Kapitel Eins
Dex neigte den Kopf zur Seite, bis ein Teil der Asche vom Visier seines Helms fiel und er einen Blick auf die vier Gestalten vor ihm werfen konnte. Renegaten. Sie trugen abgetragene, graue Kleidung, lädierte Kampfanzüge, Gasmasken und Schutzbrillen, die sie vor dem giftigen Smog schützten, der sich über Nacht in der Senke gesammelt hatte. Die Kampfpanzer waren mit Symbolen des alten Kaisers übersät. Vermutlich hatten sie zusammen mit Dex gegen die Truppen des Interrex gekämpft – und zusammen mit ihm verloren. Aber das war lange her.
Der Aschesturm hatte ihn gezwungen, die Nacht in der natürlichen Vertiefung zu verbringen. Er hatte gegen Mitternacht unter dem Überhang Schutz gesucht, den aufziehenden Sturm beobachtet, und war schließlich inmitten schwerer Blitzeinschläge, die alle möglichen Chemikalien aus dem verseuchten Boden freisetzten, eingeschlafen. Eine Nacht wie jede andere in der Aschewüste, die den größten Teil der einstigen Zivilisation unter sich begraben hatte. Die Auswirkungen des nuklearen Winters waren noch heute zu spüren. Ein Jahrhundert voller Kälte, Düsternis und Hoffnungslosigkeit, das die Restgesellschaft an den Rand ihrer Existenz gebracht hatte. Als die Atmosphäre vor wenigen Jahren begann, endlich aufzuklaren, und die Barrieren aus vergifteten Gletschern schmolzen, regte sich Hoffnung unter den Überlebenden. Eine Hoffnung, die einem Teil der Senatoren Ankhroms ein Dorn im Auge war. Untergrub sie doch deren Autorität und Wohlstand, den sie über die Jahre auf Kosten der einfachen Bürger angehäuft hatten. Sie stürzten den respektierten Kaiser, brachten einen gierigen Emporkömmling an die Macht, und entfachten einen Krieg gegen die kaisertreuen Truppen, der unzählige Opfer forderte. Auf beiden Seiten. Danach zogen die glühenden Hardliner der Inquisition durchs Reich und machten Jagd auf Ketzer, Häretiker und alle anderen Feinde des Interrex, dessen Herrschaft bis heute anhielt. Dem Jahrhundert der Kälte würde ein Jahrhundert des Schreckens folgen, dem niemand etwas entgegenzusetzen hatte.
Dex wagte es nicht, sich zu bewegen. Er war von einer grauen Schicht Asche bedeckt, die ihn vor den Blicken der Renegaten schützte und er hatte nicht vor, den Helden zu spielen. Nie wieder.
Den Staturen nach zu urteilen handelte es sich um eine Frau und drei Männer, die sich über ein abgeschirmtes Kommunikationssystem unterhielten. Dex konnte nur unverständliche elektronisch verzerrte Laute vernehmen, die gespenstisch durch die Senke hallten. Allerdings ließ die Gestik der Renegaten darauf schließen, dass sie aufgeregt waren und heftig miteinander diskutierten. Die Frau deutete nach Süden, während die Männer in Richtung Nordwesten tendierten, wo sich in einigen Kilometern Entfernung eine der alten Verbrennungsstätten befand.
Reinigung durch Feuer. Allein der Gedanke erzeugte eine Wut in Dex, die kaum zu bändigen war. Er verdrängte die aufsteigenden grausamen Bilder, ignorierte den imaginären Geruch von verbranntem Fleisch, der ihn damals wie heute oft um den Schlaf brachte, und begann die Finger seiner Hände zu bewegen, um die Taubheit loszuwerden und sich für den Ernstfall vorzubereiten.
Die aufgehende Sonne war in seinem Rücken. Deren kaltes Licht würde ihm einen nicht zu verachtenden Vorteil verschaffen. Außerdem befand sich seine Hand nur wenige Zentimeter von der Waffe im Holster an seinem Oberschenkel entfernt. Ob diese funktionieren würde, stand allerdings in den Sternen. Die Asche gelangte durch jedes noch so winzige Loch und sorgte gelegentlich für Ladehemmungen und anderweitige Funktionsstörungen. Ein Nachteil, den Dex vielleicht durch den Überraschungseffekt und das grelle Licht würde ausgleichen können. Die Klinge in der Scheide auf seinem Rücken war dagegen zuverlässig. Er würde nur nah genug an die Renegaten herankommen müssen. Das war alles.
Als er sich seiner Gedanken bewusst wurde, biss er sich wütend auf die Unterlippe. Der Krieg war lange vorbei und es gab keinen Grund, sich weiter dem Blutvergießen hinzugeben. Jedenfalls nicht für ihn. Eine kolossale Niederlage reichte ihm und er hatte nicht vor, sich noch einmal zu erheben. Für nichts und niemanden.
Er entspannte die Muskeln und lehnte sich zurück, bis die Renegaten ihre Fahrzeuge bestiegen und die Senke verließen. Die Elektromotoren der Crossmaschinen klangen aggressiv. Dex wartete, bis nichts mehr zu hören war, und stand auf. Eine Böe riss die Asche von ihm und trug die Flocken meterweit mit sich, bis sie eins mit der tristen Landschaft wurden und darin aufgingen.
Dex überprüfte die abgesägte doppelläufige Shotgun und steckte sie wieder zurück ins Holster. Danach warf er einen Blick auf den Scanner, der an der Koppel angebracht war. Das überlebenswichtige Gerät untersuchte die Luft seiner unmittelbaren Umgebung unentwegt auf Giftstoffe und projiziert die ermittelten Werte auf die Innenseite der Gasmaske. Jeder Bewohner der Aschewüste verließ sich auf ein System dieser Art, das sich über die Jahrzehnte bewährt hatte. Masken waren teuer, deren Filter begehrt, was sie zu einem beliebten Gut für Tauschgeschäfte unter den Gesetzlosen machte.
Dex warf einen skeptischen Blick auf die Werte, die alles andere als eindeutig waren, weshalb er die Maske vorläufig aufbehielt und bis zum Rand der Senke kletterte, um sich davon zu überzeugen, dass die Luft rein war. Die Renegaten waren nirgends zu sehen. Genauso wenig wie die Plünderer, die das südöstliche Territorium im Grunde als das ihre betrachteten und sich trotz der vereinzelten Außenposten der Templer entsprechend anmaßend verhielten.
Dex rutschte über einen Abhang aus Schutt zurück in die Senke, befreite seine Maschine von der Asche und aktivierte das mobile Kommunikationsgerät, das sich auf dem Tank befand. Danach startete er den Motor und fuhr eine Erhöhung an. Hier oben war die Luft besser als am Boden, weshalb er die Gasmaske abnahm und sie an seiner Koppel befestigte. Er stellte das Motorrad unter einem Überhang ab, ließ sich in einer geschützten Nische zwischen zwei gewaltigen Trümmern nieder, und zog einen Behälter aus seiner Koppel. Er öffnete ihn und hielt die graue Feldflasche bereit, bevor er endlich seinen Hunger stillte. Die handgroßen Nährstoffplatten schmeckten nach nichts. Aber selbst daran hatte er sich im Laufe der Jahre gewöhnt. Lieber Dreck fressen als zu Dreck werden. Eine Weisheit seines Ausbilders, dessen Knochen irgendwo bei Ankhrom unter einer meterdicken Schicht aus Asche vermoderten. Dex konnte dem Mann nicht mal mehr ein Gesicht zuordnen, obwohl er es war, der ihm die nötigen Fähigkeiten und die Härte verliehen hatte, um den Krieg gegen den Interrex mit allen seinen Grausamkeiten relativ unbeschadet zu überstehen.
Nachdem er fertig gegessen hatte, starrte er unentschlossen in den grauen Himmel, dessen Weiten von der kalten Sonne dominiert wurde. Deren greller diffuser Schimmer hielt seinen verlorenen Blick gefangen, bis sich eine elektronisch verzerrte Stimme aus dem Lautsprecher der mobilen Komm-Einheit meldete.
»Wo bist du?«
Dex stand auf, steckte sich den winzigen Empfänger ins Ohr und deaktivierte den Lautsprecher. Danach nahm er die Sendeeinheit und aktivierte sie.
»Vielleicht vierzig Kilometer nordöstlich des Außenpostens, in der Nähe des Purgatoriums. Gibt es Probleme?«
»Ich hab einen verdächtigen Funkspruch aufgefangen. Dessen Ursprung befindet sich zwischen unseren Positionen. Ich transferiere die Koordinaten in den Navigator deiner Maschine. Wir treffen uns dort.«
»Verstanden. Ich mach mich sofort auf den Weg.«
Dex benötigte fast vierzig Minuten für die relativ kurze Strecke, die entlang dreier Ruinen der Alten Welt führte. Er orientierte sich vornehmlich an den aus dem verseuchten Boden ragenden Wolkenkratzern, die überall in der Aschewüste zu sehen waren, um durch die Einöde zu navigieren. Nach fünf harten Jahren kannte er jeden einzelnen der traurigen Riesen, die aus einem Zeitalter stammten, das er nie hatte kennenlernen dürfen. Nur die höchsten Bauwerke von damals durchdrangen die verseuchte Erde und ragten wie Mahnmäler auf, um die Überlebenden an die desaströse Vergangenheit zu erinnern. Aber niemand hörte zu.
Die drei bis zu vierzig Meter aus dem Boden ragenden Bauwerke machten ihn nervös, weil sie als Einstiegspunkte für ein tief unter der Erde liegendes System aus miteinander verbundenen Ruinen dienten. Temburin befand sich fest in der Hand der Scragger . Gesetzlose und Vertriebene, die sich am Rand des Reichs zusammengefunden hatten, um ein Dasein zu fristen, das Dex sich nicht einmal vorstellen wollte.
Er hatte nicht viel Zeit, die Riesen aus verrußtem Stahlbeton nach Aktivitäten abzusuchen, weshalb er einen Bogen um die Ruinen machte und einen Umweg in Kauf nahm, der ihn relativ sicher zum Ziel führte.
Zwanzig Minuten später blieb er auf der Kuppe eines abfallenden Hangs stehen, um sich mit Hilfe des alten Feldstechers ein Bild der Lage zu machen. Am rauen Boden des Hügels befanden sich mehrere Wracks: Ein schwelender Transporter, dessen Fahrt durch einen massiven Felsbrocken beendet wurde. Ein auf dem Überrollbügel liegender Buggy. Ein darin verkeiltes Modell gleicher Bauart, ausgebrannt. Dazwischen vielleicht fünfzehn Motorräder und jede Menge regungsloser Körper.
Die Fahrzeuge trugen weder Symbole noch Abzeichen, über die Dex sie einer Fraktion hätte zuordnen können, woraus er schloss, dass es sich um ein Gefecht verfeindeter Clans handeln musste. Er verzog nervös den Mund und hielt nach Louis Ausschau. Aber vom Präfekten des Außenpostens war nichts zu sehen. Dex hatte auf Verstärkung gehofft, bevor er sich den vermeintlichen Toten nähern wollte. Auf der anderen Seite war er nicht wichtig genug, um sich diesen Luxus leisten zu können. Louis würde es nicht gutheißen, wenn Dex nichts unternahm, weshalb er die Zähne zusammenbiss und den Abhang schließlich hinunterfuhr. Er stellte die Maschine in angemessenem Abstand ab, zog die Shotgun und machte sich auf den Weg zu den Leibern, die reglos im Dreck lagen.
Dex schlich durch die Toten, als ob er sie nicht aufwecken wollte. Der Lauf seiner Waffe sprang von Körper zu Körper, bis er sich den ineinander verkeilten Buggys näherte. Deren Fahrer waren verbrannt. Der widerliche Gestank und die damit verbundenen Erinnerungen trieben ihm die Tränen in die Augen, bis er sich abwenden musste und auf den Transporter zuhielt. Die Schnauze war fast bis zur Windschutzscheibe eingedrückt. Kühlwasser und Öl versickerten im Boden. Einer der Scheibenwischer bewegte sich unbeeindruckt hin und her, kratzte über die zersprungene Oberfläche und löste hin und wieder Glassplitter aus der durchlöcherten Scheibe, die glitzernd im zerfetzten Motorblock verschwanden. Dex warf einen Blick in die Kabine. Der Beifahrer hatte sich das Genick vermutlich beim Aufprall gebrochen. Er lag halb im Fußraum und starrte ihn mit trüben Augen an, deren Verlorenheit ihn zwang, sich abzuwenden.
Kurz darauf ging er an den durchlöcherten Seitenwänden entlang zum Heck, hob die Shotgun an und riss die Klappe mit einem Ruck auf. Im Inneren lagen sechs Tote. Der Boden schwamm vor Blut, das durch Ablauflöcher der Karosserie in die aufgerissene trockene Erde sickerte. Nachdem Dex’ Blick über die Waffen und die Ausrüstungsgegenstände der Erschossenen gewandert war, sah er sich erstaunt um. Die Motorradfahrer hatten das übliche Equipment der Renegaten und Gesetzlosen: alte Sturmgewehre, Maschinenpistolen und Nahkampfwaffen. Die Leichen im Transporter dagegen waren mit MPs der neuesten Generation ausgestattet – und diese Art von Bewaffnung war den Templern der Megaplexe vorbehalten.
Dex nahm eine der vollautomatischen Waffen, hängte sich diese um den Hals und steckte so viel Ersatzmagazine ein, wie er finden konnte. Danach riss er einem der Toten die Wasserflasche vom Gürtel und trank sie in einem Zug leer. Er hängte eine zweite an die Koppel, steckte ein Kampfmesser in den Stiefel und wollte den Transporter verlassen, als er ein heiseres Husten vernahm. Er verließ die Ladefläche und näherte sich vorsichtig dem Röcheln, das seinen Ursprung vor dem Wrack zu haben schien. Dex hob den Lauf der Shotgun und ging vielleicht fünf Meter durch die aufgewühlte Asche, bis er die Spur eines schweren Objekts fand, das anscheinend aus dem Wagen geschleudert und hier aufgeschlagen war. Einige Meter weiter lag ein Mann, dessen Körper sich wie ein Geschoss in die Asche gebohrt hatte. Der Kerl lag auf dem Bauch und schien zu ersticken. Er hustete, rang nach Atem und versuchte, sich zu befreien, war aber zu benommen und geschwächt, um auch nur einen Arm aus der grauen Masse zu bekommen. Dex richtete den Lauf der Waffe auf dessen Hinterkopf und blieb unschlüssig stehen. Jede Entscheidung hatte Folgen. Die Entscheidung des Mannes, in den Transporter zu steigen und dieses Territorium anzufahren, hatte dazu geführt, dass er sterbend im Dreck lag. Die Frage war, was Dex bevorstand, falls er ihn am Leben lassen würde. Die hochwertigen Waffen deuteten auf Templer hin, was schlimm genug war. Die Tatsache, dass sie weder Uniformen noch Abzeichen trugen, die sie als solche kenntlich machten, war jedoch weitaus alarmierender. Verdeckte Operationen der Regentschaft konnten eine Menge Ärger bedeuten und Dex wollte nicht, dass sich sein Leben änderte. Immerhin hatte er nach dem Krieg lange gebraucht, um einen Platz zu finden, an dem er mehr oder weniger unbehelligt weiterexistieren und nicht jeden Tag ums Überleben kämpfen musste. Die Anwesenheit verdeckt operierender Templer brachte diesen temporären Frieden allerdings in Gefahr. Gescheiterte Geheimoperationen hatte den Haken, eine blutige Spur hinter sich herzuziehen. Wenn sie misslangen, rissen sie jeden mit sich in den Abgrund, der an ihnen beteiligt war. Die Regentschaft mochte für gewöhnlich keine Mitwisser dieser misslungenen Operationen, die sogar hochrangige Regulatoren stürzen konnten. Wenn der Kerl also im Dreck verreckte, würde sich vielleicht gar nichts ändern.
Als Dex seinen düsteren Gedanken nachhing, zerriss ein aggressiv heulender Motor die Stille. Kurz darauf brach ein gepanzerter Buggy durch eine Aschedüne und näherte sich zügig seiner Position. Louis war alleine gekommen. Die Abwesenheit seiner Templer gefiel Dex nicht, implizierte sie doch, dass er bereits wusste, was ihn hier erwartete. Dex steckte die Waffe ins Holster und starrte auf den Kerl am Boden, der nach wie vor um sein Leben kämpfte. Der verbliebene gute Teil in ihm wollte dem Mann helfen, aber der andere, durch den Krieg verkrüppelte, sah keinen Sinn darin. Der Kerl musste krepieren – und zwar am besten sofort.
Als Louis den Buggy verließ und zu Dex ging, rührte sich der Mann nicht mehr und ein Teil in ihm, für den er sich zutiefst schämte, atmete erleichtert auf.
Nachdem er den Präfekten ins Bild gesetzt hatte, ohne seinen Verdacht zu erwähnen, starrte dieser nachdenklich auf den Mann, der regungslos vor ihm in der Asche lag. Louis’ kurzgeschnittenes graues Haar wies bereits einige Lücken auf, an denen die Haut seines Schädels durchschimmerte. Er zog ein Bein hinter sich her und schien manchmal Probleme zu haben, in die Gänge zu kommen. Trotzdem war der Körper des Mittfünfzigers muskulös und zäh, seine stahlblauen Augen wach und kampfbereit. Am meisten Sorgen machte Dex jedoch, dass er die Schulterpanzer mit dem Emblem der Templer – einem eisernen Kreuz, das einen stilisierten menschliche Schädel im Zentrum enthielt – nach wie vor mit Stolz trug. Hier draußen am Rand der Restgesellschaft machte das vielleicht keinen Unterschied, aber wenn Louis vor die Wahl gestellt wurde, war Dex sich absolut sicher, wofür der Templer sich entscheiden würde. Deshalb verhielt er sich trotz all der Jahre nach wie vor vorsichtig, sagte nichts, was er später bereuen könnte, und lebte ein zurückgezogenes und einsames Leben. Was besser war, als jahrelang auf der Flucht zu sein, um irgendwann von den Jägern der Regentschaft erlegt und auf den belebten Plätzen der Megaplexe als vermodernde Trophäe ausgestellt zu werden. Die Bastarde suchten noch immer nach den Abtrünnigen von damals und würden erst damit aufhören, wenn der letzte zur Strecke gebracht und vernichtet war, um auch die winzigsten Anwandlungen von Widerstand innerhalb der Restgesellschaft bereits im Keim zu ersticken.
Louis bedachte Dex mit einem skeptischen Blick, ging in die Knie und drehte den Unbekannten um. Dessen schwarzer Einsatzanzug war aufgerissen, sein Oberkörper entblößt. Der Kerl war riesig, sein Körper extrem muskulös. Die blasse Haut glänzte im kalten Licht der Sonne, während Louis’ Finger darüber glitten und er den Mann ausgiebig untersuchte. Dex hielt den Blick derweilen aufs Gesicht des Fremden gerichtet und behielt es nervös im Auge. Es wirkte völlig entspannt. Trotzdem war sein Mund geschlossen – für einen Toten mehr als merkwürdig. Sein Antlitz war kantig, die Wangenknochen ausgeprägt. Ein Dreitagebart verlieh ihm einen rauen Eindruck, die kurzgeschorenen schwarzen Haare das Aussehen eines Militärs. Dex war froh, dem Kerl nicht über den Weg gelaufen zu sein, als er noch im vollen Besitz seiner Kräfte war. Denn Bluthunde wie dieser waren es, die Dex’ einstige Kameraden verfolgten und durch die Aschewüste jagten, bis sie die ausgehungerten und entkräfteten Krieger stellten und zerfetzten. Ohne Gnade, ohne Reue. Sollten sie alle zur Hölle fahren!
Louis zog das Lid des Unbekannten nach oben und scannte den mit einem Laser eingebrannten Code auf dessen Retina. Außerdem fand er einen winzigen Crypter in der Innentasche des zerrissenen Anzugs. Er stand wortlos auf und ging zurück zum Buggy.
Dex nutzte währenddessen die Chance und ließ sich in die Hocke sinken. Die Haut des Mannes schimmerte eigenartig unter den Strahlen der Sonne. Als er den Blickwinkel veränderte, konnte er ein unscheinbares halbtransparentes Geflecht erkennen, das den gesamten Körper zu überziehen schien. Als ihm bewusst wurde, was das bedeutete, zog sich sein Magen zusammen und er bereute, dem Kerl keine Ladung Blei verpasst zu haben. Dessen Körper schien biotechnologisch verändert und mit allen möglichen synthetischen Substanzen behandelt worden zu sein, um ihn besser, schneller und widerstandsfähiger zu machen. Ein verbesserter Übermensch, der fähig war, das Wort des Interrex auch in den unwirtlichsten Gegenden zu verbreiten. Ein Prediger des Todes, der die Ketzer für die Regentschaft an die Wand stellte und der Häresie Einhalt gebot, wo immer sie seinen Weg kreuzte. Aufgaben dieser Art bekamen nur linientreue Killer übertragen, die als Inquisitoren Angst und Schrecken verbreiteten. Ein Problem dieser besonderen Art Übermensch war, dass die Überlegenheit ihrer Körper sie mit den Jahren überheblich machte. Dieses Gefühl, über allen anderen zu stehen, ergab in Verbindung mit dem massiv erhöhten Aggressionspotential der Probanden eine gefährliche Mischung, die bei manchen Vertretern nur durch schwere Drogen in den Griff zu bekommen war. Viele der Übermenschen wandelten auf einem schmalen Grat, der zwischen totalem Kontrollverlust und absolutem Kontrollzwang verlief. Niemand wollte eine tickende Zeitbombe dieser Art in seiner Nähe haben. Am allerwenigsten Dex.
Als er die Hand auf die Stelle legte, unter der sich das Herz des Mannes befand, zog er sie erschrocken zurück. Der Kerl lebte noch!
Dex registrierte, dass seine Hand wie von selbst zum Griff des Kampfmessers gewandert war, als Louis auftauchte.
»Was machst du?«
Er sah blinzelnd auf. »Gar nichts.«
Er erhob sich und beobachtete Louis, wie er den Crypter per Funkverbindung mit einen Decrypter der Regentschaft verband. Kurz darauf begann das Gerät zu arbeiten und spuckte einige Sekunden später Koordinaten aus, die Dex einen kalten Schauer über den Rücken jagten. Louis atmete nachdenklich aus und musterte ihn aufmerksam, während Dex versuchte, möglichst unbeteiligt auszusehen. Aber das Blitzen in Louis Augen machte ihm klar, dass er sich das sparen konnte. Der Templer wusste, dass er wusste, dass hier einiges nicht stimmte – und was der bewusstlose Mann wirklich war. Trotzdem verzichtete er auf einen Kommentar und wies Dex an, ihm zu helfen, den Templer und dessen Waffen zum Buggy zu bringen. Sie schnallten ihn auf dem Beifahrersitz fest und fixierten seinen Kopf mit einem Spanngurt. Danach wandte Louis sich an Dex.
»Du wirst zu den Koordinaten fahren und nach dem Rechten sehen, verstanden?« Er bedachte ihn mit einem ernsten Blick. »Falls du etwas findest, wirst du mich ins Bild setzen. Fass nichts an und unternimm nichts, bevor du mich kontaktiert hast.« Als er die Maschinenpistole entdeckte, die Dex einem der Toten im Transporter abgenommen hatte, rümpfte er angewidert die Nase. »Nimm dir, was du brauchst. Ich werde dafür sorgen, dass die Waffen und Ausrüstungsgegenstände in wenigen Stunden verschwunden sind.« Er machte eine ausholende Bewegung mit dem Arm. »Der Rest ist für die Scragger.«
Dex nickte. »Was wird aus ihm?« Er zeigte auf den Bewusstlosen.
»Ich bring ihn zum Außenposten. Gabrielle wird sich um ihn kümmern.«
Dex verzichtete auf eine Bemerkung und wandte sich ein letztes Mal an Louis. »Bekomm ich Verstärkung?«
»Ich bin sicher, du wirst das alleine regeln können.« Als Dex widersprechen wollte, hob er beschwichtigend die Handflächen. »Falls du auf Widerstand stößt, werd ich dich nicht im Stich lassen, versprochen. Denk an unsere Abmachung.«
»Ich hab nichts vergessen ...«
»Und das weiß ich zu schätzen«, erwiderte er. »Setz mich ins Bild, sobald du das Purgatorium erreicht hasst. Wir sehen uns morgen.«
Louis stieg in den Buggy, startete dessen Motor und verschwand einige Sekunden später in einer Staubwolke, bis nur noch das aggressive Heulen des Fahrzeugs zu hören war, das über die Ebenen hallte, und langsam im Nichts verklang.
Dex ging derweilen zurück zu seiner Maschine, stieg auf und warf einen letzten Blick auf all die Leichen, über denen bereits die Geier kreisten, die es kaum erwarten konnten, sich auf das tote Fleisch zu stürzen. Einen Augenblick später suchte er nervös den Himmel. Als er einen der Aasfresser über sich entdeckte, schnürte sich seine Kehle zu und ihn beschlich das ungute Gefühl, dass sein beschauliches Dasein bald ein Ende haben würde. Er verfluchte sich, den Inquisitor nicht erledigt zu haben, als er die Chance dazu hatte, startete die Maschine, und machte sich auf den Weg zum Purgatorium.
Louis starte abwesend auf den Inquisitor, den er von seinen Templern im improvisierten Lazarett des Außenpostens auf eine Trage hatte schnallen lassen. Die Atmung des Mannes war flach, aber er hatte dank seiner physischen Modifizierungen überlebt. Louis war nicht entgangen, dass Dex ihn lieber hätte sterben lassen. Vermutlich späte Rache für den verlorenen Krieg. Der Junge war in Ordnung und hatte Louis bisher keinen Grund geliefert, ihre Abmachung zu hinterfragen, die unter anderem darauf basierte, weder unangenehmen Fragen zu stellen noch in Dex’ Vergangenheit herumzustochern. Louis hasste die Einöde. Allerdings bot sie den Vorteil, auch den verlorensten Seelen einen Neustart zu ermöglichen – ihn und seine altgedienten Veteranen eingeschlossen. Nichtsdestotrotz würden die Ereignisse der letzten Stunden ihn vielleicht zwingen, seine Einschätzung bezüglich seines Verhältnisses zu Dex zu überdenken. Kein schöner Gedanke, aber die Möglichkeit, zurück in einen der Megaplexe zu gelangen, hatte absolute Priorität. Gabrielle hatte es nicht verdient, hier draußen dahinvegetieren zu müssen und Louis würde jeden Strohhalm ergreifen, der sich ihm bot, um eine Veränderung zu erzwingen. Auch wenn Dex dabei auf der Strecke bleiben würde.
Nachdem Louis ihn beauftragt hatte, die Position der verschlüsselten Koordinaten des Inquisitors zu überprüfen, war er mit dem Bewusstlosen zum Außenposten gefahren. Das sechs Gebäude umfassende Areal befand sich am äußersten Rand des Reichs, das von der viele Millionen Quadratkilometer großen Aschewüste eingeschlossen wurde. Die Anlage bestand aus zwei über einen Tunnel miteinander verbundenen Flachbauten für die Mannschaften, einem Haus für den Präfekten, einem Kontrollbunker und zwei Hallen für den Fuhrpark, die auch mehrere Treibstofftanks enthielten. Die Dächer waren mit Solarzellen überzogen, die, je nach Wetterlage, bis zu hundert Prozent des Energiebedarfs der Basis abdeckten. Im Falle einer Absenkung der Leistung übernahmen die Generatoren unter dem Bunker, die den Treibstoff aus den Tanks zur Energieerzeugung verbrannten. Allerdings war Treibstoff Mangelware, weshalb Louis lieber Sparmaßnahmen ergriff, als das kostbare Gut zu verbrennen.
Die Mannschaftsquartiere boten Platz für einen kompletten Zug Templer, wurden seit Jahren aber von weniger als zwei Dutzend Männern bewohnt, die es kaum schafften, die Gebäude und die dazugehörige Peripherie in Stand zu halten. Es gab eine Menge unerledigter Baustellen, aufgeschobene Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten und notdürftig reparierte Schäden. Ein Wartungstunnel war beispielsweise seit Monaten geöffnet, weil Ersatzteile knapp waren und den zuständigen Offizieren die Zeit fehlte, das entsprechende Relais aufzutreiben. Die Männer hatten jeden Tag genug damit zu tun, die Scragger auf Abstand zu halten und niemandem einen Grund zu geben, den Außenposten anzugreifen, weshalb für diese Art von Problemen einfach keine Zeit blieb. Louis’ Trupp bestand ausnahmslos aus aussortierten Veteranen, deren Karrieren innerhalb der Strukturen des Militärapparats beendet waren. Zu alt, zu krank, zu beschädigt. Andere waren unerwünscht und ins politische Exil geschickt worden – so wie Louis.
Auf dem Weg zum Außenposten hatte er seine Leute beauftragt, die Waffen und Ausrüstungsgegenstände der Toten einzusammeln und einen der Scragger-Kontakte zu informieren, die den Rest verschwinden lassen würden. Die Gesetzlosen aus Temburin waren immer an Fahrzeugen und Wracks interessiert und nahmen Louis’ Gefälligkeiten für gewöhnlich gerne an. Im Gegenzug ließen sie den Außenposten und die Templer in Ruhe. So strikt die Rollenverteilung in den verbliebenen Megaplexen auch war, hier draußen, am Ende der Welt, konnten nicht alle Prinzipien der Regentschaft rigoros durchgesetzt werden. Selbst Louis hatte die eine oder andere Kröte schlucken müssen – auch wenn ihm das als linientreuem Offizier nicht gefallen hatte.
Gabrielles Husten ließ ihn herumfahren. Sie sah müde und abgemagert aus. Trotzdem war sie noch immer die hübscheste Frau für ihn und er bereute keine Sekunde, sie in der Kathedrale Ankhroms vor dem Adel der Regentschaft geehelicht zu haben. Die Offiziere hatten begeisterten Beifall gespendet und ihm die Ehre erwiesen, die ihm als Legat der erfolgreichsten Legion des Interrex zugestanden hatte. Louis erinnerte sich gern an diese Zeit, die bereits über zwei Dekaden zurücklag. Danach war er im Rahmen der verdammten Rebellion unter die Räder politischer Entwicklungen gekommen und wie ein nutzloser Hund vom Hof gejagt worden, um seine letzten Jahre im vergifteten Dreck zu verbringen.
Gabrielle schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln. Anscheinend hatte sie ihm angesehen, worum seine schlechten Gedanken kreisten und verschwendete ihre spärliche Energie damit, ihn aufzurichten. Schon wieder. Ihre rotstichigen Augen musterten ihn aufmerksam, als sie sich durch die langen braunen Haare strich, die bereits von ersten grauen Strähnen durchsetzt waren, und sich hustend die Hand vor den Mund hielt. Ihre Wangen waren eingefallen, die blasse Haut spröde. Trotzdem fand Louis sie so anziehend wie am ersten Tag, als er unter den schattenspendenden Trompetenbäumen des kaiserlichen Parks mit ihr angebandelt hatte. Und sie hatte verdammt noch mal jedes Recht dazu, ihre letzten Tage in einer ähnlich schönen Umgebung zu verbringen. Mit angemessener Anerkennung und in Würde.
»Wie geht es dir?«
»Ganz gut«, erwiderte sie lächelnd. »Wer ist das?«
»Ein Inquisitor.«
Gabrielles Gesichtsausdruck verdunkelte sich schlagartig.
»Keine Sorge, Gabby. Er wird keine Probleme machen.«
»Allein seine Anwesenheit ist ein Problem, Lou.« Sie bedachte ihn mit einem besorgten Blick. »Wie kommt er überhaupt hierher?«
Louis klärte seine Frau auf und beobachtete sie bei jedem seiner Worte, wie ein Verdächtiger, der damit rechnen musste, beim ersten Falschen gehängt zu werden. Über die Jahre hatten sie gelernt, sich gegenseitig zu lesen, und Louis hatte bereits eine ziemlich gute Vorstellung davon, was Gabrielle von der Anwesenheit des Inquisitors hielt.
»Du hättest ihn sterben lassen sollen.«
»Das konnte ich nicht.«
»Warum?«
»Er ist unser Ticket zurück ...«
»Zurück wohin?« Sie sah ihn verständnislos an. »Unser altes Leben ist vorbei. Sieh das bitte endlich ein. Das hier mag nicht der lebenswerteste Ort sein«, Louis wollte Einspruch erheben, »aber er lässt uns unsere letzten gemeinsamen Jahre in relativem Frieden verbringen.«
Wenn es nur Jahre wären. Bei dem Gedanken begannen seine Augen zu glänzen und er wischte sich vorsichtshalber mit dem Handrücken übers Gesicht.
»Du musst zurück in die Zivilisation, Schatz. Hier kann dir niemand helfen.«
»Nicht zu diesem Preis.«
»Mach dir keine Sorgen.« Er ging zu ihr, küsste sie und schlang die Arme um ihren bebenden Körper. Sie schien zu frösteln. »Alles wird gut, okay?«
»Das weißt du nicht.«
»Aber ich hoffe es und ich bin bereit, alles dafür zu tun, hörst du?«
»Und genau davor fürchte ich mich, Liebster.«
Louis verzog den Mund zu einem traurigen Schmunzeln und strich über ihren Rücken. »Das musst du nicht. Ich verspreche es.«
»Das kannst du nicht.«
Louis küsste sie erneut und löste sich aus ihrer Umarmung, um zum Inquisitor zu gehen, dessen Vitalwerte von einem alten Monitor überwacht wurden.
»Was ist mit Dex? «
»Was soll mit ihm sein?«
Gabrielle verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn tadelnd an.
»Ihm wird nichts geschehen«, erwiderte er beiläufig.
»Wir beide wissen, warum er sich hier verkrochen hat.«
»Wissen wir nicht«, hielt er dagegen. »Es gibt keinen einzigen Beweis. Und ein wichtiger Punkt unserer Abmachung ist es, keine Fragen zu stellen.«
»Als ob sich dieser Kerl«, sie zeigte auf den bewusstlosen Inquisitor, »an eure Abmachung halten wird.« Sie schüttelte verständnislos den Kopf. »Dex ist ein guter Junge ...«
»Das weiß ich, Gabby. Aber du bist meine Frau und ich werde dich nicht aufgeben. Für niemanden.« Louis erwiderte ihren ernsten Blick. »Und ich bin bereit, jedes Opfer dafür zu bringen.«
Gabrielle wollte etwas einwenden, aber er hob bestimmend die Hand, ging zu einer der Ablagen und holte eine kleine Phiole aus einem Fach, dessen Bestände bereits erschreckend geschrumpft waren.
»Was machst du?«
»Ich will ihn ruhigstellen, bis ich mehr in Erfahrung gebracht hab.«
»Aber das sind unsere letzten Reserven. Falls ich jemanden operieren muss ...«
»Wird er es auch ohne Narkotikum überstehen«, fiel ihr Louis ins Wort. »Du kannst nicht die ganze Welt retten.«
»Die ganze Welt?« Sie schnaubte verächtlich. »Es ist nicht mehr viel davon übrig, Lou.«
»Ich will mich nicht mit dir streiten.«
Sie verstummte.
»Du weißt, dass ich nur das beste für dich will. «
»Geht es hier wirklich nur um mich?« Sie musterte ihn skeptisch.
»Natürlich«, erwiderte er viel zu schnell. »Würdest du mir bitte helfen, den Zugang zu legen?«
Gabrielle ging zu ihm, bedachte ihn mit einem letzten skeptischen Blick und machte sich an die Arbeit. Eine Minute später spritzte er das Narkotikum in den Infusionsbeutel und atmete erleichtert auf. Die Menge würde reichen, um den Mann für die nächsten Stunden schlafen zu lassen. Der erste Schritt war getan. Jetzt musste Louis nur noch warten, bis der Regentschaft auffiel, dass ihr ein Inquisitor abhandengekommen war. Allerdings hatte er den Vorgang beschleunigt, indem er einen seiner alten Kontakte in Ankhrom bemüht hatte, diese Information den richtigen Leuten zukommen zu lassen. Eine kurze Randnotiz, die einen Sturm entfesseln konnte. Allerdings hatte Louis vor, diesem zu entgehen und einen Vorteil für sich aus der Situation zu schlagen, der ihn und Gabrielle zurück nach Ankhrom bringen würde, woraus er vor fünf Jahren vertrieben worden war. Weg von der verseuchten Aschewüste, den austretenden Giften und den im Boden enthaltenen Chemikalien. Weg von der Schmach und all der Schande, die ihm grundlos aufgebürdet worden war.
Die nächsten Stunden würden darüber entscheiden, ob er sein Ziel erreichen oder scheitern würde. Die beteiligten Mitglieder der Regentschaft würden von seinem Vorstoß nicht begeistert sein aber am Ende einsehen, dass sie auf seine Hilfe angewiesen waren. Denn hier draußen galten andere Regeln als in den drei Megaplexen. Regeln, die selbst ein Inquisitor nicht aushebeln konnte. Vor allem nicht, wenn dieser auf sich alleine gestellt war. Und Louis hatte vor dafür zu sorgen, dass er das auch bleiben würde.
Gabrielle beobachtete ihn nach wie vor, bis sie ein weiterer Hustenanfall erschütterte und zwang, sich an einer Ablage abzustützen.
»Du solltest dir etwas Ruhe gönnen.«
»Das kann ich machen, wenn ich ...«
»Untersteh dich!« Louis sah sie warnend an. »Noch ist es nicht so weit.«
Gabrielle wich betreten seinem Blick aus, straffte einige Sekunden später ihre Schultern und strich ihm über den Handrücken. »Du hast recht.« Sie stellte sich neben den Bewusstlosen und überprüfte dessen Vitalwerte. »Ich kümmere mich um ihn.«
»Lass ihn auf keinen Fall aufwachen.«
»Keine Sorge. Du kannst dich auf mich verlassen.«
Er gab ihr zufrieden einen flüchtigen Kuss auf die Wange und wollte sich auf den Weg machen, als einer seiner Templer den Raum betrat. Bens Karriere war vor fünf Jahren zusammen mit Louis’ Degradierung beendet worden. Seitdem leistete er seinen Dienst im Außenposten ab. Allerdings schien das aufgezwungene Exil seinen Willen – im Gegensatz zu Louis’ – zum Teil gebrochen zu haben, denn er hatte deutlich an Gewicht zugelegt und nahm es mit der Disziplin nicht mehr ganz so genau. Eine unangenehme Entwicklung, mit der Louis leben musste. Trotzdem wollte er nicht auf den Mittvierziger verzichten, der mit den Scraggern gut zurechtkam und ihm schon mehr als einmal aus brenzligen Situationen geholfen hatte. Ben war wie ein Übersetzungsprogramm, das zwischen Louis und die Outlaws geschaltet war, um Unstimmigkeiten bereits im Vorfeld aus dem Weg zu räumen.
»Was gibt es?«
Bens linkes Auge zuckte unkontrolliert, während er sich zwang, die Hände am ausladenden Körper zu halten .
»Ihr sollt Euch in einer halben Stunde im Kontrollraum melden, Präfekt.«
»Auf wessen Befehl?«
»Regulator Victrix, Ankhrom ...«
Louis registrierte aus den Augenwinkeln, wie Gabrielle zusammenzuckte. »Ich werde mich sofort auf den Weg machen. Würden Sie bitte meiner Frau assistieren?«
»Natürlich, Präfekt.«
»Wir sehen uns später, Gabby. Okay?«
Sie nickte und wischte sich beiläufig über die Augen.
Louis verließ das Lazarett, betrat den Hof der Anlage und ging entschlossen zum Bunker, der in einen der Stahlbetonwälle integriert worden war. Bevor er über dessen Schwelle trat, atmete er tief ein und bereitete sich mental auf das letzte wichtige Spiel seines Lebens vor.