38. Kapitel
Kate
I
ch werde ein Fenster finden. Sie können nicht allzu sicher sein, nur aus Holz, verzogen von Regen und Hitze. Wenn es sein muss, hole ich einen Hammer. Aber erst einmal werde ich es an der Vordertür probieren, um zu sehen, ob ich recht habe.
Mit zitternden Fingern fahre ich über die Linien einer der Blumen: Es sind, wie erwartet, Rosen. Ein ganzer Bogen davon, Dutzende, wenn nicht Hunderte dieser stilisierten Blumenmotive, in den Stein von Parklands geschnitten.
Genau wie auf ihren Postkarten an uns.
Auf der ersten war noch das übliche Gänseblümchen, wie sie es immer malte. Als sie anfing, das zu verändern, habe ich es noch nicht begriffen.
Aber jetzt sehe ich die Rosen klar und deutlich, verstehe endlich ihre Botschaft. Auch die Ziegel des Gebäudes sind derart verziert, mit Rosen um die vernagelten Fenster, so wie auf den Steinplatten unter meinen Füßen: ein Ausbruch geometrischer Blüten, überall, jetzt, da ich es weiß. Drinnen werden sie auch sein.
Mir bleibt keine Zeit, um innezuhalten, die Furcht treibt mich an. Mit meiner Schulter drücke ich fest gegen die Doppeltür. Sie ist solide, aber ihre Angeln sind alt, Metall rostet – die rechte Tür gibt ein wenig nach. Nicht allzu viel, aber …
Ich packe den Türknauf und drehe. Sie ist nicht abgeschlossen.
Ein großer Schritt über den Haufen Briefe, ich lasse die Tür hinter mir offen, warte darauf, dass sich meine Augen an das Zwielicht gewöhnen. Die Eingangshalle ist riesig, mit dunklem Holz vertäfelt. Die Luft ist kühl, dieser Hauch, den man in Häusern verspürt, die zu lange leer stehen. Die Umschläge unter meinen Füßen rutschen über den Boden, Jahre von Rundschreiben, von Staub bedeckt. Der Briefträger kommt wohl schon lange nicht mehr. Es riecht nach altem Papier und Schmutz. Diese Stille …
Ich gehe hinein.
Überall gibt es Türen, rechts von mir windet sich eine geschwungene Treppe bis zu einem innen liegenden Balkon. Ich beginne mit der Tür zu meiner Linken, die ein wenig offen steht, mit einem altmodischen Schlüssel noch im Schloss unter der Klinke. Ich erinnere mich, wie Lily mir erzählt hat, dass die Räume einzeln vermietet wurden.
Ein Stoß gegen das dunkle Holz, und ich trete langsam ein.
Ein Flackern in einer Ecke des Raums, ein dunkler Schatten, der sich erhebt …
Adrenalin schießt mir in die Adern. Ich springe zurück, erstarre.
Die Bewegung ebenfalls.
Dann begreife ich es, nehme die Hände von meinem Hals: nur ein Spiegel, in einer Ecke angelehnt, der mich beim vorsichtigen Betreten des Raums zeigte.
Mit tastenden Fingern entdecke ich einen Schalter, betätige ihn. Eine Glühlampe flackert ins Leben, dann gibt es einen elektrischen Schlag, und sie verlischt – durchgebrannt.
Aber ich kann schon besser in der Dunkelheit sehen. Die Möbel sind längst fort, mitgenommen oder verkauft; sogar die Tapete wurde abgezogen. Nur der Stuck an der Decke zeugt vom einstigen Glanz des Hauses. Der lange Riss im Spiegel, der mein Spiegelbild teilt, verrät mir, warum man ihn nicht auch mitgenommen hat. Mein Herz schlägt mir bis zur Kehle, mein Körper verarbeitet noch den Schreck. Ich kann mich nicht selbst belügen: Ich habe Angst.
Im Uhrzeigersinn gehe ich die Räume im Erdgeschoss ab: leere Zimmer; offene Kabel hängen aus den Wänden, wo Telefone oder Lampen entfernt wurden; blasse Rechtecke an den Wänden, wo einst Bilder hingen. Die vernagelten Fenster oben lassen an ihren Rändern dünne Streifen Licht herein, gerade genug, um Dinge zu erkennen. Mir kommt der irre Impuls, die Bretter abzureißen, um frische Luft und Sonnenlicht in die abgestandenen Räume zu lassen. Aber es ist einfach, die Zimmer zu betreten – die Türen stehen offen, die Schlüssel stecken in den Schlössern, wer auch immer das Haus ausgeräumt hat, hat sich nicht die Mühe gemacht, die leeren Zimmer zu verschließen.
Die ehemalige Küche ist hinten im Haus: ausgeweidet, alle Geräte verschwunden, offene Rohre ragen aus den Wänden. Dann gibt es noch einen kleinen Korridor mit mehr Türen. Ich gehe weiter, schneller jetzt, erkunde die Zimmer in diesem Teil des Gebäudes – wohl einst Dienstbotengemächer, klein, eng, schäbig. Es gibt keinen Hinweis, dass hier in den letzten Jahren irgendjemand war, nicht einmal Eindringlinge.
Also gehe ich zurück in die Eingangshalle und atme tief durch, lehne mich an die Vertäfelung. Es dauert einen Augenblick, bis ich erkenne: Auch hier fühle ich sie unter meinen Fingern. Kleine Holzblumen. Die floralen Motive wiederholen sich hier, laufen als Band hüfthoch die Wand entlang, dazu an der Seite der Treppe
So unausweichlich, als sei ich in einem Traum, trete ich auf die unterste Stufe.