28. Kapitel
Kate
A
mberton Werkstatt, wie kann ich Ihnen helfen?«
»Danny?«
»Wer spricht da?«
Eilig sage ich: »Danny, ich bin’s, Kate Harlow. Bitte leg nicht auf.«
Stille, dann: »Wollen Sie mich verarschen? Was wollen Sie?«
»Danny, es tut mir so leid, dass du in das alles hineingezogen wurdest – und ich versuche, das zu klären, wirklich. Aber ich muss etwas wissen: Das Auto, mit dem Sophie abgeholt wurde, als du dachtest, es sei ihr Vater …«
»Sie fragen mich nach Autos?« Seine Stimme wird lauter. »Wissen Sie eigentlich, dass mich die Polizei wieder einbestellt hat, wegen Sophie? Holly war sehr aufgebracht. Sie müssen damit aufhören, das ist nicht fair …«
»Danny, ich weiß
. Und ich glaube dir inzwischen: Du hast Sophie nicht geschwängert.«
Als ich es ausspreche, merke ich, dass es mehr als der Versuch ist, ihn am Telefon zu halten. Ich meine es so. »Und ich weiß, wie seltsam das klingt, aber bitte. Die Sache mit dem Auto – ich muss es einfach wissen –, warum dachtest du, es sei Sophies Dad?«
Ich erwarte, dass er auflegt, aber er erklärt ruhig: »Ich weiß nicht. Nun, er war alt. Und als ich sie gefragt habe, wurde sie rot. Sie wissen schon, ich habe sie ein wenig damit aufgezogen, dass ihr Vater sie noch abholt.«
»Das verstehe ich – wie sah er aus?«
»Weiß nicht. Alt. Wie … ein Dad. Als könne er ihr Vater sein.«
Ich verdrehe die Augen – Teenager.
»Irgendwas sonst? Brille? Bart? Haarfarbe?«
»Weiß ich nicht. Ich erinnere mich nicht. Ich bin nicht hin und habe mich vorgestellt.«
»Und das Auto?«
»Ich erinnere mich nicht.«
Ich zucke zusammen. Komm schon, Danny.
»Vielleicht nicht die Marke, aber du weißt alles über Autos. Was ist mit der Farbe, kannst du dir die ins Gedächtnis rufen?«
»Nun«, antwortet er zögernd. »Schwarz vielleicht, oder dunkelblau. Dunkel auf jeden Fall, ja. Chic.«
Ich lehne mich gegen die Wand. Also war es sicher nicht Mark. Der mochte helle Farben, bleiches Metallic – Silber, Beige, ein Jahr lang dieses furchtbare Gold.
»Warum?«, erkundigt sich Danny. »Meinen Sie … dass der Typ irgendwas gemacht hat?«
Seine Stimme klingt jetzt kleiner, ängstlich. So alt ist er nicht, erinnere ich mich. Er hatte nur viele Sorgen.
»Ich glaube, er weiß etwas. Und ich muss los. Danke, Danny. Ehrlich.«
Also, ein Kerl, älter, nicht ihr Vater, hat sie abgeholt. Und jemand hat ihr heimlich geschrieben. Derselbe? »Ich kann es nicht erwarten …«
Ein älterer Mann. Zu alt für Sophie, deshalb mussten sie es geheim halten. Ein Geheimnis, das er bis jetzt halten konnte. Bis Holly mir von dem Schwangerschaftstest erzählt hat, weshalb ich anfing, Fragen zu stellen.
Ich tigere durch die Küche, die Anspannung zwingt mich zur Bewegung.
Aber was ist mit Nancy? Wie passt sie zu allem? Bilde ich mir da nur eine Verbindung ein, wenn es nicht mehr als eine Ähnlichkeit zwischen zwei Mädchen ist, die Jahrzehnte trennt? Und eine einzelne, zufällige Wortwahl? Da ist noch dieser Freund … Jay. Der, den sie befragt haben und der dann weggezogen ist.
Der würde auf einen Teenager wie Danny auch alt wirken.
Die ganze Sache mit Nancy ist lächerlich.
Der einzige Grund, warum ich überhaupt darüber nachdenke, warum ich überhaupt von ihr weiß, ist Lily, die dieser Tage kaum noch das Datum weiß.
»Nancy war dann wohl die andere … Ich bin dieser Tage ein wenig durcheinander, was?«
Da erinnere ich mich: Lily, die vorgibt, nichts über Nancy zu wissen: »Nein, Schatz, ich erinnere mich nicht. Ich hoffe doch, dass ich nicht schon wieder was vergessen habe.«
Kein bisschen aufgebracht, dass es ihrem Gedächtnis entglitten ist.
Schnell ziehe ich meine Turnschuhe an und gehe hinaus, wedele die Mücken weg, die unter den Bäumen tanzen. Ich denke darüber nach, wie ich das angehen soll: Ich will nicht, dass sie dichtmacht, zuletzt war sie immer so schnell gereizt. Nicht sie selbst. Als ich reingehe, denke ich, dass ich es nur versuchen kann.
»Lily?«
»Hallo, Schatz.«
Ich ziehe einen Stuhl heran und frage sie, wie es ihr geht, was in ihren Soap Operas passiert ist. Aber sie ist immer ein wenig hinter meinen Fragen her; sie kann sich nicht an die letzten Folgen erinnern. Das Zimmer ist auch sehr unordentlich: Untertassen überall, alte Zeitungen, viel zu warm. Ich öffne ein Fenster – es ist so stickig.
Ein weiterer schlechter Tag: Ich muss bei der Praxis dranbleiben. Aber vielleicht bedeutet das …
Auch wenn ich mich dabei nicht wohlfühle, knie ich neben ihr nieder.
»Lily, ich muss dich was fragen. Etwas sehr Wichtiges, über Nancy, die du neulich erwähnt hast?«
»Nancy?«
»Ja, Nancy.«
Ich zwinge mich, geduldig zu sein.
Sie starrt ins Nichts, dann: »Sie war wild. Hat immer nur Ärger gehabt.«
»Ja, das hast du letztes Mal schon gesagt, dass sie Ärger gemacht hat. Aber was ist mit ihr geschehen? Weißt du das?«
»Sie wollten sie auf eine andere Schule schicken – nachdem sie den Ärger hatte.«
Oh, das führt nirgendwohin.
Aber dann verstehe ich: »Sie hatte den
Ärger.«
Dieser alte Euphemismus, aus Zeiten, als man über so was nicht deutlich sprach.
»Willst du sagen, dass sie schwanger war, Lily?«
»Sie war schon eine. Dauernd herumgeschlichen, hinten am Wildpark. Dahin gingen die jungen Leute damals, weißt du …«
»Also kanntest du sie?«
Ich muss sie im Thema halten. Dabei überlege ich: Wie lange war sie hier Hausmeisterin? Mir war nicht bewusst, dass ihre Wurzeln so weit in die Vergangenheit reichten.
»Kanntest du sie, Lily? Hat dich Sophies Bild deshalb an Nancy erinnert, an das Mädchen, das hier gelebt hat?«
Aber jetzt blendet sie mich aus, ihr Blick geht an mir vorbei. Ich lehne mich vor und greife ihre Hand.
»Und weißt du, was mit ihrem Freund passiert ist, Lily? Weißt du das? Er hieß Jay.«
Jetzt dreht sie den Kopf und sieht mich an, legt eine weiche Hand auf meine. »Du siehst so besorgt aus. Was ist denn los?«
»Ich habe wegen Nancy gefragt, Lily, erinnerst du dich?«
Ich versuche, die Anspannung aus meiner Stimme herauszuhalten.
»Nancy … nein, Schatz. Ich glaube nicht, dass ich den Namen schon mal gehört habe. Sollte ich?«
»Ja, du hast. Kanntest du Nancy? Was ist mit ihr passiert?«
Aber jetzt ist es zu viel, sie regt sich auf.
»Warum? Wo ist sie? Wohin ist sie verschwunden?« Sie lehnt sich im Sessel zurück. »Oh, ich bin so müde.«
Ich drücke ihre Hand. »Mach dir keine Sorgen, Lily. Alles wird gut. Mach ein schönes Nickerchen, und ich komme später wieder, wenn es dir besser geht.«
Ich stehe auf. Kann das sein?
Der Ärger.
Falls sie das meinte, was ich glaube … schwanger. Nancys kleine Schwester hat davon nichts erzählt; auch ihre Klassenkameradin Vicky nicht – so etwas würde in der ganzen Schule herumgetratscht werden. Aber nur, wenn es bekannt war. Falls man es ihrer kleinen Schwester nicht erzählt oder Nancy sich keinen Freunden anvertraut hatte, konnte man es unter den Teppich kehren.
Also sind sie zu zweit.
Zwei Mädchen, die weggelaufen sind. Zwei Mädchen mit Geheimnissen. Zwei Mädchen, die nie wieder nach Hause kamen.