Kapitel Zweiunddreißig

S ir William Felton und seine vierhundert Mann starke Kundschaftertruppe lagerten an einem Berg oberhalb des Dorfes Aríñez. Der Wind hatte den Kampflärm vom vier Meilen nordöstlich gelegenen Vitoria nicht zu ihnen herübergetragen. Männer hatten sich in ihre Decken gewickelt, ihr einziger Schutz an dem Berghang war die Dunkelheit, die sie umfing. Killbere versuchte, gegen den starrsinnigen Felton durchzusetzen, dass keine Feuer entzündet werden durften.

«Die Franzosen und Kastilier wissen zweifellos bereits, wo wir sind», hielt Felton dagegen. «Aber keine größere Truppe würde bei Nacht angreifen. Und die Männer brauchen Wärme und richtiges Essen, um bei Kräften zu bleiben.»

«Ich sage Euch, Thomas Blackstone und ich haben schon oft Gegner bei Nacht überfallen und sie getötet, wo sie schliefen.»

«Männer, die bei Nacht angreifen, sind von niederem Charakter», versetzte Felton schroff – dass er Blackstone und Killbere damit beleidigte, schien ihn nicht zu kümmern.

«Bei Gott, wenn Ihr meine und Sir Thomas’ Ehre beschädigt, dann werdet Ihr lernen, was Gewalt ist. Ich zweifle nicht an Eurem Mut, Sir William, und auch nicht an Eurem Widerwillen dagegen, die Dinge zu sehen, wie sie sind. Für diesmal lasse ich Euch die Beleidigung noch durchgehen, aber es ist das letzte Mal. Verdammt sollt Ihr sein, wenn Ihr Eure Feuer entzündet. Wenn Ihr darauf besteht, jedem französischen Räuber und kastilischen Reiter kundzutun, wo wir lagern, werde ich meine Bogenschützen und meine Männer abziehen.»

«Ihr untersteht meinem Kommando», zischte Felton.

«Ja, und ich beabsichtige, lange genug am Leben zu bleiben, um Euch zu dienen, wenn es nötig wird. Keine Feuer, Sir William. Ich dulde es nicht.»

Die beiden schlachtenerprobten Ritter standen sich Auge in Auge gegenüber, keiner war bereit nachzugeben. Schließlich nickte Felton und wandte sich ab.

Killbere sah ihm noch einen Moment lang nach, als er zwischen den am Boden kauernden Männern in der Dunkelheit verschwand. Er und Blackstone waren schon früher mit Felton aneinandergeraten. Als Seneschall des Poitou hatte er in seiner altmodischen Art darauf bestanden, ein starres Prozedere einzuhalten. Nun, da er Männer im Feld befehligte, brachte er mit dieser Haltung alle in Gefahr.

«Sir Gilbert?»

Killbere drehte sich zu Will Longdon um, der hangabwärts auf ihn zukam. Die Bogenschützen hatten ihre Stellung weiter oben am Berg, knapp unterhalb des bewaldeten Gipfels – der alte Ritter hatte entschieden, das sei die beste Verteidigungsstellung, auch wenn Felton stur darauf beharrte, dass ihnen keine Gefahr drohte.

«Hat er auf Euch gehört?», wollte der Bogenschütze wissen.

«Ja, wenn auch äußerst widerwillig. Es bleibt dabei, dass wir Wachpostenketten aufstellen, Will. Verdammt sei dieser Mann mit seiner Buchhalterseele, der nichts lieber tut, als seine Kassenbücher in Ordnung zu halten. Sobald es hell wird, sind wir wieder auf den Beinen und marschieren nach Kastilien hinein. Das ist sein Plan. Er versteht einfach nicht, dass wir diese Gegend besser kennen als er. Das hier ist nicht das freundliche Grasland des Poitou. Diese Täler sind trügerisch und voller Gefahren, wir können jederzeit in einen Hinterhalt geraten, weil der Gegner die umgebenden Höhen besetzt hält. Wir bewahren uns den Vorteil, den wir auf diesem verdammten Hang eben haben, und passen auf uns auf.»

Die beiden Veteranen wandten sich wieder hangaufwärts, um zu ihren Männern zurückzukehren. Longdon und Killbere hatten viele Schlachten gemeinsam geschlagen, sie kannten sich schon aus der Zeit, bevor Thomas Blackstone damals als sechzehnjähriger Bogenschütze in Killberes Einheit gekommen war. Will hatte fünfzig Bogenschützen, und außerdem gehörten zu ihrer Truppe noch Blackstones sechzig Waffenknechte. Blackstone hatte von jeher nur wenige Männer bei sich, sodass er beweglich war und schnell und entschlossen zuschlagen konnte. Weder Longdon noch Killbere behagte es, dem Kommando eines regelversessenen Pedanten wie William Felton zu unterstehen.

Longdon stieg mühsam den Hang hinauf. Seine Beine schmerzten, und er keuchte. «Das Problem ist», sagte er und hielt inne, um Atem zu schöpfen, «Heinrich von Trastámara kämpft auf heimischem Boden, und sein Bruder Tello ist als Kavallerieführer allgemein gefürchtet. Wenn die beiden dann noch fähige Feldherren wie du Guesclin auf ihrer Seite haben, kann ein Ritter ohne Weitblick, wie Sir William einer ist, in arge Bedrängnis geraten. Und wir mit ihm, wenn er seinen Willen durchsetzt.»

Killbere zog die Nase hoch und spuckte aus, atmete einmal tief durch und stapfte weiter bergauf. «Was glaubst du, warum ich Halfpenny und ein paar seiner Jungs runter ins Dorf geschickt habe? Wenn ein Angriff kommt, dann aus dieser Richtung. Und Jack ist flink genug, uns beizeiten zu warnen.» Er warf dem atemlosen Bogenschützen an seiner Seite einen Blick zu. «Hätte ich dich geschickt, dann würden wir alle im Schlaf ermordet werden, bevor du mit deiner Warnung ankämst.»

Longdon stöhnte vor Anstrengung an dem steilen Hang. «Ach, Sir Gilbert, schon lange vorher. Ich hätte auch gar nicht genug Luft, um überhaupt eine Warnung zu rufen. Verdammt, mir scheint, dieser Berg ist seit vorhin noch gewachsen.»

 

Das Dorf Aríñez hatte weniger als hundert Einwohner. Ihre Steinhäuser waren klein und dunkel, die Fenster bloß Schlitze, um im Sommer die sengende Hitze abzuhalten und im Winter die bittere Kälte. So drang kaum Tageslicht ins Innere. Eine Talgkerze brannte in einem solchen Haus, das ein Dorfbewohner verlassen hatte, um seine Schweine zum Markt zu bringen. Der Raum war leer bis auf eine Pritsche mit Strohmatratze und eine Kochstelle. Drinnen befanden sich Jack Halfpenny und zwei seiner Bogenschützen, Walter Root und Roger Fairfoot, junge Männer, die rennen konnten wie die Hasen, wenn die Wölfe des Krieges hinter ihnen her waren. Die Kerze brannte mit kleiner Flamme, sodass ihr Schein durch das schmale Fenster kaum zu sehen war. In dem schwachen Licht schnitt Fairfoot Scheiben von einem geräucherten Schinken ab, den er in Sackleinen eingewickelt gefunden hatte.

Die zwei Bogenschützen waren in Bordeaux rekrutiert worden, nachdem Blackstone das letzte Mal aus Spanien zurückgekehrt war. Er hatte bei der Rettung Don Pedros gute Männer verloren, und um sie zu ersetzen, waren diese beiden zusammen mit einem Dutzend anderer ausgewählt worden. Zuvor hatten sie unter Will Longdons kritischem Blick ihre Fähigkeiten unter Beweis stellen müssen. Ihre Treue galt an erster Stelle ihrem Ventenar Jack Halfpenny, der sie für würdig erachtet hatte, sich Sir Thomas Blackstone anzuschließen, obwohl sie noch nicht schlachtenerprobt waren.

Halfpenny ließ die beiden jüngeren Männer von dem Schinken kosten. «Genug jetzt, Jungs. Den Rest nehmen wir mit für die anderen.»

Walter Root hatte den Mund so voll, dass er beim Sprechen Schinkenbröckchen versprühte. «Diese Spanier verstehen sich darauf, Schinken zu räuchern.»

Halfpenny drehte sich nicht um, sondern behielt die steinige Straße im Blick, die in das Dorf führte. Falls Reiter nahten, würde das Geräusch der eisenbeschlagenen Hufe deutlich zu hören sein. «Ja, und das Gute ist, dass du bei diesem Licht die Maden nicht siehst.»

Er hörte, wie Root sich verschluckte und Fairfoot kicherte.

«Still», zischte Halfpenny. «Löscht das Licht.»

Root gehorchte, und die beiden drängten sich hinter Halfpenny, der noch immer in die Nacht hinausstarrte.

«Siehst du was, Master Halfpenny?», flüsterte Fairfoot.

Der erfahrene Bogenschütze antwortete nicht. Sein scharfes Auge hatte eine langsame, gleichmäßige Bewegung in der Dunkelheit wahrgenommen. Etwas oder jemand näherte sich dem Dorf. Der Wind wehte stöhnend um die Häuser, aber da war noch ein Geräusch, ein leises, rhythmisches Scharren, halb übertönt vom unablässigen Wind. Er versuchte vergeblich, sich vorzustellen, was dieses Geräusch verursachte.

Aus dem Inneren der Hütte war schwer auszumachen, was dort draußen seine Aufmerksamkeit geweckt hatte. Er flüsterte: «Ins Freie. Duckt euch.»

Halfpenny öffnete behutsam die Tür aus Holzbohlen an ledernen Scharnieren. Sie führte an die Rückseite des Hauses und zu der niedrigen Trockenmauer des leeren Schweinepferchs. Halfpenny schlich an der Mauer entlang, seinen Kriegsbogen fest in der Hand. Die anderen folgten genau seinen Bewegungen. Er hörte die Anspannung in ihren Atemzügen, da sie versuchten, ihre Angst zu unterdrücken. Halfpenny drehte sich mit dem Rücken zur Mauer halb herum.

«Bleibt hier», flüsterte er.

Sie nickten – das ließen sie sich nicht zweimal sagen. Halfpenny kroch bäuchlings hinter der Mauer hervor auf die freie Fläche zwischen dem Schweinepferch und dem nächsten Haus. Von hier aus konnte er die Straße besser überblicken. Er hielt den Atem an, als er drei Pferde nebeneinander sah, die Reiter dunkel gekleidet, die Hufe der Tiere mit Sackleinen umwickelt, um das Geräusch zu dämpfen. Hinter ihnen zog eine Kolonne durch das Dorf. Wenn diese Reiter die Häuser hinter sich ließen, würden sie herumschwenken, sich formieren und die englische Stellung oben am Hang angreifen.

Halfpenny kroch zurück in seine Deckung, wo die anderen warteten. Er fasste Fairfoot an der Schulter. «Roger, du läufst und warnst Sir Gilbert und Lord Felton. Sag ihnen, Hunderte Reiter sind im Begriff, sie anzugreifen. Renn, so schnell du kannst, und mach für nichts und niemanden Halt. Dein Leben und das aller anderen hängt davon ab.» Halfpenny sah, wie sich die Augen des jungen Mannes weiteten. Er nickte und wandte sich ab.

Halfpenny seufzte. «Und wir beide, Walter, nutzen die Häuser als Deckung und setzen diesen Reitern zu, so gut wir können. Dann rennen wir an der Flanke zurück zu Sir Gilbert. Verstanden?»

Der junge Mann nickte. Ohne ein weiteres Wort liefen Halfpenny und sein Bogenschütze durch die Schatten der Häuser, bis sie den Reitern ein ganzes Stück voraus waren. Root folgte dem Beispiel seines Ventenars und steckte ein halbes Dutzend Pfeile in den Boden, dann legte er einen auf. Sie waren fünfzig Schritt vor den ersten Reitern, die über die ansteigende Straße auf sie zukamen. Die beiden Bogenschützen zielten auf die dunklen Schemen, wobei es ihnen gleichgültig war, ob sie Ross oder Reiter trafen. Jeder Bogenschütze löste sechs Pfeile in rascher Folge. Pferde bäumten sich unter schrillem Wiehern auf; Männer stürzten aus dem Sattel. Die Kolonne löste sich auf. Reiter trieben ihre Rosse an. Halfpenny und Root drehten sich um und liefen zwischen den Häusern hindurch ein Stück weiter. Dann traten sie wieder ins Freie und lösten jeder noch zwei Pfeile. Einige Reiter lenkten jetzt ihre Tiere durch die engen Zwischenräume zwischen den Häusern auf der Suche nach den Männern, die sie aus dem Hinterhalt angegriffen hatten. Halfpenny machte kehrt, rannte in eine andere Richtung, dem Chaos auf der Straße stets ein Stück voraus.

«Nein!», rief Halfpenny, als Root falsch abbog – ein Pferd war so nah, dass sie sein Schnauben hören konnten. Root zögerte. Das Pferd versperrte ihm den Weg. Der junge Bogenschütze sah nicht, wie der Speer des spanischen Reiters vorschnellte, da traf ihn die Spitze schon am Halsansatz, bohrte sich abwärts in Herz und Lunge.

Halfpenny zog seinen Bogen aus und schoss den Reiter aus dem Sattel; der Mann stürzte neben dem toten Bogenschützen zu Boden. Das Pferd geriet in der Enge zwischen den Häusern in Panik, da es keinen Fluchtweg sah. Halfpenny packte seinen Bogen, duckte sich unter dem sich aufbäumenden Tier hindurch und schwang sich in den Sattel. Er lehnte sich zurück, zog an den Zügeln und trieb das Ross heftig mit den Fersen an, fort von den Toten und hinaus aus der Enge. Er erreichte offenes Gelände. Riss an den Zügeln, wollte das Tier in Richtung der englischen Linien antreiben. Doch er war abgeschnitten. Hunderte französische und spanische Reiter stürmten bereits den Berg hinauf.