B lackstone und John Jacob brachten den Prinzen mit dem Rest der Armee über den Pass und führten ihn Tage später auf die Ebene bei Pamplona hinaus. Hier machten sie halt, damit die Armee neue Kraft schöpfen konnte, ehe sie weiter nach Kastilien marschierten. Erst jetzt teilte der Prinz Blackstone mit, dass sein Sohn verschwunden sei.
«Er hat Oxford verlassen?», vergewisserte sich Killbere, als Blackstone ihm das wenige erzählte, das bekannt war.
«Er hat dem Warden seines College in einem Brief geschrieben, er habe über das Gesagte nachgedacht – was immer das gewesen sein mag – und wolle zum weiteren Studium nach Bologna gehen, um ein Rechtsgelehrter zu werden.»
«Das hat Henry gesagt?»
«So wurde es mir berichtet. Der Prinz hat die Nachricht in Dax durch einen Boten erhalten. Er sagte, er habe mich nicht gleich davon in Kenntnis gesetzt, damit ich auf dem Weg über den Pass nicht abgelenkt wäre.»
Blackstone und Killbere teilten sich mit John Jacob ein Feuer und einen Kochtopf. Der Knappe schöpfte gerade Eintopf in Näpfe.
«John?», redete Blackstone ihn an. «Denkst du, dass es wahr ist?»
John Jacob hatte früher als Beschützer für Blackstones Familie gedient, damals, als seine Frau noch lebte und die Kinder klein waren. Jetzt überlegte er einen Moment, ehe er achselzuckend erwiderte: «Er war schon immer eigensinnig, Sir Thomas, das weißt du. Er besitzt den nötigen Verstand und die Geistesgaben, um seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Er ist nicht mehr der Knabe, der in Avignon beinahe sein Leben gelassen hätte, nicht wahr? Und er hat den Meuchelmörder, der es auf ihn abgesehen hatte, getötet. Er ist also tüchtig genug, sich zu verteidigen, klug genug, die Dinge zu durchdenken, und fähig, seine Entscheidungen umzusetzen.»
«Das war nicht meine Frage, John», entgegnete Blackstone.
Sein Knappe lächelte. «Ob Henry freiwillig noch einmal an eine Universität gehen würde? Nein.»
«Verdammt», erwiderte Blackstone. «Genau das dachte ich auch.»
«Angenommen, er kommt wieder nach Frankreich, was würde er dann tun? In die Normandie gehen? Durch das Territorium des Prinzen nach Süden ziehen? Ist das sein Plan? Will er zu dir?», fragte Killbere und machte sich über sein Essen her.
«Zu mir? Warum sollte er denn zu mir wollen? Er weiß doch, dass ich ihm niemals erlauben würde, mit uns zu kämpfen. Er steht unter dem Schutz des Königs. Verdammt soll er sein, dieser Junge macht nichts als Ärger. Schon immer. Warum kann er nicht einmal tun, was man ihm sagt?»
«Wie sein Vater?», fragte Killbere.
«Gilbert, ergreife nicht noch Partei für den Jungen. Sein Leben war ebenso in Gefahr wie das meine. Ihm wurde die Möglichkeit geboten, an einem sicheren Ort zu leben. Eine Ausbildung zu genießen. Auf Kosten des Königs.»
«Thomas, mich wundert eher, dass er so lange durchgehalten hat, eingesperrt in einem Schulzimmer. Er sehnt sich nach mehr. In seinen Adern fließt dein Blut. Wohin auch immer er geht, lass ihn seinen eigenen Weg finden. Ich habe ja schon immer gesagt, er würde seinen Mann stehen, wenn er Seite an Seite mit uns kämpfen dürfte.»
Blackstone stellte seinen Essnapf beiseite, ihm war der Appetit vergangen. «Wir sind für das, was wir tun, geschaffen, Gilbert. Er aber hat die Liebe und Weisheit seiner Mutter erfahren, eine Zärtlichkeit, die weit über alles hinausgeht, was ich ihm geben könnte. Aus ihm könnte ein Rechtsgelehrter werden. Ein gebildeter Mann, der mit den Mitteln der Rhetorik gegen den Krieg argumentiert. Der den Zorn der Menschen beschwichtigen und sie versöhnen könnte. Er ist anders.»
«Nicht, wenn er die Ehre auf dem Schlachtfeld sucht, Thomas. Nicht, wenn er als dein Sohn angesehen werden will. Wenn er all das werden soll, was du dir für ihn wünschst, dann wette ich, er wird erst noch durchs Feuer gehen wollen.»
Blackstone stand auf und griff nach seinem Schwertgürtel. Sein Ärger war ihm deutlich anzusehen. «Hat er das nicht bereits getan? Er war noch fast ein Kind, als er tötete, um seine Mutter zu schützen; er wurde lebensgefährlich verletzt, als er in Avignon seinem Freund zu Hilfe kommen wollte. Er hätte sterben können. Reicht das nicht an Feuer? Hat ihm das noch nicht genug die Fußsohlen versengt? Verdammt soll er sein! Ich hatte ihn sicher untergebracht.» Blackstone stürmte davon.
Killbere richtete sich seufzend zum Schlafen ein und zog die Decke über sich. «John, du solltest darauf achten, dass das Feuer nicht herunterbrennt. Vorerst wird sein Zorn ihn warm halten, aber in der Kälte der Nacht wird er sich bald abkühlen.»
«Meint Ihr, Sir Gilbert? Dieser Zorn wird wenigstens bis Kastilien anhalten. Gott steh jedem bei, der sich ihm bis dahin in den Weg stellt. Er liebt Henry mehr, als er zugibt. Er will ihn in Sicherheit wissen. Ich wette, der Bursche brennt darauf, sich seine Sporen zu verdienen, und wenn er deshalb aus Oxford fortgegangen ist, dann sollte er es besser bei uns tun.»
Killbere stöhnte, dann rülpste er. «Die Blackstone-Brut. Nichts als Ärger, seit ich sie damals in den Krieg führte.»
Da Wolken den Mond verdeckten, war es dunkel im Lager bis auf die Fackeln und Feuer, in deren Schein Blackstone zwischen seinen Männern umherwanderte. Manche hoben eine Hand oder nickten ihm zu, wenn sie die gewaltige Gestalt erkannten, die da vorbeiging. Vielleicht war es Instinkt, der sie davon abhielt, ihn anzureden. Blackstone wirkte so düster wie der leibhaftige Sensenmann. Die meisten der Männer hatten bereits gegessen und legten sich jetzt mit dem Rücken zum kalten Wind schlafen, fest in ihre Decken gewickelt. Die Hauptleute hatten um ihren Teil des Lagers herum Wachen postiert. Blackstone war in Gedanken bei Henry und der Frage, weshalb er davongelaufen war, als er sich unversehens nahe dem Eingang zu König Pedros Pavillon wiederfand. Davor standen treue Kastilier Wache.
Blackstone beobachtete den Wachwechsel. Ein Mann von der Ablösung hatte eine neue Fackel mitgebracht, um eine heruntergebrannte zu ersetzen. Ein anderer öffnete eine Laterne, um ihren ölgetränkten Docht auszutauschen, der nur noch schwelte. Weder Fackel noch Laterne spendeten genügend Licht, um weiter als zwei Pfeillängen im Umkreis um die beiden Wachen zu sehen. Selbst wenn die Männer nicht abgelenkt gewesen wären, hätten sie den Schatten nicht bemerkt, der in der Dunkelheit schnell durch den Zwischenraum zwischen dem Pavillon des Königs und dem daneben huschte.
Blackstone ging raschen Schrittes an den Männern vorbei und seitlich an dem Pavillon entlang, dessen Leinwand leicht im Wind flatterte. Als er um die hintere Ecke spähte, sah er eine geduckte Gestalt, die vorsichtig einen Schlitz in die Rückwand des Pavillons schnitt. Blackstone nahm an, dass sich Pedros Schlaflager direkt dahinter befand. Der Fremde ließ sich Zeit. Blackstone beobachtete ihn, ohne sich zu rühren. Wenn Pedro im Schlaf ermordet wurde, würden dafür andere am Leben bleiben, die sich sonst in der bevorstehenden Schlacht opfern mussten. Das Leben eines unwürdigen Königs schien ein geringer Preis dafür. Blackstone hatte im Grunde nichts dagegen, den Meuchelmörder sein Werk tun zu lassen – bis auf einen nagenden Zweifel: Seine eigenen Männer hatten bereits einen allzu hohen Preis gezahlt, um Pedro in Sicherheit zu bringen. Sie wären umsonst gestorben, wenn er nun zuließ, dass dieser Mörder einen Mann tötete, der es eigentlich nicht anders verdiente.
Blackstone zögerte noch immer. Der Mörder schob sich vorsichtig mit der Schulter voran durch den Schlitz in der Zeltplane. Es war ein kleiner Schnitt – wäre er größer gewesen, dann hätte die Leinwand hörbar im Nachtwind geflattert. Endlich gewannen Blackstones Zweifel die Oberhand. Mit vier schnellen Schritten war er bei dem Mörder, packte den kleineren Mann an der Schulter und riss ihn mit einem kräftigen Ruck herum. Schon traf seine geballte Faust den Kopf, der unter einer Kapuze verborgen war. Der Mörder stürzte gegen die Wand des Pavillons und dann zu Boden. In den wenigen Augenblicken, die Blackstone brauchte, um den Bewusstlosen zu packen und um das Zelt herum ins Licht der Fackel zu schleifen, wurde bereits Alarm geschlagen. Die herbeieilenden Wachen hielten inne, als sie den Kriegsherrn erkannten, der den schlaffen Körper vor dem Eingang zu Pedros Pavillon einfach fallen ließ.
Während Blackstone niederkniete, um herauszufinden, wer der nächtliche Attentäter war, wurde die Zeltklappe von einer Wache zurückgeschlagen, und König Pedro von Kastilien und León erschien in einem langen Nachtgewand aus Seide. Darüber trug er einen hermelingefütterten Mantel. Mit aufgerissenen Augen starrte er auf den Kriegsherrn hinunter. Blackstone sah, dass Pedros Hand – eine beringte Hand, die einen schmalen, spitzen Dolch umklammerte – zitterte. War die Ursache des Zitterns Blutdurst oder Angst?
Der König nickte seinen Wachen zu, die vortraten, um den gescheiterten Mörder zu packen. Blackstone machte ihnen Platz. Sie zogen den Mann, der inzwischen wieder halb zu sich gekommen war, auf die Beine, versetzten ihm einen Faustschlag in die Nierengegend, dann rissen sie ihm die Kapuze und das Tuch, mit dem er sein Gesicht verhüllt hatte, herunter. Für einen Moment sackte der Mörder in sich zusammen, noch benommen von Blackstones Schlag und atemlos vom Fauststoß der Wache, dann begann er, sich zu wehren und entschlossen Widerstand zu leisten. Den Kopf in den Nacken gelegt, stieß sie einen lauten Schrei aus.
Blackstone war ebenso verblüfft wie die Wachen, als die schwarzhaarige Frau die Zähne bleckte und ihnen Beschimpfungen entgegenschleuderte. Die Soldaten hielten sie fester. Einer packte sie an den Haaren und riss ihren Kopf zurück. Sie wand sich vergeblich im Griff der beiden Männer. Dann spuckte sie den König an. Einer der Soldaten ohrfeigte sie so heftig, dass ihre Lippe aufplatzte. Daraufhin stieß sie einen Schwall Flüche aus, so schnell, dass Blackstone nichts verstand. Sie starrte finster und schien den König herauszufordern, sie zu töten. Als Pedro auf sie zutrat, den Dolch erhoben, um ihn ihr in die Kehle zu stoßen, zuckte sie nicht zurück.
Blackstone ging dazwischen und packte ihn am Handgelenk, so fest, dass dem König die Waffe aus der Hand fiel. Pedro brüllte vor Wut wie ein verwundetes Tier. Mit verzerrtem Gesicht fuhr er Blackstone an.
«Man tastet die Person eines Königs nicht an! Niemals! Niemand legt Hand an mich!»
Blackstone ließ zu, dass er sich losriss. Sein Griff musste schmerzhaft gewesen sein, denn Pedro rieb sich das Handgelenk.
Blackstone trat zwischen ihn und die Frau. «Ihr müsst Eure Wut zügeln. Ein König sollte einen Feind erst töten, nachdem er herausgefunden hat, warum der Feind seinen Tod will.» Blackstone sprach ohne jede Ehrerbietung.
Pedro gab seinen Männern mit finsterer Miene zu verstehen, sie sollten die Frau in die Knie zwingen. Er grinste Blackstone höhnisch an, ohne sein Opfer eines Blickes zu würdigen. «Tötet sie.»
Ehe der erste Wachmann sein Messer ziehen konnte, drehte Blackstone sich um und schlug ihn, sodass er rückwärts taumelte. Dabei ließ er die Frau los und zwang die anderen Wachen, die sich hinter ihm versammelt hatten, hastig auszuweichen. Der zweite Mann hielt mit einer Hand die Mörderin und griff mit der anderen nach dem Messer an seinem Gürtel, da traf Blackstones Ellenbogen ihn mit Wucht im Gesicht. Seine Nase brach, und er stürzte zu Boden.
Die Frau versuchte zu fliehen, aber Blackstone umklammerte sie mit beiden Armen und hielt sie mühelos fest.
«Halt still, sonst bist du tot. Hör auf mich, dann bleibst du vielleicht am Leben», sagte er zu ihr.
Pedros Männer hatten sich um sie geschart und versperrten den Rückzug.
Da ertönte eine Stimme: «Platz da. Zur Seite!» Es war Sir John Chandos. Er bahnte sich einen Weg zwischen den versammelten Männern hindurch. Killbere war an seiner Seite, und hinter den beiden folgten John Jacob, William Ashford, Longdon und Halfpenny; ganz hinten ragte Meulons hünenhafte Gestalt auf.
«Sir John!», rief Pedro gebieterisch. «Verhaftet Thomas Blackstone, der mich angegriffen hat, und liefert diese Frau meinen Männern aus. Sie wollte mich ermorden.»
«Gewiss. Einen Augenblick, Hoheit», erwiderte John Chandos, stets der Diplomat. Er sah zu Blackstone auf und senkte die Stimme zu einem flehentlichen Flüstern. «Gütiger Gott im Himmel. Was ist es denn diesmal, Thomas?»
«Ich habe dem König soeben das Leben gerettet.» Blackstone richtete den Blick auf Pedro. «Wieder einmal.»