44. Kapitel
M
ein Kopf brummt. Ich öffne die Augen. Der Boden ist flach und braun. Festgestampfte Erde, grob an meiner Wange, bedeckt von grauweißer Jauche. Vogelkot von vielen Jahren. Hier muss es Nester geben. Etwas auf meiner Unterlippe ist nass und warm, metallisch.
Übelkeit steigt in mir auf. Sollte ich die Augen schließen, um vorzugeben, noch bewusstlos zu sein? Aber dann würde ich ihn nicht kommen sehen. Nein, lass sie einen Schlitz geöffnet, als könnte ich sie kaum offen halten.
Vor mir sind Füße, glänzende Lederschuhe. Ich kann nur die Fußspitzen erkennen.
»Ich weiß, dass du wach bist.« Er hockt sich neben mich und nimmt mit einer kühlen Hand meinen Puls. »Du bist okay, Kate.« Er richtet sich auf und geht. »Hör auf, und das meine ich so.«
Meine Augen wandern hoch, von seinen Schuhen zu dem, was er in den Händen hält.
Ich hebe den Kopf, nur einige Zentimeter vom Boden, dann entfalte ich mich vorsichtig und lehne mich gegen die Wand, sie ist rau. Mein Gesicht pulsiert noch, meine Wange brennt. Ich hebe eine Hand, berühre ihn.
Das Messer ist silbern und bösartig. Es passt nicht in die Hand dieses Mannes, in seinem Hemd mit Krawatte, seiner schicken Arbeitskleidung.
Ich behalte ihn im Blick, erweitere aber mein Gesichtsfeld, um die groben Wände zu sehen, den Erdboden, die Tür hinter ihm. Es ist kalt, vom Boden steigt eine feuchte Kühle auf, und die nackte Glühbirne an der Decke ist voller Spinnweben. Ich bin in einem Nebengebäude, kaum mehr als ein Raum mit Decke. Solche habe ich im Wildpark gesehen, Relikte aus der Zeit als Bauernhof.
Ich muss es laut aussprechen. Ich will es von allen Dächern schreien.
»Du warst das.« Meine Stimme ist brüchig, als wäre ich nach langem Schlaf aufgewacht. »Du hattest sie die ganze Zeit.«
Er lächelt, zeigt seine Zähne.
»Bisschen spät, aber am Ende bist du doch drauf gekommen.« Die Klinge bewegt sich in seiner Hand, ein silbernes Glänzen im Licht. »Ich fürchte nur, zu spät. Für dich.«
Dr. Heath, Nick Heath, hier vor mir, und dennoch kann ich es kaum verarbeiten. Mein Arzt, der Mann, dem ich meine Ängste erzählt habe, der mir Tabletten verschrieb, immer ein offenes Ohr hatte, so verständnisvoll war. Aber jetzt ist da eine andere Energie in ihm; die milde Fassade ist verschwunden, da ist etwas angespannt und scharf in ihm. Der wahre Mensch zeigt sich endlich.
Und das Messer … es ist ein Küchenmesser, lang und scharf. Aber ich weiß mit absoluter Gewissheit, dass er es benutzen würde.
Unsicher komme ich auf die Beine, lehne mich an die Wand. Mit dem Sonnenuntergang leert sich der Park, sogar die Hunde-Spaziergänger gehen. Er muss den Wagen in der Nähe abgestellt und mich dann ein kurzes Stück bis hierher getragen haben.
»Sie kommen, das weißt du«, stelle ich fest, irgendein Instinkt, der sich rührt. »Selbst jetzt noch werden sie nach mir suchen. Sie werden was bemerkt haben, sich Sorgen machen. Du solltest mich gehen lassen. Wir finden schon eine Lösung …«
Aber in mir steigt Panik auf, als ich mich erinnere: Selbst wenn jemand nach mir sucht – wir sind nicht mit meinem Wagen gefahren. Er meinte, wir sollten seinen nehmen.
»Oh, wirklich? Wer sucht dich denn? Die Polizei?« Er legt den Kopf zur Seite, seine Miene fast verständnisvoll. Ich bin wieder in der Praxis, er hört mir zu, mit professioneller Maske. »Deine Familie? Das glaube ich nicht, Kate. Ich denke nicht, dass irgendwer nach dir suchen wird.«
Hinter ihm kommt ein dünner Lichtschein unter der verschlossenen Holztür hindurch. Der Verschluss ist ein einfacher Hebel. Wenn ich an ihm vorbeikomme … an dem Messer vorbeikomme. Da gibt es noch eine kleinere Tür, links von mir, leicht offen – nein, das muss ein anderer Raum sein oder eine Kammer, und dann wäre ich nur gefangen.
Also ist es die Tür hinter ihm. Mein ganzer Körper spannt sich an, bereit zu rennen, zu kämpfen …
»Denk nicht mal dran.«
Er hebt den Arm nur ein Stückchen.
Ich erstarre. Halte ihn am Reden, sage ich mir, spiel auf Zeit. Warte auf deinen Moment.
»Aber sie werden es herausfinden. Sie finden es raus, du bist direkt vor ihrer Nase. Du kannst mir … nichts tun.«
Doch meine Worte klingen leer.
»Oh? Aber noch haben sie gar nichts herausgefunden, oder?«, fragt er sanft. »Und ich denke nicht, dass du jemandem was erzählen wirst.«
Er wirkt seltsam entspannt, mehr er selbst als sonst.
»Was hast du mit Sophie angestellt?«
»Als ich deinen Zettel gefunden habe, habe ich mir ein wenig Sorgen gemacht, stimmt«, fährt er fort, als hätte ich gar nichts gesagt. »Es war so gehetzt. Alles umzuräumen. Aber es wurde eher ungemütlich, so in deiner Nähe. Es hat mich überrascht, dich wirklich in Parklands vorzufinden. In der Eile hatte ich die Vordertür nicht abgeschlossen. Unglücklich.« Er hebt eine Augenbraue. »Oder glücklich, je nach Sichtweise. Denn jetzt sind wir hier.«
»Du musst nichts tun«, erkläre ich wild. »Du musst mir nichts tun. Du kannst weggehen, neu anfangen.« Irgendwie muss ich zu ihm durchdringen. »Du willst mir doch gar nichts tun. Wir haben uns doch immer gut verstanden, oder nicht?«
»Oh, bitte, sei nicht so dumm, Kate«, entgegnet er ungeduldig. »Ich weiß, dass du nicht dumm bist. Es ist nichts Persönliches. Aber ich kann nirgends hingehen. Ich muss
nicht weggehen. Ich muss nur so weitermachen wie bisher.«
Natürlich, jetzt erinnere ich mich an meine Verwirrung, als ich Sophies geheime Mails gelesen habe: Jemand wollte mit ihr gehen. Aber alle, die sie kannte, waren noch hier. Er
war noch hier.
»Weil du genau das getan hast, die ganze Zeit – einfach weitergemacht.« Für alle sichtbar, aber doch verborgen. Jetzt steigt Wut in mir auf. »Und du hast … was? Sie besucht? Sie die ganze Zeit in diesem schrecklichen Raum weggesperrt?«
Er zieht die Brauen zusammen.
»Das war das, was wir geplant hatten, um zusammen zu sein. Und dann, später, was getan werden musste. Es war der einzige Weg für uns, sicher zu sein. Sie war noch zu jung, um das zu verstehen.«
Beim Gedanken an den einsamen Dachstuhl schüttle ich den Kopf. »Was immer auch Sophie dachte, du weißt, dass sie kein Gefängnis wollte. Du weißt das.«
Und wo ist sie jetzt? Wohin hat er sie gebracht?
»Wir waren glücklich«, behauptet er. »Aber du konntest einfach nicht loslassen.« Seine Stimme wird hart. »Das ist alles deine Schuld. Die Postkarten, das alles war nicht genug. Und dabei waren sie schon so ein Risiko. Was wäre geschehen, wenn ich mal einen Fehler gemacht hätte und einen Fingerabdruck oder sonst eine winzige Spur für die Polizei hinterlassen hätte? Also ließ ich sie dich anrufen, auf eine Art, die man niemals zu uns zurückverfolgen konnte. Eine Gnade, für euch beide, um euch zu verabschieden. Aber du hast es ruiniert. Du konntest es einfach nicht sein lassen …«
Keine Gnade, denke ich mir. Kontrolle. Du musst der Puppenspieler sein, schlauer als alle anderen. Von diesem Gefühl kann man abhängig werden, zu viel Risiko eingehen. Ich schlucke, mein Mund ist trocken.
»Das warst du. In meinem Garten. Nachts in meinem Haus. Weil ich dir immer näherkam.«
»Beim ersten Mal wollte ich nur … sehen. Nichts Schlimmes. Es ist gut, sich vorzubereiten. Das zweite Mal?« Er sieht beinahe hämisch aus. »Lass uns einfach sagen, dass es Mittel und Wege gibt, Dinge in einem anderen Licht erscheinen zu lassen.«
Aber ich bin aufgewacht, habe ihn unterbrochen, aufgehalten. Was soll ihn jetzt noch aufhalten?
Wieder plappere ich drauflos: »Du kannst das nicht verstecken, diesmal nicht. Sie finden dich. Sie werden mich finden. Du kannst nicht …«
»Kann ich nicht?«
»Nein, auf keinen Fall«, bringe ich hervor. »Heutzutage gibt es jede Menge Möglichkeiten, DNA, Forensik, sie finden es heraus. Wenn du mir irgendwas antust …«
Ich wünschte nur, ich würde weniger verängstigt klingen.
»Da hast du recht«, pflichtet er mir bei, so vernünftig, dass es mir die Sprache verschlägt. »Es geht nicht. Es ist ein zu hohes Risiko.«
Damit zieht er etwas aus seiner Anzugtasche, wirft es mir zu. Reflexartig fange ich es auf. Erst verstehe ich nicht, was es mit der kleinen Flasche auf sich hat, bis ich den Namen lese: Kate Harlow.
Er stellt fest: »Du wirst es selbst tun.«
»Woher hast du die?«
Sie sehen genau wie meine Tabletten aus.
»Ich bin Arzt. Das war nicht schwierig.« Er nickt in Richtung des Tablettenfläschchens. »Und du wirst sie nehmen.«
»Was?«
»Es ist alles sehr traurig. Eine Mutter, die den Verlust ihrer Tochter einfach nicht bewältigen konnte. Einmal hat sie es schon versucht, ohne Erfolg. Aber dieses Mal …«
Jetzt verstehe ich: eine Überdosis. Nur wird dieses Mal niemand helfen, niemand mich finden und wieder aufwecken.
»Du bist verrückt. Das wird niemals klappen …«
Er unterbricht mich einfach: »Eine Patientengeschichte voll von erratischem Verhalten. Akten, die das belegen. Eine Familie, die bestätigen wird, egal, wie traurig alle sind, dass sie sich zuletzt viele Gedanken gemacht haben. Bei der Polizei Bedenken nach den Zwischenfällen – zwei Eindringlinge, aber ohne Anzeichen. Seltsame Anrufe an eine Hotline.«
Mein Kopf ruckt hoch. »Das warst du! Du hast die Hotline von der Telefonzelle aus angerufen!«
»Na ja, ich konnte schlecht mein Handy benutzen oder aus der Praxis anrufen, oder? Ich musste herausfinden, wann du da warst, wann du Pause gemacht hast, wann deine Kollegin weg war; wann du allein warst. Deine Routinen.«
»Und du hast die Anzeige in Lilys Küche platziert«, verstehe ich jetzt. »Ich dachte, sie wäre das.«
»Niemand sollte diese Anruferlisten sehen«, erklärt er rügend. Als ob ich gegen die Spielregeln verstoßen hätte. »Das soll anonym sein, und es gab keinen Grund dafür. Natürlich hatte ich ein besonderes Telefon für Sophie. Aber ich musste … handeln, als du immer weitergemacht hast. Es hat besser funktioniert, als ich mir erhofft hatte«, fährt er fort. »Die Polizei nahm an, dass du angerufen hattest. Kate ist wieder kurz vor dem Zusammenbruch.«
Selbstgefällig lächelt er, Stolz klingt in der Stimme mit.
Aber seine Prahlereien zeigen mir, dass er nicht unfehlbar ist. Weil er seinen Plan verändern musste, auf das reagieren, was ich tat. Etwas Kleines öffnet sich in mir. Noch keine Hoffnung, nur der Funke einer Möglichkeit.
»Also hast du vielleicht deine Spuren verwischt, und sie haben dir geglaubt. Aber du kannst nicht ewig so weitermachen. Du hattest auch das Tagebuch, nicht wahr? Hast Sophie dazu gebracht, die neuen Einträge zu schreiben, als du erfahren hast, dass ich über den Schwangerschaftstest Bescheid wusste. Um das wegzuerklären und den Freund zu belasten. Du musstest immer wieder deine Spuren verwischen. Und dann habe ich auch noch nach Lilys Medikation gefragt, sie wissen jetzt in der Praxis davon und dass ihr verwandt seid …«
»Das kann ich erklären«, entgegnet er nun wütend. »Sie werden mir glauben.«
Mit weit offenen Augen gibt er sich unschuldig.
Da sehe ich es: an der Art, wie seine blauen Augen in diesem Gesicht liegen.
»Du bist Lilys Sohn. Deshalb warst du da, deshalb kanntest du Nancy. Im Schatten des großen Hauses lebend, um das sich deine Eltern kümmerten.«
»Nein«, widerspricht er mir irritiert. »Bob war mein Stiefvater. Sie hat noch einmal geheiratet, als er verstarb.«
»Und du hast seinen Namen nicht angenommen. Den Deckel darauf gehalten. Hat es dir nicht gepasst, es an der Schule zu erzählen, was deine Eltern von Beruf waren?« Ich rate nur, aber sein Mund spannt sich an. Ich lege so viel Überzeugung in meine Stimme, wie ich aufbringen kann: »Und was ist jetzt mit alldem hier? Du weißt, dass es das Ende für dich bedeutet. Sie werden dir nichts mehr abnehmen.«
»Oh, sie nehmen mir alles ab.« Er lacht. »Du wärst überrascht, was Menschen so glauben.«
Er ist so selbstsicher, macht sich nicht mal Sorgen.
Ja, denke ich mir, weil du das alles schon einmal getan hast.
Sophie, die Ausreißerin, die keine war. Jetzt ich, der Selbstmord, der keiner ist. Und …
»Nancy«, sage ich. »Sie ist auch nicht weggelaufen, nicht wahr?«
Er antwortet nicht.
»Also, was ist passiert? Hast du mit ihr das Gleiche gemacht wie mit Sophie, sie irgendwo versteckt?«
Ich schleudere ihm Worte entgegen, versuche, ihn aus der Balance zu bringen, in seinen Kopf zu gelangen. Die Tür hinter ihm, das sind vielleicht acht, neun Schritte.
»Und dann? Wurde sie dir langweilig? Hast du entschieden, sie loszuwerden? Sie zu ermorden
…«
»Nein!« Seine Stimme dröhnt in dem kleinen Raum. »Halt’s Maul!« Auf seiner Oberlippe bilden sich kleine Schweißperlen. »Nancy war ein Unfall. Es war ihre Schuld, alles war ihre Schuld.«
»Warum? Weil sie schwanger wurde? Von Jay? Hast du es deshalb getan? Weil das Mädchen, das du wolltest, einen anderen hatte? Das ist es, nicht wahr? Sie trug sein Kind.«
»Es war nicht seins«, bricht es aus ihm hervor.
Ich schweige.
»Es war unseres. Sie hatten sich getrennt. Ich habe sie getröstet. Sie wollte nicht, dass jemand davon erfährt. Ich habe das verstanden: Wir waren … unterschiedlich.«
Das kann ich mir vorstellen: der Sohn der Hausmeisterin, noch niemand, der auffiel; Nancy, eine jugendliche Prinzessin. Er ihr total verfallen.
»Und dann wurde sie schwanger. Sie war so aufgebracht, aber ich wusste, was wir tun mussten. Weggehen, bis wir älter waren, bis ihre Familie sie nicht mehr herumschubsen konnte.« Sein Mund zuckt. »Wir hatten die Abschiedsbriefe geschrieben, entschieden, was wir sagen wollten. Aber sie hat mich hängen lassen.«
Nun klingt in seiner Stimme ein weinerlicher Ton mit.
»An dem Abend, als wir abhauen wollten, kam sie zu mir. Sagte mir, es wäre alles gut
.« Seine Stimme bricht an dem Wort. »Sie war nicht mehr schwanger, weil sie mit ihren Eltern gesprochen hatte. Sie hatten sich darum gekümmert, das hat sie gesagt, und jetzt würde sie weggehen. Man würde Gras über die Sache wachsen lassen, als wäre nichts geschehen.«
»Das Internat.«
Genau, wie Lily mir erzählt hatte.
»Es war ihr nicht wichtig. Sie sagte, sie wolle einen neuen Anfang. Ich erwiderte, dass wir immer noch zusammen gehen könnten. Wir könnten immer noch eine Familie sein. Das habe ich immer gewollt. Sie sagte, das sei einfach nur Wahnsinn, dass sie viel zu jung sei, um ein Baby zu bekommen. Ich wurde wütend. Habe sie angeschrien. Und sie sagte, sie wollte nie wirklich mit mir zusammen sein. Sieh dich an, sagte sie. Sieh mich an. Und dann … hat sie gelacht.«
Es ist sehr still im Raum. Ich kann die feuchte Erde riechen.
»Also hast du die Kontrolle verloren«, stelle ich langsam fest. Jetzt verstehe ich. Kein Plan. Aus dem Affekt. Ein zurückgewiesener Teenager, der mit blinder Wut reagiert. »Was hast du getan? Sie erstochen? Die Leiche versteckt.« Mit einem Mal kocht Wut in mir hoch; ich will ihn verletzen, wie er so viele verletzt hat. »War es das? Hast du sie erstochen?«
Das Messer in seiner Hand blitzt wieder auf, und ich sinke zurück an die Wand.
»Sie hat mich provoziert.«
»Aber warum hat sie dann den Abschiedsbrief zurückgelassen …« Im gerissenen Schwung seines Munds lese ich die Antwort. »Nein, du
hast den Brief platziert.«
Mit dem Brief musste er sich in Parklands eingeschlichen haben, in Nancys Heim, und dort ihren Brief auf das Bett gelegt haben. Dort wurde er gefunden, am nächsten Tag, als alle aufwachten.
»Aber Sophie? Warum musstest du ihr das auch antun?« In meiner Stimme schwingt meine Verzweiflung mit. »Einfach nur, um jemandem Schmerzen zuzufügen?«
»Nein. Nein, genau deshalb wusste ich, dass es niemand verstehen würde. Keine Schmerzen – es war Liebe. Als ich sie sah, wusste ich es sofort. Sie hätten Schwestern sein können. Sie wohnte sogar direkt nebenan.« Seine Stimme wird weicher. »Es war, als ob das Schicksal es so wollte: meine zweite Chance. Unsere
Chance – die Vergangenheit zu kitten.«
Also war es kein Unfall, als Sophie schwanger wurde.
»Aber du konntest nicht einfach mit ihr davonlaufen, nicht dieses Mal, weil man euch gefunden hätte. Stattdessen hast du sie versteckt.«
»Niemand hätte das verstanden, aber wir liebten uns.«
»Aber jetzt weißt du es.« Ich muss zu ihm durchdringen. »Das hier ist das Ende – es ist vorbei.«
Er schüttelt langsam den Kopf. »Noch nicht. Ich kann das wieder in Ordnung bringen. Ich habe das schon mal gemacht.« Er zeigt mit dem Messer auf das Fläschchen in meiner Hand. »Weil du die Pillen schlucken wirst.«
»Nein.«
Nicht noch mal wird er alles vertuschen können, selbst wenn ich das nicht überlebe – seine Haut unter meinen Fingernägeln, Kratzer in seinem Gesicht, was es auch sein wird, ich werde Spuren zurücklassen. Die jemand finden wird, und sie werden zu Sophie führen.
»Du wirst das nicht vertuschen. Ich tue das nicht.«
»O doch, wirst du.« Seine Sicherheit rüttelt an meinen Grundfesten. »Du wirst schon sehen.«
Er geht einen Schritt zurück, immer noch mit dem Messer in der Hand, und jetzt winkt er jemanden aus dem Nebenzimmer heran.
»Du kannst jetzt rauskommen.«
Zuerst höre ich gar nichts. Dann ein leises Rascheln. Die Schritte sind langsam, müde.
Sie kommt herein.