Kapitel Fünfundzwanzig

H enry und die sechs Männer waren den größten Teil des Tages geritten. Zuvor war Henry in die Räume des Hauptmanns geführt worden, wo er ihn von seinem Plan überzeugt und mit ihm besprochen hatte, wie es ablaufen sollte, wenn er zurückkehrte. Sie würden dem berüchtigten Mörder eine Falle stellen, wenn er in die Burg kam. Henry wusste nun also, dass der einarmige Veteran bereit sein würde. Und Henry wusste auch, dass Gifford einen grausamen Tod sterben würde, sollte er versagen.

Die Pferde, die sie von der Garnison bekommen hatten, waren Runtziden von geringem Wert, wenig tauglich, um beritten zu kämpfen, doch als Reittiere erfüllten sie ihren Zweck. Sie würden Henry und die anderen zum Lager von Jean de Soissons, der Klaue, tragen. Vaisey hatte Henry versichert, es läge jenseits des Waldes. Es war ein trüber Tag, und so drang wenig Licht in den Wald, den sie auf einem schmalen Pfad durchquerten. In der Düsternis zwischen den Bäumen hätte sich leicht jemand versteckt halten können, um Reisende aus dem Hinterhalt zu überfallen. Allerdings wurde dieser Weg nur wenig genutzt, denn der dichte Wald schreckte jeden ab. Nur verirrte, unvorsichtige Reisende oder Männer mit finsteren Absichten wagten sich hierher.

Der ältere Krieger, Walter Mallin, machte sich weniger Sorgen um einen Hinterhalt von la Griffes Männern als um seinen verwundeten Kameraden Robert Helyer, den sie in der Stadt mit dem blutrünstigen Pöbel zurückgelassen hatten. Die beiden Männer hatten viele Jahre Seite an Seite gekämpft. Der Krieg und das Alter hatten von beiden ihren Tribut gefordert, und der Gedanke, einen Freund und Kriegskameraden im Stich zu lassen, lastete schwer auf Mallin. Immerhin war es ein gewisser Trost, dass Gifford versprochen hatte, sich um den Verwundeten zu kümmern.

Sie ritten in Kolonne, angeführt von Henry Blackstone und dem englischen Söldner Vaisey. Hinter Mallin folgte Vachon mit Terrel, dann der Deutsche und Bezián. Terrel grummelte unablässig darüber, dass sie in dem dichten Wald Gefahr liefen, in einen Hinterhalt zu geraten. Niemand beachtete ihn, bis Brun ihn aufforderte, endlich den Mund zu halten. Eine Handvoll Männer, die sichtlich nicht vermögend waren und keine Vorräte mitführten, würden wohl kaum einen Söldner anlocken, der für seine Raubzüge berüchtigt war, erklärte er. Und Terrels Gejammer sei schlimmer als das eines Neugeborenen, das nach der Mutterbrust plärrte.

Terrel reagierte gereizt. Er zügelte sein Pferd und lenkte es neben den Deutschen.

«Ich lasse mir von dir nichts befehlen», sagte er, eine Hand an dem Messer an seinem Gürtel.

Brun ging kein Risiko ein: Er beugte sich vor und streckte Terrel mit einem kräftigen Schwung seines muskulösen Arms nieder. Bis Terrel sich vor den Hufen seines unruhig tänzelnden Pferdes in Sicherheit gebracht, sich aufgerappelt und sein Schwert gezogen hatte, stand Eckehart Brun schon bereit, den stachelbesetzten Streitkolben in einer Hand, das Messer in der anderen.

«Du träger Ochse! Komm her!», rief Terrel, der geduckt dastand, jederzeit bereit, flink auf den größeren Mann zu reagieren, der sich breitbeinig vor ihm aufgebaut hatte und sich nicht rührte.

Henry machte kehrt und ritt zurück zu dem streitsüchtigen Terrel und seinem Widersacher.

«Du gebärdest dich wie ein zänkisches altes Weib, Terrel. Steck dein Schwert ein!»

«Fahr zur Hölle, Junge!», fauchte Terrel und fuchtelte mit der Waffe, sodass Henrys Pferd scheute. «Ich bin dir nichts schuldig.»

Henry hatte alle Mühe, sein Reittier zu bändigen.

«Du hast dein Wort gegeben», stellte Brun fest.

«Das bedeutet nichts, wenn wir in den Tod reiten.»

Henry wendete sein Pferd, brachte es unter Kontrolle, lenkte es neben Mallin und saß ab. Der ältere Mann griff instinktiv nach dem Zügel. Henry trat zwischen die beiden Kontrahenten, bedeutete Brun, Streitkolben und Messer zu senken, und zeigte dann mit dem Finger auf Terrel. «Dein Maul ist ein Schweinearsch. Du scheißt auf unsere Chancen, hier unbemerkt durchzukommen. Steck die Waffe weg, Terrel. Ich schwöre dir, sonst befehle ich Brun, dich niederzuschlagen, und dann lassen wir dich hier liegen, damit die Wölfe dich holen.»

Terrel war in Rage. Henry sah, wie er sein Gewicht verlagerte, und wich aus, als der andere mit dem Schwert zustieß. Er fuhr herum und traf Terrel mit einem Faustschlag unter dem Ohr. Der drahtige Mann kippte vornüber, und das Schwert fiel ihm aus der Hand.

Brun und Mallin wechselten Blicke. Henry mochte bei Weitem der Jüngste unter ihnen sein, aber er verstand sich aufs Kämpfen. Bezián stützte sich auf den Vorderzwiesel seines Sattels.

«Wir sollten ihn auf der Stelle töten», sagte der Gascogner. «Wenn wir zusammenhalten, haben wir eine Chance. Eine Viper im Nest kann für uns alle den Tod bedeuten. Ich sage, wir töten ihn, dann ist die Sache erledigt.»

«Bezián hat recht», schloss der Deutsche sich an. «Bringen wir es jetzt zu Ende, dann müssen wir nicht mehr ständig vor ihm auf der Hut sein.»

Henry hob Schwert und Messer des Mannes auf, den er niedergestreckt hatte. Dann sah er zu den Reitern auf, die seine Antwort erwarteten. Er schüttelte den Kopf. «Wenn wir ihn verschonen, steht er in unserer Schuld.»

«Er steht ohnehin bereits in deiner Schuld, genau wie wir alle, schließlich wären wir ohne dich nie so weit gekommen», stellte Mallin fest.

«Und nun gehen wir weiter», entgegnete Henry. «Zusammen.» Er beobachtete, wie Terrel sich benommen herumwälzte und glasig zu den Männern aufblickte, die feindselig auf ihn herabschauten. Henry warf seine Waffen neben ihm auf den Boden. «Ich habe dir eben zum zweiten Mal das Leben gerettet. Du musst dich jetzt entscheiden, auf welcher Seite du stehst.»

Terrel presste eine Hand an die Schläfe. Sein Kiefer tat weh, und der Schmerz hatte sich hinter dem Auge festgesetzt. Zwei heftige Schläge von zwei verschiedenen Männern. Er rappelte sich hoch und sammelte seine Waffen auf. Henry wartete. Wenn Terrel sich noch einmal auf ihn stürzte, würde er ihn töten. Der geschlagene Mann steckte seine Waffen ein. Er nickte, spuckte Blut aus und blickte die Männer, die auf seine Antwort warteten, der Reihe nach an. Er war nicht dumm. Sie hätten ihm den Hals durchschneiden können, als er hilflos am Boden lag. Er an ihrer Stelle hätte so gehandelt. Und andere, so sagte er sich, wahrscheinlich auch. Der Junge hatte ihn gerettet. Genau wie er gesagt hatte. Wieder einmal.

«Ich reite mit dir, Master Blackstone. Ich werde dir keinen Ärger mehr machen.»

«Dann sitz wieder auf und lass uns den Mann finden, den wir in die Falle locken müssen», erwiderte Henry und stieg in den Sattel.

«Das hat sich wohl erledigt», stellte Vaisey fest.

Henry und die anderen sahen, wie Bewegung in das Dunkel zwischen den Bäumen kam und die Schatten Gestalt annahmen. Bewaffnete Männer ritten aus dem dichten Unterholz langsam auf sie zu.