Kapitel Zehn

D ie ursprüngliche Landschaft lag verstörend schön unter dem klaren Nachthimmel, der von Sternen funkelte. Die Feuer im Lager des Königs von Navarra brannten flackernd im kalten Wind. Die Zelte und Pavillons standen im Schutz einer steil aufragenden Felswand. Den Berg im Rücken, die Flanken durch ansteigendes Gelände geschützt, das bewaldet und mit Felsbrocken übersät war, bot dieses Lager im Vergleich zum offenen Tal eine sichere Zuflucht.

«Nur ein Weg hinein und heraus», stellte John Jacob fest. Er und Blackstone kauerten geduckt im Schatten. «Wenn von landeinwärts eine feindliche Streitmacht anrücken würde, wären sie alle tot, noch ehe sie ihre pelzgefütterten Decken abgeworfen hätten.»

«Und wenn sie gemeinsam mit uns kämpfen sollen, müssen wir sicherstellen, dass sie sich nicht benehmen, als wären sie auf Keilerjagd. Zu viel Wein, üppiges Essen und eine warme Lagerstatt in einem Pavillon machen Männer träge im Denken und Handeln.»

«Wir können nur hoffen, dass der Prinz sie in der Nachhut aufstellt.»

«Würdest du etwa wollen, dass sie uns den Rücken decken?»

John Jacob seufzte. «Auch wieder wahr. Dann sollten wir sie wohl lieber gleich zuerst dem Gegner vorwerfen, indem wir sie in der Vorhut aufstellen.»

Blackstone sah Jacobs Zähne im Mondschein glänzen, als er grinste.

«John, lass uns probieren, wie weit wir ins Lager vordringen können, ehe jemand Alarm schlägt. Wir ziehen in den Krieg, und sie schlafen hier wie die Toten. Und tot werden sie bald sein, wenn sie so weitermachen – sobald Heinrich von Trastámara in ihre Reihen vorstößt.»

Blackstone schlich im Schatten der Felswand weiter. Bald waren sie bis auf dreißig Schritt an das erste Feuer und die Zelte heran. Noch immer regte sich niemand im Lager. Die Pferde standen angebunden am anderen Rand der geschützten Fläche.

«Sir Thomas, ich hätte gute Lust, die Pferde freizulassen. Dann hätten sie morgen früh, wenn sie aufwachen, nichts mehr, worauf sie reiten könnten», flüsterte John Jacob.

Blackstone legte seinem Knappen eine Hand auf den Arm, um ihn zurückzuhalten. Sie hatten inzwischen die Mitte des Lagers erreicht. «Wir nehmen, was wir können, um ihnen zu zeigen, wie leicht jemand ihnen die Kehle durchschneiden könnte. Ihre Waffen haben sie sicher bei sich auf ihrem Nachtlager, die können wir also nicht stehlen, aber wir müssen ihnen eine Lektion erteilen. Lass uns ihre Wimpel und Fahnen nehmen.»

Jeder Ritter und jeder Edelmann hatte sein Wappen außen an seinem Zelt angebracht. Blackstone und John Jacob teilten sich auf. Es ging ganz leicht. Das Geräusch des Windes, der an den Zeltplanen zerrte, übertönte das Tun der beiden Männer. In kaum mehr als einer Stunde hatten sie sechzig Wimpel und Fahnen der bedeutendsten Ritter und Edelmänner Kastiliens abgenommen. Das genügte, um deutlich zu machen, wie völlig ungeschützt das Lager war. Und außerdem war es für jeden einzelnen Ritter eine persönliche Kränkung. John Jacob zeigte auf die Schilde, die die Ritter neben dem Eingang an die Zeltwand gelehnt hatten. Blackstone nickte.

Bis sie ebenso viele Schilde eingesammelt hatten wie zuvor Wimpel und Fahnen, war der Mond bereits weit über den Himmel gewandert, und nun stand er genau über der Spitze eines Berggipfels, als ob er darauf balancierte. Die Schilde standen aufrecht gegeneinandergelehnt wie Getreidegarben; die Fahnen lagen einfach daneben auf dem Boden, zusammengeknüllt und durcheinander wie ein Haufen schmutziger Wäsche. Blackstone und John Jacob betrachteten das noch immer schlummernde Lager.

«Lass uns zurückreiten», sagte Blackstone. «Vielleicht bekommen wir bis Tagesanbruch noch eine Stunde Schlaf.»

Da wurde vierzig Schritt entfernt eine Zeltklappe geöffnet. Ein Mann trat gebückt aus dem Eingang, öffnete seinen Hosenlatz und schlug zwischen den Zelten sein Wasser ab. Als er fertig war, hob er das Gesicht zum Sternenhimmel, gähnte und schauderte vor Kälte. Dann drehte er sich um, und sein Blick fiel auf die beiden Eindringlinge. Blackstone hob grüßend eine Hand. Der schlaftrunkene Mann erwiderte die Geste flüchtig und wandte sich ab, um auf sein warmes Schlaflager zurückzukehren.

John Jacob seufzte. «Ich fürchte, wir haben diesen Krieg bereits verloren.»

 

Zwei Stunden, nachdem Blackstones Männer im Morgengrauen aufgestanden waren, wartete John Jacob bei den Pferden, als Killbere Blackstone zu seinem Bastardpferd begleitete. Das Tier blickte ihnen entgegen.

«Thomas», redete Killbere ihm zu, «dass du mir nicht von diesem Berg abstürzt, wenn du den Prinzen herbringst. Wir brauchen dich noch.»

«Ich wünschte, ich könnte es so einrichten, dass der elende Don Pedro bei einem Bergrutsch von Felsbrocken zerschmettert wird. Ihn zurückzubringen, schmerzt mich mehr als alles, was wir durchgemacht haben, um ihn herauszuholen.» Blackstone drehte sich um, da ein Reiter sich näherte. «Da kommt ein aufgebrachter Königssohn», stellte er fest.

John of Gaunt ritt mit seinem persönlichen Gefolge heran. Ihn begleitete ein Navarreser Hauptmann, den Blackstone erkannte. Martín Henríquez de Lacarra hatte in Frankreich auf der Seite der Engländer gekämpft. Er hatte fünfzig Ritter bei sich. De Lacarra hielt sich in respektvollem Abstand hinter John of Gaunt. Der Bruder des Prinzen lenkte sein Pferd zu Blackstone und Killbere.

«Ihr kommt wie ein Dieb in der Nacht und beschämt einen König?», sagte er. «Edelmänner und Ritter von Kastilien und Navarra wären jetzt überall lieber als an unserer Seite. Und leugnet es nicht. Kein anderer würde so etwas wagen.»

«Ich bin ins Lager eines Verbündeten gegangen, der uns Hilfe und Schutz bieten sollte, da wir im Begriff sind, auf feindliches Gebiet vorzudringen. Wäre ich einer von Trastámaras Leuten, mein Herr, dann würdet Ihr jetzt nicht auf Eurem Pferd sitzen und klare Bergluft atmen. Dann läget Ihr mit durchgeschnittener Kehle da.»

«Ich bin nicht so duldsam wie mein Bruder gegen Leute, die vor Männern von höherem Stand solche Missachtung an den Tag legen», erklärte John of Gaunt.

«Dann ist es nur gut, dass ich nicht unter Eurem Kommando diene, Herr. Ich diene Eurem Vater, dem König, und habe geschworen, den Prinzen zu schützen. Und wenn ich unsere Verteidigung prüfe und dabei riskiere, einen Toren noch törichter dastehen zu lassen, dann betrachte ich meine Pflicht als erfüllt. Vielleicht werdet Ihr nächstes Mal dafür sorgen, dass Wachen aufgestellt werden. Eine praktische Lektion, mein Herr, bleibt gut im Gedächtnis.»

«Wenn mein Bruder über die Berge kommt, werde ich ihn persönlich von Eurer Unverschämtheit in Kenntnis setzen.»

«Dann werde ich ihn vorwarnen. Ich breche gerade auf, um ihn über den Pass zu bringen.»

John of Gaunt sah aus, als sei ihm beim Essen ein Stück Knorpel im Hals stecken geblieben. Er schluckte krampfhaft, warf Blackstone einen finsteren Blick zu, dann trieb er sein Pferd an und ritt in die Richtung davon, wo Sir John Chandos mit seinen Männern das Nachtlager aufgeschlagen hatte.

De Lacarra schickte sich an, ihm zu folgen, doch neben Blackstone hielt er sein Pferd an. «Sir Thomas, ich bin verpflichtet, mit Gaunt zu reiten. Mein König wünscht es so.»

«Und mit wem wird König Karl reiten?», erkundigte sich Blackstone.

De Lacarra beugte sich aus dem Sattel, sodass niemand außer Blackstone ihn hören konnte. «Der König wird nicht kämpfen. Er hat einen Pakt mit französischen Söldnern geschlossen, dass sie ihn gefangen nehmen und festhalten, bis die Schlacht vorüber ist. Bislang hat niemand davon erfahren. Er ist ein noch größerer Narr, als Ihr dachtet. Wie leicht es doch ist, Schande über Krieger zu bringen und sie zu entehren. Vielleicht könntet Ihr es dem Prinzen sagen?»

«Das werde ich. Und jeder Mann hat seine eigene Ehre. Die Eure ist unzweifelhaft.»

De Lacarra neigte den Kopf zum Dank für das Kompliment. «Wenn die Situation es zulässt, hoffe ich, dass Ihr mir und meinen Männern das Privileg gestatten werdet, gemeinsam mit Euch zu kämpfen.» Der Navarreser Hauptmann streckte die Hand aus. Blackstone ergriff sie.

«So soll es geschehen.»

De Lacarra trieb sein Pferd an, um John of Gaunt nachzureiten.

Killbere seufzte. «Gnädiger Gott, Thomas. Bildet Navarra sich etwa ein, niemand würde diese List durchschauen? Wenn sich das erst herumspricht, wird er in ganz Europa zum Gespött. Mag sein, dass päpstliche Erlasse die Ehe zwischen nahen Verwandten verbieten, aber ich schwöre, Vetternehen sind gang und gäbe. Ich bin es leid, für Dorftrottel zu kämpfen.»

«Dann lass uns für uns selbst und den Prinzen kämpfen. Wir müssen jederzeit bereit sein, Spanien wieder zu verlassen. Denkst du, der König von Frankreich ist ein Dorftrottel? Nein. Er beobachtet scharf, was wir hier tun, wie der Bussard, der dort oben kreist. Er beobachtet und schmiedet Pläne. Lass es dir gesagt sein, Gilbert. Wir kämpfen heute hier und morgen gegen ihn. Und wir müssen auf alles vorbereitet sein, denn ich fürchte, unser König und der Prinz sind es nicht.»