D er Weg, den Blackstone und seine Männer seit Estella zurückgelegt hatten, war schwierig gewesen, er hatte auf schmalen Pfaden durch Wälder geführt, sodass die Männer absitzen und ihre Pferde am Zügel führen mussten. Als sie nun Vitoria erreichten, brach eben die Dunkelheit herein. Die sichtlich mitgenommene Armee lagerte in der Ebene auf offenem Gelände. Blackstone schaute aus dem Sattel auf erschöpfte Krieger hinunter, die starr seinen Blick erwiderten, während er zwischen ihnen hindurchritt. Er erkannte, wie sehr diese Männer gelitten hatten. Noch beunruhigender war jedoch ihre Stimmung – sie schienen bereits geschlagen, ehe sie es überhaupt mit dem Feind aufgenommen hatten.
Blackstone entdeckte den Pavillon des Prinzen und ganz in der Nähe den von Don Pedro. Er lenkte sein Pferd dorthin. «John, William, Renfred – Essen für die Männer und Futter und Wasser für die Pferde. Ich komme später dazu. Sucht eine geeignete Stelle und haltet alle zusammen. Ich sehe keine Spur von Gilbert und den anderen.» Blackstone band sein Pferd an und schritt auf den Pavillon des Prinzen zu. Die Zeltleinwand wirkte verschlissen, die Wimpel hingen schlaff im abflauenden Wind. Sir John Chandos trat aus dem Pavillon des Prinzen, hob warnend eine Hand und ging dem Kriegsherrn entgegen.
«Seid auf der Hut, Thomas», sagte er mit leiser Stimme. «Ich habe ihm geraten, Eure Rückkehr abzuwarten und Euch die Führung zu überlassen. Ihr kennt das Gelände. Aber sein Bruder …» Er drehte den Kopf, um sich zu vergewissern, dass sie nicht belauscht wurden. «Sein Bruder hat ihm zugeredet, diese Route zu nehmen – er glaubte, so könnten wir Trastámara ausmanövrieren.» Chandos seufzte. «Thomas, es war einer der schlimmsten Märsche, die ich je mitgemacht habe. Die Männer sind hungrig; es gibt weder Wein noch Brot. Was wir an Vorräten noch haben, befindet sich im Tross, und der ist einen Tag hinter uns zurückgefallen.»
Blackstone wusste, wenn es diesem höchst angesehenen Ritter nicht gelungen war, den Prinzen zu überzeugen, musste John of Gaunt erheblichen Einfluss auf Edward haben. Er senkte ebenfalls die Stimme, damit der Wind seine verächtlichen Bemerkungen nicht einem etwaigen Lauscher zutrug. «Der Prinz hat nie zuvor eine so törichte Entscheidung getroffen. Bruder hin oder her, was ist nur aus seinen Instinkten geworden, seiner Fähigkeit, dem Feind gedanklich immer einen Schritt voraus zu sein? Stattdessen führt er eine Armee über messerscharfe Felsen und schmale Pässe. Ohne Deckung. Durch karges, unwirtliches Land.» Er ließ den Blick über die Ebene gleiten. «Diese Männer sind bereits geschlagen. Ihr und ich sollten dem Prinzen unsere Überlegungen mitteilen und ihn von einem möglichst vernünftigen Plan überzeugen.»
Chandos nickte. Er legte Blackstone eine Hand auf den Arm, da bemerkte er das eingetrocknete Blut auf seinem Wams. «Ihr habt die Frau in Sicherheit gebracht?»
«Das haben wir. Und es gibt Neuigkeiten, die der Prinz nicht gern hören wird. Sie hat mir erzählt, wer auf Trastámaras Seite steht.»
Chandos war Widrigkeiten gewohnt, aber bei der Aussicht auf zusätzliche Erschwernisse ließ er die Schultern hängen. «Nehmen wir die Sache in Angriff, Thomas. Wählt Eure Worte mit Bedacht, aber schont ihn nicht.» Er ging voran in den Pavillon des Prinzen.
König Pedro hatte es sich an einer Seite des Raumes bequem gemacht. John of Gaunt saß näher beim Prinzen. Durch das Dach aus mehreren Schichten Leinwand tropfte Regen. Selbst Männer von königlichem Blut konnten nicht die Bequemlichkeit genießen, die sie sich gewünscht hätten. Windböen ließen die Seitenwände flattern. Blackstone neigte den Kopf vor dem Prinzen, wobei er den König geflissentlich ignorierte.
«Mein Herr, Ihr habt nicht auf mich gewartet, um Euch von mir durch die Berge führen zu lassen. Ihr habt es Euch unnötig schwer gemacht.» Das war die denkbar behutsamste Art, den Mann zu schelten, dem er diente. Seine Worte wurden nicht freundlich aufgenommen.
«Ihr kritisiert Euren Prinzen», stellte John of Gaunt fest.
Pedro beugte sich vor. «Er ist unverschämt. Wäre er einer meiner Ritter, dann würde er ausgepeitscht werden.»
Blackstone richtete den Blick fest auf den spanischen König. «Wäre ich einer Eurer Ritter, dann würde ich wahrscheinlich niedergemetzelt werden.»
Blackstones ungeheuerlich direkte Beleidigung ließ Pedro verstummen.
John of Gaunt sprang auf. Er zeigte auf Blackstone, richtete seinen Befehl jedoch an Sir John Chandos. «Schafft diesen Mann fort. Sein Benehmen beleidigt den König.»
Der Prinz hob eine Hand. «Mein Bruder, sein Benehmen beleidigt jene, die sich dadurch beleidigt fühlen. Sir Thomas spricht aus, was er denkt …» Er hielt kurz inne. «… und zwar so freundlich, wie er es vermag. Ja, Thomas, wir haben einen Weg gewählt, der sich als schwierig erwiesen hat, aber es war die kürzeste Route, um uns näher an die kastilische Grenze zu führen. Nun rasten wir und die Armee, und dann stoßen wir auf Burgos vor.»
«Herr, voraus erwarten uns noch mehr Widrigkeiten. Das Gelände ist dort ebenso unwegsam wie auf dem Abschnitt, den Ihr zuletzt hinter Euch gebracht habt. Glaubt Ihr, Heinrich von Trastámara, Bertrand du Guesclin und Marschall d’Audrehem würden sich Euch zu einer offenen Feldschlacht stellen? Auf dem Weg hierher sahen wir Reiter durch die Berge streifen. Wir haben darauf geachtet, dass sie uns nicht bemerkten, aber er wird Euch den Weg nach Kastilien hinein versperren. Er wird die Höhen kontrollieren. Auf dem Berg Zaldiaran gibt es eine Burg. Dort ist er praktisch unangreifbar. Er wird den Pass bei Puebla besetzen. Ihr werdet die Route, die Ihr geplant habt, nicht nehmen können.» Blackstone beobachtete die ernüchternde Wirkung, die seine Worte auf die drei mächtigen Männer hatten. «Er hat Euch da, wo er Euch haben will. Das Gelände, die Witterung, eine erschöpfte Armee. Er wird mit Blitzangriffen Eure Kräfte aufzehren, wie die Pestilenz einen Körper verzehrt.»
Im Pavillon war es still bis auf das Geräusch der Windböen an den Wänden, ein düsterer Trommelschlag. Blackstone berichtete, was er von Sancha Ferrandes erfahren hatte, ohne ihren Namen oder den Ort zu erwähnen, an den er sie gebracht hatte. Die Kunde von den Kreuzfahrerorden und den Rittern de la Banda erzielte die gewünschte Wirkung. Der Orden der Binde war die spanische Entsprechung des Hosenbandordens: Es waren die Edlen eines Königreiches, in einer ritterlichen Bruderschaft vereint. Der Prinz schwieg. John of Gaunt hatte nie einer riesigen Armee gegenübergestanden wie sein älterer Bruder, der in der Schlacht von Crécy mitgekämpft, bei Poitiers den Sieg errungen hatte, ein Mann, der große Feldzüge in verschiedenen Teilen Frankreichs angeführt hatte.
Pedro brach als Erster das nachdenkliche Schweigen. «Wir können durch den Pass stoßen, wenn wir es nur entschlossen genug versuchen. Zwar unter erheblichen Verlusten, aber unsere Armee wird noch immer stark genug sein, wenn wir Burgos erreichen.»
«Ihr sprecht davon, unsere Männer zu opfern», bemerkte der Prinz. «Wenn wir von ihnen verlangen, in unserem Namen zu sterben, dann müssen sie auf unser Urteil vertrauen.» Er erhob sich. «Die Nacht ist bitterkalt. Wir werden uns zurückziehen und morgen früh nach dem Gebet die Unterredung mit Sir Thomas und Sir John fortsetzen.» Ein Diener trat vor, um ihm einen wärmeren Mantel um die Schultern zu legen.
Als der Prinz sich erhob, bemerkte Blackstone seine langsamen Bewegungen, als litte er an Schmerzen oder Entkräftung.
Der Prinz trat auf Blackstone zu. «Ihr dient uns in Gewissenhaftigkeit und Liebe, Thomas, aber es gibt Zeiten, da muss ein Prinz entscheiden, welcher Weg eingeschlagen wird. Es ist die Bürde, die er trägt.»
«Mein Prinz», erwiderte Blackstone in besorgtem Ton. «Wo sind Sir Gilbert und meine Männer?»
«Wir haben fünfhundert Mann mit Sir William Felton vorausgeschickt. Sie werden das Gelände sichern, sodass wir auf unserem weiteren Marsch vor Angriffen durch Trastámara und seine Männer sicher sind.» Er wandte sich ab.
Blackstones Magen krampfte sich zusammen. Killbere und seine Truppe standen unter dem Kommando eines sturköpfigen Ritters, der es hasste, von irgendjemandem Rat anzunehmen. Der Prinz hatte sein Vertrauen in Männer gesetzt, die starr in ihrem Denken und Handeln waren, unfähig, sich den Erfordernissen anzupassen. Er und Chandos verbeugten sich und traten wieder hinaus in den Abend. Blackstone kniff die Augen gegen den schneidenden Wind zusammen. «Die Instinkte des Prinzen sind durch das Leiden getrübt, das ihn plagt, John. Und dass Killbere bei Felton ist, behagt mir nicht.»
«Vor morgen früh können wir nichts unternehmen.»
«Wo ist Hugh Calveley?»
Chandos deutete in die Dunkelheit. «Am anderen Rand des Lagers.»
Blackstone überblickte das Gelände, wo die Armee weit verteilt lagerte. «John, wir werden ihn brauchen, wenn wir morgen früh mit dem Prinzen sprechen. Er hat gegen Pedro gekämpft, als wir ihn in Sicherheit brachten, und jetzt steht er auf der Seite des Prinzen. Er hätte wissen müssen, wie unwegsam das Gelände ist.»
«Krieg ist ein Geschäft, Thomas. Damals wurde er von Trastámara bezahlt; jetzt bezahlt ihn unser Prinz. Aber er hat nie im Zorn die Waffe gegen Euch erhoben. Er kämpfte gegen Pedros Männer, nicht gegen Engländer, die entsandt worden waren, ihn zu retten.»
Blackstone hegte keinen Groll gegen Calveley. Es war das, was Krieger nun einmal taten, wenn ihr Fürst, Prinz oder König im Krieg keine Verwendung mehr für sie hatte. Auch er selbst hatte sich schon anderswo verpflichtet. Und Calveley hatte seine Kampfkraft verkauft, bevor der Befehl des englischen Königs es ihm verboten hatte. «Ich werde ihn aufsuchen und dafür sorgen, dass er uns morgen früh begleitet. Wir müssen unbedingt verhindern, dass John of Gaunt weiter solchen Einfluss auf den Prinzen ausübt. Er braucht uns jetzt nötiger denn je.»
«Dann sprecht mit ihm. Ich habe mein Lager nicht weit von John of Gaunt bei der Vorhut. Wenn Ihr mit Hugh gesprochen habt, kommt mit Euren Männern zu mir. Auf diese Weise haben wir eine Chance, Gaunt im Auge zu behalten. Wir werden ihn auf Schritt und Tritt verfolgen und uns in Hörweite von ihm und dem Prinzen halten. Pedro kümmert mich nicht. Er hat keinen Einfluss.»
Der Regen prasselte ihnen so heftig ins Gesicht, dass es schmerzte wie Wespenstiche. Blackstone wandte sich Chandos zu. «Ich hätte Pedro in Kastilien lassen sollen, anstatt ihn zu retten.»
«Der Gedanke macht Euch zu schaffen, Thomas?»
«Ja. Gute Männer haben ihr Leben gelassen, aber noch mehr werden folgen.»
«Ihr habt auf Befehl des Prinzen gehandelt. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen. Nun geht und sprecht mit Calveley.»