J e höher sie kamen, umso kälter wurde es. Scharfer Regen ging in Graupel über. Blackstones Bastardpferd war so trittsicher wie eine Bergziege, aber mit seinem ungleichmäßigen Gang hätte es Blackstone beinahe aus dem Sattel geworfen, als der schmale Pfad eine scharfe Biegung machte. Hätte er nicht schnell sein Gewicht verlagert und kräftig am Zügel geruckt, um den unförmigen Kopf des Pferdes näher an die Felswand zu ziehen, dann wäre er über die Kante gestürzt und zweitausend Fuß tief in eine Schlucht gefallen. Nach diesem Schreckmoment schlug sein Herz heftig, und er hielt das Tier zurück – man hätte meinen können, es wolle ihn absichtlich abwerfen. Zuzutrauen war es ihm.
Blackstone sah in einiger Entfernung voraus andere Pferde. Sie standen mit zusammengebundenen Beinen in einem behelfsmäßigen Pferch aus einem Seil, das zwischen zwei Felsnasen gespannt war. Einer von Renfreds Männern beaufsichtigte sie. Damit die Tiere nicht in Panik gerieten, hatte man ihnen zur Sicherheit Säcke über die Köpfe gezogen. Blackstone war klar, dass es einen Grund für diese Vorkehrungen geben musste. John Jacob und Will Longdon folgten vier Pferdelängen hinter ihm – ihre Reittiere waren nicht so draufgängerisch wie Blackstones Bastardpferd, dem nachgesagt wurde, es sei vom Teufel gezeugt. Blackstone saß ab und führte es am Zügel weiter – aber nicht zu nah heran, da er fürchtete, der Geruch der Artgenossen könnte das streitbare Ross übermütig machen. Er zog das Tier in eine enge Felsspalte am Weg, band es mit den Zügeln an eine Felsnase und warf ihm seinen Mantel über den Kopf. Sofort spürte er den beißenden Wind durch sein Wams hindurch. John Jacob und Longdon folgten seinem Beispiel.
Blackstone ging weiter und spähte durch den Graupelschleier. Der Himmel verdüsterte sich zusehends, der Wind trieb dräuende Wolken um die Gipfel. Wie viel Zeit blieb ihnen noch, ehe Regen und Graupel heftiger wurden? Im Näherkommen erkannte Blackstone den Mann, der die Pferde in dem behelfsmäßigen Pferch bewachte – es war einer von Renfreds Kundschaftern.
«Wo sind die anderen?»
Der Mann stand geduckt im peitschenden Graupel, eine Hand an den Hals des nächsten Pferdes gelegt, um das nervöse Tier zu beruhigen. Wenn eines in Panik geriet, würden auch die anderen durchgehen. «Weiter voraus, Sir Thomas. Da versperren Männer den Weg, und Renfred sucht nach einer Möglichkeit, an ihnen vorbeizukommen.»
Blackstones Instinkt hatte ihn nicht getrogen. Heinrich von Trastámara war ebenso misstrauisch gegen den doppelzüngigen Karl von Navarra wie alle, die mit ihm zu tun hatten. Navarra spielte wieder einmal ein doppeltes Spiel, ohne sich jedoch selbst einzumischen. Er hatte sich bereits verkrochen und gab vor, er werde gegen seinen Willen in Pamplona festgehalten. Dass der Feigling von der Bildfläche verschwunden war, kam Trastámara ganz gelegen. So konnte er ungehindert Männer in die navarresischen Berge schicken. Der französische König hatte seine Unterstützung dabei angeboten, Pedro zu beseitigen. Nun beschwor er den Usurpator, aus den Fehlern zu lernen, die die Franzosen in der Vergangenheit im Kampf gegen die Engländer gemacht hatten. Man durfte sich ihnen nicht zu einer offenen Feldschlacht stellen. Englische Bogenschützen metzelten Kavallerie nieder, und englische Ritter und Waffenknechte stürzten sich so wütend in den Kampf, dass die Wucht ihres Ansturms eine Armee zurückwarf. Es gab nur eine Möglichkeit, die Engländer zu schlagen. Man musste sie aushungern. Sie zermürben. Ihre Nachschublinien abschneiden. Ihnen unablässig mit Blitzangriffen zusetzen. Nachzügler und langsam vorankommende Elemente einer überladenen Kolonne niedermetzeln. Bei Tag und Nacht Leute ausschicken, um die Lager der Engländer in Brand zu stecken, Männer zu töten und Angst und Schrecken zu verbreiten. Die Engländer in ständige Angst vor Feinden versetzen, die aus dem Nichts auftauchten und ebenso plötzlich wieder verschwanden. Und solche Männer lauerten nun auf diesem gefahrvollen Weg.
John Jacob und Will Longdon nickten Renfreds Mann grüßend zu, dann folgten sie Blackstone. Als sie um eine Biegung kamen, sahen sie Renfred und zwanzig seiner Leute im Schutz von Felsvorsprüngen an dem zerklüfteten Steilhang kauern. Der Weg vor ihnen war mit Armbrustbolzen übersät. Vier Schritt weiter lag ein Mann leblos am Boden, einen Bolzen in der Brust. Blackstone drückte sich eng an die Felswand.
«Renfred?»
Der deutsche Hauptmann, der stets Blackstones Kundschafter anführte, deutete den Engpass entlang. «Dreißig Mann, Sir Thomas. Ihre Pferde müssen irgendwo hinter ihnen sein. Siehst du, wie der Weg hinter der Engstelle breiter wird? Ich habe Rosslyn» – er wies mit einer Kopfbewegung auf den Toten – «zu Fuß vorausgeschickt. Ich hatte so ein seltsames Gefühl, darum habe ich die übrigen Männer und die Pferde zurückgehalten.»
«Dein Instinkt hat den anderen das Leben gerettet», stellte Blackstone fest.
Die Männer in dem Hinterhalt hatten eine niedrige Barrikade aus Steinen errichtet und dahinter einen Schildwall gebildet. Sie versperrten den Weg auf voller Breite.
«Wir können sie nicht einfach zu Fuß bestürmen, Sir Thomas», stellte John Jacob fest. «Sie würden uns abschießen wie Rosslyn. Und bis zu der Stelle, wo sie den Pfad versperren, ist er kaum breit genug für ein Pferd, selbst wenn wir eins dazu bringen könnten, über die Barrikade zu springen. Sobald da ein Tier verweigert, stürzt es mitsamt seinem Reiter ab.»
Renfred hockte sich mit dem Rücken zum Wind hin und rieb sich mit schmutziger Hand den Bart. «Ich habe überlegt, im Schutz eines Schildwalls ihre Stellung zu stürmen, aber sie könnten Schritt für Schritt zurückweichen und uns nacheinander niedermetzeln.»
«Und sie haben den Wind im Rücken. Dadurch haben ihre Armbrüste eine größere Reichweite», bemerkte Longdon.
Blackstone spähte mit zusammengekniffenen Augen durch den Graupel. «Will, ich würde sagen, bis zur Barrikade sind es zweihundertzwanzig Schritt.»
Longdon trat dicht neben ihn und hielt ebenfalls Ausschau. «Ja, eher noch fünfzehn mehr.»
Blackstone richtete den Blick auf den zerklüfteten Fels neben sich, der zu den Gipfeln hin anstieg. «Wir haben Tausende im Rücken, und wenn sie hier anhalten müssen, werden Männer und Pferde zu Tode stürzen. Das Wetter verschlechtert sich. Diese wenigen Männer können die ganze Armee aufhalten.» Er blickte wieder zu den Feinden hinüber. «Wir müssen ihnen in den Rücken fallen.»
Renfred, John Jacob und Longdon verarbeiteten Blackstones Worte schweigend.
«Nun denn», sagte Renfred schließlich. Es gab offensichtlich nur eine Möglichkeit, das zu tun.
«Um da hochzuklettern, muss man eine Bergziege sein», stellte John Jacob fest.
Blackstone nickte. «Die Sicht wird sich noch weiter verschlechtern. Will, du musst sie glauben machen, wir würden versuchen, sie von vorn anzugreifen und ihre Barrikade zu durchbrechen. Fang an, Pfeile zu lösen, wenn John und ich hoch genug sind, um an der Bergwand über ihnen vorbeizuklettern und hinter ihnen wieder abzusteigen.»
«Ich komme mit», erbot sich Renfred.
«Nein. Du und deine Männer, ihr müsst sie mit aller Wucht von vorn bestürmen, während wir ihnen in den Rücken fallen», wies Blackstone ihn an.
«Thomas, wenn du an dieser Steilwand nur eine falsche Bewegung machst, können wir dir und John Lebewohl winken, während ihr in die Schlucht stürzt», sagte Will Longdon, der bereits seinen Bogen aus der gefetteten Hülle nahm. Er holte die Bogensehne unter seiner Kappe hervor und zog sie auf.
Blackstone ging geduckt ein paar Schritte zurück. Im Gehen löste er seinen Schwertgürtel. Er küsste den Knauf des Wolfsschwerts, in den ein Silberpenny eingearbeitet war, eine bleibende Erinnerung an seine ermordete Frau. Dann legte er sich den Schwertgürtel um die Schultern, sodass die Scheide auf seinem Rücken hing. «Wenn wir den Aufstieg dort hinten beginnen, können sie uns nicht sehen. Schieß, wenn wir über ihnen vorbeiklettern, Will, und dann löst du in Abständen immer wieder einen Pfeil, um uns Zeit für den Abstieg zu verschaffen.»
John Jacob folgte ihm.
Will Longdon wählte die ersten zwölf Pfeile aus und reihte sie säuberlich nebeneinander auf, die Schäfte mit der Befiederung aus Gänsefedern an die schützende Felswand gelehnt. Er rieb sich die Hände und blies hinein, um sie zu wärmen. «Renfred, ich brauche Platz, um meinen Bogen auszuziehen. Sag deinen Jungs, sie sollen sich hinter mich stellen. Du hältst Ausschau und sagst mir, wenn es so weit ist. Warte ab, bis sie die nötige Höhe erreicht haben, und dann sag Bescheid, wenn sie an den Hurensöhnen vorbei sind. Ich muss erst mal sehen, wie meine Pfeile bei diesem Wind fliegen.»
Renfred tat, was Blackstones Centenar von ihm verlangt hatte. Er ließ seine Männer ein paar Schritte zurücktreten, damit der Bogenschütze Platz hatte, dann stellte er sich mit dem Rücken zum Wind und beobachtete, wie Blackstone und John Jacob an der zerklüfteten Felswand hinaufkletterten. Schon nach kurzer Zeit hatte das Unwetter sie beinahe verschluckt.