelte Sprudelflasche mehr, die beim Öffnen explodiert und unkontrollierbar in alle Richtungen verspritzt. Sie durchglüht meine Welt. Sie ist konstant präsent. Genau das ist der Grund, weshalb ich dieses Buch schreibe. Ich plädiere für eine revolutionäre Wut-Katharsis. Ich möchte, dass wir anfangen, einander zu erklären, warum es in Ordnung ist, wütend zu sein. Nicht, weil die nicht ausgelebte Wut von Frauen die Ursache des Problems wäre. Es ist nur eine von vielen Auswirkungen. Sondern weil der Wille, die Wut von Frauen zu kontrollieren, aus einer Angst herrührt. Der Angst vor Rache. Der Angst vor echter Gleichbehandlung. Was würde passieren, wenn Frauen genauso viel Geld erhielten wie Männer? Sie hätten mehr Freiheit, weil eine finanzielle Grundversorgung mehr Möglichkeiten bietet. Mehr Macht. Mehr Raum. Mehr Wirkung. Menschen, die Imperien auf der Basis der Ungleichbehandlung aufgebaut haben, würden an Macht verlieren. Sie müssten teilen. Und auch wenn sie selbst von einer gerechteren Welt profitieren würden, weil sie immer noch mindestens 19% mehr Gehalt bekommen würden, haben sie Angst davor. Diese Erkenntnis macht rasend.